Die Gaskammer und Mittenwald

Mittenwald ist frei von Juden.“ Örtliche Gendarmerie-Station, 25.02.1942 Über die historische Aktualität und Gegenwärtigkeit der Vergangenheit des Antisemitismus in Mittenwald

Am Pfingstsamstag 2004, unmittelbar in der Nähe der katholischen Kirche im Ortszentrum, im Umfeld unserer Demonstration, geriet der Überlebende des Konzentrationslagers Theresienstadt und Vorsitzende des Landesverbandes Bayern der Vereinigten Verfolgten des Naziregimes (VVN) Ernst Grube in eine verbale Auseinandersetzung mit einem ortsansässigen Bodenleger: Als er seinen Kontrahenten auf sein Lebenschicksal hinwies, kommentierte dieser das mit der unmissverständlich und für alle Umherstehenden laut ausgestoßenen Bemerkung: „Der Hitler hat vergessen euch zu vergasen“. Ein Teil der Umherstehenden wollte diesem deutlich ausgesprochenen Wunsch die Anerkennung nicht versagen, und quittierte sie sogleich mit einem lauten Beifallklatschen. Und das alles inmitten „der guten Stube“, wie man so sagt.

Immerhin nahm die Polizei – wenn auch widerwillig - eine Strafanzeige gegen diesen Mittenwalder Bürger auf. Im Dezember 2004 kam es dann vor dem Amtsgericht in Garmisch-Partenkirchen zu einem Nachspiel. Aus einem Pressebericht: „Nach einigen Ausflüchten und Eskapaden seines Verteidigers - dieser wollte etwa einen Zeugen auf seine bayerische Dialektkenntnis prüfen -, gestand der 53-jährige Angeklagte den Sachverhalt ein. Nachdem er zuerst noch geltend gemacht hatte, er habe ja nicht nur den KZ-Überlebenden gemeint, sondern alle, die an diesem Tag in Mittenwald demonstrierten. Dem Hinweis des Richters folgend, dass diese Einlassung seiner Sache eher wenig dienlich sei, wollte er sich dann doch einem Geständnis nicht verschließen. Das Gericht, das nicht versäumt hatte, darauf hinzuweisen, dass auch eine mehrmonatige Gefängnisstrafe im Ermessensspielraum läge, wertete dies als strafmildernd. So müssen Antifaschistinnen und Antifaschisten wohl die 3600 Euro als Richtwert sehen auf der Skala für die Ahndung antisemitischer Tiraden.“ ( http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/0109_grube.htm)

Der offene Publikumsbeifall in der Fußgängerzone für jenen meinungsstarken Mittenwalder Bodenleger verweist bereits darauf, dass dieser sich dort mit seinen Grundüberzeugungen als keineswegs isoliert zu betrachten braucht. Noch nicht einmal hundert Meter entfernt war zuvor ein 59-jähriger Ortsansässiger mit einem Hakenkreuz am Hut angetroffen worden. Anfang Oktober 2004 musste auch er sich vor dem Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen wegen der Verwendung eines verfassungswidrigen Kennzeichens rechtfertigen. Das Garmischer Partenkichner Tagblatt schrieb hierzu am 4.10.04: „Der Angeklagte, ein unbescholtener Mann, der sich für das Gemeinwohl in der Feuerwehr und in der Blasmusik einbrachte, kann angeblich selbst nicht verstehen, wie ihm das passierte, „dass ich von meinen vielen Hüten mit den vielen Zeichen ausgerechnet den erwischt hab`.“ Ob`s daran lag, dass er schon drei Halbe Bier getrunken hatte, bevor er loszog, um sich die Demonstration anzuschauen? Es sei keine Absicht gewesen, „ich bin ein strenger Katholik, gehöre weder zur rechten noch zur linken Szene“, versicherte er. Im Übrigen habe er den beanstandeten Hutschmuck wegen des abgebildeten Viermastseglers erworben, so der Isartaler weiter, alte Schiffe hätten ihn schon immer fasziniert. Das Hakenkreuz auf dem Zeichen, das so groß sei wie eine Zwei-Euro-Münze, messe höchstens fünf Millimeter.“ Doch obwohl sich der Verteidiger des Angeklagten in seinem Schluss­pläd­oyer davon überzeugt gezeigt hatte, dass bei seinem Mandanten hinter dem Tragen eines Hakenkreuzes „keine Gesinnung“ stände, wurde dieser schließlich doch noch zu der Zahlung einer Geldstrafe in Höhe von 450 Euro verurteilt.

Fast langweilig erscheint es uns an dieser Stelle zu erwähnen, dass unseren Wissens die vielen Kameraden des Traditionspflege e.V., auch wenn sie anläss­lich ihrer Pfingstfeierlichkeiten ihre mit dem Hakenkreuz geschmückten Kampforden aus der - sicher als groß halluzinierten - Zeit des Weltkrieges anlegen, bislang noch nicht verurteilt wurden. So hat aber auch dieser Umstand ganz sicher seinen Einfluss auf das Alltagsleben in der Gemeinde nicht verfehlt. Und das scheint in den Köpfen von wohl nicht ganz wenigen seiner EinwohnerInnen eine eigentümliche Melange aus Normalität, Unbescholtenheit, Bierdunst, Hakenkreuz, Blasmusik und Traditionspflege hervorzubringen. Die beiden vorgestellten Fälle zeigen dabei mindestens zwei Typen des Antisemitismus: den quasi normalen unpolitischen wie auch den aggressiv-kämpferischen. Sowohl in der einen wie auch in der anderen Variante wird einiges im Rahmen von Traditionsfeier­lichkeiten erinnert und so manches soll damit mehr oder minder rabiat vergessen werden. Beide Antisemitismus-Typen werden dann, wenn er sich heute offen zu erlennen gibt, vom Staatsapaarat geahndet. Das mag man auch gegenüber der offenen NS-Barbarei für einen Ziviliserungsfortschritt der BRD halten. Demgenüber bleibt aber zu bedenken, das auch der NS-Staatsapparat zuweilen Front gegen einen allzu offen und ungebärdig auftretenden Antisemitismus in der Bevölkerung genommen hat. Die Freiheit des kleinen Antisemiten fand auch im NS-Staat zuweilen dort seine Grenze, wo das „Ansehen Deutschlands in der Welt“ beeinträchtigt zu werden drohte. Auch das zeigt ein kursorisch bleibender Rückblick auf die Erfolgsgeschichte des nationalsozialitischen Antisemitismus an diesem Ort und dem Werdenfelser Land in der Zeit von 1928 bis zum Ende des Krieges 1945.

Das Gedeihen und Wirken der Nationalsozialisten im Bezirk Garmisch

Der NSDAP gelang es in der zweiten Hälfte des Jahres 1928, im Bezirk Garmisch, der auch als Werdenfelser Land bezeichnet wird, Fuß zu fassen und in einer Reihe von Gemeinden eine eigene Ortsgruppe zu gründen. Anlässlich der Reichstagswahlen im September 1930, bei denen die Nationalsozialisten den politischen Durchbruch erzielten, existierte auch in Mittenwald und in Krün eine NSDAP-Ortsgruppe. Die NSDAP bemühte sich dabei erfolgreich darum, lokale Bezüge vor den Karren ihrer Propaganda zu spannen. In diesem Zusammenhang wurde der Kampf des Freikorps Werdenfels gegen die Münchner Räterepublik im April 1919 immer wieder dazu herangezogen, von den Nationalsozialisten das Bild der neuen „Retter vor dem Bolschewismus“ zu zeichnen, denen man Vertrauen schenken dürfe, da ja die Zielsetzung, damals wie heute, die gleiche sei. Ganz in diesem Sinne ist auch der Bericht einer NSDAP-Versammlung in Mittenwald mit dem bayrischen NS-Landtagsabgeordneten Adolf Wagner mit 300 Personen vom 29.11.1931 überliefert, wo es u.a. heißt: „Es muß mit den Verbrechern, die unser deutsches Vaterland durch die Revolution 1918 so ins Elend stürzten, noch abgerechnet werden... Es muß endlich einmal gesäubert werden. Dieser Dreck muß weg...“

An diesem Ort scheinen dabei für die Organi­sationsentwicklung der NSDAP auch die Kurgäste eine besondere Rolle gespielt zu haben. Jedenfalls zeigte sich der Mittenwalder NS-Ortsgruppenführers Hans Sailer in einem Schreiben vom 28. Januar 1932 davon überzeugt, „dass die anwesenden Kurgäste in der Hauptsache wohl auf meiner Seite stünden. und mit unseren Versammlungen einverstanden seien.“ Ähnliches wurde auch aus einer Reihe anderer Gemeinden berichtet. Viele Gäste des Wer­den­­felser Landes sympathisierten offen mit den Nationalsozialisten.

Dennoch, so ist es in den Quellen überliefert, scheint die antisemitische Haltung der NSDAP in den ersten Jahren ihres Auftretens zunächst ein Hindernis für ihre Ausbreitung im Bezirk Garmisch dargestellt zu haben. Das Fremdenverkehrsgewerbe fühlte sich vom Auftreten der Nationalsozialisten schwer getroffen. Ein Ortsvorsitzender des Vereins für das Gastgewerbe notierte 1929, „daß die antisemitische Hetze dieser Kreise es mit sich brachte, daß in allen deutschen und außerdeutschen jüdischen Blättern vor einem Besuch in Bayern gewarnt wurde, es ist auch damit erreicht worden, daß das jüdische Publikum sich vollkommen zurückgezogen hat.“ Das muss ganz im Sinne des Mitten­walder NS-Ortsgruppenführers Hans Sailer gewesen sein. In einem Schreiben an das Bezirksamt Garmisch vom 30.01.1932 ließ er dieses wissen: „Wir wollen dem Volke die Kultur vermitteln, die der deutschen Seele entspricht und dadurch im Volke das Empfinden der Ablehnung jüdisch verseuchter Machwerke wecken...“

Rund zwei Wochen vor der Machtübergabe an Adolf Hitler durch die konservativen und reaktionären Kräfte Ende Januar 1933 lud die Mittenwalder Ortsgruppe der NSDAP Franz Buchner aus Starnberg als Redner zu einer öffentlichen Versammlung. Und der wusste den sicher begeisterten Anwesenden die Einsicht mitzuteilen, dass „die Hauptschuld an Deutschlands Zusammenbruch (…) den Juden zuzuschreiben“ sei, denn „diese hätten schon seit Jahrhunderten die Völker beherrscht... Nicht der ehemalige Kaiser sei schuld am Kriegsausbruch gewesen, sondern bestimmte Personen von Juden, welche durch Deutschlands Aufstieg eine Gefahr für das Fortbestehen der internationalen jüdischen Hochfinanz befürchteten.“

Olympia - Die große Zeit eines aktivistischen Antisemitismus

...im Werdenfelser Land brach sicherlich mit der Vorbereitung und Durchführung der olympischen Winterspiele in Garmisch-Partenkirchen in den Jahren 1935-36 an. Alois Schwarzmüller resümiert den antisemitischen Furor mit den Worten: „Im Frühjahr 1935 brach der erste organisierte Massensturm über die jüdischen Bürger und Kurgäste des Bezirksamts Garmisch mit einer Wucht herein, daß am Ende selbst die lokalen Verantwortlichen und ihre Münchner und Berliner Hintermänner verunsichert waren, weil es lange Zeit so schien, als habe sich dieser Terror verselbständigt und gefährde ernsthaft die olympischen Spiele sowohl in Garmisch-Partenkirchen als auch in Berlin.“

Überall im gesamten Bezirk waren bereits im Mai 1935 von der Hitler-Jugend generalstabsmäßig an allen Ortseinfahrten Tafeln mit weiß-roter Umrandung sowie schwarzer Aufschrift angebracht worden: „Juden sind nicht erwünscht“. Das antisemitische Engagement für die Durchführung der Olympischen Spiele war im Bezirk Garmisch so ausgeprägt, dass sich sogar der Präsident des Olympia-Organisationskomitee Ritter von Halt Mitte Mai 1935 mit einem Brief empört an das Reichsminis­terium des Innern wandte. Darin wusste er zu berichten, dass der NSDAP-Kreisleiter Hartmann „einen anscheinend jüdischen Gast aus der Garmischer Post entfernt“ habe. Darüber hinaus sehe er „an allen möglichen Stellen in Garmisch-Partenkirchen und vor allem auf der gesamten Landstraße von München nach Garmisch-Partenkirchen große Tafeln angebracht mit Inschrift „Juden sind hier unerwünscht“. In gewisser Weise schon damals um das Ansehen Deutschlands in der Welt besorgt, machte der Nationalsozialist von Halt darauf aufmerksam, dass „wenn die Propaganda in dieser Form weitergeführt wird, dann wird die Bevölkerung von Garmisch-Partenkirchen so aufgeputscht sein, daß sie wahllos jeden jüdisch Aussehenden angreift und verletzt. Dabei kann es passieren, daß Ausländer, die jüdisch aussehen und gar keine Juden sind, beleidigt werden. Es kann passieren, daß ein jüdisch aussehender Auslandspressevertreter angegriffen wird und dann sind die schlimmsten Konsequenzen zu befürchten. Das Olympia-Verkehrsamt weiß heute schon nicht mehr, wie es die Unterbringung vornehmen soll, wenn es sich um nichtarische Athleten handelt.“ Doch trotz dieser an höchster politischer Stelle geäußerten Bedenken blieb dem engagierten Antisemitismus im Werdenfelser Land der Erfolg nicht versagt. Und so konnte die Polizei schon im September 1935 vermelden, dass, „die

Spätestens aber zwei Jahre später war die antisemitische Welt im Werdenfelser Land anlässlich einer „spontan“ genannten Volkskundgebung, die sogar wegen Überfüllung gesperrt werden musste, wieder in Ordnung. Das Garmisch-Partenkirchner Tagblatt berichtete am 19.2.1938 unter der Überschrift: „Wir wollen keine Juden in Garmisch-Partenkirchen!“ über „Unser Bekenntnis zum Deutschtum.“ Und darin heisst es: „Der 18. Februar 1938 wird in der Geschichte unseres Ortes und des ganzen Werdenfelser Landes eine ganz besondere Bedeutung haben: einmütig und geschlossen wie nie zuvor bekannte sich das Volk zum Kampf gegen das Judentum.“ Darin trug der extra aus München angereiste Gauamtsleiter Wüster unter anderem eine „Erklärung und Anordnung“ der Bürgermeister des Kreises Garmisch-Partenkirchen vor, in der es heißt: „In allen gemeindlichen Regiebetrieben sowie an den Ortsein- und Ausgängen werden die Judenabwehrschilder angebracht. Die Gemeindeverwaltungen werden ... bei Auftragserteilung alle Geschäfts inhaber des Kreises Garmisch-Partenkirchen unberücksichtigt lassen, die sich der Kreisleitung in ihrem Kampf gegen die Juden entgegenstellen. Die Kurverwaltungen ... haben von den Bürgermeistern des Kreises Garmisch-Partenkirchen die Weisung erhalten, an Häuser, die nach wie vor Juden aufnehmen, Vermittlungen oder Zuweisungen von Fremden zu unterlassen... Die Bürgermeister des Kreises Garmisch-Partenkirchen ersuchen die Kreisleitung, uns darüber Mitteilung zu geben, welche Häuser bzw. Geschäfte in unseren Gemeinden die Bindungen mit den Juden nicht aufgegeben haben.“ Es folgen die Unterschriften der Bürgermeister von Garmisch-Partenkirchen, Eschenlohe, Ettal, Farchant, Grainau, Kohlgrub, Krün, Mittenwald, Oberau, Oberammergau, Ohlstadt, Saulgrub, Schwaigen, Unterammergau, Wallgau und Wamberg. Im Pressebericht steht zu lesen: „Ein Beifall ohnegleichen erfüllte den Saal.“ Es war dann dem Parteikameraden Hausböck vorbehalten, auf dieser Veranstaltung auszurufen: „Garmisch-Partenkirchen, das ganze Werdenfelser Land will nichts mehr mit den jüdisch-bolschewistischen Drahtziehern zu tun haben! Deutschland ewig den Deutschen!“ was das Tagblatt mit der Bemerkung kommentierte: „Garmisch-Partenkirchen hat eine historische Stunde erlebt ... die Menschen (sind) befreit und glücklich...“

Der Lohn aller antisemitischen Anstrengungen auch in der Gemeinde Mittenwald konnte vier Jahre später in einer Meldung der örtlichen Gendarmerie-Station rapportiert werden: „Mittenwald ist frei von Juden. Vermutlich sollen sich im Laufe des heurigen Winters im Schloß Elmau einige Juden als Gäste aufgehalten haben. Diesbezügliche Erhebungen sind im Benehmen mit der Geheimen Staatspolizei -Staatspolizeileitstelle - München eingeleitet.“ (25.02.1942) Allerdings ließ man es seitens der Mittenwalder Ordnungsbehörden auch in der Folge nicht an Aufmerksamkeit fehlen, und so ist noch für den 25.03.1943 ein Schreiben der Gendarmerie-Station an den Landrat überliefert, in dem schwarz auf hellbraun zu lesen steht: „Die Halbjüdin Bergmann aus Berlin, welche sich hier des öfteren aufhielt und mit Offizieren der hiesigen Wehrmacht verkehrte, wurde wegen Spionageverdachts der Geheimen Staatspolizei München überstellt.“ Und da sag´noch einer, der Antisemitismus hätte nicht auch in der beschaulichen Welt der Gemeinde Mittenwald für Ruhe, Ordnung und Sauberkeit zu sorgen gewußt.

Die Gemeinde Mittenwald hat Pech …

Doch dann mit einem Male, so steht es in der Heimatkundlichen Sammlung der Grund- und Hauptschulen über den Sonntag, den 29. April 1945 nachzulesen, wurde den Kindern des Ortes die Erstkommunion verhagelt. Denn die aus dem Ort so umsichtig vertriebenen Juden kehrten in ungewohnter Weise zurück. Im Laufe des Nachmittags wurden einige tausend KZ-Häftlinge aus Dachau, die Mehrzahl von ihnen Juden, von der SS durch den Ort in Richtung Seefeld getrieben. Ein Panzer-Flakzug fuhr in den Bahnhof ein und konnte nicht mehr weiter, denn im Norden war schon der Feind und im Süden waren die Gleise aufgerissen. In der Heimatkundlichen Sammlung findet sich der aufschlussreiche Satz: „Am 30. April, früh zwischen 3 und 4 Uhr, drangen die ersten KZ-Häftlinge in den Ort ein, von Scharnitz kommend.“ So sie denn nicht gut zahlende Touristen sind, sieht man die Fremden in Mittenwald nicht gerne. Christian Hallig beschreibt die Ereignisse des Todesmarsches der KZ-Insassen aus Dachau durch Mittenwald: „Sie treiben KZler durch den Ort - in einem furchtbaren Zustand... Hunderte von KZlern, in den dünnen Drillichanzügen, fast ohne Schuhwerk, verhungert, geschwächt... Waffen-SS. Ganz brutale Hunde. Wenn einer nicht mehr kann, schlagen sie ihm mit dem Gewehrkolben ins Kreuz oder treten ihn zusammen... Wir müssen versuchen, einige KZler zu befreien. Von ihnen können wir erfahren, was man mit den Todgeweihten vorhat... Die Nachricht, daß die KZler durch den Ort getrieben würden, hatte sich mit Windeseile verbreitet... Schon war ein Brausen in der Luft, ein Geräusch, noch nie gehört. Ein Gemisch aus Stimmen, aus laut gebrüllten Befehlen, Geklirr von Gasmaskenbüchsen und Seitengewehren, die gegen Koppel und Körper schlugen, von einzelnen schrillen Schmer­­z­ensrufen und Stöhnen. Da bog schon die Spitze des Zuges um die Ecke, in die Hauptstraße hinein. Und zu dem Gestöhn, das dem Zug vorausgeeilt war, kam nun, mit einem Schlag, ein Aufstöhnen derer, die das sahen - ein Ausdruck der Betroffenheit, des Entsetzens und der Ohnmacht, das sehen zu müssen und nicht helfen zu können. Sie zogen in Fünferreihen dahin, an der Spitze ein SS-Offizier, dann folgten zwei Scharführer. Und dann die Unglücklichen in ihrer dünnen, blau-weiß gestreiften Häftlingskleidung. Die Temperatur betrug zwei Grad über Null, es wehte ein bissiger Nordwind. Mit Papier, Zeitungen, Fetzen von Lumpen hatten die Männer aus dem KZ ihre Beine, den Oberkörper umwickelt.., Die entkräfteten Körper schlotterten vor Kälte hin und her... Lag einer, sprang einer der Wachen hinzu, riß ihn hoch und stieß ihn, mit dem Kolben des Gewehrs nachhelfend, in die Reihe zurück... Zum ersten Male wurden die Einwohner mit der Wirklichkeit konfrontiert, dem unverhüllten Terror des Nationalsozialismus... Es war, als hätte eines der von Dämonen, Teufeln, Gefolterten und Gegeißelten wimmelnden Bildes von Hieronymus Bosch, Gestalt angenommen...“

Am 1. Mai wurden die ca. 2000 KZ-Häftlinge dann durch die SS an einem Teich bei Krün zusam­men­getrieben. Die SS hatte diesen Zug menschlichen Elends noch nach Österreich schleppen wollen, wurde aber von den vorrückenden amerikanischen Truppen an diesem Vorhaben gehindert und beschloß eine vorzeitige „Liquidierung“. Man hatte den Haufen verhungerter, zu Tode erschöpfter Menschen mit einem Kordon umgeben und ein Maschinengewehr in Anschlag gebracht, der Befehl zum Erschießen war bereits gegeben worden. Doch wie durch ein Wunder entgingen diese Menschen der Vernichtung. Eine unbekannte Frau flehte den befehlführenden SS-Mann um Erbarmen diese Unglücklichen am Leben zu lassen. Der SS-Mann ließ sich auch erweichen und fuhr mit der Frau davon. Peter Zannantonio sollte dazu dem Garmisch-Partenkirchner Tagblatt am 28.4.1975 berichten: „Bei Krün hatte der KZ-Zug Rast gemacht, man hörte weithin, wie die Bewacher mit Prügeln auf die elenden Männer in ihren Sträflings-Anzügen und Holzpantoffeln einschlugen...“ - Ein gutes Dutzend der erschöpften Männer wurde dann noch auf Wagen und Karren zurückgebracht ins Standort-Lazarett nach Garmisch-Partenkirchen. „Sie sind dort alle noch intensiv behandelt worden, manche sogar unter Sauerstoffmaske, aber keiner hat überlebt. Sie waren schon viel zu schwach. Die Toten kamen in die Leichenkammer zu den verstorbenen Verwundeten, die Leichen häuften sich, wir hatten keine Särge mehr“, berichtet ein Mitarbeiter aus dem Lazarett.“

Der Zeitzeuge Hermann Fink: berichtete dem GAP-Tagblatt vom 20.05.1975: „Bis an mein Lebensende werde ich den Leidenszug von KZ-Insassen nicht vergessen können, die aus Richtung Grainau kommend an der Zugspitzgarage vorbeizogen oder besser gesagt, sich vorbeischleppten; verlumpt, ausgemergelt, kaum sich auf den Beinen halten könnend, bewacht von SS-Schergen und einer Meute von Wolfshunden. So weit hatte es dieses Bar­barentum gebracht, nur der Abschaum der Menschheit konnte das ersinnen und sich zu seinem Vollzug bereit finden. Vergesse es, wer kann, solche Bilder, ich kann es nie und nimmer.“

Die Zusammenstellung wurde auf der Basis der verdienstvollen Chronik von Alois Schwarzmüller, Ereignisse Garmisch-Partenkirchen und seine jüdischen Bürger / Eine Chronik in Quellen 1993 erstellt. (Auszüge) im Internet: http://members.gaponline.de/alois.schwarzmueller/Ereignisse/index_ereignisse.htm. Darüber hinaus wurde noch ein Auszug aus dem Buch von Christian Hallig, Festung Alpen - Hitlers letzter Wahn / Ein Erlebnisbericht, Freiburg 1989, S. 22-35 verwendet. Auch Maurice Cling berichtet in dem Aufsatz „Zweimal auf dem Todesmarsch / Ein Kind überlebt Auschwitz und Dachau“, in Dachauer Hefte Nr. 17/2001 von seinen Erfahrungen in Mittenwald.