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Mon Jan  5 21:16:42 2004
 

Bemerkungen zur genmanipulierten Landwirtschaft und der Erniedrigung der Arten
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[p. 82 - 87]

Indem sie den Zugang zu den genetischen Grundlagen des organischen Seins erlangt (so wie zuvor zu den atomischen des inorganischen), indem sie das Anonymste in uns offenlegt und das Unorganischste, Abstrakteste, uns selber Fremdeste, nämlich unseren genetischen Kode identifiziert, der in ihren Augen unsere Wahrheit und unsere wirkliche Identität darstellt, identifiziert sich die instrumentelle Vernunft vollends mit der Herrschaft, die sie hervorgebracht hat, bis man sie nicht mehr auseinanderhalten oder getrennt denken kann; jede Bejahung dieses Positivismus, und vor allem da, wo er die größte Fürsorge für uns zu zeigen scheint, ist in erster Linie eine Bejahung der Herrschaft und unserer eigenen Entfremdung. Dies geschieht jedesmal dergestalt, dass sie uns davon entheben, genau zu wissen, was getan wird, es voll und ganz zu begreifen und uns den Komfort verschaffen, uns nicht vollständig unserer Handlungen bewusst sein zu müssen und nicht deren gegensätzlichen Bestimmungen zu erfahren: gewissermaßen nicht persönlich anwesend sein zu müssen. Es handelt sich immer um eine Infantilisierung, sei es durch Sofortreisen im Flugzeug oder Bezahlung mit Kreditkarte, den Bildempfänger zu Hause oder die computergerstützte Lektüre; durch hormonale Empfängnisverhütung oder »bequeme« PDA-Entbindung. Die wissenschaftliche Medizin hat uns unserer Krankheiten, dieser Form der Selbsterkenntnis, beraubt, indem sie sie uns entfremdete; mit der Sequenzierung des Genoms ist es unser Leben selbst, das uns fremd wird, aber ohne dass es uns bewusst würde. So sieht das Glück aus. »Die Herrschaft tritt dem Einzelnen als das Allgemeine gegenüber, als die Vernunft in der Wirklichkeit« und erlöst es so von seiner Ratlosigkeit angesichts der »lästigen Reichtümer des Lebens«, indem sie letzteres zu einer äußerst kompletten Gebrauchsanweisung vereinfacht, die es vor dem Zufall und dem Unbekannten schützen soll: die genetischen Tests für die Prädisposition zu bestimmten Krankheiten und Verhaltensweisen verwandeln die Existenz in eine Fatalität, deren Geschicke keine Beziehung zu den sozialen Umständen haben; diese sind nicht mehr als Bestimmung begreifbar und werden zu unberührbaren praktischen Tatsachen naturalisiert, zu Existenzbedingungen der Kollektivität, außerhalb derer nichts existiert: das Individuum ist allein mit seinem genomischen Schicksal, von dem die gesellschaftliche Existenz nichts als ein Widerschein ist, oder eine Bestrafung: man gehorcht, weil man ohne Herrschaftsgene ist.

Natürlich gibt es Individuen, die noch eine Vorstellung vom Vernünftigen und Unvernünftigen haben und in deren Augen Behauptungen wie diese eines Chemie-Nobelpreisträgers schlechthin absurd sind: »Gebt mir die Gene eines Individuums und ich werde Euch sagen, wer er ist«. Aber diese Individuen waren bereits den vorhergehenden Fortschritten des modernen Komfort abhold gewesen und sind offensichtlich wenig an eine Gesellschaft angepasst, die in der Anzahl der existierenden Fernsehkanäle einen objektiven Maßstab des den Individuen gebotenen Freiheitsgrades sieht und die aus dem quantitativen Maß der Langlebigkeit das unbestreitbare Kriterium glücklichen Lebens gemacht hat. Sie sind überdies dabei, von einer bereits objektiv wirkenden genetischen Auslese eliminiert zu werden, die das Überleben derjenigen Individuen begünstigt, die zum Beispiel in der Lage sind, sich an die stickige Luft der Klimaanlage und an die körperlose Arbeit am Bildschirm anzupassen; bei den anderen wird man das Gen der Vergangenheitsseligkeit entdecken, das der Melancholie oder vielleicht das des Mystizismus, welche dann die Erklärung einer so unglücklichen und unangemessenen Subjektivität sein werden, für die man ihnen eine chemische Korrektur anbieten wird.

Die zwischen der industriellen Landwirtschaft und ihrer biotechnologischen Vervollkommnung bestehende Kontinuität ist auch die, welche ganz natürlich von der mechanistischen Medizin zum auf den Menschen angewandten genetischen Engineering führt. Es ist deshalb idiotisch, wie es viele Gegner der Verbreitung von genetisch modifizierten Organismen tun, eventuelle therapeutische Anwendungen der Biotechnologien hervorheben zu wollen, die zu verurteilen man sich hütet, um nicht die öffentliche Meinung vor den Kopf zu stoßen oder weil man selbst davon überzeugt ist, daß sie einen wünschenswerten Fortschritt darstellen. Die Entfremdung der isolierten Individuen in der Massengesellschaft, die jene dazu gebracht hat, die äußere Natur des Menschen der industriellen Ausbeutung zu überlassen - im Austausch gegen eine standardisierte Nahrung, von der man nicht zu wissen braucht, unter welchen Bedingungen genau sie für einen fabriziert wird - ist dieselbe, die sie dazu bringt, ihre eigene organische Natur, ihren Körper, der Gesundheitsindustrie auszuliefern. Die Bevölkerung damit zu beunruhigen, was sich auf den von ihrem künstlichen Leben so fernen Feldern abspielt, ohne sich dafür zu interessieren, was sie unmittelbar in Sicherheit wiegt (der Inhalt ihres Medizinschranks, die Herzchirurgie, die Verheissungen der Gentherapien) ist zugleich unlogisch und vergeblich.

Eine falsche Unterscheidung zwischen den Biotechnologien zu treffen (wie einst zwischen »ziviler« und »militärischer« Anwendung der Atomenergie) bedeutet außerdem, nicht sehen zu wollen, dass es ein und dieselbe Desintegrierungsmacht ist, derselbe Nihilismus, der alle Formen des Lebens angreift, ob es sich um Pflanzen, Tiere oder Menschen handelt, und sie wie ein und dasselbe undifferenzierte genetische Material behandelt. Die Biotechnologien beseitigen alle Unterscheidungen und die erstaunliche Vielfalt der Erscheinungen, die die Natur auf ihre organischen Reiche, und in deren Inneren auf die Arten, verteilt hat. Sie sehen dort nichts als ein Gewimmel wechselnder Figuren, die von innen her von Kodiergenen betrieben werden, der gemeinsamen Wirklichkeit aller lebenden Erscheinungen: biochemische Mikroprozessoren, die beliebig und unendlich rekombinierbar sind, um andere, neue, nützlichere, bequemere, spezifischere usw. Erscheinungen zu verfertigen, reine Hypostasen der digitalen Modelle, denen entsprechend man sie fabriziert. Die Tautologie der technischen Rationalität dehnt sich so auf das ganze Leben aus: die Maschinen, welche die »Sequenzierung« des Genoms ermöglichen, und ohne die dieses »Programm« nicht existieren würde, sind dieselben, die das theoretische Modell der »genetischen Information« liefern; es ist ihre Rechenpotenz, die sich in den Milliarden von Nukleotiden des menschlichen Genoms beschaut und die sich selbst lobt, dass sie zur »Quelle des Lebens« vorgedrungen ist. Der genetische Kode ist fürwahr eine Schöpfung des Computerzeitalters, und die außerordentliche Dürftigkeit dieser DNS-Ideologie, die in voller Rüstung dem künstlichen Gehirn der Informatiker entsprungen zu sein scheint, ist ein getreuer Ausdruck ihres logischen Formalismus. Aber diese Misere ist weder außergewöhnlich noch besonders schockierend in einer Gesellschaft, die sich anschickt, vom Kindergarten an das Gehirn der Kinder auf den Computer zu eichen, der gleichzeitig ihr Arbeitsinstrument, ihr Kontaktmittel mit der Außenwelt und ihre wirkliche Wohnung sein wird (dieser Prozess der Vermittlung aller Aktivitäten des Menschen durch den Computer ist schon so weit fortgeschritten, dass man beobachten kann, wie sie - einer Seuche gleich - eine gewisse Form der Phobie vor dem Kontakt mit der Realität ausbreitet, die immer mehr Leute dazu bringt, sich mit einem Mobiltelephon auszurüsten, wenn sie nach draußen gehen); eine Gesellschaft, in der das Projekt eines Computers, der dank einem Implantat im Gehirn des Benutzers dem Denken gehorcht, keinerlei Erstaunen hervorruft, ist eine Gesellschaft, die vorweg auf die Frage antwortet, wieviel Selbständigkeit dem menschlichen Denken, dem Bewusstsein, gelassen werden soll: eben dessen Verschwinden erlaubt es, eine derartige Verbesserung des Mensch-Maschine-Verhältnisses ins Auge zu fassen und objektiv das zu realisieren, was es bereits subjektiv ist; und das ist es, was diesen Fortschritt herzlich nutzlos macht.

Die rationalistische Kritik des genetischen Reduktionismus bleibt also recht schwach: sie brandmarkt eine grobe ideologische Lüge über die menschliche Natur, ohne aber zu erkennen, dass diese Lüge vor unseren Augen dabei ist, sich der Wirklichkeit zu bemächtigen, alles, was sie Lügen strafte zu beseitigen und auf diese Weise wahr zu werden. In Anbetracht des Zustandes, in den diese Wissenschaft die Welt gebracht hat, wäre der szientistische Aberglaube in der Massengesellschaft nicht zu verstehen, gäbe es nicht, abgesehen von einer gewissen Feigheit, sich von Hoffnung zu Hoffnung zu hangeln, was jeglicher Grundlage entbehrt, das scheinbar allgemeine Streben danach, das Privileg zu teilen, das den Wissenschaftlern zugestanden wird: nicht denken zu müssen; damit, von dieser Bürde befreit, um so angepasster zu sein an die Anforderungen der Maschinengesellschaft. Wer sich selbst mittels cybernetischer Vorstellungen auffasst (als Programm, als Information integrierendes System usw.), der steht natürlich den Aktivitäten des genetischen Engineerings hilflos gegenüber: auf welche »menschliche Natur« kann er sich noch berufen? Wenn man einen jungen Verbraucher von zwölf Jahren von seiner »PlayStation« eingenommen sieht, wenn man sich das Schicksal vorstellt, das ihm in der elektronischen Zivilisation zugedacht ist, ohne darin irgendein Übel zu finden, sieht man überhaupt nicht, welchen triftigen Einwand man noch den Klonierungen, den genetischen Verbesserungen, der Embryo-Selektion, usw. entgegenhalten könnte: das Ergebnis haben wir bereits vor Augen, mit seinen Markenkleidern und seinem »Piercing«, seiner »Funsport-Kultur« und seinem »Pager«. Es ist ein bisschen spät, um sich zu beunruhigen, was von uns übrig bleiben wird nach der genetischen Rekonstruktion, und außerdem denkt niemand ernsthaft daran, denn man müßte zuerst in Betracht ziehen, auf dieses parasitäre Leben zu verzichten, um zu versuchen, die menschliche Natur wieder in ihre Rechte treten zu lassen, von der man uns gerade bewiesen hat, dass sie nicht existiert. »Es zu akzeptieren, die schlechten Gene unserer fehlerhaften Gewebe zu ersetzen und dazu die Eizellen unserer Vetter, der Tiere, zu benutzen, bedeutet, mit den Biologen anzuerkennen, dass der Mensch ein Tier ist und dass er zu Recht stolz darauf ist, ein Tier zu sein, denn ein Tier zu sein bedeutet lebendig zu sein.« (Jean-Paul Renard, Forschungsleiter am INRA, Le Monde, 22. Januar 1999).

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