„Soldatische Tradition als gesellschaftsformende Kraft“

„Kämpfen wo andere aufgeben! Das bayrische Mittenwald hat etwas ganz besonderes. Hier gibt`s nicht nur glückliche Kühe, sondern auch eine der härtesten Ausbildungsstätten der Bundeswehr: die Gebirgs- und Winterkampfschule“, Homepage Deutsches Heer, Herreskommando II, Köln März 2005

Bis zur Epochenwende 1989/90 blieb die von einer Vielzahl reaktionärer wie nationalsozialistischer Generäle seit den frühen 50er Jahren aufgebaute Bundeswehr eine Art Skandalarmee. Die Bevölkerung hatte also jeden Grund für ihre Vorbehalte. Immer mal wieder mussten hochrangige Offiziere und Generäle wegen dem Bekanntwerden rechtextremistischen Gedankengutes oder aufgrund zu enger Kooperation mit bekannten Neonazis aus dem Verkehr gezogen werden. Andere schlossen sich flugs nach ihrer Pensionierung rechtsextremistischen Zirkeln und Organisationen an. Auf der anderen Seite konnte die Nazi-Wehrmacht auch deshalb nur ein bedingtes Vorbild für die Bundeswehr abgeben, da jene in ziemlich umfassender wie überzeugender Weise von den Streitkräften der Anti-Hitler-Koalition zertrümmert worden war. Auch das begünstigte gewisse reformerische Impulse, die in den Aufbau, die Praxis und Geschichte der Bundeswehr einflossen. Glaubt man einem Militärforscher vom Hamburger Institut für Sozialforschung und späteren Kosovo-Kriegsbefürworter, kam „die späte Probe auf die reformerische Gründungsidee“ erst im Verlaufe der 90er Jahre „nach der deutschen Vereinigung, Auslandseinsätzen, Truppenintegration, NVA-Auflösung und dem veränderten Verteidigungskonzept auf die Bundeswehr zu.“

Mit dem euphemistisch eingeführten Begriff eines „veränderten Verteidigungskonzeptes“ könnte jener Forscher auf die Ende November 1992 von der Kohl-Regierung verabschiedeten neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien angespielt haben. Mit diesen hörte die alte Bundesheimwehr der BRD spätestens auf zu existieren. Darin wurde als Auftrag für die Streitkräfte dieses Landes u.a. die „Vorbeugung, Eindämmung und Beendigung von Krisen und Konflikten, die Deutschlands Unversehrtheit und Stabilität beeinträchtigen können“ sowie die „Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zuganges zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt“ definiert. Das wusste Ende Juli 1993 ein Autor in der Hamburger Wochenzeitung ZEIT noch mit der Bemerkung zu kommentieren, dass man so etwas „früher als ein lupenreines imperialistisches Programm bezeichnet“ hätte. Doch von wo sollen sich die nun politisch-strategisch neu aufgestellten Bundeswehrsoldaten die dazu notwendigen imperialistischen Mentalitäten abmerken? Der Bundeswehr-Generalinspekteur Klaus Naumann wusste schon früh Rat auf diese nicht ganz einfache Frage. Und so ließ er anlässlich seiner Teilnahme am Pfingsttreffen 1992 der Wehrmachts- und Bundeswehrgebirgsjäger in Mittenwald nicht den geringsten Zweifel daran, dass die Wehrmacht im Grunde nur „missbraucht“ worden sei, gleichwohl für „Bewährung in äußerster Not, für Erinnerung an und Verehrung von vorbildlichen Vorgesetzten, für Kameraden und Opfertod“ stehe, kurz: Für „jene vorzügliche Truppe, die unvorstellbares im Kriege zu leisten und zu erleiden hatte.“ (Die Gebirgstruppe Heft 4/August 1992)

Die nachfolgende zusammengestellten Pressetexte von der Mitte der 90er Jahre bis heute werfen ein paar Blitzlichter auf die in dieser Dekade angestoßene Entwicklung. Sie illustrieren, wie die Bundes-Wehrmacht und hier in besonderer Weise die Gebirgsjäger aus Mittenwald ganz praktisch out-of-area kampf- und kriegsfähig gemacht worden sind. Dabei ergibt sich eine ganz eigentümliche Melange: Sie führt uns zu Gebirgsjäger-Einsätzen in Gebieten des ehemaligen Jugoslawien bis hin nach Kabul. Diese Einheiten, die so zäh an dem Wehrmachtsgedenken festhalten, dürfen sich zwischenzeitlich rühmen, fast immer zu den ersten Einsatzverbänden zu zählen, die seitens der Bundesregierung bei neuen Kriegseinätzen ins Spiel gebracht werden. Und im Schatten ihrer mörderischen Vergangenheit gibt es auch immer mal wieder - wie es der Zufall will - sogenannte Rechtsextremismusskandale.

Berliner Zeitung vom 25.10.1995

Bonn bietet NATO 4 000 Soldaten für Bosnien an / Einsatz soll auf ein Jahr beschränkt bleiben

Bis zu 4 000 deutsche Soldaten werden sich in den nächsten Wochen auf die Beteiligung an der internationalen Friedenstruppe für Bosnien-Herzegowina vorbereiten. Ein entsprechendes Angebot an den NATO-Oberkommandierenden für Europa beschloß die Bundesregierung gestern in Bonn. Das Kontingent soll sich aus den bereits im Bosnien-Konflikt eingesetzten Sanitätern sowie Marine- und Luftwaffeneinheiten zusammensetzen. Hinzu kommen sollen Stabsoffiziere, Sanitätshubschrauber, Transport- und Pioniereinheiten sowie Fallschirm- und Gebirgsjäger. Die deutschen Soldaten sollen praktisch die gesamte Versorgung der übrigen Friedenstruppe mit Sanitätsdienstleistungen sowie mit Nachschub übernehmen. Sie werden zwar zeitlich begrenzt auch in Bosnien eingesetzt, aber dort nicht stationiert, sondern voraussichtlich von Kroatien aus operieren.

Dietmar Seher in der Berliner Zeitung vom 29.10.1995

Ein ungewöhnlicher Friede / Bundeswehr unterstützt britische Soldaten

(...) In einer kurzen Kabinettssitzung hat die Bundesregierung den bisher größten Auslandseinsatz der Bundeswehr beschlossen - mehr als 4 000 Mann werden vom 20. Dezember an auf dem Balkan Dienst tun. Sie sichern im NATO-Auftrag den Friedensvertrag von Dayton.

Es wird ernst: Im Lagezentrum auf der Hardthöhe hängen die Balkan-Karten. 45 Zehntonner-Lkw üben auf bayerischem Terrain für den Wintereinsatz. (...) Schon Ende nächster Woche - direkt nach dem geplanten Parlamentsbeschluß und noch vor einer Abstimmung im UN-Sicherheitsrat - werden 180 deutsche Militärs nach Sarajevo aufbrechen. Dort wird das NATO-Hauptquartier aufgebaut, von dem aus die Friedensoperation überwacht wird. (...) „Normalerweise gehen Soldaten, wenn der Friede da ist. Hier kommen sie. Ein ungewöhnlicher Friede“, sagt Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU), der gleichzeitig überzeugt ist, daß nicht alles friedlich abgeht. So gelten für die Bundeswehr ungewöhnliche Regeln: Deutsche Einheiten dienen nur der Unterstützung der britischen Streitkräfte, die westlich Sarajevos stationiert sind. Sie unterhalten das um 40 Betten erweiterte große Feldhospital in Split, bergen Verwundete, befördern Material und bauen Straßen. Sie können bosnischen Boden betreten und werden dabei auch von schwerbewaffneten Fallschirmtruppen aus Mittenwald geschützt. Sie ziehen sich aber immer wieder nach Kroatien zurück. Das passiert mit Rücksicht auf die Geschichte: Die Greuel der Wehrmacht auf dem Balkan sind der Bevölkerung gegenwärtig. (...)

Die Gebirgstruppe Heft 8 / 1995

Unmittelbar nach der zunächst schweigend erduldeten Umbenennung der NS-General-Kübler-Kaserne in Mittenwald meldeten sich die Gebirgsjägerkameraden in ihrem Mitteilungsblatt mit einem Kommentar zu Wort. Darin versprachen sie auch weiterhin „kompromisslos für die Ehre der Soldaten der Wehrmacht und der Bundeswehr eintreten“ und allen Versuchen widerstehen zu wollen, die Bundeswehr von der „bewährten stolzen Tradition deutschen Soldatentums abzukoppeln“, damit das „Dienen (wieder) den Stellenwert in Staat und Gesellschaft (erhalte), ohne den ein gesundes Volk auf Dauer nicht leben kann!“ Im Verhältnis zur Wehrmacht, der man „verbrecherische Tendenzen nachlog“, wollten die Gebirgsjäger „Kontinuität“ zurückgewinnen, denn „wie fruchtbar könnte gerade soldatische Tradition als gesellschaftsformende Kraft wirken!“ Schließlich werde „ein gesünderes Verhältnis zur Tradition, zu dem was war, wi (...) zur Überlebensfrage. Wer nicht weiß, woher er kommt, wird die Zukunft nicht gewinnen können.“

Berliner Zeitung vom 28.12.1995

Soldaten sollen Geiseln befreien

Bundeswehr bildet Spezialtruppe für Anti-Terror-Einsätze im Ausland / Sollstärke: 1 000 Mann .

Die Bundeswehr wird im kommenden Jahr eine Anti-Terror-Einheit aufstellen. (...) Bundesverteidigungsminister Rühe hat angeordnet, eine Spezialtruppe des Heeres aufzustellen, die zu solchen Kommando-Unternehmen ins Ausland geschickt werden kann. Rühes Befehl ist zum 1. Januar 1996 ergangen. Hervorgehen soll die Anti-Terror-Einheit aus der Luftlandebrigade 25 im baden-württembergischen Calw; vorgesehen sind vier Einsatzkommandos mit zusammen rund 1000 Mann, darunter Fallschirmjäger und Gebirgsjäger mit Scharfschützenausbildung, Fernspäher und Fernmeldespezialisten. Die Mitglieder dieser Einheiten werden grundsätzlich Zeitsoldaten sein. Ihre Ausbildung soll jener der GSG 9 des Bundesgrenzschutzes ähnlich sein. Die Truppe kann je nach Bedarf den Krisenreaktionskräften, der Landes- oder der Bündnisverteidigung zugeordnet werden. (...) Die Einheiten werden ständig einsatzbereit sein, und ihr Kern kann je nach Auftragslage durch speziell ausgerüstete Heeresflieger oder luftbewegliche Kampftruppen verstärkt werden. Heeresinspekteur Hartmut Bagger unterstrich in Bonn den „rein militärischen Auftrag“ der Kommandos.

Berliner Zeitung vom 24.10.1997

Soldaten filmten sich beim „Hitler“-Gruß in der Kaserne / Neue Videos dokumentieren rechtsradikale Äußerungen von Bundeswehrangehörigen

(...) Drei Monate nach der Affäre von Hammelburg sind bei der Bundeswehr erneut skandalöse Videofilme aufgetaucht. Die Filme von 1994/95 enthalten rechtsextremistische Äußerungen von Soldaten. Eine ausführliche Reportage soll am nächsten Dienstag in der Sat-1-Sendung „Akte 97“ gesendet werden. Die Bänder - im Original mehr als fünf Stunden lang - zeigen den Alltag des (von Offizieren aus Mittenwald auf gebauten) Gebirgsjägerbataillons 571 aus Schneeberg bei Zwickau in Sachsen: Exerzieren, Sprengübungen, Busfahrten, Sauforgien und Geburtstagsfeiern in den Mannschaftsräumen oder im Klubzimmer der Schneeberger Kaserne. Der Ton ist rauh, pubertär und häufig rechtsradikal. „Linke Sau“ oder „Zecke“ tönt es da. Ein Wehrpflichtiger wird von seinen Kameraden im Beisein eines Vorgesetzten als „Jude“ und „Dämon der Menschheit“ bezeichnet. Der Sprecher fügt hinzu: „Wie war das mit den sechs Millionen damals? Alles Lüge!“ Ein Soldat wird spielerisch gegen den Spind geknallt und verprügelt, kurz darauf ruft jemand: „Das macht man mit Zecken!“ In einer anderen Szene wirft ein Soldat US-Modellflugzeuge an die Wand und redet von „alliierten Luftgangstern, die Deutschland vernichten“ wollten.

Während die Gebirgsjäger sich mit derartigen „Späßen“ die Zeit vertreiben, in der Regel mit heftigem Alkoholkonsum verbunden, läuft im Hintergrund deutlich hörbar Musik rechtsextremer Bands und Sänger zum Beispiel der Skinheadgruppen „Doitsche Patrioten“ und „Skrewdriver“. Beliebt sind vor allem Balladen des ehemaligen Mitglieds der Wiking-Jugend Frank Rennicke; Refrain eines Liedes: „Ewiges Deutschland Heiliges Reich“. Der Hauptfeldwebel Hans-Ulrich Z. trägt in einer Szene ein T-Shirt mit dem Bild des rechten Rock-Idols Ian Stuart und singt dabei inbrünstig rechtes Liedgut extra für die Kamera. Einer seiner Untergebenen, den er offenbar besonders schätzt, begrüßt ihn mit dem „Kühnen-Gruß“; Z. sagt: „Die Wiking-Jugend bekommt dir gut.“ Gegen den Offizier wird bereits wegen anderer Delikte disziplinarisch ermittelt; die Dienstausübung wurde ihm verboten.

Ein weiterer Vorgesetzter, Leutnant Andreas R., agiert in Szenen, die bei einem Aufenthalt des Schneeberger Bataillons im Keller der Kaserne Eggesin (Mecklenburg-Vorpommern) gedreht wurden. Ein Soldat salutiert vor ihm und zeigt dabei den Hitler-Gruß, ohne daß R. dies erkennbar rügt. In derselben Szene sind Parolen gegen Ausländer und der Satz zu hören: „Hier sehen Sie einen kroatischen Kämpfer des Ustascha-Regimes“. Ustascha hieß die kroatische faschistische Miliz während des Zweiten Weltkriegs. Die Soldaten spielen Häuserkampf in Bosnien, einer ruft: „Scheiß-Serben, wir werden sie alle kriegen“. Doch Leutnant R., seit gestern vom Dienst suspendiert, schreitet nie ein. Es griff offenbar auch kein Vorgesetzter ein, als ein Soldat in der Kaserne ein T-Shirt trug mit der Aufschrift: „Rudolf Heß lebt“.

dpa-Meldung vom 10. November 1997

Freising. (...) Die jüngsten Fälle von Rechtsextremismus in den deutschen Streitkräften (Bundeswehr) sind nach Ansicht katholischer Militärseelsorger auch eine Folge der Auslandseinsätze der Truppe. Der Ernstfall ändere das Selbstverständnis der Soldaten, sagte der Chef des Grundsatzreferats im Katholischen Militärbischofsamt, Harald Oberhem, in einem dpa-Gespräch am Montag. Im Auslandseinsatz frage ein Soldat nicht, wie sein Vater in der Bundeswehr diente, sondern was sein Großvater in der Wehrmacht des Dritten Reichs gemacht habe. Da geht es dann um deutsche Soldaten im Krieg bis zum Nachsingen von Wehrmachtsliedern, die in der Bundeswehr bisher keine Rolle spielten.

Ingo Preissler in der Berliner Zeitung vom 18.12.1997

Gemütliche Erzgebirgler und ein paar rechte Idioten

(...). Steve Peter freut sich auf die kommenden Wochen. Der Gefreite aus dem thüringischen Oberhof ging im Mai für vier Jahre auf eigenen Wunsch zu den Gebirgsjägern der Bundeswehr nach Schneeberg im Erzgebirge. Und jetzt gehört er zu einem 20köpfigen Sicherungszug, der ab Mitte Januar eine Funkstation der Bosnien-Friedenstruppe Sfor bei Sarajevo bewachen wird. Der 20jährige gelernte Metzger hat das Abenteuer gefunden, das er bei der Bundeswehr suchte.

Eine solche Abordnung nach Sarajevo stellt etwas Besonderes dar, selbst in einer Profi- und Spezialisteneinheit, die als Teil der „Nato-Feuerwehr“ für schnelle Einsätze in Krisengebieten vorgesehen ist. Bosnien wird für Steve Peter und die anderen Schneeberger aber auch eine Chance sein, der ungewohnten Aufmerksamkeit der letzten Monate zu entfliehen. Im Juli dieses Jahres waren Videos an die Öffentlichkeit gelangt, auf denen Schneeberger Soldaten 1996 während ihrer Vorbereitung auf einen Bosnien-Einsatz im unterfränkischen Hammelburg Vergewaltigungs-, Hinrichtungs- und Folterszenen nachgestellt hatten. (...)

Die bundeswehrinternen Untersuchungen und die Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft hatten eben begonnen, als weitere Videos mit eindeutig rechtsextremistischem Hintergrund die Blicke auf das Gebirgsjägerbataillon 571 richteten: Soldaten zeigen den Hitler-Gruß, ohne daß Vorgesetzte einschreiten, CDs rechter Bands tönen bei Saufgelagen im Hintergrund. Alles Einzeltäter, lautete die vom Bundesverteidigungsministerium zum damaligen Zeitpunkt verbreitete Theorie. „Niemand geht gegen Rechtsextremisten so radikal vor wie die Bundeswehr“, versicherte Minister Volker Rühe - bis der Vortrag des Rechtsterroristen Manfred Roeder an der Führungsakademie der Bundeswehr publik wurde. (...) (Rühes) anderthalbstündiger Truppenbesuch bei den in die Schlagzeilen geratenen Gebirgsjägern gerät zu einer gut inszenierten Mischung aus kamerawirksamen Actionszenen und Small talk mit Offizieren und Soldaten. (...) Für die im Sommer bekannt gewordenen „Ereignisse“ seien (so Rühe) einige „Idioten“ verantwortlich, alle anderen 750 Soldaten der Einheit hätten einen Anspruch darauf, daß sie nicht damit identifiziert würden, sondern mit der „sehr guten Arbeit“, die in Schneeberg geleistet werde. (...) Der Soldat Steve Peter ist seit einem halben Jahr „Erzgebirgler“. Er war gerade drei Wochen zum Lehrgang der Gebirgsjäger im bayerischen Mittenwald. Dort gab es einen langen Streit um die Benennung der Gebirgsjäger-Kaserne nach dem Hitler-Anhänger General Dietl. Erst vor kurzem wurde dessen Name vom Kasernentor getilgt. Der Schneeberger Gefreite Steve Peter hat davon nichts gehört.

Torsten Krauel in Die Welt vom 15.6.1999

Die Bundeswehr als Befreierin

Zum ersten Mal seit Mai 1945 haben deutsche Soldaten im Ausland im Bodenkampf einen Menschen getötet; „Bandenbekämpfung“ hieß im damaligen Heeresbericht, was heute, obgleich Notwehr, Beklommenheit hervorruft. Ein deutscher Journalist, ein Zivilist liegt erschossen auf der Straße, dahinter steht ein Panzer: Bilder als wachwerdende Erinnerung. „Zivilisten feiern Deutsche im Stahlhelm: So bejubelt wie die Bundeswehr auf dem Weg nach Prizren wurde zuletzt die Wehrmacht auf dem Weg nach Pilsen.“ Deutsche Soldaten marschieren im Kosovo ein, lautete der Lauftext eines Nachrichtensenders.

Ingo Preissler in der Berliner Zeitung vom 16.6.1999

BUNDESWEHR / Ein alter Offizier der neuen Schule

Manchmal ist es ein einziger Satz, der deutlich macht, wie stark sich die deutsche Öffentlichkeit in den letzten Jahren verändert hat. Brigadegeneral Helmut Harff, dem als „Nationaler Befehlshaber im Einsatzland“ die Bundeswehreinheiten in und um das Kosovo unterstehen, riet seinen Soldaten, es sei „besser, schneller zur Waffe zu greifen als zu spät“. Kein Aufschrei der Medien folgt, kein Politiker, der auf die Idee käme, Rambo-Manieren der deutschen Soldaten auf historisch vorbelastetem Terrain anzuprangern. Dabei waren es ausgerechnet Gebirgsjäger aus dem sächsischen Schneeberg, die beim Einrücken in Prizren in Notwehr einen Serben erschossen und einen zweiten schwer verletzten. Es ist gerade zwei Jahre her, daß Schneeberg zum Synonym für rechtsradikale Umtriebe in den Kasernen wurde. Harff sagt dagegen jetzt ganz nüchtern und wird auch so verstanden, daß auf seine Leute sicher noch weitere schwierige Situationen bei dem Versuch warten, im Kosovo für sichere Verhältnisse zu sorgen. Das sei der Auftrag. (...)

Die Gebirgstruppe Heft 4 / August 2000

Ansprache von Klaus Reinhard, Gebirgsjäger und Ex-Nato-Kommandeur auf dem Balkan: „Warum waren bei den Auslandseinsätzen des Deutschen Heeres immer wieder Gebirgsjäger dabei? (...) Die Gebirgstruppe der Bundeswehr ist von Männern aufgebaut und geistig ausgerichtet worden, die als Kommandeure als Kompaniechefs und Kompaniefeldwebel die schreckliche Erfahrung des Krieges und der Diktatur am eigenen Leib erlebt und durchlitten haben. Sie haben die Uniform wieder angezogen, um uns, der nachfolgenden Generation, das Koordinatensystem ihrer Werteordnung“ weiterzugeben. Sie haben „uns die zeitlosen militärischen Werte wie Pflicht, Treue, Tapferkeit und Kameradschaft vorgelebt. (…) Diese Männer waren unsere Vorbilder, und sie repräsentieren eine ganze Generation von Wehrmachtssoldaten. Sie verdienen unseren Respekt. (...) Bei der Pflege dieser Tradition und ihrer Weitergabe an die nächste Generation hat der Kameradenkreis der Gebirgstruppe sein ganz besonderes Verdienst“.

 Holger Schmale in der Berliner Zeitung vom 5.10.2001

Amerikanische Zurückweisung

(...) Da hat die Nato nun in eifriger Solidarität den Amerikanern schon am Tage nach den Terroranschlägen die umgehende Ausrufung des Bündnisfalles angeboten. Es folgten drei Wochen ungeduldigen Wartens - und nun die bescheidene Liste aus Washington. In Deutschland entwickelte sich unterdessen eine schicksalsschwere Debatte über dieEinsatzfähigkeiten und Möglichkeiten der Bundeswehr. Große Zeitungen präsentierten Planspiele, in denen Gebirgsjäger und KSK-Sondereinheiten Seite an Seite mit amerikanischen Elitesoldaten den Chefterroristen Osama Bin Laden in seinem afghanischen Versteck aufspüren. Verteidigungsminister

Rudolf Scharping erging sich in mehr oder weniger konkreten Andeutungen über all jene militärischen Fähigkeiten, welche Bundeswehrsoldaten im Falle der Anforderung durch die USA entwickeln könnten - „weit mehr als manche denken“. (...)

Wäre nicht die aktive Beteiligung der Bundeswehr an einem internationalen Kampfeinsatz gegen den Terrorismus fern der Heimat der letzte, der entscheidende Schritt auf dem Weg zur Anerkennung Deutschlands als gleichberechtigter, uneingeschränkter Mitspieler auf der Bühne der Weltpolitik? Rührt aus dem „Nein danke“ der USA eine gewisse Enttäuschung über die entgangene , wenn auch risikoreiche Gelegenheit?“

Gerold Büchner u.a. in der Berliner Zeitung vom 8.11.2001

Eine Sache von Angebot und Nachfrage

USA UND DEUTSCHLAND - Die Bundesregierung will 3 900 deutsche Soldaten bereitstellen - auf Anforderung der Amerikaner, heißt es. Das jedoch mag man in Washington nicht bestätigen. (...)

Scharping (...) (erläuterte) den militärischen Beitrag Deutschlands zum Unternehmen Operation „Dauerhafte Freiheit. (...) (Dabei) bekräftigte er, dass sich Berlin durch die Bereitstellung von 3 900 Bundeswehr-Soldaten nebst umfangreichen Waffen Mitsprache bei der weiteren Kriegsführung erhofft: Der Einfluss der Bundesrepublik auf den Gesamtverlauf der Operation sei „unmittelbar verbunden“ mit einer Teilnahme an dieser Operation.

(...) Die Regierung und allen voran Kanzler Gerhard Schröder befürchtete, Deutschland werde international in die dritte Liga absteigen, wenn es keinen größeren Militärbeitrag leiste als ein paar Dutzend Awacs-Soldaten. Mit 3 900 Mann liegt die Bundeswehr nun in der Entsende-Tabelle gleich hinter Großbritannien auf dem zweiten Platz, weit vor Kanada, Australien und Italien. (...)

Besonderen Wert habe Washington auf Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) gelegt, bestätigte eine regierungsnahe Quelle. Auf konventionelle Bodentruppen sei wegen deutscher Widerstände verzichtet worden. Tatsächlich hatte nach Informationen dieser Zeitung das Bundesverteidigungsministerium anfangs auch Bodentruppen wie etwa Gebirgsjäger anbieten wollen. Dem aber wurde aus Kanzleramt und Außenministerium widersprochen. (...).

Willi Germund in der Berliner Zeitung vom 10.2.2003

Kommando über eine zerstörte Stadt

Deutschland übernimmt gemeinsam mit den Niederlanden die Führung der Afghanistan-Schutztruppe. Die Lage in Kabul ist sehr angespannt (...). Der baumlange General Abdul Gunduz Omed hat sich auf einem breiten Sessel vor seinem Schreibtisch aufgebaut und hält eine Rede: „Wir haben so viel Munition aus Kriegszeiten in unserem Stadtteil. Aber alle diese Organisationen fahren nur in teuren Autos herum und verschwenden Geld.“ Der General ist für Kabuls Stadtviertel Khartah-e-Seh verantwortlich. 39 000 Menschen leben in seinem Revier zwischen den völlig zerschossenen Ruinen. Omed lässt Tee und ein paar Bonbons servieren und erklärt zu den Zerstörungen: „Das waren Taliban und El Kaida.“ Märchenstunde im Polizeiquartier von Khartah-e-Seh: Das Stadtviertel wurde in der ersten Hälfte der 90er-Jahre bei monatelangen Schießereien zwischen der tadschikischen Nordallianz, zu der Omed gehört, und Hezb-i-Wahdat, einer bewaffneten Gruppe der Hazara-Minderheit, in Grund und Boden geschossen. Nach der Vertreibung der Talibanmilizen gehören beide Organisationen zu den Siegern, Geschichtsklitterung ist angesagt, wo es nur geht. Omeds Gast, der deutsche Oberfeldwebel Mike Klausmann, nickt höflich. Der 27-jährige Gebirgsjäger kennt die wahre Geschichte Kabuls kaum. Während der vergangenen sechs Monate haben türkische Truppen, die am heutigen Montag das Oberkommando der Internationalen Sicherheitstruppe (Isaf) an die Bundeswehr übergeben, auf dem einstigen Schlachtfeld patrouilliert. Nun ist Khartah-e-Seh das Revier von Klausmann und seinen zehn Gebirgsjägern aus Mittenwald. (...)

Der deutsche Oberfeldwebel Klausmann (...) wäre an diesem regnerischen Vormittag froh, wenn er wie geplant auf Streife gehen und sich der gastfreundlichen Fürsorge des afghanischen Polizeigenerals Omed entziehen könnte. Aber erst muss er die nagelneue, dunkelblaue Wolga-Limousine bewundern, die auf dem Hof parkt. „Stückpreis 13 000 US-Dollar“, verkündet General Omed stolz.

Dann endlich ist es so weit. Der deutsche Oberfeldwebel gibt seinen zehn Soldaten den Befehl, wieder auf die Fahrzeuge zu klettern. Sie haben ein Maschinengewehr dabei, an den Gürteln baumeln Handgranaten und ein paar Nebelkerzen liegen griffbereit in Reichweite. Links oben auf der Brust der Soldaten glänzen kleine silberne Sprechfunkgeräte auf den grünen Kampfanzügen. „Die haben wir uns für 25 Euro selber gekauft“, sagt Klausmann, „damit brauchen wir uns zum Kommunizieren nicht immer zu unseren Kameraden umzudrehen.“ Ein Zeichen für mangelnde Ausrüstung der Bundeswehr in Kabul, deren Mannstärke wegen der Isaf-Kommandoübergabe von 1 200 auf knapp 2 500 erhöht wird? Klausmann winkt ebenso ab wie sein Chef. Brigadegeneral Werner Freers sitzt im ersten Stock von Camp Warehouse, dem Hauptquartier der Bundeswehr am Stadtrand von Kabul. „Ein Soldat ist nie zufrieden“, sagt der 1954 geborene Offizier, der schon im vergangenen Jahr sechs Monate in Kabul stationiert war, „aber wir haben und wir bekommen, was wir brauchen.“ (...)

Pfingsten 2004 Hoher Brendten

Während der Gebirgsjäger-Pfingstfeierlichkeiten 04 sprach der evangelische Militärgeistliche Wolfgang Scheel in epischer Breite von „einem der schwärzesten Tage der deutschen Militärgeschichte“. Damit meinte er nicht etwa die Massaker von Kephallonia, Kommeno oder Lyngiades, sondern den Tod von vier Bundeswehr-Gebirgsjägern am Pfingstsamstag 2003 in Kabul. Und bei seinem Gedenken an „alle Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“ nannte er die NS-Herrschaft in einem Atemzug mit „kommunistischer und islamistischer Gewaltherrschaft und Diktatur“. Seine Predigt endete mit dem Ausruf „Gott segne unsere Bundeswehr!“

Über das Ethos des Kämpfers

Die von alten Gebirgsjägerwehrmachtskameraden schon jahrzehntelang zusammen mit vielen Bundeswehrsoldaten betriebene Traditionspflege musste spätestens zu dem Zeitpunkt ihren Charakter verändern, als es fortan darum gehen sollte, die neue Bundes-Wehmacht in einem direkten Sinne out-of-area interventions- und kriegsfähig zu machen. Von hier aus gewinnt die 1998 von dem Antimilitaristen Tobias Pflüger geäußerte These eine beunruhigende Plausibilität: „Es fehlt nicht nur an einigen Stellen die Distanz zur Wehrmacht, die Distanz ist nicht (mehr) gewollt. Die alte Bundeswehr, offiziell zur Landesverteidigung da, hat geschichtlich gesehen nur den Charakter einer Übergangsarmee gehabt. Die neue Bundeswehr wird kriegsfähig gemacht, dazu knüpft sie bewusst auch an Traditionen der Wehrmacht an.“ Von hier aus erklärt sich auch die eigentlich überraschende gesellschaftliche Schärfe auf die zunächst überzeugend präsentierten Kriegsverbrechen in der Wehrmachtsaustellung Mitte der 90er Jahre, die im Prinzip schon seit den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen gut bekannt waren.

In einer in der zweiten Hälfte der 90er Jahre von einem Oberstleutnant Henning Hars (Führungsakademie der Bundeswehr) erstellten, jedoch unveröffentlichte Studie heißt es diesbezüglich: „Die im engeren Sinne militärischen Leistungen der Soldaten der Wehrmacht gewinnen hier Vorbildcharakter, der auf Verbände, Großverbände und die Wehrmacht in ihrer Gesamtheit ausgedehnt wird. Deren militärhandwerkliche Qualitäten werden als Meßlatte an die eigene soldatische Professionalität angelegt. Die im gültigen Traditionserlaß gemachte Differenzierung, die durchaus zwischen tugendhafter Pflichterfüllung des einzelnen und der Rolle der Wehrmacht als militärischem Instrument des Dritten Reichs unterscheidet, wird durch die Betonung der Gemeinsamkeiten der Kriegsführungsmerkmale überlagert. (...). Der Schritt von unreflektierter Bewunderung der Wehrmacht und ihrer Truppen bis hin zu rechtlich fragwürdigem und politisch extremem Verhalten ist deshalb klein.“

Die neue bundesdeutsche Militärorientierung auf sogenannte unschuldige operative Highlights der deutschen Wehrmacht kann dabei als eine argumentative Kippfigur verstanden werden: Damit wird die Wehrmacht zunächst auf ihre Kampfkraft reduziert, um damit schließlich auch den ganzen Rest (an Tugenden, Ehrvorstellungen, Soldatenbild usw.) für akzeptabel zu halten. Insoweit sich nun die soldatischen Phantasien einem hypostasierten Ernstfall zuwenden, desto augenfälliger wird der schmale Grad zwischen Kameradschaft und Komplizentum.

So ist dann auch den Aussagen Pflügers uneingeschränkt zuzustimmen, dass im Zuge der neuen Kriegsfähigkeitsstrategie der Bundeswehr-Macht zunehmend »Kämpfertypen«“ angezogen werden, die gerade in den Kampftruppen dann „auch die Tradition der Wehrmacht“ aufgreifen. In der bereits zitierten Studie von Hars steht dazu nachzulesen: „Die Kampfmotivation könnte sich rein theoretisch zu einem erheblichen Teil aus der gemeinsamen, erfolgreichen Bewältigung von fordernden Ausbildungs- und Übungsabschnitten entwickeln. Die auffällig gewordenen speziellen Einheiten und Verbände pflegen aber in bewußter Abgrenzung zu anderen Truppen ein Ethos des Kampfes, das sich nur partiell auf eigene Erfolge, sondern in starkem Maße auf die dokumentierten, im engsten Sinne militärischen Leistungen der »Waffengattung« in der Wehrmacht abstützt.“ Wen soll es da wundern, wenn gerade die Fallschirmjäger, Gebirgsjäger, Kampfschwimmer, Grenadiere oder das Kommando Spezialkräfte für nationale Rechte besondere Anziehungspunkte darstellen. Da ist es ein Trost zu wissen, wo Millionen von Wehrmachtssoldaten nach dem 8. Mai 1945, so sie nicht schon in die Grube eingefahren waren, verschwanden: Nach Sibirien oder in sonstige Massengefangenensammelstellen.

Zum Weiterlesen:

Gespräch Klaus Naumann und Tobias Pflüger, Kontinuität Diskontinuität Bundeswehr Wehrmacht, Universität Münster 1998

Kamapgne gegen Wehrpflicht, „ ...tapfer zu verteidigen“ / Gelöbnisse, Geschichtspolitik, Militariserung,

Ulrich Sander, Die Macht im Hintergrund / Militär und Politik in Deutschland von Seeckt bis Struck, Köln 2004