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Berlin: Weinrich-Prozess - 15. Verhandlungstag

Zeugen? Fehlanzeige!

Eine kleine Überraschung gab es am heutigen 15. Verhandlungstag im Berliner Weinrich-Prozeß noch vor Beginn der Verhandlung: Die Türen der zweiten Sicherheitsschleuse im Hochsicherheitsbereich des Gerichtes für Pressevertreter, Schöffen und Anwälte standen sperrangelweit offen und weit und breit waren weder kontrollierende Justizbeamte noch üblicherweise patrouillierende Polizeibeamte zu sehen. Schöffen und Anwälte witzelten auf dem Gerichtsgang, daß man sich bei soviel Normalität ja ganz unsicher fühle. Später stellte sich heraus, der vorsitzende Richter die Sicherheitsverfügung in diesem Punkt aufgehoben hatte, ohne daß jemand vorher davon erfuhr.

Zu Beginn des Verhandlungstages waren eigentlich ehemalige ungarische Geheimdienst-Mitarbeiter als Zeugen geladen, jedoch "fast schon erwartungsgemäß" (so der Vorsitzende), nicht erschienen. Denn diese Zeugen waren auch seinerzeit im Maison de France-Verfahren gegen Weinrich geladen worden und hatten nicht reagiert. Mitglieder der Carlos-Gruppe hatten in den achtziger Jahren zeitweise auch in Ungarn gelebt und hatten dort Kontakte mit dem Geheimdienst.

So blieb dem Kammervorsitzenden nur, die Zeit mit administrativen Erklärungen zu füllen, deren Inhalt besagte, daß es ihm trotz diverser Bemühungen bis dato noch nicht gelungen sei, zentral wichtige französische Zeugen des Anschlages in der Pariser Rue Marbeuf zu laden, da es in Frankreich kein Meldegesetz gebe und diese Zeugen unbekannt verzogen seien. So werde die Kammer wohl auf die Verlesung der damaligen Vernehmungsprotokolle zurückgreifen müssen.

Ebenfalls nicht geklärt werden konnte die Frage, ob Illich Ramirez Sanchez ("Carlos") als Zeuge in diesem Verfahren aussagen wird und wie dies (er sitzt in Frankreich in Haft) dann technisch zu bewerkstelligen sei.

Ein Novum in diesem Verfahren war am heutigen Tag, daß Weinrich sich zum ersten mal zu Wort meldete. Sogar einige der einschlummernden Nebenklagevertreter wachten auf und alle Anwesenden starrten den Angeklagten an. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Weinrich monierte, daß bei den ungarischen Unterlagen bei den Übersetzungen gepfuscht worden sei, benannte genaue Aktenteile und bat um eine Korrektur falsch übersetzter bzw. lückenhafter Teile.

Der Verhandlungstag war nach einer halben Stunde beendet, nicht ohne daß Verteidiger Elfferding den Vorsitzenden bat, da er doch jetzt schon die Sicherheitsverfügung aufgehoben habe, doch bitte in Erwägung zu ziehen, zukünftig den Angeklagten zu gestatten, seinen Panzerglaskasten zu verlassen. Der Kammervorsitzende antwortete schnell und knapp: "Ich werde das erwägen - und ich werde es nicht positiv bescheiden":

 

02.06.2003
anonym zugesandt   [Aktuelles zum Thema: Repression]  [Schwerpunkt: Weinrich-Prozess]  Zurück zur Übersicht

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