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Berlin: Prozessbericht vom 10.05.2002

10.5.02: 73. Prozesstag
Angeklagter Harald G. aus der Untersuchungshaft entlassen

Zwei Anträge der Verteidigung und ein Zeuge, der angab, im April 1995 die Tasche mit Sprengstoff kurz nach
dem Diebstahl aus dem Keller von Tarek Mousli gesehen zu haben, waren heute Gegenstand der
Hauptverhandlung.

Bundesgerichtshof (BGH) drängte auf Entlassung von Harald G.

Heute durfte sich zum ersten Mal auch der Angeklagte Harald G. in den Prozesspausen auf den Fluren des
Moabiter Gerichts frei bewegen. Der Senat hatte mit Beschluss vom 6. Mai seiner Entlassung zugestimmt, weil
ein Familienmitglied von G. schwer erkrankt ist. Außerdem musste eine Kaution von 60.000 EUR hinterlegt
werden. Inoffiziell dürfte allerdings ein Beschluss des Bundesgerichtshofes (BGH) vom 25.4.02, in dem dieser
die Länge der Untersuchungshaft kritisiert, den Senat in seiner Entscheidung beflügelt haben. Dort heißt es
nämlich in der Form zurückhaltend, aber inhaltliche nicht weniger eindeutig: "Der Senat weist jedoch
ausdrücklich daraufhin, dass die zunehmende Dauer der Untersuchungshaft unter Berücksichtigung der zu
erwartenden Strafe nicht nur die Fluchtgefahr vermindern kann, sondern auch die Verhältnismäßigkeit in Frage
stellt. Sofern die Hauptverhandlung nicht in absehbarer Zeit abgeschlossen werden kann, erscheint eine erneute
Behandlung der Haftfrage veranlasst." Aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen war zu erfahren, dass G. am
Nachmittag des 7. Mai von 20 Freunden und Bekannten am Tor des Moabiter Gefängnisses herzlich begrüßt
worden war.

Antrag auf Aussetzung der Hauptverhandlung

In der heutigen nur zwei Stunden dauernden Verhandlung stellten die Rechtsanwälte Becker und Eisenberg für
ihre Mandantin Sabine E. eine Antrag auf Aussetzung der Hauptverhandlung. Das Gericht hatte am letzten
Verhandlungstag dem "rechtlichen Hinweis" der Bundesanwaltschaft (BAW) stattgegeben, in dem diese
angekündigt hatten, die Anklage gegen Sabine E. um "Rädelsführerschaft" zu erweitern. Eine Aussetzung des
Verfahrens - so die Verteidiger - sei nötig, da auf Grund der erweiterten Anklage umfangreiche Ermittlungen
bezüglich des Gesundheitszustandes von Frau E. zwischen 1986 bis 1989 angestellt werden müssten. Außerdem
sei der rechtliche Hinweis viel zu spät erteilt worden, die Verteidigung könne sich jetzt, nach über einem Jahr
Verhandlungsdauer, nicht mehr gegen diesen neuen Anklagepunkt zur Wehr setzen. Vielmehr sei der rechtliche
Hinweis substanzlos, da die Hauptverhandlung keinerlei neuen Gesichtspunkte zu Tage gefördert habe.
Rechtsanwalt Becker kritisierte in einer weiteren Stellungnahme den Senat, da dieser sich bereit zeige, der von
der BAW verkündeten Erweiterung der Anklage Folge zu leisten. Dies sei erneut ein Beispiel dafür, "wie wenig
autonom" sich der Senat verhalte. Naturgemäß ablehnend zeigte sich die BAW in einer von Bundesanwalt Bruns
vorgetragenen Stellungnahme zum Antrag der Verteidigung. Der frühere Gesundheitszustand von Frau E. sei
unerheblich, vielmehr ginge es um die geistige Führungstätigkeit. Damit fehle dem Antrag der Verteidigung die
substanzielle Begründung.
Der Senat stellte eine Entscheidung über den Antrag auf einen späteren Zeitpunkt zurück.

Keine blauen Müllbeutel

Als einziger Zeuge war heute Rudolf H. (42) geladen. H., ein Zeuge der Verteidigung, gab heute an, im April
1995 mit den Zeugen Daniel S. und seinem Kollegen W. zusammengetroffen zu sein, nachdem diese Sprengstoff
aus dem Keller von Tarek Mousli entwendet hatten. (vgl. 7.3.02: 59. Prozesstag) "Völlig aufgelöst" seien die
beiden "jungen Leute" nach ihrem erfolgreichen Diebstahl mit einer Sporttasche in seine Wohnung gekommen.
Daniel S. hätte aus der Tasche eine rote Stange herausgeholt und ihm gezeigt. Sofort sei ihm klar gewesen, dass
es sich bei der Beute um Sprengstoff gehandelt habe. Er hätte lediglich einen kurzen Blick in die Tasche
geworfen und die beiden dann aufgefordert, seine Wohnung zu verlassen, weil er mit "so einem Scheiß" nichts
zu tun haben wollte. Von einer blauen Verpackung habe er in der Tasche nichts erkennen können. Allerdings
habe er nicht in die Tasche gefasst, er könne daher nicht ausschließen, dass unter den sichtbaren
Sprengstoffstangen blaue Mülltüten oder ähnliches gewesen sei,
Auf die Fragen von Richter Alban und Bundesstaatsanwalt Bruns, wie es dazu gekommen sei, dass H. heute
aussage, erklärte der Zeuge, dass Rechtsanwalt Kaleck sein Betreuer sei. In diesem Zusammenhang habe er
Kaleck von dem Vorfall und der anschließend bei Daniel S. statt gefundenen Hausdurchsuchung, die ihn schwer
beschäftigt hatte, erzählt. Rechtsanwalt Kaleck habe ihn dann sofort zu einem anderen Anwalt geschickt.

Neuer Beweisantrag zum nicht vorhandenen Waffen- und Sprengstoffdepot im Mehringhof

Abschließend stellte Rechtsanwalt von Schlieffen einen umfangreichen Beweisantrag. Darin wird u.a. gefordert
neun Beamte des Bundeskriminalamtes (BKA) zu laden, die maßgeblich an der ersten Durchsuchung des
Berliner Kulturzentrum MehringHof im Dezember 1999 beteiligt waren. Die BKA-Beamten werden bekunden -
so die Verteidigung - dass gründlich, aber erfolglos gesucht worden sei und sich keinerlei Hinweise auf die
Lagerung von Sprengstoff oder Waffen ergeben haben.

Der Prozess wird am 16.5.02 fortgesetzt.

 

11.05.2002
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