Hintergrundmaterial zu den Kriegsverbrechen der Gebirgsjäger

Das attackierte Edelweiß

Rund ein halbes Jahrhundert lang erfreute sich der im Raum Mittenwald von ehemaligen Gebirgsjägern der Wehrmacht und den ihnen nachfolgenden Bundeswehrsoldaten gegründete Kameradenkreis der Gebirgstruppe e. V. eines ungestörten Friedens. Diesen wußte er dazu zu nutzen, mindestens einmal im Jahr die mit zum Teil über 10.000 Teilnehmerinnen größte Soldatenfeier in der Bundesrepublik an einem eigens dafür hergerichteten Ehrenmal am Hohen Brendten auszurichten. Der auch heute noch zu rund 40 Prozent aus ehemaligen Wehrmachtsangehörigen bestehende Kameradenkreis zählt derzeit über 6.000 Mitglieder, wobei das prominenteste zweifellos der gemeinsame Ex-Kanzlerkandidat der Unionsparteien und derzeitige bayrische Ministerpräsident Edmund Stoiber ist. Im Verlaufe des Jahres 1961 kroch dieser in der Gebirgsjägerkaserne in Mittenwald herum. Und ihm scheint sowohl das als auch die Feier- und Gedenkpraxis des Kameradenkreises so gut gefallen zu haben, dass er diesem noch im Juni 2001 “eine unangreifbare Traditionspflege” zu bescheinigen wußte, die in der “insgesamt traditionsarmen Bundeswehr ihresgleichen” suche.

Zwischenzeitlich wurde nun im Auftrag einer temporären Assoziation geschichtspolitischer Aktivisten des Arbeitskreises Angreifbare Traditionspflege ein Buch unter dem markanten Titel “Mörder unterm Edelweiß” herausgegeben. Es enthüllt nicht nur, dass Ministerpräsident Stoiber seine gewagte Äußerung bestenfalls in einem Zustand tiefster Ahnungslosigkeit getätigt haben kann. Es illustriert auch, dass die Zeiten einer “unangreifbaren Traditionspflege” durch den Kameradenkreis endgültig der Vergangenheit angehören. Besonders augenfällig wird das an dem Titelfoto, das ein von Unbekannten gesprühten Graffiti an dem Ehrenmal auf dem Hohen Brendten zeigt. Die in dem Buch versammelten Beiträge sind das Ergebnis eines von den Herausgeberinnen zusammen mit der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes / Bund der Antifaschisten (VVN/BdA) Pfingsten 2003 in Mittenwald durchgeführten internationalen Hearings zu den von Gebirgsjägern im Zweiten Weltkrieg auf dem Balkan und in Griechenland begangenen Kriegsverbrechen.

Dabei stellen die in diesem Buch versammelten Beiträge eine aus der engagierten Protestpraxis vor Ort selbst hervorgegangene Mischung, sowohl aus Grußworten, persönlichen Ansprachen, wie auch historiographisch versierten Forschungsbeiträgen dar. Nach der Lektüre des Beitrages von Stephan Stracke, die das Ergebnis einer auf minutiöser Aktenkenntnis gestützten instruktiven Recherche ist, wird es in Zukunft nicht mehr möglich sein, über die von den Gebirgsjägern in Kommeno, Kephallonia und anderen griechischen Orten durchgeführten Massaker hinweg zu schwadronieren, wie es wohl im Mitten­walder Raum seit über 50 Jahre gang und gäbe ist. Auch diese Forschungsergebnisse trugen dazu bei, dass ein bereits 1972 von der Staatanwaltschaft München mit “vorzüglicher Hochachtung” gegen die Gebirgsjäger eingestelltes Ermittlungsverfahren wegen Mordes zwischenzeitlich wieder aufgenommen werden musste.

Besonders bewegend lesen sich in dem Buch die auf dem Hearing sehr persönlich gehaltenen Ansprachen des antifaschistischen Widerstandskämpfers Peter Gingold, des Wehrmachtsdeserteurs Ludwig Baumann sowie von Christina Dimou und Amos Pampaloni, denen es durch glückliche Fügung gelungen war, Gebirgsjägermassaker in ihrem Dorf oder an ihrer Armeeeinheit zu überleben. Jenseits von Kitsch und völlig frei von Heroismus mahnen ihre Worte für die ihnen nachfolgenden Generationen ein unmissverständliches “Nie wieder!” an.

In dem letzten hier vorgestellten Beitrag “Dialog der Steine” spürt Olga Schell anhand des Umganges mit heute noch auf der Insel Kreta existierenden Wehrmachtsdenkmälern den vielfältigen Bezügen in der Erinnerungspolitik von griechischer Seite, deutschen Touristen und deutschen Kamerad­schaftsverbänden vor Ort nach. Irritierend hier die Einsicht, dass große Teile der lokalen Bevölkerung eine Beseitigung dieser mit aller offenen Brutalität und selbstherrlichen Inschriften versehenen Gedenktafeln – “wurde Kandanos zerstört, um nie wieder aufgebaut zu werden” - als eine “Beleidigung” empfinden würden, da sie, so ein alter griechischer Partisan “Ausdruck und Anerkennung des Widerstandes der Bevölkerung” seien.

Am Schluss dieses Buches, auf seinem Rücktitel, findet sich aber dann doch noch ein kleiner, durchaus verzeihlicher, wenn auch nicht ganz zufälliger Fehler. Dort findet sich die Formulierung, dass die Gebirgsjäger “2003 (...) erstmalig mit Protesten (...) konfrontiert” worden seien. Doch bereits im Jahr zuvor war es zu einer wuchtigen Protestaktion anlässlich des öffentlichen Abendessens der Gebirgsjäger im Mittenwalder Postkeller durch viele überraschend aufgetauchte Antifaschisten und wenige Autonome gekommen. Die bay­rische Polizei revanchierte sich für diese weitgehend geglückte Protestaktion mit einer rund eintägigen Inge­wahr­samsnahme der mutmaßlichen Aktivist­Innen in einer Jugendherberge. Dort kam es dann unter den ca. 50 Beteiligten zu erheblichen Unterschieden in der Einschätzung dieser Aktion: Und diese schwankten zwischen antifaschistischen, antideutschen und autonomen Bezügen hin und her. Die Ausklammerung der komplexen Fragestellung, in welchem politischen Bezug sich der Widerspruch heute begründet, stellt in diesem Buch gewissermaßen eine Black Box des Protestes dar. Aber das schmä­lert den Wert dieses für kommende Protestaktionen (nicht nur) in Mittenwald wertvollen Bandes nur unwesentlich. Zu bedenken ist hier doch der Umstand, dass die Ausstellung über die Wehrmachtsverbrechen vom Hamburger Reemtsma-Institut durch Musealisierung auch deshalb dem gepflegten Vergessen anheim gegeben worden ist, um die aktuell nicht einfache Aufgabe kampfwilliger Bundeswehreinheiten überall in der Welt nicht noch schwerer zu machen. Das vorliegende Buch gibt sich gar nicht erst mit solchen staatsbürgerlichen Skrupeln ab. Das macht es umso bedeutsamer.

Stephan Stracke, Ralph Klein, Regina Mentner (Hg) »Mörder unterm Edelweiß«, Köln 2004. Papy Rossa-Verlag, ISBN 3-89438-295-3, 12, 90 Euro,