Interview 
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"Schwestern vergeßt uns nicht..."


Gespräch mit der Kieler Vorbereitungsgruppe der Ausstellung „Schwestern vergeßt uns nicht. Frauen im Konzentrationslager: Moringen, Lichtenburg, Ravensbrück 1938 - 1945“ .
Vom 1. bis zum 19. September 1997 wird die Wanderausstellung „Schwestern vergeßt uns nicht. Frauen im Konzentrationslager: Moringen, Lichtenburg, Ravensbrück 1938 - 1945“ in der Stadtbücherei in Kiel zu sehen sein. Zu den Begleitveranstaltungen wurden die Überlebenden des Konzentrationslagers Ravensbrück, Ceija Stojka und Gertrud Müller, eingeladen.
Gertrud Müller war viele Jahre Vorsitzende der Lagergemeinschaft Ravensbrück und wird auf der Eröffnungsveranstaltung einen Vortrag zum Thema ”Überleben in Ravensbrück” halten sowie die Besucherinnen auf ihrem ersten Gang durch die Ausstellung begleiten.
Ceija Stojka, in Wien lebende Schriftstellerin und Malerin, liest am 10.September aus ihren autobiographischen Aufzeichnungen „Wir leben im Verborgenen“. Anhand der Geschichte ihrer eigenen Familie erzählt sie von der Verfolgung der Roma und Sinti während des Nationalsozialismus.
Darüber hinaus werden Filme während und nach der Ausstellung Biographien z.B sozialistischer und jüdischer Frauen zeigen sowie verschiedene Aspekte zum Frauenkonzentrationslager Ravensbrück aufgreifen.
Das folgende Gespräch führte enough is enough mit einigen Frauen aus der Vorbereitungsgruppe, dem ”Kieler Frauen/Lesben-Arbeitskreis zur Mahn- und Gedenkstätte des ehemaligen Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück”.

Wie hat sich die Gruppe gefunden?

Beate: entstanden ist die Vorbereitungsgruppe aus einer antirassistischen Frauen/Lesbengruppe, in der eine Frau von ihrer Fahrt zu den Feiern zum fünfzigsten Jahrestag der Befreiung in der Gedenkstätte des Konzentrationslagers Ravens-brück berichtet hat.
Christa: Ja, ich war 1995 in Fürstenberg1 und habe an den Gedenkfeiern zu der Befreiung teilgenommen. Es waren sehr viele überlebende Frauen und deren Angehörige sowie überlebende Männer dort (...). Tausende waren da (...). Zusammen mit Frauen aus Hamburg und anderen Städten haben wir Interviews mit Überlebenden gemacht, um ein Stück Geschichte für die Gedenkstätte und für uns zu archivieren. Mich haben diese Begegnungen so beeindruckt, daß ich diese Erfahrungen in meine Gruppe hineingetragen habe und gesagt habe, daß ich gerne noch einmal mit meiner Gruppe nach Ravensbrück fahren möchte. Parallel zu unseren Planungen und Überlegungen gab es bei anderen Frauen in Kiel genau den gleichen Wunsch. Wir haben uns ausgetauscht und sind dann gefahren.

enough is enough : Das ist ja interessant, daß dieses Bedürfnis bei den Frauen parallel entstand.

Christa: Ja, anfangs haben wir diese Fahrt ganz privat geplant und dann waren wir fast dreißig Frauen.

enough is enough: 1995 gab es in Berlin auch einen Frauenkongreß zum Thema Faschismus und Nationalsozialismus. Es gibt also ein breites Interesse in feministischen Gruppen an diesem Thema. Aber zurück zur Fahrt. Wie lange wart ihr da?

Anke: Manche haben einen Tag in der Gedenkstätte verbracht, andere hatten etwas mehr Zeit. Ein Tag ist sehr knapp.
Beate: Wir sind länger in Fürstenberg geblieben (...) und hatten so Zeit, längere Gespräche über unsere Eindrücke zu führen.
Anke: Das hat mir, die ich nicht so lange bleiben konnte, sehr gefehlt. Auf der Rückreise waren wir sehr in uns gekehrt und haben kaum geredet. Sofort nach der Ankunft begann für mich wieder der Alltag. (...) Darum fand ich es so gut, daß sich daraufhin der Arbeitskreis2 gebildet hat, um auch mit anderen reflektieren zu können, was ich in der Gedenkstätte gesehen habe.
Christa: Es war eigentlich gar nicht geplant, daß wir uns weiterhin treffen. Es sollte vorerst nur einen Austausch von Gedanken und Fotos geben. Das erste Treffen war jedoch von sehr viel Sprachlosigkeit bestimmt, von Betroffenheit und (...) Fragen wie zum Beispiel: „Wie geh ich damit um?“ Es geht bei diesem Thema ja nicht nur um Wissen, sondern auch um Gefühle. (...) Erstmal ist nicht viel passiert und wir haben beschlossen, uns noch einmal zu treffen.

enough is enough: Es ging also darum, diese Sprachlosigkeit zu überwinden?

Christa: Ja, es ging darum, einen Umgang mit den Eindrücken zu finden. Für mich geht es neben dem Wissen um Geschichte (...) auch darum, Bezüge zu meiner und unserer Geschichte herzustellen.

enough is enough: Ja. Es bleibt aber eine Frage, ob dieser persönliche Zugang tatsächlich die Sprachlosigkeit überwindet. Es ist eine Möglichkeit, mich diesem Thema zu nähern, jenseits dessen, was ich bisher erfahren habe.

Beate: Ich finde schon, daß der persönliche Zugang die Chance bietet, die Sprachlosigkeit zu überwinden. Zugleich wird damit auch das abstrakte Gebilde Geschichte konkreter. Dadurch wird es „erfahrbar“, Geschichte wird zu einem einzelnen Leben und einem einzelnen Sterben. Es ist viel leichter über Fakten, Zahlen zu reden, darüber daß der Konzern Siemens in Ravensbrück die Häftlinge ausgebeutet hat. Es ist zum Teil aber auch schwieriger über die einzelnen Biographien zu reden und über meine Gefühle, die ich dazu habe. Das war auch eine Erfahrung während der Fahrt. Alle waren beschäftigt und sprachlos. Der persönliche, der biographische Zugang ist eine andere Qualität der Beschäftigung mit dem Thema Nationalsozialismus, ein sehr fordernder Zugang, den wir in dieser Form bislang nicht kannten. Deswegen muß auch über diese Form das Sprechen erst gelernt werden.
Anke: Es ist ja nicht so, daß wir uns das erste Mal damit auseinandersetzen würden. Aus der Schule und der politischen Arbeit kennen wir die Fakten, aber das Schweigen hat in der BRD eine 50 Jahre alte Geschichte. In unseren Familien wird nicht darüber gesprochen.

enough is enough: Ja, oder mit sehr viel Aggressivität. Es wird sofort zu einem Verteidigungsgespräch. Laute-Stärke, hinter der sehr viel verschwiegen wird. (...) Mir scheint, der biographische Zugang fragt auch stärker nach der persönlichen Verantwortung hier und heute. (...)

Christa: Ja, nicht nur „Wie war es in meiner Familie?“ muß ich fragen, nicht nur „Was haben meine Eltern, meine Großeltern gemacht?“. Sondern auch was ich an Lasten aus dieser Zeit, was ich an Antisemitismus, was an Rassismus weiter trage. Ich bin in diesem Land geboren und erzogen worden und so steht - vor allem bei Begegnungen mit Überlebenden - die Frage nach der Schuld immer im Raum. (...) Diesen Umgang nicht alleine, sondern im Zusammenhang einer Gruppe diskutieren zu können, hat für mich eine besondere Qualität.

enough is enough: Welche Rolle spielt es, daß sich Frauen mit diesem Thema mittels eines frauenzentrierten Zugangs beschäftigen?

Beate: Dies ist eher eine neuere Perspektive. Es gibt zwischen uns und den in der Ausstellung dokumentierten Frauen zum einen die Parallele des Frau-Seins. Darüber hinaus spielt es eine Rolle, daß wir uns einem wenig betrachteten Aspekt der Geschichte zuwenden. Welche von uns hat denn schon lange vor der Fahrt von dem Frauen-KZ Ravens-brück gehört? Kaum eine.

enough is enough: Während die Ausstellung allen Interessierten offen steht, sind die Begleitveranstaltungen nur für Frauen.

Beate: Ja, um eine Auseinandersetzung unter Frauen in Gang zu bringen.
Christa: Auch dies war unser Zugang und der spiegelt sich in unseren Veranstaltungen wider.
Beate: Was ich wichtig finde, ist herauszustellen, daß die Veranstaltungen den biographischen Zugang der Ausstellung wieder aufgreifen. Wir haben Gertrud Müller und Ceija Stoika eingeladen, beides Überlebende, die uns von ihrer Geschichte erzählen werden. Und daß die letzte Veranstaltung, in der es um Gedenken und um Herangehensweisen geht, sich auf unsere Biographien bezieht, auf unsere Geschichte der Auseinandersetzung, der Annäherung und der Unfähigkeit, mit der Geschichte umzugehen. (...) Es sind also keine reinen Informationsveranstaltungen, sondern immer auch eine Widerspiegelungen unseres Zugangs. Das gilt auch für die Filme. Anhand einer Biographie einer Frau wird Geschichte erklärt.

enough is enough: Die Veranstaltungsreihe folgt also einer Linie. Soll die letzte Veranstaltung auch auf das Handeln hinführen ?

Beate: Ja, es ist keine theoretische Auseinandersetzung, sondern die letzte Veranstaltung stellt die Frage: Wie bringen wir das in unser Leben?

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