Bürger rufen Ordnung und Sauberkeit - Bild puscht - Senat kuscht - SA marschiert

Nach Bergedorf, Barmbek und Elmshorn wollen Nazis am 4. Juni durch das Hamburger Schanzenviertel marschieren.

 
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Dann eben auf die Finger
Gebrochene Finger und sechs Wochen eingegipste Arme: Wie Annemarie Weber den "besonnenen" Polizeieinsatz vor der Roten Flora in der Nacht zum 1. Mai erlebte   Von Elke Spanner

Mit Bedauern habe er das "hohe Gewaltpotential beobachtet", sagte Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD) am Samstag im taz-Interview - und meinte damit diejenigen, die in der Nacht zum 1. Mai im Schanzenviertel Barrikaden errichteten. Seine PolizistInnen hätten darauf "mit Besonnenheit und Konsequenz" reagiert. Infolge des besonnenen Polizeieinsatzes muss Annemarie Weber (Name geändert) heute zur Operation ins Krankenhaus.

Vier Finger haben BeamtInnen ihr gebrochen - als sie die Hände schützend über den Kopf hielt, damit der Polizeiknüppel nicht diesen träfe.

Annemarie befand sich gerade im Gebäude der Roten Flora, als draußen auf dem Schulterblatt Barrikaden in Brand gesetzt wurden. Als sie wieder auf die Straße trat, beobachtete sie Auseinandersetzungen zwischen PolizistInnen und DemonstrantInnen, in die sie dann verwickelt wurde: Uniformierte versetzten ihr einen Schlag in den Magen. Sie taumelte. In Panik wollte sie in die Flora fliehen und rannte den Seiteneingang hoch, wo sich viele Leute drängelten - auch, weil dort demnächst das Konzert einer baskischen Band losgehen sollte.

"Plötzlich waren auch da Polizisten und haben zugeschlagen", erinnert sich Annemarie. Intuitiv riss sie beide Arme zum Schutz vor den Knüppeln über den Kopf - "und dann habe ich es auf die Finger bekommen". An beiden Händen sind jeweils zwei Finger gebrochen. So wie die Bruchstellen verlaufen, sagt Annemarie, müssen es zwei Schläge gewesen sein.

Die Innenbehörde hatte den Polizeieinsatz damit begründet, sie habe gegen Straftäter vorgehen und diese festnehmen wollen. Von einer Festnahmesituation kann hier indes keine Rede sein. "Sie hätten mich locker mitnehmen können", sagt Annemarie. "Aber sie haben zugeschlagen und sind gegangen."

Da die Flora später von der Polizei abgeriegelt wurde, hat Annemarie die ganze Nacht in dem Gebäude verbracht. Zusammen mit rund 120 anderen wurde sie am nächsten Morgen mit Sonderbussen zur Personalienfeststellung auf Polizeiwachen gebracht. Vier bis fünf Mal habe sie vergeblich nach einem Arzt gefragt. Erst als die anderen Festgenommenen ankündigten, ihre Passabgabe bis zur Freilassung von Annemarie zu verweigern, riefen die BeamtInnen einen Krankenwagen an.

"Die Polizisten müssen gesehen haben, dass ich vor der Flora nur gestanden habe", betont Annemarie. "Sie haben einfach willkürlich drauflos geschlagen." Heute wird sie operiert. Etwa sechs Wochen lang werden beide Arme bis zu den Ellenbogen eingegipst bleiben. Eine Krankenschwester habe gesagt, dass Schläge kräftig sein müssen, wenn sie Finger brechen.

Und dass es "sehr gut gewesen ist, dass ich meinen Kopf geschützt habe".


taz Hamburg Nr. 6136 vom 8.5.2000 Seite 22 Hamburg Aktuell 40 Zeilen
TAZ-Bericht Elke Spanner
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Rechtswidrigkeit, Meineid und Freiheitsberaubung

 Schon acht Mal wurden Hamburger Polizeieinsätze gerichtlich geahndet. Eine streng rechtsstaatliche Chronik

Die Rot-FloristInnen wollen eine Feststellungsklage beim Verwaltungsgericht einreichen. Der Polizeieinsatz von vorigem Sonntag, sagen sie, sei rechtswidrig gewesen: Das Stadtteilzentrum Rote Flora am Schulterblatt war über Stunden abgeriegelt, die BesucherInnen waren faktisch eingesperrt. Der Kontakt zu ihren RechtsanwältInnen wurde von der Polizei verboten. Um die Flora wieder verlassen zu können, mussten alle ihre Personalien abgeben, die sich in dem Gebäude befanden, in dem an diesem Abend ein Konzert stattfinden sollte.

Die Bilanz der Polizei über die vorübergehenden Ingewahrsamnahmen hinaus: Rund 30 durch Polizeiknüppel verletzte Demons-trantInnen, darunter eine Frau mit Schädelbruch, eine andere mit vier gebrochenen Fingern. Mehrere Verletzte mussten vom Notarzt vor Ort versorgt werden, von mindestens vieren ist bekannt, dass sie ins Krankenheus gebracht wurden.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Verhältnismäßigkeit eines Polizeieinsatzes in Hamburg fragwürdig ist. Die Liste richterlicher Schelte ist lang, mehrfach haben Verwaltungs-, Straf- oder ZivilrichterInnen festgestellt, dass es die Ordnungsmacht gewesen war, die die öffentliche Ordnung in der Stadt beeinträchtigte.

Am 8. Juni 1986 kesselte die Hamburger Polizei 861 Anti-Atom-DemonstrantInnen 13 Stunden lang auf dem Heiligengeistfeld ein, um eine "Schneise der Gewalt" zu verhindern. Das Verwaltungsgericht erklärte den "Hamburger Kessel" für rechtswidrig und sprach den Betroffenen symbolisch 200 Mark Schmerzensgeld zu. Das Landgericht verurteilte die verantwortlichen Polizeiführer am 23. Oktober 1991 wegen Freiheitsberaubung zu Geldstrafen.

Am 29. November 1991 räumte die Polizei vor dem Verwaltungsgericht ein, dass die Auflösung einer Demonstration für die Zusammenlegung der politischen Gefangenen am 18. April 1989 rechtswidrig war. BeamtInnen hatten nach einer Aktion vor dem Altonaer CDU-Büro eine Spontandemo in der Großen Bergstraße eingekesselt und 41 Personen festgenommen.

Im März 1990 bezeichnete das Bremer Verwaltungsgericht den sogenannten "Wanderkessel" - die "einschließende Begleitung" durch behelmte und mit Schildern ausgerüstete PolizistInnen - als "nicht vereinbar" mit dem Versammlungsgesetz. Das Konzept des Wanderkessels hatte die Hamburger Polizei konzipiert.

Am 16. Juni 1991 räumte die Polizei vor dem Verwaltungsgericht ein, dass die Maßnahmen anlässlich einer Demonstration nach der Verhaftung der Gentechnik-Gegnerin Ulla Penselin rechtswidrig war. Die Polizei hatte am Versammlungsplatz in Altona umfassende Zugangskontrollen durchgeführt und die Demo in einem Wanderkessel begleitet.

Am 23. August 1991 erklärte das Verwaltungsgericht Hamburg die Auflösung der Solidemo vom 16. Januar 1989 für den damals inhaftierten Atomkraftgegner Fritz Storim für "rechtswidrig, da die Polizeimaßnahme "unverhältnismäßig" war und das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit verletzte.

Am 18. Juli 1994 erklärte das Verwaltungsgericht einen Polizeieinsatz am Hamburger Flughafen vom 27. November 1992 für rechtswidrig. Anlässlich der Überführung der Todesopfer des rassistischen Möllner Brandanschlages hatten Beamte den Flughafenterminal abgeriegelt und durch Knüppeleinsatz mehrere Trauergäste verletzt. Angeblich habe die Kurdische Arbeiterpartei PKK eine Aktion geplant, lautete die Begründung. Das Gericht: "Die Gefahrenprognose war falsch."

Am 8. November 1993 rügte das Itzehoer Landgericht die Polizei, die beim "Plattenleger-Prozess" wichtige Akten vorenthalten oder nur geschwärzt vorgelegt hatte. Die Staatsanwaltschaft leitete anschließend gegen vier Fahnder Ermittlungen wegen des Verdachts des Meineides ein. Sie hatten im Anschluss an eine Observierung der beiden Rot-Floristen Knud A. und Ralf G. im Juni 1992 behauptet, diese hätten Betonplatten auf Bundesbahngleise bei Pinneberg gelegt, um die Räumung des Flora-Parkes zu rächen. Die Anklage brach vor Gericht zusammen, der Prozess endete mit Freisprüchen für die Beschuldigten.

Am 23. Oktober 1995 bezeichnete das Verwaltungsgericht Schwerin den Bad Doberaner Kessel als rechtswidrig. Hamburger Bereitschaftspolizei hatte am 29. August 1992 unter dem Vorwand, Personen aus dem "RAF-Umfeld" aussondern zu wollen, in Mecklenburg den Hamburger Konvoi gestoppt und mehrere Stunden eingekesselt, der nach den ausländerfeindlichen Krawallen von Rostock-Lichtenhagen auf dem Weg zu einer antirassistischen Demo in Rostock war. Das Gericht: "Die Personenkontrollen waren rechtswidrig."

Kai von Appen / Elke Spanner

Chronologie
taz Hamburg Nr. 6136 vom 8.5.2000 Seite 22 Hamburg Aktuell 67 Zeilen
TAZ-Bericht Kai von Appen / Elke Spanner
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Gilt Mecklenburger Landrecht in Hamburg?

Knifflige Rechtsfragen sind in einem Prozess gegen Antifaschisten zu lösen, die beim Bergedorfer Neonazi-Aufmarsch im Juli von auswärtigen Polizisten "zerstreut" wurden   Von Kai von Appen

Schon vor zwei Wochen setzte die Bergedorfer Amtsrichterin Claudia Wetjen den Prozess gegen André H. wegen Widerstand aufgrund einer Grundsatzfrage aus, da diese nicht ad hoc zu klären war. Und auch gestern im Prozess gegen Tobias H. (23) zeigte sie sich nicht abgeneigt, das Verfahren vorerst abzubrechen. Die knifflige Rechtsfrage lautet: Dürfen auswärtige Polizisten eigenmächtig auf Hamburger Territorium eine Demonstration auflösen, obwohl sie eigentlich die Demo nur begleiten sollten?

Der Student Tobias H. war am 10. Juli 1999 mit mehreren Kommilitonen aus Göttingen nach Bergedorf gekommen, um gegen den dortigen Aufmarsch der "Freien Nationalisten" zu protestieren. Doch ihnen bot sich ein "erschre-ckendes" Szenario. Während die Neonazis für "Ruhm und Ehre der Waffen-SS" marschieren durften, waren Gegenproteste von der Innebehörde verboten worden (taz berichtete).

Frustriert machten sich die Göttinger Studis nachmittags wieder auf den Heimweg. Als sich auf der Bergedorfer Straße eine spontane Demo zum Bahnhof formierte, schlossen sie sich dem Marsch an. Plötzlich seien Schweriner Polizisten aufgetaucht und hätten die 60 Teilnehmer mit Gummiknüppeln auf den Fußweg abgedrängt. "Ich habe nicht wahrgenommen, dass sich jemand der Maßnahme widersetzt hat", berichtete Tobias H. gestern vor Gericht. Dennoch seien die Polizisten "blitzartig" in die Menge gegangen: "Ein Mann wurde niedergestoßen", so H. weiter - es war André H. "Ich habe gerufen: ,Was soll das?'." Wenig später wurde er selbst festgenommen. Angeblich habe er versucht, den am Boden Liegenden zu befreien, indem er den Schweriner Beamten Andreas B. gegen das Knie getreten und an dessen Jacke gezerrt habe. Tobias H. bestreitet das: "Ich habe mich in keiner Weise zur Wehr gesetzt."

Dass die Demo nicht ordnungsgemäß durch Aufforderungen aufgelöst wurde - "als Festnahmezug haben wir keine Megaphone" - musste B. gestern eingestehen. "Wir hatten den Befehl, die Gruppe zu begleiten." Da der Verkehrsfluss jedoch gestört worden sei, habe sein Zugführer den Befehl zum Abdrängen gegeben. Da André H. dem nicht Folge geleistet habe, habe er Polizeirecht angewendet: "Ich habe ihn mit körperlicher Gewalt nach Paragraf 106 Sicherheits- und Ordnungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern in Bodenlage verbracht", so B.

Anwalt Jochen Lau belehrte ihn daraufhin, dass er sich in Hamburg befunden habe und machte ihn überdies auf Widersprüche aufmerksam: Während mehrere Zeugen bestätigten, dass Tobias H. ohne Grund von Kollegen zu Boden gerissen worden sei, hat der Beamte bislang zwei Versionen präsentiert. Im Bericht will er getreten worden sein, bevor er André H. "zu Boden gebracht" habe; gestern sagte er aus, der Tritt habe sich danach zugetragen.

Der Prozess wird fortgesetzt.


taz Hamburg Nr. 6071 vom 18.2.2000 Seite 22 Hamburg Aktuell 43 Zeilen
TAZ-Bericht Kai von Appen
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Morddrohung gegen IG-Metaller

HAMBURG taz Uwe Zabel, IG-Metall-Chef in Elmshorn bei Hamburg, erhält wegen einer Morddrohung von Neonazis polizeilichen Personenschutz. Der Staatsschutz übernahm die Ermittlungen, nachdem am Freitag Steckbriefe "Uwe Zabel - Kopfgeld - 10.000 Mark Belohnung - tot oder lebendig" auftauchten. Zabel und die SPD-Bürgermeisterin Brigitte Fronzek stehen an der Spitze eines Bündnisses gegen rechts, das sich den zunehmenden rechtsradikalen Aktivitäten in der 50.000-Einwohner-Stadt im Westen Hamburgs entgegenstellt. Unter dem Motto "Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen" organisierten sie eine Reihe von Aktionen und Veranstaltungen. Seit Jahresbeginn wurden mehrere Farbbeutel-Anschläge auf das Gewerkschaftsbüro verübt und Fensterscheiben am Privathaus der Bürgermeisterin eingeworfen. smv


taz Nr. 6121 vom 17.4.2000 Seite 6 Inland 29 Zeilen
TAZ-Bericht smv
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