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DEZEMBER 2003

Der etwas andere Jahresrückblick


Äußert verwundert rieben wir uns die Augen, als vor einigen Tagen ein Schreiben der Kriminalpolizeidirektion Nürnberg, Kommissariat 14, in unserem Briefkasten lag. Was wollen denn die schon wieder von uns, los, ab in den Mülleimer damit, doch unsere Neugierde war dann doch größer. Glücklicherweise, denn das, was wir zu lesen bekamen, wollen wir euch natürlich nicht vorenthalten:


Dienststelle
Kriminalpolizeidirektion
Nürnberg
Kommissariat 14
Jakobsplatz 5
90402 Nürnberg


BITTE


Sehr geehrte Damen und Herren Autonome,


don't questionein Jahr geht wieder zur Neige und ich will die Gelegenheit nutzen, Sie zu diesem Anlass persönlich anzusprechen, auch wenn es mir keineswegs leicht fällt. Gleichzeitig bitte ich Sie aber, mit diesem Schreiben verantwortungsbewusst und stillschweigend umzugehen, da ich wohl sonst mit unvorhersehbaren Konsequenzen zu rechnen habe.
Das Jahr 2003 hat mir wiedereinmal einige Kopfschmerzen bereitet, da ich feststellen musste, dass Sie Ihren Aktionsradius und Ihre politische Einflussnahme in der Stadt kontinuierlich ausgebaut haben. Ihren unzähligen Veröffentlichungen entnehme ich regelmäßig, dass Sie sich „für eine Welt jenseits von Ausbeutung und Unterdrückung“ einsetzen.
Dabei scheinen Sie allerdings nicht zu berücksichtigen, dass sich mit jeder weiteren Aktion Ihrerseits mein Arbeitsalltag erheblich erschwert, sich die Aktenberge stapeln und meine Überstunden stetig ansteigen. Mit einer besseren Welt hat dies daher alles nichts zu tun, zumindest für mich. Meine Frau, die unter dieser Situation ebenfalls leidet, hat mir nun geraten, diesen Weg zu gehen, und persönlich an Sie, liebe Autonome, heranzutreten. Lassen Sie uns gemeinsam das zu Ende gehende Jahr Revue passieren. Vielleicht können ja Sie mir und meiner Frau aufzeigen, wo Zeit für Urlaub, Hobbys und private Zweisamkeit gewesen wäre.


Alleine das sorgfältige Studium Ihrer nun seit über 6 Jahren monatlich erscheinenden Zeitschrift barricada, die Auswertung und Informationsweitergabe an die Kollegen des Landeskriminalamtes sollten Sie nicht unterschätzen, hinzu kommen die Abhörprotokolle Ihrer Einrichtungen, Telefonate und Internetverbindungen und nicht zuletzt die unterschiedlichsten Anzeigen zumeist von Hauseigentümern und der Stadtverwaltung Nürnberg, die mich in penetranter Weise damit belästigen, entschuldigen Sie bitte meinen gereizten Ausdruck, jede einzelne Losung an Hauswänden und jedes einzeln verklebte Plakat am besten noch selbst zu entfernen. Muss denn dies alles wirklich sein? Meine Extraprovision, die mir für ein sauberes Gostenhof in Aussicht gestellt wurde, kann ich nun auch getrost an den Nagel hängen. Danke! Selbst meine Anweisung an die Kollegen der Zivilfahndung und Polizeiinspektion West, rigoros im Stadtteil durchzugreifen, selbst das angeordnete Überschreiten der Rechtsstaatlichkeit bei Personalienkontrollen und Durchsuchungen, von nichts scheinen Sie sich, liebe Autonome, beeindrucken zu lassen, ihre nächtlichen Aktivitäten gehen einfach weiter.

Warum nur mussten Sie sich in die Anti-Kriegsaktivitäten hier in Nürnberg einmischen, wo doch alles so gut anfing. Nehmen Sie sich doch ein Beispiel am Friedensforum und dem DGB, denn die wissen zumindest, mit uns zu kooperieren und brav und gesetzestreu ihre Anliegen vorzutragen. Was kann bitteschön ich dafür, dass die USA im Irak einmarschieren? Nichts!. Aber nein, dank Ihrer Aktionen wurde mir mein langgeplanter März-Urlaub nach Thailand ersatzlos gestrichen, wo ich endlich einmal alleine so richtig die „Sau“ raus lassen hätte können. Alles war so gut geplant, meine Frau nahm mir die einwöchige Fortbildungsmaßnahme problemlos ab, doch stattdessen durfte ich mich mit Demoberichten und -auswertungen beschäftigen, mit gefälschten Briefen des Bürgermeisteramtes, die dazu aufriefen, Kriegsdeserteure aufzunehmen, nächtlichen Transparentaktionen und Sachbeschädigungen, ja nicht einmal vor der SPD und unserem Ehrenbürger Karl Diehl machten Sie halt. Und an der Radikalisierung von Jugendlichen und Schülern scheinen Sie ja auch gefallen gefunden zu haben, aber nicht mit mir, meine Damen und Herren!

Kaum waren die Anti-Kriegs-Aktionen zu Ende, leuchtete mir der 1. Mai rot unterstrichen im Terminkalender entgegen. Wieder ein Feiertag, den es für mich seit Jahren als arbeitsfreien Tag einfach nicht gibt. Ich hatte ja schon mit dem Schlimmsten gerechnet, aber über 1000 Leute, die für die Revolution in Nürnberg auf die Straße gehen und am Rande des anschließenden Straßenfestes in Gostenhof meine Kollegen vom USK auch noch mit Flaschen und Steinen bewerfen, irgendwo hat der Spaß ein Ende. Auch diese Beamten haben Frauen und Kinder zu Hause! Die immer schon überheblichen Kollegen vom Verfassungsschutz rannten mir anschließend die Türen ein, jetzt wollten Sie alles ganz genau wissen, die arroganten Klugscheißer aus München, ich pack die selber nicht, aber bitte: Dienst ist Dienst. Und das, was sie dann im Internet veröffentlichten, brachte es doch ganz richtig auf den Punkt: Es „besteht die Gefahr, dass autonome Zusammenhänge ihre gegenwärtige Schwächephase überwinden könnten“.

Während es auf der Strasse zumindest kurzzeitig etwas ruhiger wurde, war ich damit beschäftigt, den ganzen Kram der Vormonate aufzuarbeiten, na, wenigstens kam von Ihnen niemand auf die Idee, lokale Aktionen zum G8-Gipfel in Evian und dem EU-Gipfel in Thessaloniki durchzuführen. Das hätte mir nämlich gerade noch gefehlt, aber gleichzeitig fängt es ja jetzt schon an, dass so einer wie ich nun auch ermitteln soll, wenn irgendwo im Ausland Straftaten begangen werden. Als hätte ich nicht schon genügend zu tun! Und lassen Sie bitte die Hände weg von Terroristen!
Was müssen Sie sich auch überall einmischen, was geht Sie bitte ein Baske an, nur weil er in Nürnberg verhaftet wurde, meine spanischen Kollegen haben schon die richtigen Ermittlungsmethoden, die wissen schon, mit welchen Mitteln man Leute zum Reden bringt, wie oft hab ich schon davon geträumt, mal den einen oder anderen von Ihnen mit mittelalterlichen Foltermethoden durch die Mangel zu nehmen. Wer glaubt, sich mit uns anlegen zu müssen, der muss halt auch die Konsequenzen tragen, Ihr Wolfgang Grams hat das vor 10 Jahren ja anschaulich vorgeführt bekommen. Und ihre Magdeburger Kollegen haben ja wohl auch eine Abreibung verdient, nur zu Schade, dass sie jetzt aus der Haft entlassen wurden. Ich sag Ihnen, wenn ich Richter wäre! Nun erwischen wir eh so wenige von Ihnen und wenn wir dann von Zeit zu Zeit was konstruieren, um unsere Erfolgsquote wenigstens minimal nach oben zu schrauben, hat´s vor Gericht meistens keinen Bestand.


Dass Sie gegen die Rechten auf die Straße gehen, hab ich mir fast schon gedacht. Am 6. Dezember erwartet uns ja schon der 3. Aufmarsch in diesem Jahr. Wie schön wäre es für mich, wenn Sie die Proteste endlich der Stadt, dem Oberbürgermeister und seinen hörigen Gruppierungen überlassen würden, alles blieb friedlich, diese würden die Aufmärsche aktiv ignorieren und niemanden würde es großartig stören. Die paar Rechten, ich bitte Sie!
Wenn Sie aber glauben, auch noch durch nächtliche Aktivitäten einen Unfrieden in der Stadt herstellen zu müssen, da kann ich richtig böse werden. Lassen Sie die VGN in Ruhe, die 40 defekten Fahrkartenautomaten haben Ihnen nichts getan. Und irgendwie müssen die Rechten doch zu ihrer Kundgebung kommen.
Und der Brandanschlag, meine Damen und Herren, richten Sie der Fränkischen Antifa Front mal aus, wenn ich die erwische, dann gibt´s was hinter die Löffel, aber gewaltig! Und als ob die ganze Aufregung um die Rechten nicht reicht, müssen Sie auch noch diese Kampagne gegen das Fürther Ausreisezentrum starten.
Wissen Sie eigentlich, wie stark Sie damit meinem obersten Boss, dem Günther Beckstein damit auf die Nerven gehen. Jetzt hatte er sich extra so einen schönen Namen dafür überlegt und sie sagen einfach Abschiebelager dazu und reißen unter meinen Augen auch noch den Sicherheitszaun um das Lager halb ein. Ganz schön dreist, kann ich da nur sagen.


Meine Frau meinte noch, ich solle auf keinen Fall vergessen, wie unglaublich sie es findet, dass Jugendliche am letzten Schultag ihre Zeugnisse verbrennen, sie würde gerne einmal ein Hühnchen mit deren Eltern rupfen und den Jugendlichen ganz ordentlich den Kopf waschen.
Nun, auch wenn es noch viel von dem, was mich bewegt, zu berichten gäbe, so hoffe ich doch, dass Sie im kommenden Jahr etwas mehr Rücksicht auf mich und meine Frau nehmen, da ich ansonsten irgendwann dazu gezwungen wäre, in den Vorruhestand zu treten. In diesem Sinne wünsche ich mir, meiner Frau und Ihnen ein friedliches und grundgesetztreues Jahr 2004.

Mit freundlichen Grüssen,

Ihr Sachbearbeiter im Kommisariat 14, Dimm(p)ling



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