Berlin bleibt bei SS-Opfern hart

von Ursula Knapp, Frankfurter Rundschau 13.06.2003

Bundesregierung lehnt Schadenersatz für Griechen ab

Die Bundesregierung hat am Donnerstag den Opfern des SS-Massakers in dem griechischen Bergdorf Distomo ihr Bedauern ausgesprochen. Dennoch haben diese aus Sicht der Regierung keinen Anspruch auf individuelle Schadenersatzzahlungen. Der Anwalt der Opfer widersprach dem in seinem Plädoyer vor dem Bundesgerichtshof.

KARLSRUHE, 12. Juni. Der Bundesgerichtshof (BGH) verhandelte am Donnerstag in Karlsruhe über die Klage von vier Geschwistern, die bei dem Massenmord der SS am 10. Juni 1944 in Distomo ihre Eltern und Verwandten verloren hatten. Nach einem Partisanenangriff im Nachbarort hatte die SS dort Kinder, Frauen und Alte zusammengetrieben. Sie tötete 218 Menschen. Im Namen der Bundesregierung erklärte der Rechtsanwalt Achim Krämer jetzt, die Regierung "bedauert die große Zahl von Schäden an Leben, Gesundheit, Freiheit und Vermögen zutiefst".

Vor acht Jahren hatten die Hinterbliebenen die Bundesrepublik als Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches auf Schadenersatz verklagt. Das Oberlandesgericht Köln wies sie 1998 ab, da nach internationalem Völkerrecht nur die Staaten Reparationsleistungen aushandeln könnten. Einen individuellen Schadenersatzanspruch der Opfer gebe es nicht. Gegen das Urteil legten die vier Kläger Revision ein.

Dass es sich bei der so genannten Sühneaktion vom 10. Juni 1944 um ein völkerrechtswidriges Unrecht handelte, war am Donnerstag unstreitig. Krämer führte in seiner Erklärung aus, dass "Distomo für ein besonders brutales, aber leider nicht einmaliges Vorgehen deutscher Soldaten im Zweiten Weltkrieg" stehe. Individuelle Ansprüche der Opfer könne es dennoch nicht geben, da Verstöße gegen die seit 1907 geltende Haager Landkriegsordnung - sie verlangt, dass Besatzer Leib und Leben der Zivilbevölkerung schonen müssen - nur Ansprüche der Staaten untereinander begründeten. Das sei nach dem Krieg einhellige Völkerrechtslehre gewesen, sagte der Anwalt der Bundesregierung.

Zwar gebe es in jüngerer Zeit andere Meinungen, eine neue Völkerrechtspraxis gebe es aber nicht. Auch das deutsche Amtshaftungsrecht begründe keine Ansprüche der Opfer. Denn rechtswidriges Handeln im Rahmen kriegerischer Auseinandersetzungen sei von der Amtshaftung ausgeschlossen.

Der Rechtsanwalt der Opfer, Joachim Kummer, widersprach. Es sei ein "unerträglicher Widerspruch", dass den Opfern nachweislich schwerstes Unrecht widerfahren sei, es aber keine Grundlage für ihre Forderungen geben solle. Dem sei auch nicht so. Nach neuerer Rechtsmeinung bestehe bei Völkerrechtsverletzungen auch ein individueller Schadenersatzanspruch.

Unabhängig davon seien nach deutschem Recht Ansprüche wegen Verletzung der Amtspflicht nicht ausgeschlossen, sagte Kummer. Denn es habe keine Kriegshandlung vorgelegen. Der Partisanenangriff sei bereits abgeschlossen gewesen, als Distomo abgebrannt wurde.

Das Urteil wird voraussichtlich in zwei Wochen gesprochen.