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Berlin: Weinrich-Prozess - 14. Tag - Nachtrag

Ein ganz normaler Polizist in einem ganz normalen Verfahren

Geheimdienst-Possen im Weinrich-Prozeß

Der 14. Verhandlungstag im Berliner Weinrich-Prozeß hatte Einiges an politischer und juristischer Brisanz zu bieten,

Weinrich ist angeklagt, als Mitglied der "Organisation Internationaler Revolutionäre", besser bekannt als sogenannte ,Carlos-Gruppe', zwischen 1975 und 1983 an sechs Bombenanschlägen in Frankreich, Griechenland und Deutschland beteiligt gewesen zu sein.

Am heutigen Verhandlungstag war der französischer "Ermittlungsbeamte" Jean-Francois Riou als Zeuge geladen, der im Jahre 2001 Ali al Issawi (Deckname Abul Hakam), nach Ansicht der Berliner Staatsanwaltschaft ein Führungsmitglied der Carlos-Gruppe in Jordaniens Hauptstadt Amman "vernommen" haben will. In dieser "Aussage" soll Issawi Weinrich schwer belastet haben. Es ging also darum, zu klären, ob dieses Papier in das Verfahren eingeführt werden darf oder nicht.

Zu Beginn der Verhandlung fiel auf, daß Herr Lehmann vom BKA mit dem Zeugen und seiner Dolmetscherin zusammensaß und sich angeregt unterhilet. Lehmann spielte im Maison de France-Verfahren, in dem Weinrich nach juristisch unhaltbaren Begründungen im Jahre 2000 zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, eine ebenso dubiose wie entscheidende Rolle. Auch auf Nachfrage der Verteidigung konnte bis zum Ende des Prozesstages nicht geklärt werden, warum und in welcher Funktion Lehmann anwesend war.

Die Verhandlung wurde durch den Kammervorsitzenden mit der Zeugenbelehrung und der Befragung nach den persönlichen Daten des erschienenen Zeugen eröffnet.

Die Kammer war deutlich erkennbar daran interessiert zu erfahren, welche Funktion Riou innerhalb der französischen Polizei- bzw. Justizbehörden inne hat.

Diese Nachfragen wuden vom Zeugen mehrfach und ausdrücklich damit beantwortet, daß er ein "ganz normaler Polizeibeamter" sei. Eine Beschreibung auf die der Zeuge großen Wert zu legen schien, denn diese Formulierung tauchte immer wieder in seiner Aussage auf. Weiterhin erklärte er, daß er auch in Auftrag und Diensten des französischen Ermittlungsrichters Brugui=E8re tätig sei, der die Ermittlungen gegen die Carlos-Gruppe in Frankreich leitet. Riou, seit 14 Jahren mit der Materie vertraut, nannte sich das "Gedächtnis Brugui=E8res".

Eine der ersten Fragen des Vorsitzenden bezog sich darauf, inwieweit Riou mit dem Anschlag in der Rue Marbeuf in Paris 1983 zu tun gehabt habe und ob er in die Ermittlungen einbezogen gewesen sei.

Der Zeuge bekundete, daß er mit den eigentlichen Ermittlungsarbeiten nicht befaßt gewesen sei, er sei allerdings nach dem Anschlag vor Ort gewesen. Auf Nachfrage des Vorsitzenden, warum er dort gewesen sei, antwortet der Zeuge mit dem Satz: "Nun, man war jung und interessiert, da geht man schon einmal nachsehen, was da so passiert ist." Er sei aber nicht in offizieller Mission am Ort des Anschlags gewesen, sondern aus privatem Interesse. Der Anschlag in der Rue Marbeuf, der laut Anklage einer dort ansässigen arabischen Zeitung galt, wird von der Berliner Staatsanwaltschaft der Carlos-Gruppe zugeschrieben.

Danach versuchte der Vorsitzende die näheren Umstände der "Vernehmung" Issawis in Amman in Erfahrung zu bringen.

Riou sagte aus, es habe sich um ein "ganz normales" Rechtshilfeersuchen gehandelt.

Die Nachfrage, woher die französischen Behörden wußten, daß sich Issawi in Jordanien aufhält und über welche Kanäle diese Information an die französischen Behörden, bzw. zu ihm, gelangt seien, beantwortete Riou nicht. Vielmehr erläuterte er, daß er darüber nichts sagen dürfe. Spätestens hier klingelten bei politisch erfahrenen Prozessbeobachtern zum ersten mal die Glocken..

Riou beschrieb anschließend, wie diese Reise ablief.

Man sei in Amman von einem hohen General des jordanischen Geheindienstes GID empfangen worden und es habe anschließend einen kleinen Empfang in der französischen Botschaft gegeben, wobei sich für die Kammer und Zuhörer der Eindruck vermittelte, die französische Delegation wäre vom französischen Botschafter empfangen worden. Dies korrigierte Riou nach genauerem Nachfragen dahingehend, daß nicht der Botschafter selbst sie empfangen hätte, sondern ein Mitarbeiter der Botschaft, "der mit dem Themenkomplex Terrorismusbekämpfung befaßt sei". Im Klartext: Ein französischer Geheimdienstmitarbeiter.

Am dritten Tag nach der Ankunft hätte dann die "Befragung" unter besonderen Bedingungen begonnen.

Der besagte jordanische Geheimdienst-General hätte der französischen Delegation erklärt, wegen der zweiten Intifada, der geopolitischen Umstände und der besonderen Sensibilität des Zeugen Issawi sei eine direkte Befragung durch die Delegation nicht möglich. Man könne lediglich einem Boten einen Fragenkatalog übergeben und dieser Bote würde dann, nach der Befragung des Zeugen, die Antworten an die Delegation überbringen. Sehen könne man Issawi nicht.

Es würde auch kein Vernehmungsprotokoll erstellt, sondern vielmehr in Anlehnung an angelsächsisches Recht einen "Bericht" der vernehmenden Beamten des jordanischen Geheimdienstes über die Vernehmung des "Zeugen" Issawi geben. Die Ausführungen der Verteidigung, daß es im angelsächsischen Recht durchaus auch die Form der genauen Protokollierung einer Aussage gebe, beeindruckten Riou nicht.

Die französische Delegation habe für die "Vernehmung" Issawis einen Fragenkatalog von etwa 150 Fragen zusammengestellt, der dem jordanischen Geheimdienst übergeben worden sei. Es sei der Delegation auch mitgeteilt worden, dass sie die Möglichkeit habe, nach Erhalt des ersten Berichtes über die Vernehmung weitere Nachfragen zu stellen, was dazu führte, daß Riou vor Ort noch einen weiteren Fragenkatalog von wiederum ca. 150 Fragen, erstellt habe, die auf die gleiche Art "beantwortet" wurden. Auf die Frage der Verteidigung, wie es denn möglich sei, in insgesamt zwölf Stunden "Vernehmung" 300 Fragen zu stellen, ins Arabische zu übersetzen, sie ausgiebig zu beantworten und diese dann anschließend ins Französische zurück zu übersetzen, wobei die Hälfte der Fragen auch noch vor Ort neu formuliert werden mußten, antwortete Riou schnippisch: "Wir haben eben schnell gearbeitet!"

Der Kammervorsitzende war deutlich bemüht, nur die Fakten der Reise zu hinterfragen und den Zeugen dazu zu bewegen, auf die gestellten Fragen zu antworten und sich nicht immer wieder in gleichlautenden Erklärungen über die Rechtmäßigkeit seiner Verfahrensweise zu verlieren, was aber nur bedingt durch Erfolg gekrönt war.

Die Verteidigung hatte da allerdings noch ein paar andere Fragen, die vor allem die immer wieder von Riou betonte Rechtmäßigkeit der Vernehmung betrafen.

So beispielweise die Frage, ob die französische Delegation bereits vor ihrer Abreise nach Jordanien wußte, in welcher Form und durch wen die Befragung stattfinden würde, da das Rechtshilfeersuchen doch an die jordanischen Justizbehörden gerichtet gewesen sei.

Wenn nämlich die Franzosen erst in Jordanien über die Form der Befragung informiert worden wären, dann hätte Ermittlungsrichter Brugui=E8re dabei gewesen sein müssen, um das Ersuchen neu zu formulieren. Und zur Überraschung der Anwesenden räumte der Zeuge dies auch nach mehrmaligem Nachfragen ein. Das ließ beim Vorsitzenden die Frage aufkommen, warum Riou dann einen ca. 37 Seiten langen Bericht über diese Dienstreise an Herrn Brugui=E8re geschrieben habe.

Der Zeuge konnte sich nicht wirklich durchringen, überhaupt auf diese Frage zu antworten und betonte stattdessen erneut, daß das ein ganz normales Rechtshilfeersuchen gewesen sei, wie er es kenne und schon etwa 1500 mal durchgeführt und erlebt habe.

Verteidiger Elfferding wollte daraufhin wissen, ob eine solche Verfahrensweise denn in Frankreich üblich sei, erhielt jedoch keine Antwort.

Die Verteidigung war auch daran interessiert zu erfahren, wo und unter welchen Umständen die Vernehmung stattgefunden habe, ob in Amman oder außerhalb und was das für ein Gebäudekomplex gewesen sei.

Zur Frage des Ortes der Vernehmung erklärte Riou, er könne sich nicht mehr genau erinnern, es sei ja auch schon eine ganze Weile her.

Erst nach mehrmaligem Nachfragen der Verteidigung und längeren touristischen Erklärungen über die Lage der Stadt Amman (auf mehreren Hügeln gebaut etc.) konnte sich der Zeuge erinnern, dass die Befragung außerhalb der Stadt in einem großen, neu erbauten Gebäudekomplex stattgefunden habe.

Auf die Nachfrage, ob er sich "zufällig" auch erinnern könne, dort ein Gebäude gesehen zu haben, dass den Rückschluß zulassen würde, es handele sich um ein Gefängnis, traten, die bereits bekannten Erinnerungslücken des Zeugen wieder auf.

Auf die Nachfrage der Verteidigung, ob Riou bekannt sei, daß solche Aussagen vom jordanischen Geheimdienst häufig unter Folter zustande kommen würden, konnte der Zeuge die Zuhörerschaft beruhigen: Es sei alles ganz korrekt abgelaufen, denn er habe keine Schreie gehört!

Nach der Mittagspause ging die Verteidigung noch einmal verstärkt auf die Funktion Rious innerhalb der französischen Ermittlungsbehörden ein.

Dabei stellte sich nach hartnäckigem Nachfragen heraus, der dieser ganz normale Kriminale mitnichten Polizeibeamter, sondern vielmehr Mitarbeiter des französischen Inlands-Geheimdienstes DST ist.

Damit war Überraschung Nummer zwei perfekt. Ein Mitarbeiter des französischen Geheimdienstes trifft im - bisher unbekannten - Beisein des Ermittlungsrichters in Amman Kollegen vom jordanischen Dienst, um einen Zeugen zu "befragen", den sie weder sehen noch sprechen dürfen und dessen "Antworten" ihnen in Form eines Berichtes jordanischer Geheimdienstler überreicht wurde. Vollends makaber wurde diese Szenerie nach der Frage der Verteidigung, woher die Franzosen denn gewußt hätten, daß es sich bei dem so "Befragten" um Issawi gehandelt habe: Man habe ihnen eine Kopie eines gefälschten Passes von Issawi gezeigt lautete die Antwort. Und woher sie denn gewußt hätten, daß es sich bei der Person auf dieser Kopie um Issawi handele, antwortete Riou mit einem selbstbewußtem: "Wir haben ein eigenes Vergleichsfoto!" Auf die Frage, woher denn dieses Vergleichsfoto stamme, kam die ernsthafte Antwort: "Aus dem FOCUS". Die Authenzität einer Kopie soll also mit der Kopie einer ausländischen Zeitung belegt werden.

Und auf die Frage der Verteidigung, wie oft dem Zeugen eine solche Art von "Befragung" in seiner langjährigen Laufbahn denn schon untergekommen sei, kam ein etwas kleinlautes: "Bisher nur in diesem Fall!"

Issawis derzeitiger Aufenthaltsort ist den jordanischen Behörden offiziell "nicht bekannt". Und Mitarbeiter des GID wird grundsätzlich keine Aussagegenehmigungen vor ausländischen Gerichten erteilt.

Die Verteidigung stellte zum Ende des Verhandlungstages konsequent mehrere Anträge: Zum einen die Nichtzulassung der Aussage des "Phantomzeugen" Ali al Issawis in diesem Verfahren und zum anderen die Beibringung der französischen Akten in dieser Sache, die in den Unterlagen der Staatsanwaltschaft nämlich gar nicht erst auftauchten. Da die Originale der "Vernehmung" in arabischer Sprache abgefasst seien, diese dann ins Französische und von dort aus ins Deutsche übersetzt wurden, hätte die Verteidigung doch gerne die Möglichkeit, wenigstens die französischen Akten vergleichend einzusehen.

 

02.06.2003
anonym zugesandt   [Aktuelles zum Thema: Repression]  [Schwerpunkt: Weinrich-Prozess]  Zurück zur Übersicht

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