Deutsche Traditionspflege - NS-Opfer ohne Entschädigung

Im bayrischen Mittenwald, dem Stationierungsort der Gebirgsjägerdivision Edelweiß, werden am diesjährigen Pfingstwochenende Angehörige der faschistischen deutschen Wehrmacht aus ganz Deutschland und Österreich gemeinsam mit Bundeswehrsoldaten ihre vergangenen und aktuellen Fronterlebnisse feierlich begehen.

Wie in den vergangenen Jahren werden unter Beteiligung der örtlichen Bevölkerung bis zu 5000 ehemalige und aktive Gebirgsjäger zur größten deutschen Soldatenfeier am Ehrenmal "Hoher Brendten" auf einem Gelände der Bundeswehr erwartet.

Die Soldaten der Gebirgsjäger-Einheiten beschwören eine militaristische Tradition von den kaiserlichen Truppen des ersten Weltkriegs über die NS-Wehrmacht bis zur heutigen Bundeswehr. Als "unangreifbare Traditionspflege" bezeichnete der bayrische Ministerpräsident Stoiber, der selber in einer Gebirgsjägereinheit seinen BW-Dienst versah, diese Glorifizierung von Kriegsverbrechen. Stolz ist man bei den alten Kameraden auch darauf, dass heutige Gebirgsjägereinheiten der Bundeswehr zu den SFOR und KFOR Truppen gehören und dort stationiert sind, wo im 2. Weltkrieg die Wehrmacht wütete. Unter den feiernden Wehrmachtssoldaten von einst werden wieder viele sein, die an der Ermordung von ZivilistInnen in den von deutschen Truppen besetzten Ländern oder an der Deportation von Jüdinnen und Juden in die Vernichtungslager beteiligt waren.

Im Zuge der terroristischen Besatzungspolitik NS-Deutschlands ermordeten Gebirgsjäger-Einheiten während des 2. Weltkriegs über 1.000 griechische ZivilistInnen und zerstörten hunderte von Dörfern. Im nordgriechischen Ort Kommeno ermordeten Soldaten einer Gebirgsjäger-Einheit im Jahr 1943 insgesamt 317 Menschen. Die Gebirgsjäger begingen Massaker, wo immer sie eingesetzt wurden, so u.a. in Frankreich, Jugoslawien, Polen und der Sowjetunion. Im September 1943 beteiligten sich Soldaten der 1. Gebirgsdivision an der Erschießung von ca. 4.000 italienischen Kriegsgefangenen auf der griechischen Insel Kephalonia.

Bis heute werden diese Massaker geleugnet oder zu Vergeltungsaktionen aufgrund von Partisanenangriffen umgedeutet. Keiner der Mörder von damals wurde je von einem deutschen Gericht wegen seiner Verbrechen verurteilt. Daher können sie auch unbedenklich öffentlich auftreten, ohne eine Verhaftung befürchten zu müssen.

Im vergangenen Jahr wurden die alten und jungen Kameraden erstmals während der Gedenkfeiern mit der mörderischen Geschichte der Gebirgsjäger konfrontiert, als AntifaschistInnen am Kameradschaftstreffen in Mittenwald teilnehmen wollten, um auf die Verbrechen dieser Truppen und ihre Opfer aufmerksam zu machen. Dieses Jahr ist das Ziel, mit noch mehr Menschen zum Pfingstreffen der Gebirgsjäger am 7. und 8.6.03 in Mittenwald zu fahren, um deren Traditionspflege öffentlich entgegenzutreten. Es werden verschiedene Aktionen und eine Demonstration gegen die Feiern stattfinden.

Pfingsten 2003 - Gegen die Traditionspflege der Gebirgsjäger

Öffentliches Hearing zu den Kriegsverbrechen der deutschen Gebirgsjäger, zum Traditionsverständnis der Bundeswehr, zu den Entschädigungsforderungen der Opfer und zur Nichtverfolgung der Täter

Referenten u.a.: Argyris Sfountouris (Überlebender des Distomo-Massakers, Athen), Aristomenis Sigelakis (Nationalrat, Athen) Ludwig Baumann (Wehrmachtsdeserteur, Hamburg); Prof. Schminck-Gustavus (Historiker, Bremen), Prof. Dr. Ludwig Elm (Jena), Peter Gingold (VVN-BdA u. Auschwitz-Komitee)

Sonnabend, 7.6.03, 10.00 - 17.00 Uhr in Mittenwald

Demonstration gegen das Pfingstreffen

Sonnabend, 7.6.03, 18.00 Uhr in Mittenwald

Mahnwache und weitere Aktivitäten

Sonntag, 8.6.03, ab 9.00 Uhr in Mittenwald

Entschädigung für NS-Opfer

Während die Mörder von einst strafrechtlich nicht verfolgt wurden und von staatlichen Renten leben, erhalten die meisten ihrer Opfer bis heute keine Entschädigung. Auch den Überlebenden der u.a. von Gebirgsjägertruppen begangenen Massaker und ihren Angehörigen wurde von der Bundesrepublik jede Entschädigung verweigert. Für die Bundesregierung ist das Thema Entschädigung erledigt. Deren Wunschvorstellung ist es, nach Abschluß des Projekts "NS-Zwangsarbeiterentschädigung", zum letzten Mal für die deutschen Verbrechen während des Nationalsozialismus gezahlt zu haben.

Diese Haltung konnte durch den Kampf der griechischen Opferverbände zeitweilig durchkreuzt werden. Im April 2000 entschied der Areopag, das höchste Gericht Griechenlands, dass die Bundesrepublik Deutschland den Opfern des SS- Massakers vom 10.6.1944 in der griechischen Ortschaft Distomo und deren Hinterbliebenen Entschädigung in Höhe von ca. 28 Mio. Euro zu zahlen habe. Die Bundesrepublik weigerte sich dennoch den Opfern Entschädigung zu zahlen. Klägeranwalt Ionnis Stamoulis ließ deshalb sogar das Goethe-Institut in Athen pfänden.

Mit juristischen Finten und massivem politischem Druck auf die griechische Regierung konnte die Bundesregierung aber eine Zwangsversteigerung deutscher Liegenschaften abwenden. Die jüngsten Gerichtsentscheidungen der Obergerichte in Griechenland folgten der deutschen Auffassung, dass Einzelklagen von Opfern vor griechischen Gerichten nicht zulässig seien und Deutschland durch den Grundsatz der Staatenimmunität geschützt werde. Leider entschied auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Strasbourg zuletzt gegen die Opfer und wies eine Klage gegen Deutschland und Griechenland ab, mittels derer die Zwangsvollstreckung gegen deutsche Liegenschaften in Griechenland doch noch ermöglicht werden sollte. Noch sind aber nicht alle juristischen Möglichkeiten ausgeschöpft.

Nunmehr wird der Fall von Argyris Sfountouris, Überlebender des Massakers von Distomo, der nächste Prüfstein sein, ob Deutschland auf juristischem Wege zur Zahlung von Entschädigung gezwungen werden kann. Am 12. Juni diesen Jahres wird der Bundesgerichtshof in seiner Sache öffentlich verhandeln. In den ersten beiden Instanzen waren die Klagen von Sfontouris und seinen Schwestern abgewiesen worden. Wir werden diesen Prozess begleiten und möchten möglichst viele Menschen aufrufen, mit uns zur BGH- Verhandlung nach Karlsruhe zu fahren.