GegenDruck Nr. 22 - April 1998
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Unbeugsame Dörfler oder warum die Atom-Mafia gar keine ist

CASTOR nix

Ganz Deutschland ist von der Atom-Mafia kontrolliert. Ganz Deutschland? Nein! Eine Schar Unbeugsamer hört nicht auf, ihrem kriminellen Treiben Widerstand zu leisen … Und so ist er also auch in diesem Jahr wieder durch’s Land gerollt, der CASTOR. Begleitet von einem Großaufgebot der Polizei und der besagten Schar von GegnerInnen der Atompolitik. Der Unterschied gegenüber dem letztem Jahr bestand darin, daß diesmal nicht Gorleben, sondern Ahaus Ziel von Polizei, Anti-Atom-Bewegten und CASTOR-Behältern war.
War die alte AKW-Bewegung schon so gut wie eingeschlafen, entzündete sich im letzten Jahr eine neue Anti-Atom-Bewegung an den Transporten nach Gorleben. Neue Aktionsfelder taten sich für die sogenannte Linke dabei auf. Mittlerweile gibt es wohl kein autonomes Jugendzentrum, keinen Stadtteilladen mehr, in dem sich nicht mindestens ein Anti-Atomstrom-Plenum trifft.
Wir wollen an dieser Stelle wissen: Was steckt hinter dieser Bewegung? Wieso pilgern Tausende ins Wendland bzw. nach Ahaus, um sich dort verprügeln und naß spritzen zu lassen? Was ist ihre Motivation und wo wollen sie hin?

Die Bewegung

Schaut man sich zunächst einmal die Bewegung selbst an, so stellt man recht schnell fest, daß es die homogene Bewegung so nicht gibt. Grob gesagt sind es zwei Strömungen, die sich zusammen verbündet haben. Auf der einen Seite der eher bäuerlich-bürgerliche Teil mit seinen quergestellten Traktoren und Gewalt-Nix-Parolen, auf der anderen Seite der alternative oder auch "linke“ Teil, dem die Haßkappen nicht ganz so fremd sind. Gemeinsam proklamieren sie als Ziel die Stillegung aller Atomanlagen, einen Wandel der Energiepolitik usw. Forderungen, die man unterstützen kann oder auch nicht. Interessant ist jedoch der Blick hinter diese Forderungen auf die Argumentation, mit der sie begründet werden. Ihr Ausgangspunkt ist die Sorge um die eigene Gesundheit, die von den unsichtbaren Strahlen bedroht sei. Daß in Deutschland dennoch Atomkraftwerke betrieben werden, sei dabei den Umtrieben einer "Atom-Mafia“ zu verdanken. Deren einziges Ziel sei die Verfolgung ihrer Profitinteressen gegen die Interessen des Gemeinwohls.

Prügelknabe/-madel Atom-Mafia

Der/die Schuldige ist damit ausgemacht: die Atom-Mafia. Ein Schlagwort, das deutlich macht, was für ein Verständnis hinter der Anti-Atombewegung steht. Die Mafia als das Fremde von außen, als die Krake im Untergrund, die nach eigenen, gesellschaftsfeindlichen Gesetzen agiert; ihre Interessen, nämlich mit lebensbedrohenden Strahlen Kohle zu machen, werden als illegale beschrieben, um sie angreifbar zu machen.
Wenn daher die angeblich illegalen Atomtransporte dennoch stattfinden, wenn weiterhin Atomanlagen in Betrieb sind, dann kann das in den Augen der Anti-Atombewegung nur daran liegen, daß die großen Konzerne der Atomindustrie den Staat manipuliert, seine Exekutive gekauft haben. So sieht z.B. die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg in den 15 Mio. DM, die die Gesellschaft für Nuclearservice (GNS) dem Niedersächsichen Umweltministerium für den Bau einer Pilot-Konditionierungsanlage gezahlt hat, nichts anderes als einen Unterwerfungsvertrag. Von Verrat und Verkauf ist dann in den Flugblättern die Rede, von der SPD, die sich ohne Scham von ihrer atomkritischen Haltung verabschiedet habe und ungeschminkt das Geschäft der Gegenseite besorge.
Auf den Gedanken, daß das Handeln der Parteien durch etwas anders als durch die Manipulationen der Atomindustrie bestimmt wird, ist in Lüchow- Dannenberg anscheinend niemand gekommen.

Staatsideologie versus Realität?

Was hier bemängelt wird, ist eine Diskrepanz zwischen der Staatsideologie und seiner Wirklichkeit. Der Staat wird mit seiner demokratischen Verfassung identifiziert. Das, was ihn (nicht nur) nach Meinung der Anti-Castoren ausmacht, ist seine demokratische Idee, der Staat als Garant für das Wohl seines Volkes. Die Selbstdarstellung des Staates als Vertreter der Demokratie hat sich so fest in die Köpfe der Anti-Atom-Bewegten eingefressen, daß sie bei jeder empfundenen Abweichung von dieser Demokratie, bei jeder angeblichen Verletzung von Grundrechten, einen Widerspruch zwischen ihrem guten Recht und der Realität vermuten. Der Schluß, den sie daraus ziehen, ist entweder der, daß der Staat sich nicht an seine eigenen Gesetze halte, was wiederum nach der demokratischen Verfassung einklagbar wäre, oder daß die Gesetze, die diese Abweichen erlauben, falsch sind, daß sie ersetzt bzw. abgeschafft werden müssen.
Nicht umsonst wird in fast jedem Flugblatt der AtomkraftgegnerInnen betont, daß der Staat mit seiner Atomenergiepolitik den "Willen des Volkes“ ignoriere. Dementsprechend geht die Staatskritik der Antiatombewegung nicht über diesen Punkt hinaus: Staat gleich böse, weil er sich von noch viel böseren Atomkonzernen hat kaufen lassen und die gesellschaftliche Grundordnung übertritt.

Verwertungslogik

In der aggressiven ­ oder passiven ­ "Verteidigung der Grundrechte“ erweisen sich die Anti-Castoren als gute Staatsbürger. Sitzen sie doch der offiziellen Ideologie auf, ohne nach dem Grund für das Verhalten des Staates fragen zu müssen. Die Funktion des Staates, eine Ordnung zu sichern, in der das Atomkapital als eines unter vielen seiner Verwertung nachgehen kann, tritt damit hinter sein demokratisches Selbstbild zurück.
Der Staat ist eine Organisationsform für die Durchsetzung der Verwertungslogik. Er sichert die gesellschaftliche Reproduktion, die das Kapital nicht leistet. Zur Aufrechterhaltung dieser kapitalistischen Ordnung ist ihm jedes Mittel recht. Dementsprechend ist auch die Demokratie, auf die sich die AtomkraftgegnerInnen immer wieder berufen, nichts anderes, als Mittel zum Zweck. Sie hat sich als eine effiziente Form der Herrschaft herausgestellt, ist nicht mehr als eine Regierungsform, die in guten Zeiten eine akzeptable Mehrwertproduktion sichert. Das und nur das ist der Zweck der Demokratie.
Eine Kritik am Staat, die sich auf ein Versagen in der Ausübung der demokratischen Grundrechte beruft und seine Notwendigkeit für die Reproduktion des Kapitals außer acht läßt, wird also zwangsläufig immer ins Leere greifen, keine wirkliche Veränderung erzielen, weil sie das wesentliche des Staates nicht erfaßt.
Ein Punkt, der gleichermaßen für beide Teile der Anti-Atom-Bewegung, sowohl für den gemäßigt-bürgerlichen, als auch für den radikal-alternativen Teil, bezeichnend ist.

Der linke Widerstand

Es bleibt die Frage, warum massenhaft "Linke“ in die abgelegensten Teile Deutschlands fahren, anstatt in Großstädten gegen die weltweiten Umtriebe des Atomkapitals zu protestieren? Die Antwort ist relativ einfach: Weil dort, und nur dort, die bäuerliche Bürgerbewegung ihren Aufstand zelebriert. Unter dem Attribut "anti-atom“ wird dort jedeR, der/die sich nur irgendwie an die Schienen kettet, zu einer Bewegung subsumiert. Solange die Praxis, nämlich der Widerstand gegen die Castortransporte stimmt, werden die Gründe für das Handeln unwichtig. Und so ist schon die Anzahl, die Summe der Anti-Castoren für sie von Bedeutung, Maßstab für Erfolg und, schlimmstenfalls, Garantie für revolutionäres Handeln. Oder wie es in einem Flugblatt der WIGA so schön heißt: "Nur gemeinsam, mit Toleranz und Rücksichtnahme, sind wir bei aller Unterschiedlichkeit stark genug.“ Das revolutionäre Handeln ist dabei eher etwas für ausgebuffte RevolutionsstrategInnen: glauben sie doch, das "einfache Volk“ mittels ihrer Anwesenheit von der antikapitalistischen Revolution überzeugen zu können.
Die gegenseitige Toleranz geht dann so weit, daß alle Unterschiede verdrängt werden. Der Wunsch nach einer starken Bewegung stellt sich über alles und wird zum Fehler. Da wird dann auch "Rücksicht“ auf Leute genommen, die bei näherer Betrachtung ihren Widerstand als reaktionäres Ziel verfolgen, die für die Verteidigung ihrer Heimat bis zum äußersten gehen würden. Und daß nicht nur, wenn Atomstrahlen vor der Haustür stehen, sondern auch, wenn es statt der CASTOR-Behälter Busse mit AsylbewerberInnen wären. Im Zuge des Quantität-Statt-Qualität-Wahns ist das jedoch alles kein Thema für die bundesdeutsche Anti-Atombewegung.

Anna Ziegler

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