Grenzcamp 2000

3. antirassistisches Grenzcamp
der Kampagne 'Kein Mensch ist illegal'
vom 29. Juli bis 6. August 2000
in Forst / Brandenburg
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NRZ
[08.08.2000]

Vom schwierigen Weg zur Zivilcourage

Forst (NRZ). Die etwa 500 jungen Leute im "Antirassistischen Grenzcamp" in Forst an der polnischen Grenze sind das, was Neonazis oder Skinheads als "Zecken" bezeichnen. Buntes Volk, zum Teil aus der linken Szene, das sich für die Integration von Ausländern einsetzt, die jetzige Asylpolitik kritisiert - eigentlich also Zivilcourage praktiziert, die doch so heftig gefordert wird. Viel Beifall findet das allerdings nicht.

Die Niederlausitz: Eine dünnbesiedelte, flachhügelige, schwermütigeLandschaft. Viel Wald, viel Feld, kleine Weiler, wenig los. An der Oder, der Grenze, aufgereiht: Frankfurt, Eisenhüttenstadt, Guben und eben Forst. Am Rande der Kleinstadt eine Wiese, Zelte, junge Leute aus ganz Deutschland im Rasta-Look, buntgefärbt. Gruppen diskutieren. Es geht um Demos und Aktionen gegen Rassismus. Der Bürgermeister von Forst wollte die Veranstaltung nicht genehmigen - da wurde das Areal kurzerhand besetzt. Die Besetzung anschließend geduldet. Die Polizei tut, was sie tun muss: Das Gelände wird scharf bewacht. Mehrere Hundertschaften kontrollieren die Straßen, jede Eskalation, etwa Angriffe rechter Jugendlicher auf das Camp, sollen vermieden werden.

Während am Himmel ein grünweißer Hubschrauber knattert, erklärt Barbara,eine der Sprecherinnen des Camps, dass sich der Widerstand der Teilnehmer vor allem gegen das "Grenzregime" Europas und der Bundesrepublik richte, das es Immigranten zusehends unmöglich mache, legal nach Deutschland einzureisen. "Der Fokus unseres Interesses ist der staatlich forcierte Rassismus." Gemeint sind mit diesen harten Worten die "Aushöhlung" des Asylrechts oder CDU-Unterschriftenaktion gegen den Doppelpass, die dazu beitrügen, Ausländer zu stigmatisieren. Und dies wiederum trage dazu bei, dass Rechte sich als Vollstrecker eines Volkswillen empfänden. Die Gegenforderung, radikal und konsequent: Für Solidarität mit denEinwanderern, für eine humane Zivilgesellschaft, für eine freie Einreise. Bei ihrem zivilen Ungehorsam hart an der Grenze der Legalität trägt die Aktivisten auch die Erfahrung, dass dort, wo es keine Gegenwehr gibt, rechte Strömungen erstarken. Die jetzigen Law-and-Order-Rufe nach einem Verbot der NPD, lehnten die "Radikaldemokraten" dagegen ab, erklärt Barbara dem verdutzten Zuhörer. Es sei widersinnig, dass Politiker, wie Bayerns CSU-Innenminister Beckstein, in der Asyldebatte zuerst dazu beitragen, ein Ausländerfeindliches Klima zu schüren, um dann den autoritären Staat zu fordern. Das Problem müsse von der Gesellschaft aufgelöst, ausgestanden werden.

Doch die hat offenkundig wenig Verständnis für die Forderungen der jungen Leute. In Eisenhüttenstadt, wo sie an diesem Tag vor dem Stützpunkt des Bundesgrenzschutzes demonstrieren, schlägt ihnen offene Ablehnung entgegen. Umstehende Bürger mokieren sich über das "Gesindel". Ein Schild am Straßenrand verhöhnt die Demonstranten: "Hallo, Ihr Weltverbesserer". Man hat hier andere Probleme: Die Arbeitslosigkeit, die wie Mehltau über der Region liegt. "Humane Zivilgesellschaft"? Die Marktwirtschaft, die Wiedervereinigung, sie werden vor allem von den über 40-Jährigen als ökonomische und politische Dominanz des Westens, als Entwertung der eigenen Lebenserfahrung empfunden. Das lähmt jedes Engagement.P>Wenigstens der Sprecher des Polizeipräsidiums Frankfurt/Oder, Helmuth Hahs, zieht ein positives Resümee des Einsatzes in Eisenhüttenstadt und Forst: Es blieb friedlich, es gab keine Krawalle. Das klingt erleichtert. Kein Wunder, war es doch vor allem diese Region, die in den Vergangenheit wegen rechtsradikaler Übergriffe in die Schlagzeilen geraten ist. "Dabei sind die Fälle deutlich zurückgegangen", so Hahs. Im übrigen könne man von einer gefestigten rechten Szene nicht reden. Es gebe ein paar, die große Reden schwingen, die Richtung vorgeben. Andere passten sich dem vorherrschenden Ton an, um nicht als Außenseiter zu gelten. Die Polizei gehe nun zwar schärfer gegen Rechtsextremisten vor, könne aber nicht jeden festnehmen, der Springerstiefel trägt.

Jan und Markus, beide 17, beide in Springerstiefeln, hängen Bierdosen-bewaffnet an einer Bushaltestelle in Guben herum: "Jawohl, wir sind stolz, Deutsche zu sein", und wer was dagegen hat, bekommt ein paar aufs Maul. Viel haben sie nicht, um stolz zu sein: Beide sind arbeitslos, Jan hatte eine Lehrstelle auf dem Bau, bis die Firma dichtmachte. Beide kommen sie selten aus der Stadt, aus ihren Kreisen heraus - es bleibt als Abwechslung nur Bier. "Immigranten machen das Leben vielfältiger", sagt Barbara - von ihnen ungehört - im Camp.

Und die Regierung in Potsdam streitet derweil weiter um ein landesweites Bündnis gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit: Innenminister Schönbohm (CDU) störte die einseitige Ausrichtung gegen Rechts.


Andreas Fettig


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