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Berlin: 95. Prozesstag | Ich bin nichts, ich hab? nichts, gebt mir eine.....

95. Prozesstag: Ich bin nichts, ich hab? nichts, gebt mir eine..... (06.09.02)

Ohne kritische Öffentlichkeit musste sich heute das Kammergericht alleine auf den Weg zur
Wahrheitsfindung machen. Dass dieser mitunter steinig ist, dazu hat der heutige Zeuge
professionell beigetragen. Ein über lange Zeit aktiver BKA-Hauptermittler in Sachen RZ
vergisst vorgeblich Zahlungswege angeblicher Unterstützungsgelder, die Gründe für die Art
der Abfassung von Zwischenberichten, Anlässe für mehrtägige Ermittlungsdienstreisen und
die Planungen für polizeiliche Schritte bezüglich des einzigen Belastungszeugen. Das
Geheimnis der großen Erfolge des Bundeskriminalamtes war selten zum Greifen so nah. Ein
Kollege hat angeordnet, ein anderer die Arbeit gemacht, er selber als Zeuge will höchstens
anwesend gewesen sein, wenn überhaupt....... Dank dem Zeugenschonprogramm des
Kammergerichts Berlin erleben wir immer wieder prozesshistorische Stunden in
geheimnisvoller Atmosphäre.

Schwarze Kassenlöcher

Ralf Trede, 41jährig, Kriminaloberkommissar beim Bundeskriminalamt, immer wieder gern
gesehener Gast am Richtertisch, brauchte seine Erinnerung auch heute nicht genügend
"anzuspannen". Diese sonst übliche Zeugenermahnung durch die Vorsitzende Richterin war
offensichtlich augenzwinkernd nicht so richtig ernst gemeint.
Die vom Kronzeugen Mousli behauptete Geldübergabe, in Höhe von DM 60.000,- an den
Angeklagten Harald G. zur Unterstützung der angeblich untergetauchten RZ-Mitglieder,
wurde eingangs erörtert. Der Zeuge bestätigte mehrere Geldbewegungen in relevanter
Größenordnung auf den Konten des Kronzeugen bzw. seiner damaligen Lebensgefährtin.
Die Herkunft der Gelder konnte anhand der Überweisungen identifiziert, deren Verbleib
durch diverse Barabhebungen allenfalls vermutet werden. Ein vom Kronzeugen behaupteter
Teilbetrag in Höhe von DM 50.000,- , der zum Jahreswechsel 1994/1995 übergeben worden
sei, wäre jedenfalls nicht vom Konto abgehoben worden, so der Zeuge. Andere Indizien für
den kronbezeugten Geldfluss wären nicht gefunden worden. Auch den Grund für einen
diesbezüglichen Sinneswandel von Herrn Mousli war ihm unbekannt. Dieser will bei ersten
Aussagen einen Teilbetrag zum Erwerb eines Fitness-Studios verwendet haben, ein halbes
Jahr später wurden diese DM 25.000,- von ihm zu RZ-Unterhaltszahlungen erklärt, was ja
auch naheliegt.

Zeuge Trede, williger Erfüllungsgehilfe seiner Herren

Ein Thema, was auch immer wieder gerne genommen wird, folgte: die BKA-
Sachstandsberichte aus dem August 1999 über die Ermittlungsergebnisse zur RZ. Die
Verteidigung hatte das Eingeständnis über die Existenz zweier Fassungen bereits früher
erwirkt. Warum er seinen ersten ausführlichen Bericht habe kürzer fassen müssen, wollte
Anwältin Studzinsky mehrfach wissen, zumal die Bundesanwaltschaft als Empfänger - im
Gegensatz zu den AnwältInnen - in aller Regel ja die vollständigen Unterlagen erhält. Der in
seinen früheren Aussagen angeblich so eigenständig tätige Beamte schrumpft unerwartet
zum ahnungslosen Befehlsempfänger, die Entscheidungsträger (Sachgebietsleiter,
Referatsleiter und Bundesanwalt) hätten das angeordnet. Gründe dafür: keine Ahnung!
Auch wie die daran Beteiligten die erforderliche inhaltliche Abstimmung innerhalb einer
einzigen Stunde hätten zustande bringen können, verschloss sich angeblich seiner
Kenntnis. Die Kontrolle der Bearbeitungszeiten des Dokumentes in seinem Dienst-PC hatte
dies zutage gefördert. Wie an den vorangegangenen Verhandlungstagen bereits zu
beobachten, würde der Zeuge im Ernstfall nicht mal seine eigene Existenz vorbehaltlos
bezeugen. So wollte er vorsichtshalber auch nur vermuten, dass sein handschriftlicher
Vermerk ("Aus verfahrenstaktischen Gründen geändert") mit Unterschrift auf dem Bericht ,
tatsächlich auch von ihm stammen könnte.... . Aber auch dabei habe ihm sein Chef Schulzke
die Hand geführt, Hintergründe für diesen Vermerk seien ihm überhaupt nicht bekannt. Mit
den widersprüchlichen PC-Bearbeitunsdaten dieses Berichtes konfrontiert, stotterte Trede
zutreffend: "Irgendwas läuft da nicht rund!". Recht hatte der Mann, denn der vom 20.08.99
datierte Bericht passt nicht mit den PC - Bearbeitungstagen 11.08. und 13.10.99 zusammen
und noch weniger mit dem Abgabetermin an die BAW am 27.08.99. ? Kann ja nicht immer
alles klappen!

Mich informiert ja keiner

Chemisch frei von Wissen präsentierte sich der Polizist auch beim Anlass seiner Dienstreise
um den 07. Juli 1999 nach Berlin, angeblich eher zufällig am Tage der Haftprüfung des
Kronzeugen. Er bestätigte tatsächlich ernsthaft seine Aussagen letzter Woche, ihm fehle
jegliche Erinnerung an seine damalige Anwesenheit. Nur von seinem damaligen Kollegen
Barbian will er inzwischen wissen, dass eine Vernehmung und die organisatorische
Vorbereitung der Aktion "Sumpfblüte" im Seegraben auf den Programm gestanden hätten.
Dieser hätte dazu persönliche Aufzeichnungen bemühen müssen. Auch beharrte er weiter
auf der Aussage von der damals bevorstehenden Haftverschonung des Kronzeugen nichts
gewußt zu haben und keinerlei weitere Ermittlungsschritte bezüglich des einzigen
Belastungszeugen zu der Zeit geplant zu haben. Der "vergessene" zweite Besuch des BKA-
Mannes am Seegraben, unmittelbar am Tage nach der Haftverschonung Moulis, müsse sich
wohl ganz spontan ergeben haben, fabulierte der Zeuge alles andere als überzeugend. Als
Anwalt König positiv vom Zeugen bestätigt haben wollte, dass wirklich keinerlei
Aufzeichnungen über diese Dienstreise in den Handakten des BKA vermerkt seien, da traten
sie wieder in Aktion, die Zeugenbeschützerinnen. Drei RichterInnen und das komplette
voluminöse Karlsruher Terzett in der Westkurve warfen sich beherzt dieser "hinterhältigen"
Frage entgegen, wiederum mit Erfolg. Für erfahrene ProzessbesucherInnen ein inzwischen
verlässlicher Indikator für akute Bedrohung der ganzen unglaubwürdigen
Prozesskonstruktion.

Was zu beweisen wäre...

Viele Beweisanträge der Verteidigung rundeten heute die Veranstaltung ab. Das
Sprengbuch vom Sprengplatz Grunewald, etliche LKA-BeamtInnen und Unterlagen der
Polizeitechnischen Untersuchungsstelle sollen u.a. aufklären, warum das angeblich am
Seegraben aufgefundene Gelamon 40 gleich dreimal an drei verschiedenen Tagen
angeblich vernichtet worden sei, manchmal mit, manchmal aber auch ohne Zündschnüre.
Die Verzögerung bei der Weiterleitung der Sprengstoff-Sofortmeldung und ein weiterer,
bisher unerwähnt gebliebener Sprengstofffung in einer anderen Wohnung sollen erhellt
werden. Durch die Einsicht in das Haftbuch in Berlin - Moabit sollen weitere Ausführungen
des Kronzeugen zum Seegraben entlarvt werden. Letztlich wollte RA Geimecke den
Zeugenschützer "Torsten" bezeugen lassen, dass Mousli zweifelsfrei drei konkrete Orte als
Waffenlager im Mehringhof genau bezeichnet habe, alle anderen mutmaßlichen und
geeigneten Lagerstätten des Gebäudekomplexes damit als irrelevant zu beurteilen sind.


 

06.09.2002
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