Zur Sprachakrobatik der Hersteller und Befürworter:
"Humane Waffen" mit "gebremster Gewalt"

"Es ist vorteilhaft, wenn Zuschauer nicht den Eindruck bekommen, dass die Polizei exzessiv Gewalt einsetzt oder die Waffen besonders verletzende Wirkungen auf Getroffene zeigen. Hier gilt es wieder, einen Strahl von Blut und andere vergleichbare dramatische Effekte zu vermeiden" (1). Getreu dieser Devise bemühen sich die Anbieter und Anwender von Polizeitechnik immer wieder krampfhaft, deren Auswirkungen zu verharmlosen und herunterzuspielen.

Obwohl sich diese Tendenz durch nahezu alle Bereiche der sogenannten Inneren Sicherheit zieht, wird sie doch nirgendwo so deutlich wie gerade im Bereich der Bewaffnung. Dazu besteht wohl auch aller Grund, schliesslich handelt es sich durchweg um Entwicklungen aus dem Militärwesen:

Die Bemühungen, den militärischen Charakter dieser Produkte zu verschleiern, sind durchgängig von den Herstellern über die politisch Verantwortlichen bis hin zu den polizeilichen Anwendern. Sie sollen hier einmal am Beispiel der Gummigeschosse nachgezeichnet werden.

Am Anfang steht für die Politiker das Problem, ihre und die Interessen der Wirtschaft gegen den Willen grosser Bevölkerungsteile durchzusetzen, ohne dabei die demokratische Fassade des Staates einzureissen. " Wir sind doch nicht in einer Bananenrepublik", kommentierte 1981 ein Angehöriger der Sicherungsgruppe Bonn die Auswechslung der bisher gebräuchlichen "Sonderwagen " gegen ein ..zivileres Modell" (2). Damit hat er ungewollt genau den Kern getroffen. Während sich südamerikanische Generäle selten grössere Gedanken um ihr Image machen (..Die Demokratie muss gelegentlich in Blut gebadet werden", Chiles Militärdiktator General Pinochet), sind westliche Politiker peinlichst um internationales Ansehen bemüht. Da sie ihr Volk nicht gleich bei jedem Protest zusammenschiessen können, ist es eben notwendig, die "Störer auf Distanz zu halten".

Die britische Waffenfirma Schermuly wird da schon recht deutlich, wenn sie in einer Anzeige fragt: "Wie kann man Störer bekämpfen, ohne einen Bürgerkrieg zu entfesseln?", und gibt in einer weiteren Anzeige auch gleich die Antwort: "Geringstmögliche Gewalt wirksam eingesetzt, das ist die bewährte Lösung von Schermuly zur Kontrolle von Störungen der öffentlichen Ordnung. Auf diese Weise wird die Eskalation von Gewalt vermieden, die unweigerlich eintritt, wenn nach dem Einsatz tödlicher Waffen durch die Sicherheitskräfte auf der Gegenseite Todesopfer zu beklagen sind" (3).

Vielfältig sind die Namen, mit denen die verschiedenen Anbieter von "Aufruhr-Kontroll-Waffen" ihre Erzeugnisse belegen: Von Gummigeschossen und Gummigeschosswaffen wird selten geredet - dafür um so mehr von " nichttödlichen Waffen", "gering-tödlichen Waffen", "unschädlichen Waffen" oder von ..Geschossen mit gebremster Gewalt" und "Geschossen mit geringer kinetischer Energie" (3).

Die Polizeiführung hat bei der Übernahme dieser Waffen bzw. bei der Vorbereitung dieses Schrittes gleich ein doppeltes Problem. Zum einen steht auch sie unter einem Legitimationszwang gegenüber der demokratischen Öffentlichkeit; zum anderen muss sie ihre Beamten ausreichend motivieren, die beschafften Geräte schliesslich auch ohne Skrupel einzusetzen. Also wird noch einmal eine Sprachkorrektor vorgenommen. Allenfalls redet man gelegentlich mal von "Distanz-Waffen", in der Regel bevorzugt man jedoch Begriffe wie "polizeitypische Einsatzmittel" oder greift besser gleich zu einer neutralen Abkürzung: Und so wird dann aus einer modifizierten Granatwerferpistole umgehend eine "MZP l", (wobei die Zahl l bei Kenntnis der sonstigen Polizeipraxis wohl bedeuten dürfte, dass man dort auch mit der Möglichkeit weiterer "Mehrzweckpistolen" rechnet). Über die Wirkung von Gummigeschossen werden neben gezielten Falschmeldungen hauptsächlich derbe Scherze verbreitet: So überschreibt die Junge Gruppe, die Jugendorganisataion der Gewerkschaft der Polizei (GdP), ihren Diskussionsbeitrag zur Bewaffnungsfrage mit "Knüppel aus dem Sack" (4); für die Technische Kommission des AK II sind Gummigeschosse "im Prinzip eine Art Schlagstock mit grösserer Reichweite" (5). Nach Meinung der Bereitschaftspolizei entspricht ein Treffer mit einem Gummigeschoss einem "Kuhtritt" (6); der Polizeiberater Hubner nennt das von ihm entwickelte Geschoss einen "fliegenden Boxhandschuh" (7); Kollege Stammel halt Schrotbeutel für "Pfannkuchen" (7), die "versetzen dir einen Uppercut wie von Cassius Clay. Da fliegst du drei Meter zurück und hast allenfalls Blutergüsse" (8); und Zürichs Polizeichef Frick erklärt gar: "Gummigeschosse sind weniger gefährlich als Gummiknüppel" (9).

Boxhandschuh

Schliesslich fordert Gunter Freund, Leitender Polizeidirektor in Berlin, konsequenterweise auch gleich das generelle "Herbeiführen einer Sprachbereinigung von rechtfertigenden Formulierungen" , und erklärt auch gleich, wie so etwas aussieht:

So wird dann das"polizeiliche Gegenüber", also jeder, der sich gegen die Missstände in diesem Lande wehrt, nach allen Regeln der Kunst diffamiert: Da werden im polizeilichen Sprachgebrauch aus Demonstranten "Demolanten" oder ..Politrocker", besetzte Hauser werden zu ..kriminellen Fluchtburgen", Helme oder sonstige Selbstschutzausrüstungen werden als "passive Bewaffnung" gleich verboten.

Diesen Sprachverwandlungen schliessen sich auch Minister gern an. Schliesslich sind alle Einsätze (mit sämtlichen denkbaren Folgen) letztlich von ihnen politisch zu verantworten: " Wir brauchen Einsatzmittel, die es der Polizei erlauben, von den Störern Distanz zu wahren, um Wurfgeschossen zu entgehen" . Wer in diesem Zusammenhang von "mörderischer Aufrüstung der bayerischen Polizei" spreche, entlarve ..nur allzu deutlich, dass ihm Leben und Gesundheit unserer Polizeibeamten weniger wert sind als der Aggressionsstau brutaler Schlager" (11); diese Erklärung des seinerzeitigen bayerischen Innenministers Gerold Tandler (CSU), könnte so auch von manchem SPD-Politiker gefallen sein. Immer sind es die "Chaoten", die die schwache Polizei bedrängen. Gelegentlich produziert diese Sprachregelung auch Eigentore: Der Schlagstock mit "seinem Nahkampfcharakter" ist beispielsweise für Baden-Württembergs Innenminister Roman Herzog (CDU), " etwas vom Übelsten überhaupt" (12). Demgegenüber bedeuten " Distanzmittel" wie etwa Gummigeschosse eine ..Minimierung der Verletzungsgefahr", wie sein Ministerium auf einen Anruf der Autoren dieser Broschüre mitteilen liess: "Aber einen ordentlichen blauen Fleck wird das schon geben".

..Obwohl wir mit Rücksicht auf die Weltöffentlichkeit und auf die Notwendigkeit, die Loyalität des Volkes uns zu erhalten, nicht mehr Gewalt anwenden sollten als nötig, um die Lage zu beherrschen, können wir doch die Bedingungen für die ganze Bevölkerung reichlich unangenehm gestalten, um einen Anreiz zu bieten, zum normalen Leben zurückzukehren und als Abschreckung, den öffentlichen Protest wieder aufzunehmen" (13).

Diesen Lehrsatz des international profilierten Cheftheoretikers in Sachen Bürgerkriegsführung, des britischen Generalmajors Frank Kitson, scheinen inzwischen auch bundesdeutsche Sicherheitsexperten entdeckt zu haben. Denn dass dies für die Erhaltung ihrer "Sicherheit und Ordnung" dringend notwendig ist, darüber sind sich diese Herren letztlich alle einig. So will denn auch der derzeitige Bundesinnenminister Zimmermann (CSU) nach dem 6. März "im Interesse der Bürger die Gangart" einschlagen, "die notwendig ist" (14). Sein Parteifreund Tandler meinte schon früher: "Wir können ... nicht zulassen, dass auf der Strasse das Faustrecht regiert. Das wäre eines Kulturstaates unwürdig" (15).

Quellen:

  1. Wargowitch et al , 1975. Evaluation of the Physiological Effects of a Rubber Bullet, a Baseball and a flying Baton U S Army Human Engeneermg Laboratory Aberdeen Provmg Grounds Md USA
  2. Berliner Morgenpost, 14 3.81
  3. Ruhe oder Chaos, Dokumentation des Gesundheitstages 1981
  4. Contact, Mai/Juni 1981
  5. Interner Bericht der TK/AK II an die IMK, Herbst 1981
  6. Bereitschaftspolizei - heute, 3/82
  7. IWS, (Internationaler Waffenspiegel), 3/81
  8. Welt, 4./5.4.81
  9. Tagesanzeiger/Zunch, 4.2.81
  10. Die Polizei, TS2
  11. Suddeutsche Zeitung, 9 4.81
  12. Spiegel, 5/83
  13. The Technology of Political Control, Acitroyd u a , GB, 1977
  14. Stern, 16 12.82
  15. Bild am Sonntag, 15381