Grenzcamp 2000

3. antirassistisches Grenzcamp
der Kampagne 'Kein Mensch ist illegal'
vom 29. Juli bis 6. August 2000
in Forst / Brandenburg
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anonym
[21.07.2000]

Rassismuszentrale Eisenhüttenstadt

"Die Stadt Eisenhüttenstadt ist für uns ein Gefängnis. Das ist die Wahrheit. Es ist ein Gefängnis. Und das Land Brandenburg, wir können uns nicht aus dem Land Brandenburg wegbewegen."
Fernando J./Asylbewerber aus Lateinamerika in: "Die Grenze - Flüchtlingsjagd in Schengenland. S. 127"

In Eisenhüttenstadt existiert zum einen die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber (ZABH), die Anlaufstelle für alle Flüchtlinge. Hier werden die Erstanträge im Asylverfahren gestellt und die Anhörungen finden da ebenfalls statt.

Ca. 10-15 Menschen kommen hier pro Tag an, die dann auch in andere Bundesländer verteilt werden. Durch die absolute Grenzabschottung durch den BGS kommen schon lange keine Flüchtlinge mehr zu Fuß, d.h. sie werden meist vom BGS aufgegriffen und dahin gekarrt.

1998 z.B. kamen 3.900 Flüchtlinge in die ZABH, davon wurden 900 in andere Bundesländer verteilt. “Offensichtlich Unbegründete”, die aber nicht abgeschoben werden konnten, wie z.B. bis vor Monaten die Menschen aus dem Kosovo, wurden auch umverteilt.

Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer beträgt 4-6 Wochen, wobei einige auch länger da sind. 1999 wurden über 500 Menschen aus der ZABH abgeschoben, das sind ca. 25% aller Abschiebungen in Brandenburg. Damit hat dieses Bundesland eine der niedrigsten Anerkennungsquoten von Flüchtlingen: 1999 schlappe 1,2% (der Bundesdurchschnitt liegt zwischen 4 und 5%).

“1999 wurden aus Brandenburg insgesamt 1027 illegal eingereiste Ausländer in ihre Heimatländer abgeschoben, ebenso 753 rechtskräftig abgelehnte Asylbewerber” (O-Ton Innenminister Schönbohm).

Die Flüchtlinge sind bei ihrem Aufnahmegespräch völlig auf sich gestellt, es gibt keine Beratung und fast keinen anwaltlichen Beistand, das ist eine eindeutig verschärfte Situation, die laut Auskunft von Flüchtlingsgruppen so nirgend woanders anzutreffen ist.

Hinzu kommt, dass die Betreuung wie auch die Bewachung privatisiert wurde: die berüchtigte Firma B.O.S.S. aus Berlin hat den Zuschlag erhalten. Sie bewacht in Berlin mehrere Flüchtlingsheime. Die Bewacher haben schlechte Arbeitsbedingungen und sind mies bezahlt (nicht dass gutbezahlte Beamten unbedingt besser sind...), in der “Betreuung” sind diese Faktoren jedenfalls negativ spürbar.

Auf dem Gelände der ZABH befindet sich seit Mitte letzten Jahres der neue zentrale Abschiebeknast. Er ist mit mehreren hohen Zäunen und natürlich NATO-Draht obendrauf, gesichert. Der Knasthof ist allerdings von außen einsehbar.

Die Knastbedingungen lassen eine Stunde Hofgang für jeden Flüchtling zu. Der Knast hat Platz für 108 Insassen, davon 30 für Frauen. Wieviele sich im Moment dort befinden, konnten wir nicht herausfinden, da der Flüchtlingsrat und die Flüchtlingsberatungsstellen aufgrund eines Verbotes des Innenministeriums, seit dem Neubau des Knastes keinen Zugang mehr haben. Lediglich Verwandte und ein Jesuitenpater aus Berlin als Seelsorger haben dort Zutritt.

Die Flüchtlinge können in der ZABH bis zu 18 Monate lang versauern. Haben sie keinen Paß und erhalten sie nachweislich auch keinen von ihrer Botschaft, dann müssen sie freigelassen werden. Früher konnten die BesucherInnen sich innerhalb des Knastes frei bewegen, heute gibt es 2 Besuchsräume, die Wachleute bleiben vor der Türe, der Besuch muß seine Sachen draußen abgeben, die “Häftlinge” werden nach dem Besuch durchsucht.

Die Fenster sind alle zu öffnen. In den Zellen sind Betten und Schränke fest installiert, Stühle und Tische sind frei beweglich und in jeder Zelle ist ein Fernseher. Aufschluß ist von morgens 7 bis abends um 22 Uhr.

Die Gründe für den Knastneubau waren massenhafte Ausbrüche und Knastrevolten. Im November ‘97 gab es z.B. wegen der Abschiebung eines Menschen aus Ghana eine Knastrevolte in Eisenhüttenstadt und im Mai \\\\'98 eine Massenflucht von 20-25 “Häftlingen”. Es gab mehrere, eher provisorische Abschiebeknäste. Der Neue ist “modern” nach den Sicherheitsstandards gebaut und es gibt weniger Einblick und Kontrolle von außen.

Eine Besonderheit hat Eisenhüttenstadt noch aufzuweisen: den Amtsgerichtsdirektor Werner Ruppert. Nach der Knastrevolte hatte er die Verfahren an sich gerissen und bewirkt, dass die sogenannten Rädelsführer abgeschoben wurden. Er zeichnet sich auch darin besonders aus, dass Bagatelldelikte wie Ladendiebstahl - auch bei sog. Ersttaten- von ihm mit Haftstrafen geahndet werden.

1999 erhielt Ruppert vom Flüchtlingsrat den Negativ-Preis: “Denkzettel”. Begründung: “Er sei ein Mann, der mit seinem autoritären und völkisch-nationalen Reden und Handeln zu einem Klima von Intoleranz und Menschenverachtung in der Region beiträgt”.


Am 4.8. ist zum Komplex institutioneller und staatlicher Rassismus in Eisenhüttenstadt ein Aktionstag geplant. Eine Demo ist in Arbeit, weitere Aktivitäten und Ideen, hauptsächlich aber auch die praktische Umsetzung davon, sind von allen gefragt.


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