Grenzcamp 2000

3. antirassistisches Grenzcamp
der Kampagne 'Kein Mensch ist illegal'
vom 29. Juli bis 6. August 2000
in Forst / Brandenburg
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AG Rassismus, die Linke und der Krieg
[01.08.2000]

Rassismus, die Linke und der Krieg

Zuerst möchte ich uns vorstellen: Diese Veranstaltung war von drei Mitgliedern verschiedener Gruppen (Antifa Hamburg, Kein Frieden mit der NATO Kiel) konzipiert, die seit dem Brandanschlag auf die Flüchtlingsunterkunft in der Lübecker Hafenstraße zusammenarbeiten. Aus der gemeinsamen Vorerklärung:

Was wollen wir?

Wir finden es absolut unverständlich und schier unerträglich, daß auf einem antirassistischen Grenzcamp über Diskriminierung, Verfolgung, Vertreibung und Ermordung von Flüchtlingen und MigrantInnen gesprochen wird, nicht aber über die Kriege, die unter anderem auch zur Regulierung der Flüchtlingsströme geführt werden. Der 2. Krieg gegen Jugoslawien folgte geostrategischen Interessen in nahen und fernen Osten; er war Versuchsfeld für neue Technologie geächteter Waffen; er war die Umsetzung neuer NATO-Strategie in eigener Hoheit; er war Demonstration der Abhängigkeit und Aufbruch zur militärischen Konkurrenz der EU gegenüber der USA; er war die Anknüpfung an Auschwitz, um die Verantwortung für Auschwitz zu historisieren; er war der Niedergang am Unrechtsbewußtsein beim Töten.

Die nächsten Kriege, die geplant sind und von Deutschland geführt werden, brauchen nicht mehr die Rechtfertigung pubertärer Gewaltphantasien eines Rudolf Scharping; sie brauchen zum Töten nicht mehr den demagogischen Bezug eines Joschka Fischer auf die historische Schuld an der Massenvernichtung; vielleicht brauchen sie weniger dümmliche Fälschungen von \\'Hufeisenplänen\\' für ein Genozid; vielleicht brauchen sie weitere inszenierte Verbrechen für die direkte militärische Intervention. Der 2. Jugoslawienkrieg war die Demobilisierung und Demoralisierung antimilitaristischer Opposition in fast allen Ländern der alliierten Aggression; er hinterläßt alle, die heute noch eine Funktion in SPD und der grünen Partei tragen als aktive Kriegsverbrecher.

Wir unterstellen, daß die tragenden Gruppen und TeilnehmerInnen des Grenzcamps weit entfernt sind von der Gemeinsamkeit im \\'Krieg gegen den imperialistischen Krieg und sozialen Frieden\\'. Wir unterstellen aber die Einheit in der passiven Ablehnung und Hoffnung: \\'stell Dir vor, es ist Krieg - und keiner geht hin!\\' Diese Einheit schließt alle Positionen ein, die den Krieg ablehnen, weil er falsch geführt wurde: weil er die Vertreibung befördert und nicht aufgehalten hat, weil er die Ethnisierung des Sozialen vorangetrieben und nicht beendet hat, weil er (wieder einmal) \\'die Kinder, die Alten, die Frauen\\' zu Kolateralschäden gemacht hat, weil er dem breiten Widerstand gegen das Regime der Milosevics nicht zum Durchbruch verhalf sondern ihn zerschlagen hat.

Diese unterstellte Einheit in der Ablehnung des Krieges wollen wir durch unsere Veranstaltung infragestellen. Wir wollen Denken und Handeln provozieren. Viele Aspekte des Krieges sind genau und umfassend analysiert - insoweit verweisen wir auf unsere kommentierte Literaturliste. Wir geben einen kurzen Abriß über die geostrategische Bedeutung des Krieges. Wir versuchen zu erklären, warum eine ideologisch ausgehöhlte Linke dem Krieg politisch und materiell nichts nennenswert entgegensetzen konnte. Und wir wollen hinweisen auf die Ablösung des Liberalismus durch den Faschismus, der ungleichen Wert der Menschen proklamiert und durchsetzt:

Der Beitrag: "zum Verschwinden des Unrechtsbewußtseins"
wurde auf dem Camp nicht gehalten. Der Grund lag in der konsequenten Ablehnung des Autors einer Zusammenarbeit mit Mitgliedern der Regierungsparteien (Kriegsverbrecher) die durch die Unterstützung des 3. Grenzcamps durch Claudia Roth (Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Grüne) durchbrochen war. Es war vereinbart, seinen Text trotzdem auf den Camp-Seiten zu veröffentlichen.

Der zweite Beitrag: zur politischen Entwaffnung der Linken
Ich werde hier meine Thesen zum Verhältnis der sogenannten Linken zum Krieg im Kosovo skizzieren.

Ich verwende den allgemeinen Begriff "Linke", obwohl die heutige Linke sehr differenziert ist in unterschiedliche Gruppierungen zT. widersprüchlichster Ausprägung. Mehr noch: Die sogenannte Linke ist im Begriff, sich so zu marginalisieren, daß die neue GRÜNE Vorstandssprecherin Renate Künast achselzuckend die Frage der Zeitung "Die Woche" nach ihren linken Positionen mit dem Hinweis abtun konnte, wer wisse heute schon, was links ist. Wenn ich also von der Linken spreche, rede ich von der selbsternannten Linken, wie sie mir vornehmlich in der antirassistischen Soliarbeit begegnet. Wie sie hier auf dem Camp hauptsächlich vertreten ist. Ich will also nicht allgemein theoretisieren, sondern von Gedanken reden, die uns alle etwas angehen, die wir uns um die Zukunft der Linken und v.a. der linken Bewegung Sorgen machen.

Die politische Situation hat sich seit dem Regierungswechsel zT grundlegend geändert und besonders die in der antirassistischen Arbeit verhaftete Linke hat sich bisher kaum darauf eingestellt. Wie ist also die jetzige politische Situation einzuschätzen? Heute gestehen Verlautbarungen der Staatsmacht mehr als 10.000 rassistische Anschläge im letzten Jahr ein : die Bundesanwaltschaft zieht Verfahren an sich; es werden höhere Strafen gegen Täter aus faschistischen Zusammenhängen verhängt; neue Ermittlungen werden zB. In Lübeck aufgenommen. Da, wie wir alle wissen, sich weder an der unmenschlichen Handhabung des Restes von Asylrecht etwas geändert hat, ihm im Gegenteil gegen die Green-Card der letzte Todesstoß versetzt werden soll, sowie nicht eigentlich gegen den rassistischen Konsens vorgegangen wird, er im Gegenteil immer noch geleugnet wird - kann eine Folge nur Verweigerung, genaue Analyse und Positionierung sein. Es darf nicht dabei stehengeblieben werden, die Tatsache der schwachen Linken zu bedauern. Dieses bedeutet natürlich eine Zäsur, eine schmerzhafte Selbstbeschneidung der sowieso wenig verbleibenden Mittel.

Doch das Gegenbild lautet: die Restlinke wird staatstragend.

Solange sie handhabbar und einschätzbar nur marginal an den Grundfesten kratzt, kann sie benutzt werden, um den starken Staat Deutschlands im internationalen Ansehen zu nützen. Die rechtsradikalen Stammtische und Schläger- Nazis werden zur Durchsetzung der Abschottung Europas nicht mehr gebraucht. Sie sind natürlich schon immer eine reale Gefahr für den Staat gewesen. Um die Linke braucht er sich nicht mehr zu kümmerrn. Er kann sich die Rechte vornehmen und versucht das natürlich auch mit Einbeziehung der Linken, wo es paßt. Der nächstfolgende Krieg wird durch dieser antirassitischen Linke mitgetragen- die für die Flüchtlinge mörderischen Verhältnisse sowieso.

Besonders in der Zusammenarbeit mit den GRÜNEN sind die gegenseitigen Reaktions- und Zusammenarbeitsmuster so, als wären die GRÜNEN immer noch in der Opposition. Dies ist dem Umstand geschuldet, daß die Zusammenarbeit in manchen Bundesländern sehr eng ist, und Abhängigkeiten in Form von Existenzsicherungen durch die GRÜNEN in diversen Tätigkeitsfeldern bestehen. Eine Aufgabe dieser, die Flüchtinge unterstützender Tätigkeiten, würde immer zur Lasten von einzelnen Flüchtingsschicksalen gehen. Es wurde versäumt, unabhängige Strukturen aufzubauen - wobei mensch sich streiten kann, inwieweit dazu die Möglichkeiten je bestanden haben.

Daß diese Abhängigkeiten aber auch die grundsätzliche Infragestellung des ganzen herrschenden Systems, nach dem die Abschottung Deutschlands gegenüber Flüchtlingen funktioniert, immer mehr vergessen wird, ist zwar immer wieder bedauert worden, wird aber mit den -ja wirklich dringenden Fällen- von Einzelschicksalen vom Tisch gewischt. Das hat eine zunehmende Professionalisierung der Arbeit zur Folge, wird aber immer mehr vom Staat vereinnahmt und ausgenützt.

In den ersten Tagen nach dem Brandanschlag in Lübeck (18.1.1996) wurde zum letzten Mal von vielen Seiten lautstark die Rücknahme der Änderung des Asylrechts von 1993 gefordert. Heute denkt die antirassistische Linke lautstark mit, wie das Gesetz verbessert werden könnte.

Das rein menschliche Eintreten für alle Flüchtlinge gleich welcher Nation muß spätesten seit dem Krieg in Jugoslawien überprüft werden. Diese Arbeit konnte problemlos (zb.NGO´s als soziale-meistens unterbezahlte! Helfer in den Flüchtlingslagern in Albanien) im Krieg einberechnet werden. Mehr noch: damit wurde an der Festung Europas mitgebaut. Durch die Kasernierung in Flüchtlingslagern wurden die Menschen wirksam daran gehindert, das Kriegsgebiet zu verlassen. Die allbekannten Flüchtlingsströme hätten im Kriegshinterland Deutschland den Rassismus wiederangestachelt und wesentlich die Kriegsunterstützung abgebaut. Zum anderen wurde die Nationalisierung und Ethnisierung, wie sie gerde bei den sogenannten Kosovo- Albanern erst geschaffen wurde, zementiert.

Zusammenfassend können wir also nur vorschlagen, Zeit zur Reflektion zu nehmen und nicht im business as usual fortzufahren.

Dabei mag es angebracht sein, die traditionellen linken Ursachen für Solidarität zu reflektieren. Dabei möchte ich weniger auf Besonderheiten und Spezifika der einzelnen Befreiungsbewegungen eingehen, sondern nur grundlegend den Gedankengang skizzieren. Manche Theorien werden dem/der einen oder anderen wahrscheinlich hart aufstoßen, sind aber als provozierende Denkanstöße gemeint.

Seit den kolonialen Befreiungsbewegungen der 50ger und 60er Jahren überwog die Zuversicht, daß diese Kämpfe den Aufbruch zur kommenden Weltrevolution darstellten. "Trikontbewegungen zusammen mit dem Kampf in den Metropolen - den Kampf in das Herz der Bestie führen- kein ruhiges Hinterland", so lauteten die Parolen.

Die natürlich auftretende Problematik des gemeinsamen Kampfes war mit verschiedenen Bildern zugekleistert. Zum einen fand eine hauptsächlich von feministischer Sichtweise kritisierte und immer wieder beklagte Mythenbildung: in Richtung eines "heroischen Kämpfers" statt, der kulturell fast bruchlos noch eine sogenannte "Identität" bewahrt habe. Diese Heroisierung und Reinheitsinkarnation in Richtung "edler Ursprungsmensch" hatte schon immer Anklänge an die "Blut und Boden" Gedankenwelt. Je schwächer das Selbstbild und je zielloser die Perspektive, umso mehr suchte die Linke ihr Heil in den Trikontbefreiungsbewegungen, desto kritikloser wurde die auf der ganzen Welt tendenzielle Veränderung des Befreiungskampfes um bessere soziale Verhältnisse zum Befreiungskampf für nationale Selbstbestimmung akzeptiert.

Die Widersprüche in der Soliarbeit,die sich daraus ergaben, daß die sozialen Formen der nationalen Befreiungsbewegungen zT. nicht gerade fortschrittlich aussahen (Autoritätskult der PKK, völkische Zuordnungen der ETA, antisemistisch und/oder frauenfeindliche Einstellung auch oder trotz der vorhandenen Kämpferinnen in der jeweiligen Befreiungsarmee) löste die Linke mit einem Trick. Sie behauptete die Nichteinmischung in innere, nicht kritisierbare Angelegenheiten und Besonderheiten des jeweiligen Landes und begründete eindeutige nicht mehr zum linken Selbstverständnis passende Äußerungen stets als Taktik auf den Druck des äußeren imperialistischen Feindes - einem gemeinsamen Feind, immerhin und weiterhin. Das sogenannte "Selbstbestimmmungsrecht" war und ist unumstößlicher Faktor allen Bestrebungen eines Widerstand leistenden Trikontvolkes - wobei die Bezeichnung "Volk" immer mehr unhinterfragt benutzt wurde, was sich durchaus mit Sichtweisen aus dem rechten Lager verbinden konnte und kann. Auch das sogenannte Selbstbestimmungsrecht ist spätestens seit dem Kosovo-Krieg als Propaganda-Material für einen Kriegseinsatz zu sehen. Ein Selbstbestimmungsrecht auf einen völkischen Staat gibt es ja auch. Einer der schlimmstdenkbaren Auswirkungen einer kritiklosen Soliarbeit : Das Eintreten für die in Teilen ehemalige linke UCK hat Begründungen für sie als die vermeintlich "Guten" geliefert, wovon man sich heute ganz still und leise verabschiedet.

Die Linke hat jedoch ihre Kriterien zur Solidaritätsarbeit immer weniger überprüft. Dazu gehört eine Anfang der 90ger Jahre stattgefundene wenig beachtete Auseinandersetzung der RZ mit dem eigenen Antisemitismus, der sich auf den palästinensischen Befreiungskampf bezieht. Auch die RAF in ihrem Kampf gegen die USA als Besatzungsmacht hat damit ungewollt für so etwas wie das "Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes" gekämpft, hat das deutsche Volk als Opfer der amerikanischen Besatzungsmacht oder des Nationalsozialismus mit seinen übriggebliebenen Representanten der Macht gesehen. Ein Horst Mahler ist unter diesem Gesichtspunkt schon verständlicher.

Die Vorstellung von imperialismus war doch stark von antiamerikanischen Vorurteilen durchsetzt, in der sich auch rechte Kreise finden können. Deutschland erhebt sich seit dem Fall der Mauer aus seiner durch die Niederlage des 3. Reiches auferlegten Begrenzung und läßt in letzter Zeit antiamerikanische Töne gerne zu. Somit ist die in linken Kreisen laute Kritik an der NATO als Kriegsverbrecher nur hilfreich für rot-grüne KriegstreiberInnen, die einen europäischen Alleingang - unter Führung der stärksten europäischen Macht Deutschland - vorantreiben.

Kritik an dem Kosovo-Krieg, wie er geführt wurde, ohne grundsätzlich mit die Rolle Deutschlands als Kriegstreiber zu beleuchten und das eigene Verhältnis damit zu klären, arbeitet also dem nächsten Krieg in die Hände. Ebenso die weitere Zusammenarbeit mit den durch ihre Regierungsbeteiligung mitverantwortlichen GRÜNEN.

Doch was sind die Kriterien der Zusammenarbeit mit - nun sagen wir eine bestimmte Gruppierung, eine kämpfende Partei mit mehrheitlichem Mandat der Bewohnerinnen aus dem Trikont? Mit dem Niedergang der Sozialistischen Staaten war für viele Linke die Perspektive, so unsicher und vage sie schon von Anfang an stand, ganz begraben. Wie notwendig die Vision einer gemeinsamen Perspektive zur so ersehnten Weltrevolution ist, und wie unabdingbar als Vorrausetzung einer kritischen, wirklich solidarischen Zusammenarbeit, ist eigentlich selbstverständlich.

Wenn wirklich von internationaler Befreiung gesprochen werden kann, muß m.E. gerade der Nationalismus bekämpft werden.

Diese Gedanken sind nur skizzenhaft. Aber wie gesagt, die anschließende Diskussion ist uns wichtig.



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