GegenDruck Nr. 22 - April 1998
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Zum Verhältnis von Staat und Kapital aus autonomer Sicht

Kapitalismus als Krankheit und andere Übel

Es ist etwas im Busch. Nicht nur die kommerzielle Medienlandschaft und ihre Lieblingsobjekte ­ die PolitikerInnen ­ haben mit der "inneren Sicherheit“ ein neues Top-Thema, sondern auch die Antifas der Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO) stehen ganz im Zeichen von "Polizei- und Überwachungsstaat“. Gegen diesen, oder besser noch: um diesen zu verhindern, starten sie 1998 mit einer neuen Kampagne unter dem Motto: "Zusammen kämpfen gegen die Sicherheit der Herrschenden!“.
Auftakt der Kampagne bildete eine Demonstration am 21. Februar in Göttingen, zu der sich einige hundert Antifas in den Straßen der Kleinstadt sammelten, Parolen riefen und sich anschließend wieder zerstreuten. Nichts besonderes also, böte nicht das dazu verbreitete Mobilisierungsplakat ­ eine Krake mit Totenkopfschädel in schlechtester Anti-Imp-Manier ­ samt erklärendem Flugblatt einen dringenden Anlaß, einige kritische Anmerkungen zum Staatsverständnis der AutorInnen zu machen.

Die Erklärung der staatlichen Aufrüstung, ...

Vor der Kritik sei in Kürze die Argumentation des Flugblattes wiedergegeben. Anlaß für die Kampagne ist eine beunruhigende Entdeckung der organisierten Antifas: der Staat, in dem sie leben, scheint sich zu einem Polizei- und Überwachungsstaat zu entwickeln. Das ist für sie eine neue Entwicklung, die sie keinesfalls gut finden. Und um etwas gegen diese Entwicklung tun zu können, machen sie sich zunächst Gedanken um die Ursache dieser Entwicklung.
Dabei stoßen die eifrigen "Spiegel“-LeserInnen im heutigen "totalen Kapitalismus“ (dieses und alle folgenden Zitate aus dem Aufruf der Antifa (M) vom Januar 1998) auf ein Kapital, welches sich von der Abhängigkeit "von seinem Territorium, dem Nationalstaat“ befreit (Stichwort Globalisierung). Und so wird der Staat in hundsgemeiner Weise "gezwungen, von der Idee des Sozialstaates (...) Abstand zu nehmen“. Und obwohl für "das Kapital eine Kompromißpolitik mit Gewerkschaften und Staat nicht mehr notwendig“ ist, sieht der Staat in seiner Not offenbar keinen anderen Ausweg als "die Krankheit (Kapitalismus) mit der Krankheit (noch mehr Kapitalismus) zu kurieren“.
Nun hat aber der Abbau des Sozialstaates den (offenbar unangenehmen) Nebeneffekt, Unzufriedenheit und Existenznot zu produzieren. Damit sein Volk jedoch auf keine dummen Gedanken kommt, leiert der Staat eine riesige Lügenkampagne an: Nicht er will Schuld an der Not seines Volkes sein, sondern die Kriminellen, die Ausländer etc. sollen es sein. Und so manipuliert, wie nach Meinung der Antifas hier eh alle sind, riechen nur ganz wenige den Braten, unter anderen natürlich sie selbst.
Wir sind damit auch schon fast am Ziel, erklärt zu bekommen, warum der Staat sich so martialisch aufrüstet. Unter dem Vorwand, sich gegen "Kriminelle und Ausländer“ wehren zu müssen, wappnet er sich eigentlich für "die zunehmende Bekämpfung möglichen Widerstandes gegen die herrschende Politik“. Und wer hier als möglicher Widerstand zunehmend bekämpft wird, sei nicht verheimlicht: die Antifas selbst sind es!
Die Konsequenz dieser Einsichten liegt für die Antifas auf der Hand. "Zusammen kämpfen gegen (den) Polizei- und Überwachungsstaat“.

... ihre Kuriositäten ...

Das heißt: wir alle, die wir irgendwie links sind, müssen zusammen mit den verfolgten Antifas gegen eine Aufrüstung des Staates kämpfen, welche ihrerseits aus dem (vielleicht auch nur projektierten) Kampf gegen den Staat resultiert. Dieser Zirkelschluß ist für Außenstehende ebenso verblüffend, wie er für die Antifas wichtig ist. Verblüffend ist er, da der Grund für den Widerstand lediglich auf den Widerstand selbst verweist, wichtig ist er, da sich die Antifas auf diese Weise einerseits zugleich als Opfer wie als Täter fühlen dürfen (der Angriff des Staates rechtfertigt den Widerstand) und andererseits daraus keine grundsätzliche Staatskritik erfolgen muß, die prinzipielle Bündnisfähigkeit mit sog. bürgerlichen Kräften erhalten bleibt.
Und wo bleibt die Kritik der Antifas am Kapitalismus? Wie eben gezeigt wurde, ist diese nicht unbedingt notwendig, um eine Kampagne der AA/BO zu begründen. Weder im Gerangel mit den Faschisten, noch in der Auseinandersetzung um die Aufrüstung des Staates ist sie für die praktischen Aktionen von belang. Dennoch bildet die verschrobene Kapitalismuskritik eine im folgenden zu beleuchtende Grundlage des autonomen Gemeckers am Staat.

... und grundlegenden Fehler

Der angstbesetzte Staatsfetisch tritt an die Stelle der Aufklärung (KuK-Plakat zur Demo gegen den "Polizei- und Überwachungsstaat" 1998)

Die theoretischen Versatzstücke der autonom-antifaschistischen Kapitalismuskritik stammen noch von den Anti-Imperialisten der 70er und 80er Jahre. Denen war damals die Kritik der Produktion für den Profit (Kapitalismus) nicht spektakulär genug und sie begannen daher ­ neben der Bewunderung kämpfender Menschen anderer Länder ­ die fixe Idee zu pflegen, man müsse nur zeigen, daß der Staat gar nicht demokratisch sei, und die Bevölkerung würde beginnen, die herrschenden Mißstände zu kritisieren. Damals wurde das mit dem anschaulichen Bild beschrieben, dem Staat müsse seine demokratische Maske von der kapitalistischen Fratze gerissen werden.
Auf diese Weise begann eine unselige Spaltung des Staatsbegriffs: einerseits war er gekauftes Werkzeug finsterer Kapitalisten (auch "Blutsauger“ genannt) und daher mit ebenso finsteren Absichten ferngesteuert, andererseits wurde zugestanden, daß gegen einen "wirklich demokratischen Staat“ nichts einzuwenden wäre. Auf diese Weise konnten sie erklären, wieso der Staat einerseits offensichtlich die Interessen der Kapitalisten vertrat (Bulleneinsätze gegen …), jedoch andererseits auch Mittel zu deren Zähmung bereit hielt (soziale Absicherung etc.). Seitdem scheuten tapfere Krieger (und z.T. auch Kriegerinnen) für die Gerechtigkeit keine Mühe, den Staat zu martialischen, "undemokratischen“ Reaktionen herauszufordern, zu entlarven und finden in der Repression ihre eigentliche Bestätigung: gegen so etwas muß man sich doch einfach wehren.
Kurz zusammengefaßt heißt das: Die fehlende Demokratie des Staates als scheinbarer Hebelpunkt der Kritik an den herrschenden Verhältnissen ist zugleich die Bestätigung des Staates als taugliches Mittel für die eigenen Interessen. Nach dieser Ansicht könnte der "eigentlich“ demokratische Staat die Kapitalisten in ihre Schranken weisen; aus den Staatskritikern entpuppen sich Staatsverbesserer.

Und der Zeigefinger!

Umgekehrt wird hingegen ein Schuh draus: Der Nationalstaat ist der gesellschaftliche Rahmen der Produktion für den Profit und sichert die Reproduktion der hiesigen Verhältnisse. Als "ideeller Gesamtkapitalist“ (Marx) ist ihm die Profitschinderei zum Zweck gesetzt, verwendet er die Repression ebenso wie die soziale Absicherung als Mittel und gerät mit einzelnen Kapitalisten in einen Interessenkonflikt, wenn diese die Grundlage ihrer Produktion zu zerstören drohen. Sein Lebensquell ist die Sicherung des Eigentums nach innen und außen als Voraussetzung für die Profitproduktion (sei diese privat- oder staatswirtschaftlich organisiert).
Wer in dem Widerspruch zwischen Staatsideologie und -auftreten sein Mittel zur Kritik der herrschenden Verhältnisse findet, sei es in der Form des demonstrativen Angriffs, sei es in der Form der Bettelei um Zugeständnisse, verstellt sich damit (aber nicht nur damit) das Verständnis des Zusammenwirkens von Staat, Kapital und Proletariat in einer blinden Produktion für den Profit. Wer dem (National-) Staat prinzipiell seinen guten Zweck bescheinigt, lediglich in der heutigen Gesellschaft mißbraucht (z.B. von Kapitalisten gekauft) sieht, wird auch der hiesigen Warenproduktion etwas Gutes andichten können.
Nur das Beharren auf das konkrete Interesse nach einer selbstbewußten Befriedigung der Bedürfnisse jedes/-r einzelnen liefert die Grundlage für die Kritik einer Gesellschaft, die den Menschen nur noch als Mittel zur Produktion abstrakten Reichtums kennt. Das Geschrei von der Faschisierung bzw. der behaupteten Mutation des Staates zum Polizei- und Überwachungsstaat aber will davon nichts wissen.

Carla Schweisser

"An den Ostgrenzen der BRD (…) wird (…) die Bevölkerung zur Flüchtlingshatz gezwungen.“ Anmerkungen zum Verhältnis vom Staat zu seiner Bevölkerung in einer der nächsten Ausgaben der GegenDruck.

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