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Berlin: 79. Prozesstag | Die Aktion 'Wasserschlag' im Mehringhof

Zwei an der Durchsuchung des Projektezentrums Mehringhof in Berlin-Kreuzberg beteiligten
StaatsanwältInnen wurden heute vernommen. Beide hätten damals im Dezember 1999
angeblich nur das staatsanwaltliche Großaufgebot verstärkt, wären ansonsten mit den
Ermittlungen aber nicht vertraut. Entsprechend den Behauptungen des Kronzeugen wäre
schon ernsthaft und gründlich nach Waffen und Sprengstoff gesucht worden, gaben beide
übereinstimmend zu Protokoll. Doch fehle ihnen angeblich der Überblick der
Gesamtgeschehnisse, da sie selber nur an sehr wenigen Durchsuchungsorten gewirkt
hätten.

Alles, nur nicht hochdeutsch

Walter Hemmberger, 48jähriger Oberstaatsanwalt am Bundesgerichtshof in Karlsruhe, will
bei der Aktion nur in einem Fahrradladen, einem Musikraum und dem Büro der
Forschungsstelle für Flucht und Migration (FFM) tätig gewesen sein. Er habe sich zur
Amtshilfe den sachbearbeitenden KollegInnen für den Großeinsatz in Berlin zur Verfügung
gestellt. Er könne ja vieles, nur nicht hochdeutsch reden, gab er gleich zu Beginn seiner
Vernehmung an. Das konnte die hartnäckigen und handverlesenen ProzessbesucherInnen
heute nicht besonders beeindrucken, bestätigte er doch nur den schon prozessbekannten
Ablauf der vollständig erfolglosen Maßnahme im Mehringhof. Immerhin wurden logistische
Einzelheiten bekannt. So hätten die beteiligten BKA-BeamtInnen und StaatsanwältInnen im
Neuköllner Estrel-Hotel logiert und am Vorabend in einem Veranstaltungsraum dort eine
Einsatzbesprechung abgehalten. Am nächsten Morgen sollten zunächst Einheiten der GSG
9 (Anti-Terror-Einheit der Bundesgrenzschutzes) ‘die Sicherheit’ im Gebäude herstellen,
bevor die Schar der Staatsanwälte und die Teams des BKA mit bis zu 90 BeamtInnen ihr
Werk vollbracht hätten. Die Berliner Polizei mußte derweil draußen in der Kälte bleiben, sie
wurde nur bei der ‘Außensicherung’ eingesetzt.

Gefühle lasse ich zu Hause

Staatsanwältin Silke Ritzert, 37 Jahre und in Stuttgart aktiv, hätte sich damals natürlich
Notizen gemacht, wenn sie von ihrer heutigen Vernehmung gewußt hätte. Eine
Anwaltskanzlei, die Hausmeisterei und das FFM-Büro wäre ihr Aktionsfeld gewesen. Sie will
die Öffnung der Büros veranlasst haben und die erfolglosen Probebohrungen in den
Räumen der RechtsanwältInnen überwacht haben. Sie hätten sich strikt nach dem
vorliegenden Untersuchgungsprogramm gerichtet, was auch den Einsatz von
TechnikerInnen und Sprengstoff-Spürhunden eingeschlossen hätte. Nach Hohlräumen in
der Nähe von Schächten wäre gesucht worden, aber auch nach Unterlagen eines
Koordinierungsausschusses, der angeblich die RZ unterstützt haben soll. Ob dabei
beschlagnahmte Papiere, z.B. mit dem Schriftzug des angeklagten Axel H., in die
Ermittlungen eingeflossen wären, entzog sich ihrer Kenntnis, behauptete jedenfalls Fr.
Ritzert. Selbstverständlich wäre die Suche systematisch und intensiv betrieben worden,
sonst hätte sich doch der ganze Aufwand nicht gelohnt.....(so ist es! der Autor). RA Becker
war abschließend am Seelenzustand der Justizbeamtin interessiert. Ob die Enttäuschung
denn arg groß gewesen sei, wollte er wissen. Gefühle ließe sie bei der Arbeit zu Hause,
erwiderte Fr. Staatsanwältin irritiert lächelnd.

Nichts Genaues will mensch nicht wissen......

Zum Abschluß des erneut sehr kurzen Verhandlungstages, demonstrierten
KammerrichterInnen und Bundesanwälte wiederholt ihre gemeinsame Prozessstrategie: nur
so viel wie nötig. Diverse im Mai gestellte Anträge der Verteidigung wurden komplett
abgewiesen bzw. widersprochen. Ob die Beiziehung fehlender Ermittlungs- und
Spurenakten, die erneute Vernehmung von BKA-Beamten zu den offensichtlich
manipulierten Sachstandsberichten, erneute Gutachten zur angeblichen
Sprengstofflagerung im Seegraben oder die Beantragung der Verlesung von
Telefonüberwachungsmitschriften, alles wurde unisono als nicht relevant für die Schuld-
und Rechtsfolgenfrage erklärt. Die wie gewöhnlich völlig gelangweilt vorgetragenen
Abweisungsanträge der Staatsanwaltschaft, beinhalteten - auch wie gewöhnlich - fast
ausnahmslos formaljuristische Begründungen. Um bei diesem Gericht erfolgreich zu sein
reicht beides allerdings auch völlig aus. Es übernimmt im Tenor seiner Entscheidungen
regelmäßig diese Argumentation. Wieder hätte das Gericht die Chance verpasst endlich alle
zurückgehaltenen Ermittlungsunterlagen lückenlos in das Verfahren einzuführen,
kommentierte RA Kaleck die Entscheidungen. Gerade wegen der mangelnden Kenntnis über
diese unterschlagenen Akten müssten einige Beweisanträge notgedrungen allgemein
formuliert bleiben. Diese erzwungene Ungenauigkeit aber gerade als Ablehnungsgrund der
Verteidigung gegenüber zu benutzen gleiche einem Circulus vitiosus, mit dem sich der
Rechtsanwalt auch zukünftig nicht zufrieden geben will. Wohl an!


Kurzmeldung

Staatsanwaltschaft bezeugt: Kein Sprengstoff im Mehringhof

Zwei VertreterInnen der Staatsanwaltschaft bestätigten heute, dass im Mehringhof keine
Spuren von Sprengstoff gefunden wurden seien. Ein Großaufgebot an Polizei- und
Ermittlungskräften hatte das Gebäude im Dezember 1999 nach einem vermuteten
Sprengstoff- und Waffenlager durchsucht. Auch die Behauptung des Kronzeugen auf einen
angeblich dort tagenden RZ- UnterstützerInnenkreis (Koordinierungsausschuss) hätte
keinerlei Bestätigung gefunden. Die intensive Spurensuche durch ca. 90 Mitarbeiter des
Bundeskriminalamtes (BKA), Bundesgrenzschutzes (GSG 9), etlicher StaatsanwältInnen,
Spürhunde, chemische Tests, Probebohrungen und Wischproben, hätte ergebnislos
abgebrochen werden müssen.
Im gewohnten Gleichschritt lehnten Gericht und Bundesanwaltschaft mehrere Anträge der
Verteidigung ab. Der Inhalt weiterhin vom BKA zurückgehaltener Ermittlungsakten wurde
kurzerhand für nicht prozessrelevant erklärt.
Trotzdem soll es weitergehen: Do., den 13.06., 9:15 Uhr in Moabit


 

08.06.2002
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