„Soldaten ohne Uniform“

Pfingsten 2004 nahm Jacob Baruch »Jacquot« Szmulewicz, ein ehemaliger jüdischer Partisan in Frankreich, an unseren Protesten in Mittenwald teil.

1924 wird Jacquot in Sincice in Polen geboren. Die Familie Szmulewicz emigriert nach Frankreich und lässt sich im Marais, einem jüdischen Viertel von Paris, nieder. Der Vater, Schneider von Beruf, eröffnet eine jüdische Metzgerei, die er jedoch nicht lange halten kann. Er arbeitet wieder als Zuschneider. Die Kinder wachsen im proletarisch-jüdischen Milieu von Belville auf, Jacquot schließt sich der Jugendorganisation der Jüdischen Sektion in der Kommunistischen Partei Frankreichs (KPF) an. 1941 geht er, inzwischen 17 Jahre alt, nach Lyon. Nach dem Einmarsch der Deutschen in der sogenannten Freien Zone, arbeitet Jacquot als Illegaler für die Jugendorganisation der Francs-Tireurs et Partisans-Main – d’Oeuvre Immigrée (F.T.P.-M.O.I.), der vorwiegend aus Juden bestehenden Immigrantenorganisation der Kommunistischen Partei. 1943 wird er in die bewaffnete Einheit der M.O.I., Liberté, in Grenoble aufgenommen. Anfang 1944 kehrt er nach Lyon zurück, wo er bis zur Befreiung im Détachement Carmagnole auf Seiten der Französischen Armee kämpft. Kurz nach dem Krieg tritt Jacquot aus der KPF aus, u.a. wegen des Antisemitismus in der Sowjetunion. Erst 1970 erhält er die französische Staatsbürgerschaft. Heute lebt Jacquot Szmulewicz in Paris.

Jacob Szmulewicz :

„Für mich war es lange Zeit schwierig, nach Deutschland zu kommen, aber durch den Kampf, den Ihr hier führt, fällt es mir leichter. Ich sehe, dass es Leute gibt, die anders denken. Ich war bei Beginn des Krieges 15 Jahre und bei Beginn der Besetzung von Paris (14. Juni 1940) 16 Jahre alt. Ich habe damals in einem Hotel in Bordeaux gearbeitet, als die Deutschen gekommen sind. In diesem Hotel wurden ranghohe deutsche Offiziere einquartiert. Ich wusste ein bisschen darüber, was in Deutschland vor sich ging. Ich wusste, was in Deutschland mit dem Machtantritt von Hitler passiert ist, und hatte dazu meine eigene sehr deutliche Meinung. Ich hatte nicht nur meine Meinung, sondern meine Reaktionen darauf. Ich hörte auf, in diesem Hotel zu arbeiten, da ich nicht für die deutschen Offiziere arbeiten wollte, denn wir wussten, was das Hitlerregime mit den Juden in Deutschland macht. Wir hatten schon Echos von Deutschland wahrgenommen, was dort mit den Juden passierte. 1941 war Pétain (1) ein Alliierter von Hitler. Auch in Frankreich gab es Gesetze gegen Juden. (2) Ab 1941 gab es erste Verhaftungen von Juden in Frankreich. Ich habe darauf Paris verlassen, da ich mich nicht verhaften lassen und frei bleiben wollte. Ich denke, gerade für einen Jugendlichen, aber natürlich für alle, ist es besonders wichtig, frei zu sein. Ich bin dann in die Südzone gegangen, die wir damals auch die „Freie Zone” genannt haben, weil sie noch nicht besetzt war. (3)

Ich muss noch eine Sache sagen. Die ersten Widerstandsakte haben in Frankreich 1941 stattgefunden, nachdem Hitler den Hitler-Stalin-Pakt gebrochen hatte und nachdem es zu dem Überfall auf die Sowjetunion (22. Juni 1941) gekommen ist. In diesem Moment erst hat die französische Kommunistische Partei Order gegeben, dass man die Deutschen auch im eigenen Land bekämpfen muss, dass man Offiziere angreifen muss und dass man Widerstand gegen das Deutsche Regime auch im eigenen Land leisten muss. Die erste Aktion wurde gemacht von einem Mann, der hieß Colonel Fabien, er war damals 22 Jahre, also ein ganz junger Mann. Er war schon erfahren, denn er hatte bei den Internationalen Brigaden in Spanien gekämpft. Die Aktion dieses Mannes wurde zum Vorbild für die französische Jugend. Colonel Fabien hatte in der Pariser Metro einen deutschen Offizier erschossen. 4 

Allerdings wusste ich das alles nicht. Ich bin einfach aus Paris weggegangen, weil ich frei bleiben wollte, weil ich keine Nerverei haben wollte. Ich bin deswegen in die „Freie Zone” gegangen, weil ich als junger Mann mein Leben leben wollte. Am 16. Juli 1942 hat die französische Regierung nach den deutschen Anweisungen die ersten Razzien gegen die Juden angeordnet. Gegen alle Juden, die sich hatten registrieren lassen und ein jüdisches Zeichen, ein J, in ihrem Pass hatten oder auf ihrer Kleidung ein Zeichen aufgenäht hatten. Eines Tages hat mich ein Freund, ein junger Kommunist, besucht, ich war da gerade mit drei anderen Kumpels zusammen, und er sagte: „Wir müssen irgendwas machen.“ Ich hab’ dann gefragt: „Ja, was sollen wir denn machen?” - „Ja, wir müssen Zeitungen verteilen, wir müssen illegale Flugblätter verteilen, damit die Leute wissen, was da in Paris passiert ist. Welche Entgleisungen da stattgefunden haben, schließlich haben wir das auch nicht richtig gewusst. Das müssen wir bekannt machen, deswegen müssen wir illegale Flugblätter verteilen.”

Wenn man bei solchen Aktionen erwischt wurde, war man von Erschießungen bedroht. Und wir haben das trotzdem gemacht. Es waren unsere ersten Aktionen des Widerstandes und wir haben es eine ziemlich lange Zeit gemacht. Wir haben es u.a. auch deshalb getan, weil wir keine Waffen hatten. Wir haben in der Stadt gelebt, da gab es noch keine Fallschirmabwürfe, deswegen haben wir unsere Résistance, unseren Widerstand, eben auf diese Art und Weise angefangen. 1943 hatten dann die ersten von uns Waffen, und haben dann den bewaffneten Kampf angefangen, wobei unsere Waffen kleine waren, kleine Pistolen, eine kleine Maschinenpistole. Wir hatten Anweisung, uns Waffen zu besorgen, das waren die ersten Dinge, die wir unternehmen mussten, nämlich Leute zu überfallen und Waffen zu organisieren. Später haben wir viel mehr gemacht, aber davon erzähle ich später. (5)  

Ja, das war mein Leben. Ich war jung und ich habe eben Aktionen gemacht. Wir haben davon sehr viele gemacht, das waren u.a. Entgleisungen von Truppenzügen. Züge mit deutschen Soldaten, die in Urlaub nach Hause fuhren, haben wir entgleisen lassen. Wir haben Sprengstoffanschläge auf kriegswichtige Fabriken gemacht und auch auf andere Art und Weise diese Fabriken sabotiert. Wir haben sehr häufig Fuhrparks von der deutschen Armee angegriffen und haben dort auch Autos zerstört, mit denen die deutsche Armee in der Stadt unterwegs war. Denkt bitte nicht, dass das alles gefahrlos vonstatten ging. Das war natürlich auch gefährlich. Von den ersten Hundert, die in der Gruppe mitgemacht haben (die Gruppenmitglieder wurden durchgezählt und hatten Nummern), haben am Ende des Krieges noch 18 Leute gelebt. Ich könnte Euch noch viele andere Sachen erzählen, die wir gemacht haben. Zu den Aktionen, die wir gemacht haben: wir haben auch Granaten auf deutsche Soldatenkonvois geworfen. Im Prinzip waren wir Soldaten ohne Uniform und wir waren jung. Und wir hatten eben ein bisschen Mut, etwas zu tun und natürlich waren wir nicht der Maquis. Eben kein Widerstand, der im ländlichen Gebiet wie eine Armee organisiert war. Wir waren sehr wenige, aber wir konnten mit den Wenigen eben auch effektiv sein in der Stadt.

Ich möchte von einer Aktion erzählen, bei der ich meinen besten Freund verloren habe. Ich habe ihn bei einer Aktion verloren und zwar, weil er den Entschluss hatte, dass er nicht lebend in die Hände der deutschen Soldaten fallen möchte. Antoine hat sich eine Granate damals auf die Brust gelegt und hat dann die Granate hochgehen lassen, weil er nicht lebend in die Hände der Deutschen fallen wollte. Das wollte er nicht, weil er wusste, dass die Deutschen uns foltern würden. Zwei unserer Genossen konnten von den Deutschen nach ihrer Gefangennahme fliehen und sie berichteten von der Folter der Deutschen. Das war schrecklich, so dass Antoine zu diesem Entschluss mit der Granate kam. Ich könnte wie unser griechischer Freund hier viele Sachen erzählen. Ich könnte von Oradour sur Glane (6)   erzählen, was ein großes Massaker war, was in Frankreich stattgefunden hat, aber auch von kleineren Massakern. Und zwar gibt es das Beispiel von fünf Personen, die in Lyon erschossen wurden und deren Körper einen ganzen Tag lang auf einem zentralen Platz in Lyon aufgebahrt, ausgestellt wurden, damit die Leute sie besichtigen konnten zur Abschreckung.

Ich selbst bin in Lyon aufgeflogen, als Gestapoleute an unsere Tür geklopft haben. Wir konnten da entkommen. Antoine, der sich später mit der Granate umgebracht hat, hat einen von ihnen erschossen. Auf diese Art konnten wir entkommen, aber wir waren verbrannt für Lyon und sind deshalb im Oktober 1943 nach Grenoble gegangen, wo ich sechs Monate geblieben bin. Wir haben in der Stadt die gleichen Aktionen gemacht, die wir vorher auch in Lyon gemacht haben. Wir waren dann in Grenoble, als der Vercors 7  angegriffen worden ist. Wir sind dann auch dorthin gefahren und sollten direkt im Vercors und an den Rändern des Vercors unterstützend tätig sein. Wir haben im Vercors nicht viel gemacht. Wir sollten den Leuten, die aus dem Vercors rauskamen, helfen, sich in Sicherheit zu bringen. Aber dazu kam es gar nicht.

Ich habe dann weiter in Grenoble gekämpft und anschließend in einer Kleinstadt, direkt neben Grenoble. Sie heißt Villeurbanne und war die zweite Stadt in Frankreich, in der es einen Aufstand gegen die Deutschen gab. Es war eine proletarische Stadt, in der die Leute gegen die Deutschen kämpfen wollten. Sie wollten sie verjagen. Es waren viele junge Leute darunter, aber sie hatten keine Waffen. Ich habe dann 100 Leute in Villeurbanne in ihrem Kampf angeführt. Wir mussten zur Polizei gehen, um uns dort Waffen zu besorgen und haben sie dort erobert. Es war keine normale Polizeistation, sondern es war eine von den Spezialbrigaden der Polizei, welche bei der Partisanenbekämpfung mithalfen und die sehr eng mit den Deutschen zusammengearbeitet haben. Und wenn ich das erzähle, muss man bedenken, es war Krieg und man macht im Krieg Sachen, die man sonst eigentlich nicht tut.

Ich hatte dann in Grenoble noch mal einen Zusammenstoß mit der französischen Polizei. Die wollten mich festnehmen. Die waren zu viert, da musste ich schießen. Ich habe einen getötet und einen verletzt und konnte auf diese Art und Weise entkommen. Ich bin daraufhin wieder zurückgegangen nach Lyon.

Ich war nach der Befreiung von Lyon auch bei der regulären Armee, bin aber nicht mit nach Deutschland gegangen. Ich bin mit den französischen Streitkräften bis zum Elsass vorgedrungen, aber wir hatten nicht den Befehl, mit nach Deutschland reinzugehen. Wir sind dort geblieben und haben da einen Schutzposten bezogen, den wir bis zum 8. Mai behalten haben.

Nach der Befreiung mussten alle wieder ihr Leben neu organisieren. Sie brauchten alle Berufe und ein bürgerliches Auskommen. Wir hatten kein bürgerliches Auskommen, wir hatten keinen Beruf, wir hatten nur gelernt zu kämpfen und mussten irgendwie ins bürgerliche Leben zurückfinden. Es war dabei sehr wichtig, dass wir auch vergessen wollten. Wir wollten aus diesem Kriegsgeist raus, wollten vergessen, was Krieg bedeutet. Wir wollten auch den Hass gegen die Deutschen vergessen. Wir fanden es nicht richtig, weiterhin Hass gegen die Deutschen zu haben.

Ich bin das erste Mal wieder 1979 in Deutschland gewesen, nämlich zu einem Prozess in Köln gegen den Kriegsverbrecher Lischka. (8)   Das war die Voraussetzung, für die ich den deutschen Boden betreten konnte, weil ich da eben einen Kampf zu führen hatte. Und ich bin heute das zweitemal in Deutschland seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Ich möchte betonen, ich bin nicht wütend auf die Deutschen. Ich bin auch nicht wütend auf den einfachen Wehrmachtssoldaten. Ich bin wütend auf die Leute, die sich darauf heute immer noch positiv beziehen. Ich bin wütend auf blinden Befehlsgehorsam. Zur Illustration möchte ich eine kleine Episode erzählen. Als all die Kollegen einem bürgerlichen Beruf nachgingen, bin ich viel durch Frankreich getrampt, viel gereist mit Autostop. Da waren viele Deutsche unterwegs, die nach Hause wollten. Ich habe da einen deutschen Wehrmachtssoldaten, einen ehemaligen Kriegsgefangenen, getroffen, der eben auch in die Heimat zurück wollte. Der wusste, wie es in Deutschland aussieht, dass da nichts aufgebaut ist, dass ihn dort nichts erwartet. Auf den hatte ich keinen Hass, mit dem habe ich mein Brot geteilt. Und wir sind eine Weile Weggefährten gewesen.

Noch mal, ich beglückwünsche Euch zu Eurem Kampf. Ich finde den richtig, Euren Kampf. Und ich finde es richtig, einzutreten gegen jedes Wiederaufleben von dem, was es schon mal gab. Ich finde es wichtig, immer im Kopf zu haben, wer es auch immer ist, wir sind alle Menschen, menschliche Wesen. Das müssen wir begreifen und das müssen auch alle anderen begreifen. Es ist wichtig, gegen die heute vorzugehen, die das nicht begriffen haben. Und deswegen beglückwünsche ich Euch zu Eurem Kampf, den ihr hier führt.

Ich möchte jetzt enden und Euch die Möglichkeit geben, Fragen zu stellen.“

Frage aus dem Publikum : „Wie war die Zusammensetzung Ihrer Gruppe in Grenoble/Lyon? Welche Herkunft hatten die KämpferInnen? Was ist mit ihnen nach dem Krieg passiert?“

Jacob Szmulewicz : „Die M.O.I.-Gruppen, die Gruppen der immigrierten ArbeiterInnen, bestanden vor allem aus Jugendlichen. Die Gruppe Carmag­nole, die Gruppe in der ich war, war die erste, die in der „Freien Zone” aufgebaut wurde. In Paris wurden die F.T.P.-M.O.I., diese Art von Widerstandsgruppen, zu der auch ich gehört habe, von Kommunisten initiiert. Am Anfang waren sehr viele Spanienkämpfer dabei, aber prinzipiell kamen danach auch Leute dazu, die nicht unbedingt nur Kommunisten waren. Sie kamen von überall her. Also bei uns, in der Gruppe Carmagnole, waren Spanier, Polen, Ungarn, Rumänen und Armenier. Also Leute aus allen möglichen Ländern und Ursprüngen. Die allermeisten aber waren junge Juden. Und wir jungen Juden waren deswegen am meisten, weil wir eben auch am allermeisten bedroht waren. Es waren wir, die ausgelöscht werden sollten, es waren wir, gegen die sich die ganzen Razzien gerichtet haben. Natürlich waren die anderen auch bedroht, aber wir haben das eben am allerdeutlichsten gespürt.

Insbesondere unsere großen Chefs, wir nannten sie große Verantwortliche, sind nach dem Krieg meistens in ihre Länder zurückgegangen, aus denen sie gekommen waren. Unsere großen Verantwortlichen bei den M.O.I.-Gruppen waren größtenteils ehemalige Spanienkämpfer. Sie sind nach Rumänien, Polen, Tschechien zurückgegangen, in die Sowjetunion und nach Deutschland. Nach Deutschland zurückgegangen ist u.a. unser Verantwortlicher, nämlich Norbert Kugler mit seiner Frau Mira und Marcel Gramberg. Sie sind jeweils in ihre Länder zurückgegangen, weil sie dort den Sozialismus aufbauen wollten. Mira Kugler ist später in einem Altenheim in Ost-Berlin verstorben. Ich selber bin in Frankreich geblieben. Ich bin ja auch nur aus Zufall in Polen geboren. Meine Kultur war absolut französisch, aber die diejenigen von uns, die nach Polen zurückgegangen sind, sind häufig wieder nach Frankreich gegangen, weil der Antisemitismus in Polen trotz der deutschen Besatzung und dem, was im Zweiten Weltkrieg passiert ist, unerträglich war. Sie haben sich als Juden in der polnischen Gesellschaft nicht geduldet gefühlt und sie sind häufig wieder nach Frankreich zurückgekehrt.“

Frage aus dem Publikum : „Wie waren die Kämpfe zwischen Männern und Frauen aufgeteilt? Haben Männer und Frauen gleichermaßen gekämpft? Gab es Unterschiede? Wie kann ich mir die einzelnen Résistance-Gruppen vorstellen? Kannten sich die einzelnen Leute? Oder kannten sich nur die Chefs untereinander wie bei der Guerilla?“

Jacob Szmulewicz: „Also, als ich in den Widerstand gegangen bin, das war damals, als ich noch die Flugblätter verteilt habe, da habe ich keine Frauen gekannt, die das auch gemacht haben. Es war alles sehr abgeschottet, da waren keine Frauen. Aber Frauen waren später bei den M.O.I.-Gruppen und sie hatten spezielle Aufgaben. Sie waren für die Waffen verantwortlich und für die Kommunikation und Verbindung untereinander. Später sind Frauen auch bei den bewaffneten Gruppen gewesen. Zu uns ist eine Italienerin gekommen, Simone Moretti, die war bei uns. Am Anfang haben Frauen noch nicht mitgeschossen, später schon. Nach dem Krieg ist Simone Moretti Kommandantin einer Fraueneinheit in der Armee gewesen. Auf alle Fälle haben die Frauen eine große Rolle in der Résistance gespielt. Wir haben heute noch einen Freundschaftsverband, in dem sich auch viele Frauen treffen. Viele Frauen in der Résistance haben Flugblätter und Zeitungen verteilt. Sie taten das, was wir anfangs gemacht haben. Später haben bei uns die Frauen genauso wie die Männer agiert. Der Widerstand hat ja ganz klein angefangen und ist später immer größer geworden. Simone Moretti zum Beispiel hat während des Aufstandes in Villeurbanne 60 Leute kommandiert unter denen sowohl Männer als auch Frauen waren. (9)  

Die ganze Organisation haben ja nicht wir gemacht. Sie begann mit drei Spanienkämpfern, die sich Revolver erbeutet hatten und den ersten Soldaten erschossen haben. Die erste Gruppe von Carmagnole waren acht Leute, die sich gefunden hatten. Nach und nach hat sich das erweitert, haben sich andere Leute angeschlossen. Wir waren jeweils in kleinen Detachements, also in kleinen Gruppen mit jeweils acht Leuten, organisiert und drei dieser Gruppen haben dann zusammen eine Kampfeinheit ergeben.“

Frage aus dem Publikum : „Wie war das Verhältnis zur Bevölkerung? Wie lief die Unterstützung?“

Jacob Szmulewicz : „Wir waren ja in der Stadt. Und bei uns in der Stadt wusste keiner, dass wir in der Résistance waren. Wir waren Klandestine. Wir hatten unsere Waffen nicht ständig dabei. Wir hatten unsere Waffen jeweils für Aktionen. Das hat so funktioniert, dass sie die Frauen vorbeigebracht haben und zwar in einer musette, das ist ein französisches Akkordeon-Instrument. Darin waren die Waffen versteckt. Die musette wurde dann irgendwo übergeben, dann wurde die Aktion durchgeführt. Danach wurde die Musette mit den Waffen drin wieder abgegeben. Deswegen war es für die Bevölkerung schwierig, uns zu unterstützen, denn man wusste ja nicht, dass wir es sind. Ich zum Beispiel habe als Mieter bei einer sehr netten alten Dame gewohnt. Und sie hat mich schon unterstützt. Sie hat sehr wenig Miete genommen und mir schon mal einen Apfel geschenkt. Sie hat mich natürlich nicht als Widerstandskämpfer unterstützt, weil sie das nicht wissen konnte und durfte.“

Frage aus dem Publikum : „Was halten Sie von der Bewertung von Gebirgsjägern, dass Vergeltungsmaßnahmen gegen Partisanen gerechtfertig gewesen sind? Was halten Sie von dieser Bewertung ihres Kampfes?“

Jacob Szmulewicz : „Die Frage mit den Gebirgsjägern müsst ihr nachher bewerten. Ich kann nur sagen, dass unsere Aktionen die deutschen Truppen und ihre Moral schädigten. Ich kann sagen, wir haben auf offener Straße Soldaten erschossen, wir haben Granaten auf ihre Konvois geworfen. Aber wir haben niemals gefoltert. Bei dem Aufstand in Villeurbanne haben wir auch Gefangene gemacht. Da gab es vielleicht auch mal hin und wieder die eine oder andere Übertreibung, aber auch da wurde nicht gefoltert und die Gefangenen wurden später wieder freigelassen. Wir haben französische Verräter getötet, aber auch die haben wir vorher nicht gefoltert. Wir haben uns immer bemüht, keine Zivilisten zu töten. Das war unsere größte Sorge, wenn wir Zugentgleisungen durchgeführt haben, dann haben wir sehr darauf geachtet, dass es dort keine Zivilsten gibt, dass keine Zivilisten zuschaden kommen. Wir haben versucht, die deutschen Soldaten auf ihrem Terrain zu bekämpfen. Es gab ein alliiertes Bombardement auf den Bahnhof von Lyon, wo es 2.000 zivile Opfer gab.“

Frage aus dem Publikum : „Wie verhält sich die extreme Rechte zur Résistance?“

Jacob Szmulewicz : „Es gab während der Besatzungszeit natürlich rechtsextreme Kollaborateure, aber man muss auch sagen, dass es auch einige wenige Rechte gab, die zur Résistance gehörten. Viele, viele sind Kollaborateure geworden. Man muss auch sagen, dass die Franzosen nicht gleich verstanden haben, was passiert, dass sie sich erst ganz allmählich gegen die Besetzung gewendet haben, das hat lange Zeit gebraucht. Die Rechtsextremen waren damals natürlich anders als heute. Es gab drei Sorten von Leuten: es gab die Leute, die nichts gemacht haben, es gab die Kollaborateure und es gab die Leute, die gekämpft haben. Die Rechtsextreme war damals anders als heute. Die Rechtsextreme hat sich weiterentwickelt. Ich erinnere noch mal daran, dass die Rechtsextremen den zweiten Platz bei den Präsidentenwahlen gemacht haben, da wo alle dachten, dass nach dem Namen Chirac, der Name Jospin erscheint, ist der Name Le Pen erschienen. Aber auch da muss man sagen, dass jüngere Leute ganz viele Demos gemacht haben, auch mein 15jähriger Enkelsohn hat mich aufgefordert mitzugehen. Und ich bin gemeinsam mit ihm demonstrieren gegangen.“

Frage aus dem Publikum : „Gab es in der Résistance deutsche Deserteure und wie sind sie in der Résistance aufgenommen worden?“

Jacob Szmulewicz : „Die Frage ist schwierig für mich zu beantworten, weil ich keine Allgemeinplätze sagen will. Ich kann Dir nur sagen, was ich gelesen und was ich erlebt habe. Also, bei uns in der Carmagnole gab es einen jungen deutschen Juden, der wütend war, dass er aus Deutschland flüchten müsste. Er war bei einer unserer allergrößten Aktionen dabei, als ein deutscher Konvoi in die Luft gesprengt wurde. Ich habe gelesen, dass im Maquis viele deutsche Uniformträger waren. Man weiß, dass dort viele Leute deutsche Uniformen, deutsches Gepäck, deutsche Waffen hatten, die im Maquis mitgekämpft haben. Aber man weiß natürlich nicht, ob das Deutsche waren, oder Leute waren, die in deutsche Uniformen gesteckt wurden, also Zwangsverpflichtete. Dazu kann ich nicht mehr sagen.“

Der Text basiert auf dem Vortrag. Übersetzung: Anne Bruegmann /Transskription: Gina Mentner

 1 Marschall Philippe Pétain war von 1940 bis 1944 Staatschef des südfranzösischen Vichy-Regimes und verbündet mit dem faschistischen Deutschland.

 2 Das Vichy-Regime begann seine antijüdischen Maßnahmen mit dem Erlass des Statut des Juifs im Oktober 1940. Darin wurde definiert, wer jüdisch seien sollte, jüdische Menschen wurden aus dem öffentlichen Dienst und einer Reihe anderer freier Berufe ausgeschlossen, die Internierung „ausländischer jüdischer Staatsangehöriger“ wurde angeordnet, jüdische Unternehmen wurden gezählt und ihr Besitz enteignet. Im März 1941 wurde das „Generalkommissariat für Judenfragen“ eingerichtet, das die Gesamtheit der antisemitischen Maßnahmen koordinieren sollte.

 3 Durch den deutsch-französischen Waffenstillstand wurde Frankreich im Juni 1940 in zwei Zonen geteilt: in die von den Deutschen besetzte Zone, die die drei nördlichen Fünftel des Landes umfasste, und die sogenannte Freie Zone im Süden unter dem Vichy-Regime.

 4 Nach einer Kundgebung der Kommunistischen Jugend an der Porte Saint-Denis in Paris am 13. 8.1941 wurden zwei Jugendliche von den Deutschen verhaftet und sechs Tage später erschossen. Am 21. 8. eröffnete ihr Genosse und Freund Pierre Georges, bekannt unter dem Pseudonym Fabien, den bewaffneten Kampf, als er am hellen Tag in der Metrostation Barbès-Rochechouart einen Angehörigen der Kriegsmarine erschoss. Siehe: Stéphane Courtois, Denis Peschanski, Adam Rayski, L’Affiche Rouge. Immigranten und Juden in der französischen Résistance, Berlin 1994, S. 95. Claude Lévy, Die Parias der Résistance, Berlin 1997, S. 116, 197.

  5 Von Seiten der Résistance entstanden ab 1943 in allen Teilen der von der Wehrmacht kontrollierten Zonen sogenannte Maquiszonen (Maquis = Buschwerk, Dickicht; allgemein Ausdruck für die Widerstandsgruppen, die sich in den ländlichen und Gebirgsregionen Frankreichs verbargen). Zu nennen sind insbesondere die Gruppen im Jura, im Departement L´Ain, im Drôme und im Hoch-Savoyen. In Lyon und Grenoble entwickelte sich eine schlagkräftige Stadtguerilla, die sich aus den Gruppen der F.T.P.-M.O.I. rekrutierte. In Lyon nannte sie sich Formation Carmagnole, in Grenoble Liberté.

 6 Nach der Landung der Alliierten in der Normandie am 6.6.1944 kam es in Frankreich zu verstärkten Operationen der Résistance. In der Folge griffen SS und Wehrmacht immer häufiger zu so genannten Abschreckungs- und Vergeltungsmaßnahmen. Das Massaker in Oradour sur Glane am 10.6.1944, ein sogenanntes Säuberungsunternehmen, verübte die 2. SS-Panzerdivision „Das Reich”, die der Wehrmacht unterstand, und von SS-Oberführer und General der Waffen-SS Heinz Lammerding befehligt wurde. Auf seinen Befehl hin wurde die gesamte Bevölkerung des Ortes, 642 Menschen, ermordet. Danach wurde der Ort dem Erdboden gleich gemacht (Ahlrich Meyer, Die deutsche Besatzung in Frankreich 1940-1944. Widerstandsbekämpfung und Judenverfolgung, Darmstadt 2000, 152-161). Am selben Tag verübte eine Einheit der Waffen-SS ein Massaker in der Ortschaft Distomo bei Delphi/Griechenland.

7 Seit Frühjahr 1944 gab es erste Planungen der Wehrmacht gegen die Maquis im Vercors vorzugehen. Am 9.6.1944 begannen auf deutscher Seite die Vorbereitungen zur „Operation Bettina“, wie sie die Erstürmung des Vercors nannten. Zeitgleich forderte die Exilregierung von de Gaulle alle Maquis in Frankreich auf, in den Kampf im Vercors einzugreifen. Da, wo die Résistance die Landung der Alliierten erhofft hatte, landeten jedoch am 22.6.1944 deutsche Spezialeinheiten und bombardierten in einer „Bestrafungsaktion“ das Dorf Vassieux. Circa 4.000 Maquisards nahmen den Kampf gegen etwa 15.-20.000 deutsche Soldaten, vor allem Gebirgsjägereinheiten, auf. Der wochenlang andauernde Terror der Wehrmacht im Rahmen des „Bandenkampfbefehls“ hinterlässt eine Spur der Zerstörung; Verhaftungen, Deportationen und Hinrichtungen folgen.

8 SS-Sturmbannführer Kurt Lischka war von November 1940 bis Oktober 1943 Kommandeur der SiPo und des SD von Groß-Paris und Hauptverantwortlicher für die Gestapo in Frankreich. 1938 war er Chef des „Judenreferats“ der Gestapo für das ganze Reich in Berlin und verantwortlich für die ersten Massenverhaftungen deutscher JüdInnen in Folge der Pogromnacht. Von Januar bis Oktober 1940 war er Leiter der Gestapo in Köln. Lischka wurde im Dezember 1945 unter falsche, Namen in Frankreich verhaftet und 1947 an die Tschechoslowakei ausgeliefert. In einem Spruchkammerverfahren der Staatsanwaltschaft Bielefeld kam es zu einem Freispruch. In Frankreich wurde er 1950 in Abwesenheit zum Tode und zu lebenslanger Haft verurteilt, sein Aufenthaltsort war aber nicht bekannt. Seit 1950 lebte er in Köln und arbeitete als Prokurist. 1979/80 wurde Lischka in Köln zu 10 Jahren Haft verurteilt. Siehe: Klarsfeld, Serge: Vichy-Auschwitz. Die Zusammenarbeit deutscher und französischer Behörden bei der „Endlösung der Judenfrage“ in Frankreich, Schriften der Hamburger Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts, Bd. 9, Nördlingen 1989. Siehe auch: Anne Klein, Jürgen Wilhelm (Hg.), NS-Unrecht vor Kölner Gerichten nach 1945, Köln 2003.

9 Siehe: Margaret Collins Weitz, Frauen in der Résistance, Münster 2002. Zu den Frauen in der FTP-MOI Ingrid Strobl: Die Angst kam erst danach. Jüdische Frauen im Widerstand 1939-1945, Frankfurt 1998; Ingrid Strobl: „Sag nie, du gehst den letzten Weg“. Frauen im bewaffneten Widerstand gegen Faschismus und deutsche Besatzung, Frankfurt 1989.

Tipps zum weiterlesen:

Claude Lévy, Die Parias der Résistance, Berlin 1997.

Stéphane Courtois, Denis Peschanski, Adam Rayski, L’Affiche Rouge. Immigranten und Juden in der französischen Résistance, Berlin 1994.

Beiträge zur nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik, Bd. 14, Repression und Kriegsverbrechen. Die Bekämpfung von Widerstands- und Partisanenbewegungen gegen die deutsche Besatzung in West- und Südeuropa, Ahlrich Meyer (Hg.), Berlin, Göttingen 1997.

Ahlrich Meyer, Die deutsche Besatzung in Frankreich 1940-1944. Widerstandsbekämpfung und Judenverfolgung, Darmstadt 2000.

Ingrid Strobl: Die Angst kam erst danach. Jüdische Frauen im Widerstand 1939-1945, Frankfurt 1998

Ingrid Strobl: „Sag nie, du gehst den letzten Weg“. Frauen im bewaffneten Widerstand gegen Faschismus und deutsche Besatzung, Frankfurt 1989.