Geisterstunde: Die General Kübler-Debatte

Es ist alles wie im Märchen: Dem konservativen Verteidigungsminister Rühe kommt irgendwann im Verlaufe des Jahres 1994 eine Idee: Er möchte in Füssen und Mittenwald zwei nach überzeugten nationalsozialistischen Gebirgsjägern benannte Bundeswehrkasernen umbenennen lassen.

Also gibt er beim Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Potsdam zwei Personengutachten in Auftrag. Und die finden zu Beginn des jahres 1995 doch glatt heraus, was vorher alle wussten: Jene beiden nationalsozialistischen Gebirgsjägergeneräle waren tatsächlich in genau diesem Sinne im Zweiten Weltkrieg tätig. Danach schickt der Verteidigungsminister jene Personengutachten an Gott und die Welt, damit auch allerorten darüber demokratisch diskutiert werden kann. So findet Mitte Oktober 1995 zu vorgerückter Stunde eine Bundestagsdebatte statt. Vielleicht auch das scheint einen Reporter der Berliner Zeitung dazu zu motivieren, einmal ins beschauliche Mittenwald zu fahren, um zu sehen, wie dort dieses Thema eigentlich diskutiert wird. Danach schreibt er einen Artikel. Prompt erinnert sich daraufhin ein Berliner an seinen schönen Mittenwaldurlaub im Jahre 1991, und der couragierte Verteidigungsminister Rühe entscheidet knapp eine Woche später, beide Kasernen umzubenennen. Wenn das keine märchenhaft gelungene Aufarbeitung der guten alten NS-Tradition der Bundeswehr am Beispiel zweier Kasernen in Südbayern ist, was ist das dann?

Knapp zwei Jahre danach äußern auf einmal Bundestagsabgeordnete der Fraktion Jäger 90 / Die Grünen - die damals noch Opposition gespielt haben - in einer Drucksache einen schrecklichen Verdacht: Ob es wohl sein könne, dass der CDU-Mann Rühe mit der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit am Beispiel der Mittenwalder Gebirgsjägerkaserne doch glatt den Weg zu neuen Kriegseinsätzen habe frei machen wollen? Wohl wahr, aber davon konnte doch diese an die Bundesregierung gelangte Partei im März 1999 bei dem NATO-Angriffskrieg im Kosovo profitieren, oder etwa nicht?

Hans Büttner (SPD): 1965 hatte der damalige Verteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel die Gebirgsjäger­kasernen in Füssen und Mittenwald nach Generaloberst Dietl und General Kübler benannt, ohne damals die örtlichen Stadt- und Gemeinderäte vorher auch nur zu befragen. Seitdem tragen diese Kasernen die Namen zweier Militärführer, die ausweislich aller jetzt vorliegenden Studien und nachlesbaren Veröffentlichungen überzeugte Nationalsozialisten der ersten Stunde waren und die auch dann noch mit Durchhalteparolen treu zu ihrem Führer standen, als - um Sie noch einmal zu zitieren - bei anderen ,,Einsicht und Mut zur Gegnerschaft im Laufe der Zeit wuchsen“.

(...) Kübler, der ,,Bluthund von Lemberg“, war ab Oktober 1943 Befehlshaber der Operationszone adriatisches Küstenland. Er wurde 1947 von einem jugoslawischen Militärgericht als Kriegsverbrecher zum Tode verurteilt und hingerichtet. Die Studie des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes stellt bei Kübler eine ,,äußerst positive Einstellung zum Nationalsozialismus“ fest. Im Rußlandfeldzug forderte Kübler, als Vergeltung für die Ermordung von 19 verwundeten deutschen Soldaten sämtliche gefangenen russischen Oberbefehlshaber, Kommandeure und Stabsoffiziere zu erschießen. Im Kampf gegen die jugoslawischen Partisanen zeichnete sich Kübler, so die Studie, durch ,,überzogene Härte und Brutalität“ aus. So ließ er Frauen und Kinder erschießen. In seiner Wertung über General Kübler kommt selbst das Militärgeschichtliche Forschungsamt der Bundeswehr zu dem Ergebnis: Er (...) trieb seine Truppen ohne Rücksicht auf personelle Verluste erweckte damit den Eindruck der menschenverachten­den Brutalität eines Hasardeurs. (...) Das Festhalten an den Namen der beiden nationalsozialistischen Generäle ist ein falsches Signal für die Bundeswehr. Den jungen Soldatinnen und Soldaten werden dadurch falsche Vorbilder vermittelt. (...) Es ist scheinheilig, rechtsextremistische Vorkommnisse in den Streitkräften in Weisungen zu verurteilen und gleichzeitig ausgewiesene Nazi-Offiziere in Kasernennamen der Bundeswehr zu dulden. Ganz offensichtlich sollen damit rechte Wähler bei der Stange gehalten werden. Deshalb ist es wohl auch im Interesse von bestimmten Vertretern der CDU/CSU, diese Debatte zur Geisterstunde durchzuführen

Benno Zierer (CDU/CSU): (...) Soll 50 Jahre ­nach dem Krieg mit einer zweiten Entnazifizierung, mit einer Entnazifizierung von Gebäuden, begonnen werden? (...) Ich meine, dieser Antrag ist der durchsichtige Versuch, die Traditionspflege der Bundeswehr (...) als ,,rückwärtsgewandt“, ,,mit braunen Flecken“ zu diffamieren. (...) Unsere Bundeswehr als Armee im demokratischen Staat ist über einen derartigen Verdacht erhaben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Daran ändert auch eine solche Namensnennung nichts. (...) Ihr Antrag berührt außerdem die alte Streitfrage, in welchem Umfang die deutsche Wehrmacht für die Untaten des Nationalsozialismus Mitverantwortung trug. Trotz erwiesener Kriegsverbrechen muß ich sagen: Das Gros der Wehrmachtsoldaten hat sich tadelsfrei verhalten, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) soweit dies unter den mörderischen Umständen eines Krieges möglich ist. Die Tragik der Soldaten im Zweiten Weltkrieg bestand ja gerade darin, daß sie sich in dem Glauben, für die Heimat zu kämpfen, von einem skrupellosen Regime mißbrauchen ließen.(...) Den heute noch lebenden Soldaten zur Ehre sei gesagt, daß ihre Verstrickung in das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte in den wenigsten Fällen auf persönlicher Schuld beruhte. (Dr. Erich Riedl [München] [CDU/CSU)]: Genauso ist es! Das ist die Wahrheit!) (...)

Es ist eine andere Frage, ob die Einwände gegen seine Person wie auch gegen General Kübler so groß sind, daß eine Umbenennung der Kasernen in Füssen und Mittenwald zwingend ist. (...) Solche Entscheidungen sollen nicht auf oberster politischer Ebene getroffen werden, sondern sie sollen von unten, von der Bevölkerung, von den dort gewählten Vertretern der Kommunen kommen.

Das von Ihnen, meine Herren von der Opposition, viel strapazierte Wort von der Basisdemokratie bietet hier die beste Gelegenheit, sie zu praktizieren, oder in Bayern bei der geschaffenen Möglichkeit eines Bürgerentscheids. Ich darf abschließend sagen: Die CDU/CSU-Fraktion legt keinen gesteigerten Wert darauf, die bestehende Benennung zu ändern. Zwingender Anlaß besteht nicht. Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU

Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (...) Das Ministerium prüft inzwischen sieben Jahre diesen ganzen Komplex. (...) Man versteckt sich im Grunde hinter dem, was lokal an unzweifelhafter Zustimmung zu diesen Namen vorhanden ist. (...) Diese beiden Kasernennamen (können) nicht einfach nur als Fall von vielleicht militaristischer Folklore abgetan werden (...), sondern daß sie auch etwas wie die Spitze eines Eisberges sind. Wenn wir uns Kasernennamen insgesamt ansehen, müssen wir feststellen, daß ein großer Teil dieser Kasernen nach sogenannten Helden des Ersten Weltkrieges, von Kolonialkriegen und anderen sogenannten Helden des Zweiten Weltkrieges benannt ist. Sehr viele Namen wurden aus der hitlerschen Traditionsoffensive von 1936/1937 übernommen und dann beibehalten. Wenn solche Namen als Kasernennamen gewählt werden, hat das Symbolkraft; denn die Bezeichnung von Kasernen nach bestimmten Personen soll schlichtweg Vorbilder markieren. Wenn man solche Art von Kriegshelden in Mengen als Vorbilder darstellt, soll man sich allerdings nicht wundern, daß sich an der Basis in einzelnen Einheiten Beunruhigendes tut. Das wurde im letzten Bericht des Wehrbeauftragten dargestellt, und zwar in dem Kapitel ,,Traditionspflege“.

Hildebrecht Braun (Augsburg) (F.D.P.): (...) Die Deutschen sind schon ein undankbares Volk. Da kämpfen die Generäle Kübler und Dietl jahrelang mit großem Erfolg. Sie besiegen den bösen Feind reihenweise, der einfach nicht verstehen will, daß es der göttlichen Vorsehung entsprechen soll, wenn deutsche Soldaten sein Land besetzen. Sie sorgen für einen Ruf der neugebildeten 1. Gebirgsdivision wie Donnerhall. Sie stellen den Primat der Politik nicht in Frage, sondern lesen dem Führer die Wünsche von den Lippen ab und das auch noch mit glühendem Herzen. (...) Kübler als erster Kommandeur der 1. Gebirgsdivision erfüllte sicher die Vorstellung vieler von einem deutschen Truppenführer. Er war ein echter Haudegen, der die Gebirgsjäger kompromißlos zu einer Elitetruppe der deutschen Wehrmacht machte. Daß er dabei keinerlei Schranken kannte, störte die Traditionssucher in den 60er Jahren nicht. Die militärgeschichtliche Forschung von heute entlarvt Kübler mit seiner äußerst positiven Einstellung zum Nationalsozialismus allerdings als men­schen­verachtenden, brutalen Hasardeur. (...) Er war ein Kriegsverbrecher. Die Kübler-Kaserne in Mittenwald mit der Winterkampfschule der Bundeswehr wird laufend von Delegationen aus aller Welt besucht. Sie darf seinen Namen nicht mehr tragen. Es ist unverständlich, warum das Verteidigungsministerium nicht schon längst gehandelt hat.

Gerhard Zwerenz (PDS): (...) Im Falle Kübler spricht das Verdikt von ,,menschenverachtender Brutalität eines Hasardeurs, der in Rußland und Jugoslawien zu Kriegsverbrechen aufforderte“, was in einem Fall selbst einen NS-Gauleiter dazu brachte, mildernd einzugreifen. (...) Die schlimmsten Fakten in beiden Fällen sind nicht erst durch das Gutachten oder in jüngster Zeit bekannt geworden. Ich selbst habe seit drei Jahrzehnten mehrfach in Büchern und in der Presse über diese Fälle berichtet. Aber die Bundeswehr nimmt Darlegungen freier Autoren offenbar nicht zur Kenntnis. Die Frage ist, ob sie jetzt die Darlegungen dieser beiden Gutachten wenigstens zur Kenntnis nimmt. Es ist natürlich zu fragen, wie die Bundeswehrsoldaten der betroffenen Kasernen und die betreffenden Ortspolitiker von Füssen und Mittenwald, die sich für ihre Kasernenpatrone bisher so vehement und in blindem Lokalpatriotismus eingesetzt haben, nun argumentieren werden, denn nun müssen sie noch einmal befragt werden. Beispiel Kübler, Korpstagesbefehl vom 7. August 1941: Soldaten! Die Schlacht von PODWYSSOKOJE ist siegreich beendet. Der Feind ist vernichtet. Ich danke Euch allen. Wir neigen uns in Ehrerbietung vor unseren Toten und grüßen unsere Verwundeten. Wir grüßen die Heimat. Es lebe der Führer! Unterschrift: Kübler

(...) Aus Dietls Nazi-Reden und Hitlers Lobreden auf Dietl brauche ich nichts zu zitieren. Dies hieße nicht Eulen nach Athen tragen, nein, das hieße Verlegenheiten auf die Hardthöhe tragen. (...). Als Goebbels 1943 zum ,,totalen Krieg“ aufrief, sandte Dietl ihm dazu aus Norwegen ein Glückwunschtelegramm. Am selben Tag wurden in München die Geschwister Scholl verhaftet. Ich meine, hier zeigen sich Zusammenhänge, die bisher ausgeblendet worden sind. (...) Sie stellen sich trotzdem auf die Seite dieser Generäle. Der CSU-Abgeordnete Rossmanith, der heute hier auch allerhand zu sagen hat, schrieb über Dietl: Generaloberst Dietl war und ist auch heute noch für mich ein Vorbild in menschlichem und soldatischem Handeln. (...) Dies wird auch vom weit überwiegenden Teil der Bevölkerung im Südbayerischen und dem daran angrenzenden Gebiet so gesehen. (...)

Volker Rühe , Bundesminister der Verteidigung: (...) (Ich habe) das Gutachten in Auftrag gegeben (und) unverzüglich dem Verteidigungsausschuß sowie den Kommandeuren vor Ort und auch den Gemeinden zugeleitet. Der Streit, um den es eigentlich nur gehen kann, ist: Soll ich entscheiden, bevor ich die Betroffenen gehört habe? Ich glaube, das wäre falsch. Das würde im übrigen auch den Regeln widersprechen, an die ich mich zu halten habe. Der sozialdemokratische Verteidigungsminister Hans Apel hat 1982 festgelegt, daß die Tradit­ions­pflege in der Verantwortung der Kommandeure und Einheitsführer liegt. Bestehende Kasernennamen können auf Antrag der Truppe und im Einvernehmen mit den betroffenen Gemeinden geändert werden. Die Kommandeure in Füssen und Mittenwald haben deshalb von mir den Auftrag erhalten, im Lichte der Untersuchungsergebnisse des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes zu prüfen und Stellung zu nehmen, ob sie — und zwar erstmals auf der Grundlage dieser eindeutigen Dokumente die Namen ihrer Kasernen noch für vertretbar halten. Die Gemeinden sollen in die Diskussionen einbezogen werden. Auch sie haben die Studien erhalten. Ich denke, es ist in der Demokratie guter Brauch und vernünftig, die Betroffenen vor einer Entscheidung an der Meinungsbildung zu beteiligen, um Dekrete von oben zu vermeiden. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: So macht man das!)

Die Menschen vor Ort müssen notwendige Entscheidungen mittragen, wenn wir unnötige Verhärtungen vermeiden wollen. Denn Tradition muß von den Menschen in der Bundeswehr, in den Gemeinden und Regionen gelebt werden, wenn sie in der Zukunft tragen soll.

Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): (...) Heute, 50 Jahre und mehr danach, halte ich es geradezu für vermessen, wenn Sie sich zum Richter von Geschehnissen aufspielen, ohne auch nur den geringsten direkten Bezug zu den damaligen Vorkommnissen zu haben. (...) Lassen wir die Angelegenheit doch in den Händen der unmittelbar betroffenen Soldaten und Bürger. Dabei will ich auf die Beschlußlage des Stadtrats Füssen vom 29. März 1993 verweisen, der sich damals mit 20 Stimmen einschließlich der Stimmen von SPD-Stadträten (...) gegen fünf Stimmen für die Beibehaltung des Namens ,,Generaloberst-Dietl-Kaserne“ ausgesprochen hat. (...) Ich betone noch einmal, daß ich den Fall Dietl und den Fall Kübler nicht über einen Kamm scheren will, sondern daß hier eine differenzierte Betrachtungsweise not tut. (Zuruf von der SPD: Alte Nazis!) Aber ich sehe auch heute noch keinen Grund, der Dietl-Kaserne einen anderen Namen zu geben,

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: (...) Nach dieser erregten Debatte – (...) schließen wir die Debatte. (Schluß der Sitzung: 2.01 Uhr)

 

Bo Adam in der Berliner Zeitung vom 26.10.1995

Was haben die Leut’ bloß gegen den Kübler?

(...) Hoch oben über Mittenwald liegt noch der Schnee vom vergangenen Jahr. Es sind bescheidene Reste. In engen, dunklen Felsnischen an der steilen Nordwand des Karwendelgebirges überdauern sie. Die Chancen stehen gut, daß der Neuschnee alles bald wieder gnädig zudeckt. Unten im Tal, in dem achteinhalbtausend Einwohner zählenden Mittenwald, bereiten sie die bevorstehende Urlaubersaison vor. Sie wissen, daß sie sich anstrengen müssen. Selbst hier in den Alpen. Die ganz fetten Zeiten sind vorbei, als Mittenwald fast eine Million Übernachtungen im Jahr zählte. „Den auswärtigen Leuten sitzt das Geld nicht mehr so locker im Portemonnaie“, sagt Walter Schunk von der Kurverwaltung bedauernd.

Da käme den Mittenwaldern jede Aufmerksamkeit der Medien recht. Vorausgesetzt die Schlagzeilen sind freundlich. Leider sind sie gerade nicht so gut. Der Ort ist ins Gerede gekommen. Ohne eigene Schuld, wie die Einwohner einhellig finden. „Ach, wegen dem Kübler sind Sie da“, sagt Frau Faltamayer von Faltamayers Lebensmittelgeschäft in der Bahnhofsstraße seufzend. „Was haben die Leut’ bloß gegen den Kübler?“ fragt sie, „30 Jahr’ konnten wir in Ruh’ und Frieden mit dem Kübler sein’ Namen leben.“

Hakenkreuz, Ritterkreuz

In der Mittenwalder Kaserne, die seit 1965 seinen Namen trägt, kann man die Biographie des Generals der Gebirgstruppen studieren. Sie hängt in einem Kasten am Gebäude des Standortältesten. Das Foto über dem Text ist etwas ausgeblichen. Dennoch läßt sich das Hakenkreuz an der Uniform noch erkennen. Und auch das Ritterkreuz. Das verlieh ihm der Führer wegen seines Engagements beim Überfall auf Polen. In dem Text unter dem Bild heißt es: „Auszeichnung als DivKdr bei der Schlacht um Lemberg.“

Über das Ende des Generals teilt der Text lapidar mit: „Anfang 1947 Tod während der Kriegsgefangenschaft.“ Zuvor hatte ein jugoslawisches Militärgericht den deutschen General wegen Kriegsverbrechen im adriatischen Küstenland zum Tode verurteilt.

„Wer weiß, ob das überhaupt Kriegsverbrechen waren“, sagt ein Rekrut auf dem Kasernenflur, „Kübler hat doch bloß für sein Land gekämpft, für seine Truppe.“ In Jugoslawien? „Na ja, doch Mann!“ Eigentlich darf der junge Kerl gar nichts sagen. Die Angehörigen der Kaserne haben seit kurzem Sprechverbot. Aus Bonn kam die Order, direkt vom Bundesverteidigungsministerium. Volker Rühe hatte angekündigt, die Namensgebung der Kübler- wie der Dietl-Kaserne im benachbarten Füssen zu prüfen. Solange sollen die Leute gefälligst schweigen.

Ziemlich irritierend, denn im Bundestag hatte Volker Rühe „eine fundierte und verantwortungsvolle Diskussion vor Ort“ angekündigt, in der Kaserne wie in der Gemeinde. „Gab es nun eine Diskussion?“ „Nein“, sagt der Rekrut. „Wir wurden zusammengerufen. Dann las der Standortälteste uns etwas vor aus einem Papier über Kübler. Angeblich soll Kübler ja schärfer gewesen sein als die SS. Zum Schluß sagte der Standortälteste noch, jetzt solle sich jeder seine eigene Meinung bilden. Das war’s.“

Auch für Oberstleutnant Glagow, jenen Standortältesten, gilt das Sprechverbot gegenüber der Öffentlichkeit. Wieso eigentlich, der Name einer Kaserne ist kein militärisches Geheimnis? „Es ist eben ein heißes politisches Eisen“, sagt Glagow. Schließlich begibt sich der Kasernenchef doch aufs Eis: „Wie ich das sehe, wollten die Politiker 1965 mit der Namensgebung ein Zeichen setzen für die damalige Generation. Es war eine politische Entscheidung, keine militärische. Und so wird es heute wieder sein.“ Da denke sich jeder, was er will.

Betretenes Schweigen

Alles was heute über General Kübler bekannt ist, war im Prinzip bereits zur Zeit der Namensgebung der Mitten­walder Kaserne bekannt. Sein Beiname als „Bluthund vom Lemberg“ zum Beispiel. Oder seine Forderung während des Überfalls auf die Sowjetunion, als eine Vergeltungsmaßnahme sämtliche gefangenen Oberbefehlshaber, Kommandeure und Stabsoffiziere der Roten Armee zu erschießen. An den Fakten liegt es nicht. Militärforscher der Bundeswehr erstellten zwei Studien über das Wirken des Generals. In der jüngsten heißt es: Im Kampf gegen die jugoslawischen Partisanen zeichnete sich Kübler durch „überzogene Härte und Brutalität“ aus. Er ließ Frauen und Kinder hinrichten.

Auch im Rathaus von Mittenwald ist die Studie bekannt. Dennoch löst die Frage nach der Umbenennung erst einmal betretenes Schweigen aus. „Wir haben von Herrn Rühe keine Aufforderung erhalten, unsere Meinung zu äußern“, sagt Bürgermeister Hans Neuner. „Und wir werden uns nicht erklären. Da kann der Minister lange warten.“ Mit der Beibehaltung des Namens Kübler für die Kaserne könnte Hans Neuner durchaus weiterleben.

Das könnte Barbara Rauch nicht. Dennoch unterstützt die Sozialdemokratin den Bürgermeister bei seiner Vogel-Strauß-Politik. Freilich aus ganz anderen Gründen. Die Geschichtslehrerin und Stadträtin der SPD: „Ich fürchte, wenn es zu ein­er Befragung der Gemeindevertreter käme, wäre eine Mehrheit gegen die Umbenennung.“ Barbara Rauch ärgert sich über das Schwarze-Peter-Spiel des Verteidigungsministers. „Mittenwald wurde auch nicht gefragt, als die Kaserne den Namen Kübler erhielt“, argumentiert sie. Solle Rühe doch selbst entscheiden. Er müsse es ohnehin. „Man stelle sich bloß vor: Teile der Bosnien-Truppe der Bundeswehr kommen aus dieser Kaserne, die den Namen Kübler trägt, der wegen Kriegsverbrechen in Jugoslawien zum Tode verurteilt wurde.“

Von der Bevölkerung Mittenwalds erhält Volker Rühe kaum „Entscheidungshilfe“. Seit Monaten wird die Regionalzeitung mit Leserbriefen pro oder kontra Beibehaltung des Namens Kübler bombardiert. Die meisten sind pro, und manche sind „ganz schlimm“, findet ein Redakteur des Blattes. Da wird Kübler weiterhin als „große soldatische Persönlichkeit unseres Volkes“ gefeiert, werden sein „Mut und seine Ritterlichkeit“ hervorgehoben.

Der Bösewicht

Kritiker werden als „bösartige Hetzer und Verleumder“ beschimpft, die in „unchristlicher Weise“ die Bundeswehr „degradieren“. Letzteres zielt auf den Vertreter von Pax Christi, Jakob Knab, der mit seinem Buch „Falsche Glorie“ in diesem Frühsommer die erneute Auseinandersetzung um das Traditionsverständnis der Bundeswehr in Gang setzte. (...) Er gilt in Mittenwald als Bösewicht.

Auch der Standortälteste Glagow ist nicht gut auf Jakob Knab zu sprechen. Weil der die ganze Namens-Debatte angezettelt habe. Aus seinem Bücherregal holt Glagow, sozusagen als Beweis, das Buch von Knab. Dazu einen offenen Brief des katholischen Friedensbewegten an ihn, Glagow. Darin verweist Knab prophylaktisch auf weitere dubiose Traditionen im Ort. „Der will wohl halb Mittenwald in die rechtsextreme Ecke schieben“, schnarrt der Oberstleutnant und findet das ziemlich ungerecht.

Am Ausgang der Kaserne - direkt gegenüber der biographischen Würdigung General Küblers - hängt ein Gedicht zur Erbauung beim Abschied: „Einst waren sie tapfere Soldaten, / zur See, in der Luft, und am Land. / Vergessen sind heut all die Taten, / die sie vollbrachten fürs Vaterland. / Wie hat sich die Welt doch verschoben, / was Heldenmut war, ist verpönt. / Was einst das Herz hat bewogen, / wird heute verachtet, verhöhnt.“ +++

Leserbrief Berliner Zeitung vom 2.11.1995

Nazistischer Geist /Zum Artikel „Was haben die Leut’ bloß gegen den Kübler?“ (26. Oktober):

Als ehemaliger DDR-Bürger habe ich 1991 einen wunderschönen Urlaub in Mittenwald verlebt, erstmalig im Hochgebirge, nette und freundliche Leute, eine Traumgegend. Und doch hat mich eine Tatsache sehr unangenehm berührt. Antifaschistisch erzogen, habe ich täglich im Foyer meines Urlaubsquartiers (Herren- oder Jagdvestibül einer netten Villa) Herrn General Dietl in Öl, überlebensgroß, in Naziuniform mit allen Orden- und Ehrenzeichen gegenübergestanden. Will nur damit sagen, daß der nazistische Geist noch gegenwärtig ist, auch im schönen und friedlichen Mittenwald.

Wolfgang Pfau, Berlin-Friedrichsfelde

„…. Lediglich … Wahrung der Form“

Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

Am 9. November 1995, kurz bevor an der Gebirgs­jäger­schule im Mittenwald ausgebildete Soldaten zum IFOR-Einsatz im ehemaligen Jugoslawien entsandt wurden, hat der Bundesminister der Verteidigung entschieden, die „Generaloberst-Dietl-Kaserne“ in Füssen sowie die „General-Kübler-Kaserne“ in Mittenwald in „Allgäu-Kaserne“ bzw. „Karwendel-Kaserne“ umzubenennen. Damit wurde ein siebenjähriger öffentlicher Streit über die Traditionswürdigkeit der Generäle Kübler und Dietl per „Intervention von oben“ beendet. Es war kein Antrag der Truppe vor Ort, der zu einer Umbenennung oder Überprüfung der Kasernenpatronen geführt hat. Nach der Interpretation des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVG) und der Mehrheit des Petitionsausschusses hätten die beiden Kasernen folglich überhaupt nicht umbenannt werden können. Im Fall der zeitgleichen Umbenennung der ehemaligen Dietl- bzw. Kübler-Kaserne erfolgte diese nicht nur nicht auf Initiative der betroffenen Truppe oder kommunalen Behörden, sondern zum Teil sogar gegen deren Widerstand. So stimmte z. B. der Stadtrat von Füssen im März 1993 mehrheitlich für die Beibehaltung des Namens. Erst der öffentliche politische Druck und der bevorstehende Bosnieneinsatz sorgten dafür, daß der Widerstand von unten ausblieb. Die Darstellung, wonach die vom BMVG angeordnete Umbenennung der Dietl- und Kübler-Kasernen am Ende auch von der Truppe ausdrücklich gewünscht wurde, dient lediglich der Wahrung der Form. (Bundestagsdrucksache13/8621 vom 26.9.1997)

Zum Weiterlesen:

Jakob Knab, Falsche Glorie / Das Traditionsverständnis der Bundeswehr, Berlin 1995

Bundestagsdebatte als Plenarprotokoll 13/61,Seiten: 5248–5259

Die Drucksache Nr. 13/8621