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Berlin: Prozesserklärung von Harald Glöde (17.5.) & längerer Bericht vom 2. Prozesstag (18.05.)

Prozesserklärung von Harald, 17. Mai 2001

Mit meiner heutigen persönlichen Erklärung möchte ich anknüpfen an die Erklärung,
die meine Rechtsanwältinnen in meinem Namen am 29.3. hier vorgetragen haben
und in der meine Besorgnis über eine mögliche Befangenheit und
Voreingenommenheit dieses Gerichts bzw. seiner Vorsitzenden ausgedrückt wurde.
Inzwischen hatte ich ja die Gelegenheit während der bisherigen vier Pseudo-
Verhandlungstage und der von der Vorsitzenden zu verantwortenden
Verhandlungsführung weitere Eindrücke zu sammeln und konnte insbesondere aus
dem Gerichtsbeschluss vom 12.4. zur Haftfortdauer die Position dieses Gerichts
herauslesen und möchte die im folgenden anhand einiger ausgewählter Beispiele
ausführen:
Der 1. Strafsenat inszeniert dieses Verfahren, gemäß den Vorgaben der BAW, als
ein „Terroristenverfahren“ im Stil der 70er und 80er Jahre. Dazu gehören unter
anderem die umfangreichen und schikanösen Einlasskontrollen für
ProzessbesucherInnen, von denen als erstes erwartet wird, dass sie mindestens ein
bis zwei Stunden vor Prozessbeginn erscheinen, um dann erst rechtzeitig zum
Beginn eingelassen zu werden. Dazu gehört aber auch die Ablichtung der Ausweise
der ProzessbesucherInnen mit der Rechtfertigung, „um die schnelle Identifizierung
etwaiger Störer zu ermöglichen“. Dazu gehören weiterhin intensive und zum Teil
entwürdigende Körperkontrollen bis hin zum Ausziehen der Schuhe und dem
Durchwühlen der Haare. Auch die Abnahme sämtlicher mitgeführter Gegenstände
wurde durch die Vorsitzende angeordnet, so durften die Mitglieder der
internationalen Prozessbeobachtergruppe nicht einmal Schreibutensilien mit in den
Gerichtssaal bringen. Diese Inszenierung beinhaltet auch eine lange Wartezeit für die
ProzessbesucherInnen im Treppenhaus unter unwürdigen Bedingungen bis zum
endgültigen Einlass in den Gerichtssaal. Aus welchen realen Gründen die
Vorsitzende diese Maßnahmen mit ihrer Sicherheitsverfügung vom 12.3.01
angeordnet hat, ist mir nicht bekannt. Für mich liegen sie aber auf einer Linie mit dem
fast nicht mehr nachvollziehbaren abnormen Sicherheitsdenken der BAW wie es sich
bei meinen Transporten gezeigt hat, die bisher immer aus einem Konvoi von drei
Fahrzeugen und einem Begleit“schutz“ von sieben bis acht BKA- bzw. GSG 9-
Beamten bestanden haben. Der eigentliche Hintergrund für diese Inszenierung liegt
für mich in der Schaffung einer Atmosphäre von Bedrohung und Gefährlichkeit, um
darüber die juristische Fragwürdigkeit des Vorgehens zu verschleiern und
Entscheidungen, wie der zur Haftfortdauer einen fadenscheinigen Anstrich von
Legitimität zu verschaffen. In diesen, vom Kammergericht zu verantwortenden
Prozessbedingungen spiegeln sich die ersten Anzeichen für die geplante
Verurteilung.

Bislang hat das Gericht der Verteidigung bestenfalls bruchstückhafte Informationen
über den geplanten Prozessverlauf zukommen lassen. Ein Bestreben, zu einer
schnellen Beweisaufnahme zu kommen, lässt sich daraus auf jeden Fall nicht
ablesen. Genauso wenig ist eine eigenständige Systematik und Planung zur
Bewältigung des umfangreichen Aktenstoffes darin erkennbar. Dabei soll gar nicht
bestritten werden, dass angesichts des Umfangs, aber auch der Ordnung der Akten,
jeder Versuch einer nicht auf Zufällen beruhenden Prozessplanung ein sehr
arbeitsaufwendiges Unterfangen ist, aber gleichzeitig bleibt natürlich zu konstatieren,
dass ohne eine gewisse Systematik und Planung der richterlichen Aufklärungspflicht
nicht ernsthaft nachgegangen werden kann. Und wenn dann die Reihenfolge von
Zeugenvernehmungen sich an der Urlaubsplanung des BKA zu orientieren scheint,
und das vom Gericht kommentarlos hingenommen wird, so müssen einfach Zweifel
an diesem Willen zur Aufklärung auftauchen. Es könnte sogar der Eindruck
entstehen, dass das BKA über diese Beeinflussung der Reihenfolge von
Zeugenauftritten Einfluss zu nehmen versucht auf die durchzuführende
Beweisaufnahme im Gerichtssaal.
Wie ich weiter unten ausführen werde, sind die uns, d.h. meinen Verteidigerinnen
und mir, überlassenen Ermittlungsakten unvollständig. Bislang hat sich das Gericht
auch hierzu noch nicht geäußert, und Versuche meiner Rechtsanwältinnen, fehlende
Aktenteile noch zu erhalten, werden nur sehr schleppend und ohne den geringsten
Nachdruck bearbeitet. So stehen wir heute, beim zweiten Anlauf zu diesem
Verfahren und über ein halbes Jahr nach der Anklageerhebung, vor der Situation,
dass wir immer noch keine vollständigen Ermittlungsakten haben, und selbst die
Beiziehung einer Akte, die beim Gericht im November 2000 beantragt worden ist, die
die Vorsitzende -Richterin dann auch im Februar 2001 bei der Staatsanwaltschaft
angefordert hat, haben wir immer noch nicht erhalten. Und jetzt kurz vor dem
Neubeginn des Prozesses führt dann ein Telefongespräch mit der Staatsanwaltschaft
dazu, dass die Vorsitzende Richterin mal kurz ihre Meinung ändert und die
Beiziehung der beantragten Akte für nicht mehr notwendig erklärt.
Wie wenig dieser Richterin an der eigentlich vorgeschriebenen Aufklärungspflicht
liegt, ist ja auch in dem vorhin vorgetragenen Befangenheitsantrag deutlich
geworden.
Während der bisherigen vier Pseudo-Verhandlungstage war für mich auch keinerlei
Bemühen des Kammergerichts erkennbar, das Verfahren zügig voranzutreiben. Im
Gegenteil, es wurde durch die Vorsitzende verzögert und verschleppt, z.B. auch
durch die Absage von drei ursprünglich geplanten Verhandlungstagen. Wenn der 1.
Strafsenat dann in seinem Beschluss vom 12.4.01 behauptet, „nach
Anklageerhebung hat der Senat das Verfahren sehr zügig betrieben“, so wird das
zwar hier im Gerichtssaal als Wahrheit zu gelten haben, denn schließlich hat der
Senat die entsprechende Definitionsmacht, aber jede/r, die/der diese vier
Verhandlungstage miterlebt hat, weiss, dass diese Behauptung mit der Realität
nichts zu tun hat.
Dieser Beschluss zur Haftfortdauer offenbart sehr deutlich die Voreingenommenheit
dieses Gerichts. Danach müssen die vier Angeklagten weiterhin in
Untersuchungshaft bleiben, weil bei allen wegen der zu erwartenden hohen Strafe
Fluchtgefahr bestehe. Nun lebten diese vier Angeklagten in sehr unterschiedlichen
familiären und sozialen Situationen, aber das Kammergericht findet für jede dieser
Situationen eine Rechtfertigung, mit der Fluchtgefahr behauptet wird. Bei soviel
Findigkeit ist schlichtweg keine soziale Situation mehr vorstellbar, bei der das
Kammergericht nicht trotzdem Fluchtgefahr behaupten würde. Eine ernst gemeinte
Einzelfallprüfung hat also überhaupt nicht stattgefunden, im Endeffekt ging es ja
auch darum, die von der BAW zu verantwortende Aussageerpressungshaft
fortzusetzen. Bei der Verfolgung dieses Ziels schreckt das Gericht nicht einmal vor
der Benutzung falscher Behauptungen zurück. Um die hohe Strafe begründen zu
können, die wir vier Angeklagten im Gegensatz zu TM (Tarek Mousli) zu erwarten
haben, wird vom 1. Strafsenat behauptet, „... dieser (TM) hat die damals noch gültige
Kronzeugenregelung in Anspruch genommen...“. Der 2. Strafsenat des
Kammergerichts hat in seinem Urteil die Strafe gegen TM ausdrücklich „ungeachtet
der Kronzeugenregelung“ ausgesprochen. Noch offensichtlicher wird die
Voreingenommenheit und Vorverurteilung durch das Gericht an einem weiteren
Punkt. Nach dem Beschluss vom 12.4.01 wird die zu erwartende hohe Strafe für die
Angeklagten damit begründet, dass „die an den Geschädigten Hollenberg und
Korbmacher verübten Körperverletzungen, obwohl diese Delikte bereits verjährt sind,
erschwerend zu berücksichtigen seien“. Nun ist es in meinem Fall so, dass nicht
einmal TM behauptet, ich wäre bei dem Anschlag gegen Hollenberg dabei gewesen,
und so taucht dieser Vorwurf auch nicht in der Anklageschrift auf. Bezüglich des
Anschlages auf Korbmacher stellt selbst die BAW in ihrer Anklageschrift fest, dass
ich aufgrund eines Strafklageverbrauchs dafür nicht mehr verurteilt werden könne.
Das scheint dieses Gericht aber nicht zu interessieren. Mir sind zu diesem eklatanten
Widerspruch nur zwei Erklärungsmöglichkeiten eingefallen, entweder die Richter
haben die Akten und die Anklageschrift nicht sorgfältig gelesen, oder aber ihr
Verurteilungswille ist so ausgeprägt, dass sie über derlei einschränkende und
störende Passagen im Bewusstsein ihrer Definitionsmacht locker hinweggehen
konnten.
Und noch eine letzte Bemerkung zu diesem Beschluss. Das Kammergericht
behauptet darin unter anderem, dass seine Entscheidung auch meinen Interessen
diene. Ich verlange hiermit vom Kammergericht, dass meine Interessen von ihnen nie
wieder in dieser Form missbraucht werden; ich finde dieses Ausmaß an Zynismus
und Verlogenheit unerträglich.

Zum richtigen Verständnis dieser Position und Vorgehensweise des 1. Strafsenats
gehört die mittlerweile sechsjährige Ermittlungsgeschichte dieses konkreten
Verfahrens. Ich habe mal den Versuch unternommen, anhand der uns überlassenen
Ermittlungsakten den Verlauf der Ermittlungstätigkeiten nachzuvollziehen. Dabei bin
ich auf eine ganze Reihe von Lücken, von Ungereimtheiten und von
Manipulationsspuren gestoßen, die für mich viele Fragen aufwerfen. Eigentlich hätten
auch den Richtern dieses Senats bei einem nur halbwegs unvoreingenommenen
Aktenstudium diese Merkwürdigkeiten auffallen müssen. Allerdings habe ich bis
heute nicht feststellen können, dass es von Seiten des Gerichts entsprechende
Nachfragen an die Strafverfolgungsbehörden gegeben hätte. Auch insofern bleibt für
mich wiederum nur die Schlussfolgerung, dass der 1. Senat ohne objektive und
kritische Beweisaufnahme unsere Verurteilung betreibt.
Ich möchte im folgenden ausführen, wie sich für mich nach Aktenlage die erkennbare
Ermittlungstätigkeit von BKA und BAW darstellt. Mir hat sich der Eindruck
aufgedrängt, als wenn die einzelnen Ermittlungsschritte anhand eines BKA-internen
Leitfadens mit dem Titel „Wie schaffe ich mir einen Kronzeugen“ entwickelt worden
wären.
Zeitlich beginnen will ich mit dem März 1998. In diesem Monat werden TM und seine
damalige Lebensgefährtin vom BKA als die Mieter des Kellers festgestellt, aus dem,
fast auf den Tag genau, drei Jahre zuvor Sprengstoff gestohlen worden sein soll, der
am 7. April 1995 von der Berliner Polizei beschlagnahmt worden ist. Obwohl das
BKA noch am selben Tag von diesem Sprengstofffund informiert wurde, befinden
sich in den uns überlassenen Ermittlungsakten bis zum November 1997 keinerlei
Hinweise auf irgendwelche Ermittlungstätigkeiten des BKA. Erst Ende November
1997 beginnt nach den Akten ein etwas konstruiert wirkendes Zusammenspiel von
BKA und BAW, das zur „Wiederentdeckung“ dieses Sprengstofffes vom März 1995
und zu seiner sofortigen Zuordnung zum Ermittlungskomplex RZ führt. Die ab jetzt
dokumentierten Ermittlungen führen zu dem besagten Keller und seinem Mieter TM.
Ich will mich hier mit diesem Zeitraum von März 1995 bis März 1998 nicht weiter
auseinandersetzen, da er auch in den Akten ausgespart ist. Am 6.3.98 wird TM
erstmalig als Mieter des Kellers aktenkundig und am 11.3.98 leitet die BAW ein
„Ermittlungsverfahren gegen unbekannt ein, wegen des Verdachts eines
Verbrechens nach 129a“ mit dem Stichwort RZ-Depot. Mit der Ermittlungsführung
wird der EKHK Schulzke vom BKA beauftragt. Geht man davon aus, dass sich in den
Ermittlungsakten die einzelnen Ermittlungsschritte dokumentieren, so kann man
wieder nur konstatieren, dass offensichtlich auch in der Folgezeit keine Ermittlungen
zu TM stattgefunden haben, es sei denn, man bezeichnet die mehrmalige Suche im
Telefonbuch nach der aktuellen Telefonnummer und Anschrift von TM als intensive
Ermittlung. Ab Ende Oktober 1998 wird dann eine richterlich genehmigte
Telefonüberwachung bei TM durchgeführt. Ab diesem Zeitpunkt werden die
Ermittlungsakten gefüllt mit Berichten zu einzelnen ausgewählten Telefongesprächen
und vielen Vermerken zu den technischen Problemen der Telefonüberwachung.
Andere Ermittlungstätigkeiten finden in dieser Zeit nicht statt, zumindest wenn man
den Akten glauben darf.
Das Kammergericht hat diese doch sehr lückenhafte Ermittlungsakten
widerspruchslos akzeptiert und als Grundlage für die Eröffnung des Hauptverfahrens
genommen. Jede Person, die schon mal mehr als einen Krimi gelesen hat, fragt sich
aber berechtigterweise, was in diesem Zeitraum von März 98 bis April 99 tatsächlich
an Ermittlungen durchgeführt worden ist, und warum sich davon nichts in den Akten
wiederfindet? Ich gehe davon aus, dass in diesem Jahr tatsächlich intensive
Ermittlungen zu der Person TM stattgefunden haben. Über die Art und das Ausmaß
der Ermittlungen will ich hier nicht spekulieren, aber die dem BKA zur Verfügung
stehenden Möglichkeiten und Methoden sind ja allgemein bekannt.
Auf jeden Fall ist davon auszugehen, dass genügend Hintergrundinformationen über
TM zusammengetragen wurden, um daraus ein entsprechendes Persönlichkeitsbild
oder Psychogramm von ihm erstellen zu können. Auf dieser Grundlage sind dann
wohl, in Absprache mit der BAW, das weitere Vorgehen und die Ermittlungsziele
diskutiert und festgelegt worden. Die dann eingeschlagene Strategie unterlag
vermutlich folgende Prämissen:
- aufgrund des langen Ermittlungsvorlaufs musste ein möglichst spektakuläres
Ermittlungsergebnis angestrebt werden, denn immerhin waren im Frühjahr 99 schon
vier Jahre vergangen seit der Beschlagnahme des Sprengstoffs. Für dieses
spektakuläre Ermittlungsergebnis wäre die alleinige Verhaftung von TM nicht
ausreichend gewesen, es mussten um jeden Preis weitere Personen verhaftet
werden.
- aufgrund der Erkenntnisse und der gewonnenen Einschätzung zu TM konnten das
BKA und die BAW davon ausgehen, dass er dazu zu bringen wäre, weitere Angaben
zu machen und andere Personen zu beschuldigen, wenn das polizeiliche Vorgehen
entsprechend gezielt und abgestuft vonstatten gehen würde.

Auf dieser Grundlage und mit dieser Strategie wurden dann bei TM, an seinem
Arbeitsplatz und an einigen anderen Orten am 14.4.99 Hausdurchsuchungen
durchgeführt, mit dem Vorwurf der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung.
Bei seiner vorläufigen Festnahme zeigte sich TM kooperationsbereit, verwies auf
seine guten Kontakte zu verschiedenen Polizeibeamten und führte schon mal einen,
später als scherzhaft deklarierten, Wortwechsel mit den BKA’lern über das mögliche
Auffinden von Waffen und Sprengstoff. Noch am selben Tag wird TM auf Anweisung
der BAW auf freien Fuß gesetzt. Dies ist insofern bemerkenswert, als man in der
Geschichte der 129a-Verfahren wahrscheinlich schon sehr intensiv suchen muss, um
vielleicht ein vergleichbares Verhalten der BAW entdecken zu können. Darüber
hinaus ist es das erste von mehreren Beispielen in diesem Verfahren, bei dem die
BAW für den Beschuldigten TM praktisch die Rolle des Verteidigers einnimmt und
diesen überflüssig werden lässt. Das vorerst letzte Beispiel war ja in dem
Gerichtsverfahren gegen TM zu beobachten, in dem sein Verteidiger ja auch nicht
mehr zu tun hatte, als sich den Plädoyers der BAW anzuschließen.
Bei den Gesprächen am Folgetag wird TM dann erstmalig die Kronzeugenrolle
angeboten, und er erklärt, „dass er in Anwesenheit seines Anwaltes zu Vorhalten des
BKA Stellung beziehen werde“. Grundsätzlich zeigt TM ein kooperationsbereites
Verhalten, ohne aber zu diesem Zeitpunkt irgendetwas zu den konkreten Vorwürfen
zu sagen.
Einen Monat später, am 19.5.99, wird TM erneut verhaftet, da das BKA nun der
Meinung ist, ihm zusätzlich zu dem Vorwurf der Unterstützung einer terroristischen
Vereinigung, den Besitz von Sprengstoff vorwerfen zu können. Grundlage hierfür
bilden Aussagen der ehemaligen Lebensgefährtin von TM.
Bei dieser Festnahme erwähnt TM erstmalig, dass bei ihm gefundene und
beschlagnahmte Dinge dem verstorbenen Michael Wittmann gehören könnten.
Daraufhin findet ein Gespräch zwischen TM und Schulzke statt, in dem die
polizeiliche und die strafrechtliche Bewertung einer derartigen Aussage erörtert
werden. Wie bei vielen anderen Gesprächen zwischen diesen beiden, ist es auch in
diesem Fall nicht protokolliert, sondern wird mehr beiläufig in einem Bericht von
Schulzke erwähnt und zusammengefasst.
Um den Druck auf TM zu erhöhen, wird er erst einmal in die JVA Moabit eingeliefert,
gleichzeitig werden aber die bei 129a-Verfahren üblichen Haftverschärfungen bei TM
durch die BAW außer Kraft gesetzt, was durch die Sicherheitsleitung der JVA Moabit
offensichtlich mit Verwunderung zur Kenntnis genommen wird und offensichtlich
auch vom Ermittlungsrichter des BGH anders erwartet worden war.
Zum Zeichen der weiterhin angestrebten Zusammenarbeit mit ihm werden TM von
der BAW mit dem Tag seiner Verhaftung „die bislang vorliegenden Ermittlungsakten“
zugesandt. Mit seiner Vernehmung zu den Vorwürfen wird dann allerdings
großzügigerweise gewartet, bis er sich in die bisherigen Ermittlungsergebnisse
eingearbeitet hat. Das gibt TM nicht nur die Gelegenheit, seine Aussagen danach
auszurichten, sondern er erhält auch die Möglichkeit, etwas für sein
Glaubwürdigkeitsimage zu tun. So dreht er dann auch in seinen späteren
Vernehmungen den eigentlichen Zusammenhang um und betont häufiger, dass
seine Angaben ja durch die Ermittlungsergebnisse bestätigt würden, während es in
Wahrheit so ist, dass er sich seine Aussagen anhand der Ermittlungsergebnisse
überlegt hat. Auch dieses Vorgehen der BAW, die gesetzlich eigentlich vorgesehene
frühzeitige Herausgabe der Ermittlungsakten, wird man wohl in keinem anderen
129a-Verfahren wiederfinden können.
Während der Untersuchungshaft wird ihm das Kronzeugenangebot von Schulzke
erneut unterbreitet, diesmal allerdings mit der Aufforderung, „er möge jedoch als
ehemaliger Besitzer des aus seinem Keller stammenden Sprengstoffs keine Leiche
präsentieren. Damit wäre gemeint, er möge keine Person namentlich benennen, die
zwischenzeitlich verstorben sei.“ Auch dieses Gespräch ist nicht protokolliert,
sondern findet sich nur als zusammengefasster Bericht von Schulzke in den Akten.
So lässt sich daraus nicht erkennen, ob diese angebliche Mahnung nicht vielleicht
doch mehr als ein Tipp gemeint war, und einen Hinweis auf die Wahrheitspflicht
gerade auch als Kronzeuge sucht man in diesem Bericht vergeblich. Der Verlauf des
Gesprächs zwischen diesen beiden erweckt sehr deutlich den Eindruck, als wenn TM
diese Aufforderung durchaus als Tipp begriffen hätte. Spontan versucht er nämlich,
Michael Wittmann, der Anfang 1997 verstorben ist, als den eigentlichen Eigentümer
des Sprengstoffs zu verkaufen, verbunden damit, dass dieser unter dem Decknamen
Roger auch RZ-Mitglied gewesen sei. Allerdings wird natürlich auch TM sehr schnell
klar, dass eine Person, die seit einem Unfall 1990 an den Rollstuhl gefesselt und auf
eine 24-Stunden-Betreuung angewiesen war, nicht sehr glaubhaft als vermeintliches
RZ-Mitglied angenommen werden würde. Ganz abgesehen davon, dass Michael
Wittmann sicherlich bei weitaus mehr Leuten unter seinem Spitznamen und nun
angeblichen RZ-Decknamen Roger bekannt war als unter seinem bürgerlichen
Namen. So wird dann dieser erste spontane Anlauf, eine Leiche zu präsentieren, von
TM auch sehr schnell zu einem Test umfunktioniert, und er verschafft sich einen
Eindruck davon, wie das BKA darauf reagiert. Wenn er dann in der Folgezeit
überraschend zu etwas befragt wird und er in Erklärungsnotstände gerät, greift er auf
diese für ihn positiven Erfahrung zurück und präsentiert erst einmal Roger als
eigentlich Schuldigen. Damit verschafft er sich die notwendige Bedenkzeit, um dann
in späteren Vernehmungen diese erste Aussage wieder zurückzunehmen und eine
besser durchdachte zu präsentieren.
Da TM sich grundsätzlich kooperationsbereit zeigt und nach dem Studium der
Ermittlungsakten auch Einlassungen zu einzelnen Komplexen macht, beantragt
wiederum die BAW einen mündlichen Haftprüfungstermin, un zwar am 25.6.99, d.h.
nur ca. einen Monat nach seiner Verhaftung und ca. eine Woche, nachdem sich
herausgestellt hatte, dass TMs Angaben über den Ort, an dem er persönlich den
Sprengstoff deponiert haben will, falsch waren. Der Haftprüfungstermin findet am
7.7.99 statt, mit dem Ergebnis, dass die BAW beantragt, T.M. von der U-Haft zu
verschonen. Dies geschieht, obwohl er zu diesem Zeitpunkt angibt, den Sprengstoff
für einen ungenannt bleibenden alten Freund aufbewahrt zu haben, obwohl der von
ihm entsorgte Teil des Sprengstoffes trotz intensiver Suche der Polizei immer noch
nicht gefunden worden war und obwohl er bei der für ihn überraschenden Vorlage
des Briefes „Lieber Luka“ wieder einmal Michael Wittmann als den eigentlichen
Besitzer des Briefes präsentiert. Auch in diesem Fall würde ein Vergleich mit dem
Auftreten des BAW in anderen 129a-Verfahren das absolut Außergewöhnliche
dieses Vorgehens zeigen.
Nicht einmal einen Monat später, am 2.8., weitet die BAW das Ermittlungsverfahren
gegen TM auf den Vorwurf der Rädelsführerschaft aus, ein entsprechend erweiterter
neuer Haftbefehl wird dagegen erst weitere zwei Monate später, am 9.11.99, von der
BAW beantragt, vollstreckt wird dieser Haftbefehl am 23.11.99.
Was das BKA in diesen dreieinhalb Monaten, die sich TM wieder auf freiem Fuß
befand, an Ermittlungstätigkeiten durchführte, lässt sich aus den Akten wiederum nur
sehr begrenzt erschließen. Auch hier sind die Akten nachweislich sehr lückenhaft.
Allerdings scheint dem BKA und der BAW bei der „Neusortierung“ der Akten eine für
sie peinliche Panne unterlaufen zu sein, denn es finden sich einzelne Belege in den
Akten, die beweisen, dass das BKA während dieser Zeit das Telefon von TM ohne
richterliche Genehmigung abgehört hat.
Bei seiner erneuten Verhaftung am 23.11.99 hat sich die Situation für TM erheblich
verschlechtert. Durch den Vorwurf der Rädelsführerschaft wurde das ihm angedrohte
Strafmaß drastisch erhöht. Aber auch durch die seit April gegen ihn fast schon
öffentlich demonstrativ durchgeführten Ermittlungen, insbesondere auch beim
Berliner Karate Verband, waren seine Anstellungen als Trainer auf Honorarbasis
sowohl beim Berliner als auch beim Deutschen Karate Verband gekündigt worden.
Die polizeibekannten finanziellen Schwierigkeiten, in denen sich TM quasi
ununterbrochen befand, hatten sich dadurch erheblich zugespitzt. In genauer
Kenntnis dieser Situation seitens des BKA wurde TM erneut das Angebot der
Kronzeugenregelung mit einer anschließenden auch finanziellen Versorgung im
Rahmen des Zeugenschutzprogrammes unterbreitet. Dabei wurde TM sehr deutlich
gemacht, dass er eine lange Inhaftierung wegen der langen Ermittlungsdauer und
der langen Hauptverhandlung sowie eine mehrjährige Freiheitsstrafe nur vermeiden
könne, wenn er den Ermittlungsbehörden „Knüller“, d.h. weitere Täter, liefern würde.
Für diesen Fall wurde ihm dann auch schon die später dann tatsächlich
ausgesprochene Strafe von zwei Jahren auf Bewährung angekündigt.
Hier sind die Ermittlungsbehörden an ihr lange verfolgtes Ziel gelangt, TM ist in eine
schier auswegslose Lage gebracht worden, er hat mit einer sehr hohen
Strafandrohung zu rechnen, und selbst wenn die wider Erwarten nicht eintreffen
sollte, sind auch seine finanziellen Lebensgrundlagen zerstört. In dieser
auswegslosen Situation bietet ihm die BAW sozusagen einen „goldenen Ausweg“ an,
Freiheitsstrafe auf Bewährung und anschließende finanzielle Versorgung im Rahmen
des Zeugenschutzprogramms. Inwieweit er zu diesem Zeitpunkt auch schon mit den
später zu beobachtenden Vergünstigungen während seiner U-Haft geködert wurde,
z.B. erhielt er wöchentlich Besuch von seiner Freundin, geht aus den Akten nicht
hervor.
Nach einem Telefongespräch mit seiner Freundin lässt sich TM sofort auf dieses
Angebot ein und präsentiert gleich am Anfang seiner Aussagen mal wieder einen
Verstorbenen, in diesem Fall Gerd Albartus, der ihn für die RZ angeworben haben
soll, mit dem er gemeinsam in einer RZ gewesen sein will und auf den TM immer
wieder zurückgreift, wenn er eine Erklärung für sein vermeintliches Insiderwissen
braucht, oder aber, wenn er Geschichten erzählt, um sich wichtig zu machen und
seinen Wert als Kronzeugen für das BKA hervorzuheben. Im Zweifelsfall weis er
seine Geschichten aus Erzählungen von Gerd Albartus.
Ab diesem Zeitpunkt erzählt TM, geleitet und geführt von seinem väterlichen Freund
Schulzke, das, was dieser zu hören wünscht. Die nun folgenden Gespräche
zwischen diesen beiden sind, wie schon fast üblich, nur zu einem Teil als
Vernehmungen protokolliert. Diese mehr als fragwürdigen Praktiken sind ja zum Teil
auch schon in dem Antrag von Rechtsanwalt Kaleck zur Einstellung des Verfahrens
erwähnt worden und auch in der von meinen Rechtsanwältinnen vorgetragenen
Erklärung am 29.3. Dies will ich jetzt nicht alles wiederholen, zumal die diversen
Widersprüche und nach Aktenlage widerlegten Behauptungen des Kronzeugen im
Laufe des Verfahrens und insbesondere durch die Befragung von TM noch recht
ausführlich zur Sprache kommen werden.
Auf jeden Fall zeigte sich TM in diesem Zusammenspiel und -wirken mit Schulzke als
so willig und gelehrig, dass das BKA so nach und nach die Ermittlungen gegen ihn
auslaufen lässt und zum Teil sogar ganz einstellt. So sind z.B. auch heute noch
Anträge auf eine kriminaltechnische Untersuchung nicht bearbeitet, die sich auf
Gegenstände beziehen, die bei der ersten Hausdurchsuchung im April 1999 bei TM
beschlagnahmt wurden. Andere Anträge sind einfach zurückgezogen worden. Das
Gerichtsverfahren gegen TM wurde dann im Dezember 2000 durchgeführt, ohne
dass die Ermittlungen vollständig abgeschlossen waren. Aber da an einem
ernsthaften Gerichtsverfahren sowieso niemand der unmittelbar Beteiligten ein
richtiges Interesse hatte und es nur noch darum ging, das vorher abgesprochene
Ergebnis auch formal bestätigen zu lassen, konnte diese Frage auch problemlos
vernachlässigt werden. Verteidiger der von dem Kronzeugen Beschuldigten waren
für diesen Prozess nicht offiziell zugelassen, sie hätten wohl auch nur die
Inszenierung gestört. Dass für dieses Gerichtsverfahren der gegen TM erhobene
Vorwurf der Rädelführerschaft wieder auf den der einfachen Mitgliedschaft reduziert
wurde, sei hier nur am Rande erwähnt.
Für mich drängt sich die Vermutung auf, dass die Ermittlungen zu TM gerade
deswegen nicht weitergeführt worden sind, um nicht noch weitere Widersprüche zu
den Angaben des Kronzeugen aktenkundig werden zu lassen, es sind schließlich
schon viel zu viele vorhanden. Im Zusammenspiel zwischen TM und Schulzke
gewinnt der Kronzeuge, zumindest nach den Akten, eine fast schon bestechend zu
nennende Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft. Bei genauem Hinsehen wird
aber sehr schnell deutlich, dass dies nur gelingt, weil Schulzke ganz gezielt darauf
hinwirkt, dass TM dieses Image aufbauen kann. In den Gesprächen und
Vernehmungen geht Schulzke ganz konsequent über jegliche Widersprüche hinweg
und erwähnt diese nicht einmal. Und selbst wenn er aufgrund eigener früherer
Ermittlungstätigkeiten genau weiss oder wissen müsste, dass TM gerade falsche
Dinge behauptet oder auch Lügengeschichten erzählt, wird dies von Schulzke
konsequent ignoriert und mit keiner Silbe in den Akten erwähnt. Vermutlich baut
Schulzke dieses Bild des absolut glaubwürdigen Kronzeugen auch gegenüber einem
Teil der anderen BKA-Beamten auf, die TM dann letztendlich fast blind vertrauen.
Dies lässt sich an unzähligen Fragen und Antworten nachlesen, wenn der Kronzeuge
erklärt, dies oder jenes habe keine Relevanz für das Verfahren, dann ist der
entsprechende Komplex für die vernehmenden Beamten abgehakt. Das drückt sich
aber auch aus in dem vertrauten Verhältnis, das zwischen TM und den BKA’lern
während der zweiten Durchsuchung des MehringHofes zu beobachten war, als der
Kronzeuge die BKA’ler per Videoschaltung dirigierte. Bei den kriminaltechnischen
Untersuchungen, die sich an diese Durchsuchung anschließen, geht es dann auch
nicht mehr um die Frage, ob sich die Angaben des Kronzeugen bestätigen lassen,
dass an diesem Ort Sprengstoff gelagert worden sei, sondern es wird gleich der
Untersuchungsauftrag erteilt, „welche Sprengstoffe können in den Proben festgestellt
werden?“ Aber auch dass in diesen Wischproben keinerlei Spuren von Sprengstoff
nachgewiesen werden können, beeinträchtigt das wachsende Vertrauens- und
Zusammenarbeitsverhältnis zwischen dem BKA und TM in keinster Weise. Im
Gegenteil, mit zunehmender Dauer der Gespräche wird TM immer stärker zum
vermeintlichen Experten für diverse linksradikale Zusammenhänge aufgebaut und
letztendlich vom BKA sogar als Gutachter beauftragt und benutzt. Zu den Qualitäten
seines schauspielerischen Talents gehört sicherlich auch seine Fähigkeit, schon sehr
schnell und frühzeitig erkennen zu können, was denn seine jeweiligen Gegenüber
gerade hören wollen, und die entsprechende Geschichte dazu auch umgehend
liefern zu können. Man könnte den Kronzeugen fast mit einer music-box vergleichen,
bei dieser ertönt der gewünschte Titel nach Geldeinwurf und Knopfdruck, bei TM
reicht ein Stichwort, und die gewünschte Melodie erklingt.
In dieser Konstellation ist aber wohl auch das subjektive Interesse des
Ermittlungsführers Schulzke nicht zu vernachlässigen, ermittelt dieser doch schon
mindestens seit Mitte der 80er Jahre gegen die Rote Zora und die Revolutionären
Zellen, und wollte sich offensichtlich gerade noch rechtzeitig zu seiner Pensionierung
noch einmal einen richtig großen Ermittlungserfolg organisieren, und dafür hat er
vieles unternommen.

Im Verlauf der Gespräche bzw. Vernehmungen hat sich zwischen BKA, BAW und
Kronzeuge ein Verhältnis hergestellt, das sich durchaus als eine Art von
Schicksalsgemeinschaft charakterisieren lässt. Dadurch, dass BKA und BAW sich
schon relativ frühzeitig auf den Aufbau TMs als Kronzeugen festgelegt und ihre
Ermittlungsstrategie darauf ausgerichtet hatten, konnten sie ab einem gewissen
Zeitpunkt davon nicht mehr abrücken, ohne ihre bis dahin geleistete Arbeit
grundlegend zu gefährden. Aus dieser Logik entsteht für das BKA und die BAW der
Zwang, Widersprüche in den Angaben des Kronzeugen zu übergehen und zu
ignorieren und durch entsprechende Vorhalte ihn vor allzu offensichtlichen
Falschaussagen zu bewahren. Die Konsequenz aus dieser Schicksalsgemeinschaft
ist, dass es zu einer zumindest teilweisen Interessenübereinstimmung zwischen dem
Kronzeugen und den Strafverfolgungsbehörden kommt, und sich die weiteren
Ermittlungsschritte sich immer stärker aus dem Interesse an der Aufrechterhaltung
dieser Schicksalsgemeinschaft begründen, als dass sie Prinzipien wie
Sachaufklärung oder Wahrheitsfindung folgen würden.
Dass mit diesem, in den vergangenen 1,5 Jahren aufgebauten und trainierten
Kronzeugen kein faires Verfahren im Sinne des Rechtsstaatsprinzips mehr möglich
ist, hat Rechtsanwalt Kaleck in seinem Antrag auf Einstellung des Verfahrens am
29.3. schon sehr ausführlich dargelegt. An dieser Tatsache ändert sich auch nichts,
wenn die BAW nicht müde wird zu betonen, dass alles streng im Rahmen des
Gesetzes abgelaufen sei. Wie gestaltbar und flexibel dieser gesetzliche Rahmen für
die BAW ist, lässt sich auch am Beispiel dieses Verfahrens wieder zeigen, z.B.
daran, dass der eine schon mit dem Tag seiner Verhaftung die Einsicht in die
Ermittlungsakten erhält, während die anderen ca. ein Jahr darauf warten müssen, um
dann auch noch mit unvollständigen Akten abgespeist zu werden. Und sollte dieser
gesetzlich vorgegebene Gestaltungsspielraum zur Erreichung der selbstgesetzten
Ziele der BAW einmal nicht ausreichen, so kommt die alte Handlungsmaxime der
ehemaligen BKA- bzw. BAW-Chefs Herold und Buback zur Anwendung, nämlich
„Leute wie wir finden immer einen Weg“.

Welche Machtfülle und Missbrauchsmöglichkeiten ihnen dann zur Verfügung stehen,
hat ja nicht zuletzt Oberstaatsanwalt Homann in dem Verfahren gegen Monika Haas
deutlich unter Beweis gestellt. Dass die BAW dabei nicht mit einer ernsthaften
Kontrolle und Überprüfung ihrer Tätigkeit durch angeblich unabhängige Gerichte
rechnen muss, belegen die jeweiligen Entscheidungen des zuständigen
Ermittlungsrichters bzw. des 3. Strafsenats des BGH. Für das Vorgehen in dem
aktuellen Ermittlungsverfahren und die wechselnden Maßnahmen in Bezug auf TM
fand sich immer ein Ermittlungsrichter, der die gerade gewünschten Anträge
unterschrieben hat. Dass auch der 3. Strafsenat des BGH nicht an eine ernsthafte
Überprüfung des Vorgehens der Strafverfolgungsbehörden denkt, hat er diesem mal
wieder während der mündlichen Urteilsverkündung im Monika Haas-Verfahren
mitgeteilt, als der Vorsitzende gesagt hat, dass „die Bekämpfung des internationalen
Terrorismus die Ausschöpfung aller vorhandenen Beweismittel erfordert“. Sehr viel
deutlicher kann man von höchstrichterlicher Seite den Strafverfolgungsbehörden
keinen Freibrief ausstellen für die Beschaffung von Beweismitteln auf illegalem Wege
und für die Benutzung von Beweismitteln, die eigentlich dem gesetzlichen
Verwertungsverbot unterliegen.
Bislang habe ich mich fast ausschließlich mit den Manipulationen des BKA im
Rahmen dieses Ermittlungsverfahrens beschäftigt. Diese Vorgehenswiese wäre aber
nicht möglich gewesen ohne die Zustimmung und die Unterstützung durch die
zuständigen Staatsanwälte der BAW. Letztendlich tragen diese die gesetzliche
Verantwortung für das Ermittlungsverfahren und sollen in der Regel die Ermittlungen
leiten. Eine aktiv steuernde Rolle der BAW wird aus den uns überlassenen
Ermittlungsakten nicht erkennbar, aber spätestens im Zuge der Anklageerhebung
muss sie die eingeschlagene Linie der Manipulation und Steuerung des Verfahrens
übernehmen und weiterführen.
In der Geschichte der 129a-Verfahren hat die BAW darin ein erhebliches Maß an
Erfahrung sammeln können und ein routiniertes Zusammenwirken mit den wenigen
zuständigen Gerichten entwickelt. Ich will mich jetzt nicht an den zahlreichen
Beispielen hierfür aufhalten, sondern mich auf einige Manipulationsmaßnahmen
konzentrieren, die bislang in diesem Verfahren für mich erkennbar sind.
- Als erstes gehört dazu die vollkommen ungerechtfertigte lange Hinauszögerung der
Akteneinsicht für die Beschuldigten. Dies kann nur den Hintergrund gehabt haben,
dem BKA und dem Kronzeugen Zeit und Ruhe zu lassen, um die gewünschten
Aussagen einstudieren und Widersprüche darin möglichst beseitigen zu können. In
dieser Logik liegt auch, dass die Verteidiger der Beschuldigten nie die Möglichkeit
bekommen haben, den Gesprächen und Vernehmungen beizuwohnen, wie es
mindestens bei richterlichen Vernehmungen zwingend vorgeschrieben ist.
- Mit der von der BAW durchgeführten „Neusortierung“ der uns überlassenen
Ermittlungsakten wird das Nachvollziehen des Ermittlungsverlaufs nahezu unmöglich
gemacht. Damit kann sich niemand der weiteren Prozessbeteiligten einen richtigen
Überblick über das Verfahren verschaffen - außer der BAW. Nach der Auskunft von
Homann entspricht „die Strukturierung der Ermittlungsakte nach Themen, Personen
und Sachzusammenhängen (entspricht) der seit Jahrzehnten geübten und in
zahlreichen Großverfahren bewährten Praxis der BAW“. Dass bei dieser Neuordnung
das Verschwinden einzelner Aktenteile sehr viel leichter möglich ist und nur bei
aufwendigstem Aktenstudium auffällt, ist dabei sicherlich eher beabsichtigtes Ziel als
zufällige Nebenerscheinung. So ist es auch kein Zufall, dass die diversen Anträge
auf die Aushändigung offensichtlich fehlender Aktenteile von der BAW nur sehr
zögerlich und zum Teil bis heute auch gar nicht bearbeitet worden sind.
Dass darüber hinaus das Verschwindenlassen von Aktenteilen als Mittel der
Aktenmanipulation zum Repertoire der BAW gehört, ist auch in diesem Verfahren
wieder einmal festzustellen. So sind aus der eigentlich schon längst
abgeschlossenen Verfahrensakte Slawinski, das ist derjenige, der imMärz 1995
denSprengstoff aus dem Keller vonTM gstohlen haben soll, nachträglich zwei Blatt
entfernt worden. Dass die BAW trotz entsprechender Anträge der Verteidigung
keinerlei Bemühen zeigt, diese entnommenen Seiten herbeizuschaffen, sondern nur
mit Ausflüchten antwortet, ist für mich ein ganz deutliches Indiz dafür, dass diese
Seiten ganz gezielt und mit Duldung der BAW entfernt worden sind.

Die oben schon erwähnte Schicksalsgemeinschaft der BAW mit dem Kronzeugen
und der mit der Dauer des Verfahrens steigende Erfolgsdruck, der auf der BAW
lastet, führt in einer ganzen Reihe von Punkten dazu, dass bisherige
Ermittlungsergebnisse des BKA uminterpretiert oder sogar negiert werden müssen,
um die Glaubwürdigkeit des Kronzeugen nicht auch noch dadurch infrage stellen zu
lassen. Von den verschiedenen Beispielen, an denen sich das belegen lässt, will ich
hier nur eines aus der Anklageschrift herausgreifen.
Nach den Ermittlungen des BKA sollen bei dem Anschlag auf Hollenberg die
Schüsse auf diesen von der weiblichen Täterin abgegeben worden sein. Dieses
Ergebnis stützt sich auf die mehrmaligen Aussagen von Hollenberg selbst. Da sich
TM in seinen Aussagen aber schon sehr frühzeitig und klar darauf festgelegt hatte,
dass bei diesem Anschlag der männliche Tatbeteiligte geschossen haben soll,
musste die Aussage Hollenbergs entsprechend uminterpretiert werden. In der
Anklageschrift macht die BAW aus der Wahrnehmung und Aussage Hollenbergs eine
auf „Schlussfolgerungen beruhende Tatrekonstruktion“, die entsprechend weniger
beweiskräftig sei als die von TM „schlüssig dargelegte“ Behauptung über den
männlichen Täter, die der Kronzeuge allerdings auch nur vom Hörensagen kennen
will.
Hinter dieser Verfahrenssteuerung und -manipulation, für die es eine ganze Reihe
weiterer Beispiele gibt, lässt sich sehr deutlich der Wille der BAW erkennen, um
jeden Preis eine Verurteilung zu erreichen. Wie sehr auch der 1. Strafsenat in seinen
Entscheidungen von dem gleichen Verurteilungswillen geleitet wird, zeigt sich mal
wieder an seinen jüngsten Beschlüssen, die zu den heute formulierten
Befangenheitsanträgen geführt haben.
Ich würde also über die in dem schon häufiger erwähnten Antrag von RA Kaleck
belegte Feststellung, dass ein faires Verfahren gar nicht mehr möglich ist,
hinausgehen und behaupten, dass ein faires Verfahren weder vom Gericht noch von
der BAW angestrebt wird.

Harald Glöde

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Bericht vom 18.5.2001 (2. Prozesstag)
VerteidigerInnen verlangen Verbesserungen
Sabine E. verhandlungsunfähig
Prozess stagniert

Verhandlungsbeginn am 2. Prozesstag sollte eigentlich um 9.15 Uhr sein. Sabine E.
konnte allerdings nicht erscheinen. Als JustizbeamtInnen sie in das Kriminalgericht
Moabit bringen wollten, weigerte sie sich, weil sie unter einem schweren
Migräneanfall litt. Während der dann in ihrer Abwesenheit gegen 13.20 Uhr
einberufenen Verhandlung, bescheinigte ihr ein als Zeuge anwesender
Gerichtsmediziner Verhandlungsunfähigkeit. Bereits am ersten Prozesstag am 22.
März war der Gesundheitszustand von Sabine E. während der Verhandlung
thematisiert worden. Damals war die für die JVA Pankow zuständige Anstaltsärztin
geladen. Sie bestätigte, dass Sabine E. seit Jahren von starken, immer
wiederkehrenden Migräneanfällen betroffen sei, die mit starken Kopfschmerzen,
Erbrechen und Übelkeit einhergingen. Wenn überhaupt, ließe sich die Migräne nur
bekämpfen, wenn sofort nach den ersten Anzeichen eines Anfalls starke
Schmerzmittel und Medikamente gegen Erbrechen eingenommen würden. Eine
vorbeugende medikamentöse Behandlung sei unmöglich. Die Anstaltsärztin
attestierte Sabine E. im Falle eines Migräneanfalls Verhandlungsunfähigkeit, weil
dadurch die Konzentrations- und Aufnahmefähigkeit enorm eingeschränkt sei.

Gerichtsmediziner bestätig Verhandlungsunfähigkeit

Der heute hinzugezogene Gerichtsmediziner, der erst gegen 12.00-12.30 Uhr die
Angeklagte untersucht hatte, stand nach eigenem Bekunden vor dem Problem, dass
Migräne neben dem subjektivem Schmerzempfinden des Patienten keine objektiven
Krankheitssymptome zeige. Da allerdings aus der Krankengeschichte von Sabine E.
bekannt sei, dass sie unter Migräne leide, und von ihm zudem allgemeine
Schmerzsymptome (gerötete Augen, erhöhter Blutdruck) festgestellt worden seien,
müsse davon ausgegangen werden, dass die Angeklagte einen akuten Migräneanfall
habe. Sabine E. hatte ihm berichtet, dass sie seit der gestrigen Verhandlung starke
Kopfschmerzen habe und seitdem fünf Mal erbrochen hätte. Weiterhin klagte sie
über Übelkeit und Schwindel. Der Mediziner diagnostizierte deshalb einem schweren
Migräneanfall, bezeichnete sich jedoch als Nicht-Experte auf diesem Gebiet.

Verteidigung verlangt Abhilfe

Die Verteidigung von Sabine E. appellierte eindringlich an den Senat, seine gestrige
Entscheidung, eine mündlichen Haftprüfungstermin abzulehnen, zu revidieren. “Ich
bitte den Senat”, so RA Eisenberg, “unter diesen besonderen Umständen zu
überlegen, ob er nicht Bedingungen schaffen könnte, in denen sich meine Mandantin
in eine therapeutische Heilbehandlung begeben könnte.” Migräne sei keine
eingebildetes Leiden überkandidelter Persönlichkeiten, sondern eine
ernstzunehmende Krankheit, die durch Stressfaktoren befördert werde. Damit eine
weitere Verzögerung des Prozesses durch den labilen Gesundheitszustand seiner
Mandantin in Zukunft ausgeschlossen werden könnte, müsse der Senat zu einer
“vernünftigen Haftentscheidung” kommen. Mit Verweis auf den am gestrigen
Prozesstag gestellten Befangenheitsantrag gegen sie, erklärte sich die Vorsitzende
Richterin Hennig allerdings momentan für nicht zuständig.
Die Verteidigung habe schon im ersten Prozessanlauf daraufhingewiesen, dass
wegen der Erkrankung ihrer Mandantin die Anwesenheit eines Arztes während der
Verhandlung vernünftig sei, so RA Becker. Allerdings seien alle Hinweise auf die
Krankheit von Sabine E. und alle Vorschläge, wie damit umzugehen sei, beim Senat
auf taube Ohren gestoßen. “Der Senat hat nichts getan, damit sich der
Gesundheitszustand von Sabine E. verbessern kann.” RA Becker in Richtung der
Vorsitzenden Richterin: “Außer einer gewissen mütterlichen Gutmütigkeit ist nichts
passiert. Sie müssen etwas ernsthaftes tun.”

Angeklagte kritisieren Unterbringung

RA Dr. König bat das Gericht um einen pragmatischen Umgang in dieser Sache.
Weder den Angeklagten, noch den anderen Verfahrensbeteiligten könne ein
Prozesstag wie heute noch einmal zugemutet werden. Stundenlang mussten sich
alle Angeklagte, Bundesanwälte, RichterInnen und VerteidigerInnen wartend im
Gerichtsgebäude aufhalten.
Harald G. und Axel H. hatten sich zuvor massiv darüber beschwert, dass sie
stundenlang in den Vorführzellen des Kriminalgerichts ausharren mussten, obwohl
ein anderslautender Beschluss des Gerichts vorlag. Ein dreckiges, stinkendes
Rattenloch seine diese Zellen, so Harald G. In diesem Zusammenhang wies RA
Kaleck daraufhin, dass er bereits vor geraumer Zeit auf die unhaltbaren Zustände in
diesen Zellen das Gericht aufmerksam gemacht habe. Diese Zellen seien nur 2 qm
groß, schlecht belichtet, schlecht belüftet und erheblich verdreckt.
Die Vorsitzende Richterin, die über die Nicht-Umsetzung ihrer Anordnung nicht
informiert war, verlangte von der Saalaufsicht Aufklärung. Angeblich habe der Leiter
der U-Haft-Anstalt wegen akutem Personalmangel eine Verlegung abgelehnt. Die
Anregung von RA Kaleck, unter diesen Umständen die Angeklagten in Zukunft im
Gerichtssaal warten zu lassen, bleib unbeantwortet.

Prozessbegleitung "Freilasssung"

 

22.05.2001
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