Vorwort:
"Den Rest überlasst den Jungs von der Polente"

Im Spätsommer 1985 kursierten im Bayerischen Innenministerium hektographierte Papiere mit Titeln wie "Zum Thema: Polizist sein in Wackersdorf" oder Zum Thema: Zaunbesichtigungen in Wackersdorf. Die Verfasser waren Angehörige des Psychologischen Dienstes der bayerischen Polizei, die mehrere Monate, bevor der erste Baum im Taxöldner Forst fiel, bereits Vorlagen für die später verteilten Polizeiflugblätter formulierten.

Das Beispiel hat mittlerweile Schule gemacht: Kaum eine grössere örtliche oder überregionale Demonstration, bei der die Polizei um einen geregelten Ablauf zu fürchten meint, findet seitdem ohne Flugblätter aus werbepsychologisch geschulten Pressestellen oder gleich aus den Psychologischen Diensten statt.

Man mag dieser Entwicklung einen gewissen kabarettistischen Gehalt nicht absprechen, witzig ist sie beileibe nicht. Denn Polizeipsychologen streuen vornehmlich dort ihre Blumen und verteilen ihre Sticker, wo ihre Kollegen von der schlagenden Verbindung eine breite Blutspur gezogen haben: Sei es in der Oberpfalz, wo Übergriffe zur Tagesordnung zählen und wo rund um die WAA-Baustelle ein permanentes Demonstrationsverbot herrscht, dafür ' aber geschulte Kommunikationsbeamte die Sonntagsspaziergänger vollsülzen. Sei es in Hamburg, wo nach "Kessel", Notstandsübungen am Hafenrand und mehreren verhinderten Demonstrationen jetzt die Psychologen einen auf Mitsnacker machen. Oder sei es in Kreuzberg, wo die eine Polizeiabteilung Plakate klebt und die Einsatzgruppen BesucherInnen des 1. Mai-Festes gleich zu Dutzenden krankenhausreif schlagen. Eine gut durchdachte Arbeitsteilung: Die Einen propagieren die neue Friedlichkeit und die Anderen hauen alle zusammen, die auf diesen Leim nicht gehen wollen.

Und die wachsende Bedeutung der bundesdeutschen Polizeipsychologen findet zeitgleich mit einem erneuten Aufrüstungsschub statt:

Polizeipsychologen fällt dabei eine ganze Reihe von Aufgaben zu: Innerhalb des Apparates sollen sie die Beamten bei Laune halten. Sie sollen frühzeitig erkennen, wodurch Unmut unter den Beamten entsteht, und wie er zu besänftigen ist. Psychologen tragen ebenfalls dazu bei, den Beamten für den täglichen "Umgang mit dem Bürger' das notwendige "dicke Fell' zu verschaffen und eventuell aufkeimende Selbstzweifel am Sinn und Zweck dieses Berufes auszuräumen. Psychologische Erkenntnisse dienen selbstverständlich auch dazu, für bestimmte Ausbildungen und Funktionen die jeweils richtigen Leute herauszufiltern. Und bei fast jeder Geiselnahme sind Psychologen vor Ort, um im Rahmen der Gesprächskommandos Straftäter breitzusabbeln (und falls das nicht klappt, betreten halt die Sondereinsatzkommandos die Szenerie und machen die Geiselnehmer breit).

Neben diesen Aufgabenbereichen aus der Arbeits-, Organisations- und Kommunikationspsychologie fallen den Sozialwissenschaftlern bei der Polizei aber auch noch andere Funktionen im Apparat der Inneren Sicherheit zu. Unter den Begriffen "Akzeptanz" und "Wertewandel" summieren sie all jene Konfliktfelder, die geeignet sind, eine relevante Minderheit der Bevölkerung am Herrschaftsapparat zweifeln zu lassen. Seien es die Bewohner der Oberpfalz oder des Wendlandes, seien es die unruhigen Stahlarbeiter im Ruhrgebiet oder seien es all jene Bevölkerungsgruppen, die sich gegen Umweltverschmutzung, Kriegstreiberei, Wohnraumzerstörung oder Sozialabbau wehren - eine Grenze sollen sie nicht infragestellen: die "demokratischen Spielregeln", das Gewaltmonopol des Sicherheitsapparates und die gesellschaftlichen Grundlagen des bundesdeutschen Staates.

Eben diese Aufgaben lassen sich auch mit dem Begriff "Herrschaftsicherung" bezeichnen oder auch als "Counterinsurgency" - in einer "weichen", den bundesdeutschen Verhältnissen angepassten Form. Ein Vergleich mag diese Behauptung stützen: Polizeipsychologen bilden weltweit Beamte in Verhörmethoden aus. Hierzulande geht es dabei mehr oder weniger gesittet zu. In Diktaturen allerdings ist die Grenze zur "weissen Folter" schnell überschritten, sind Psychologen in den Folterzentren der Geheimpolizeien aktiv beteiligt. (Wobei nicht verschwiegen werden sollte, dass bundesdeutsche Psychologen auch an der Konzeption der Hochsicherheitstrakte beteiligt sind, die in der Tat alle Kriterien der sensorischen Deprivation und damit der "weissen Folter" erfüllen.) Und Flugblätter oder "weiche" Einsatzkonzepte der Polizei sind ebenfalls nur eine aktuelle bundesdeutsche Version des Auftrages, den alle Sicherheitsapparate haben: Es geht darum, aufkeimende Unruhe möglichst schon im Ansatz zu besänftigen bzw. zu ersticken, Druck von unten in ungefährliche Bahnen zu lenken und dafür zu sorgen, dass der Staat selbst und seine Herrschaftsinstrumente als "neutral' angesehen werden, dass aller Protest bloss nicht am System kratzt. Ein fein abgestuftes Konzept, das Bayerns Staatssekretär des Innern, Peter Gauweiler, sehr treffend als "psychologische Kriegsführung" bezeichnete (DER SPIEGEL, 8.12.86). Aus dieser Überlegung heraus gewinnt der Titel dieser Dokumentation, "Präventive Konterrevolution", der auf eine Anmerkung des ehemaligen Göttinger Professors Peter Brückner über den Begriff "Counterinsurgency" zurückgeht, seine Berechtigung.

Die vorliegende Broschüre ist eine Dokumentation ausgewählter Texte. Bis auf einen, das Protokoll eines internen Seminars der Polizeiführungsakademie, sind sie alle bereits in der Fachpresse veröffentlicht worden. Warum wir gerade diese Texte herausgesucht haben, geht aus dem kommentierten Inhaltsverzeichnis hervor. Es sind 64 Seiten "schwerer Stoff", durch die man sich schon durchkämpfen muss, ehe die wissenschaftlichen und politischen Hintergründe jener Formulierung begreifbar werden, die jener anfangs zitierte, gar nicht so freakige Polizeipräsident mit seiner abschliessenden Formulierung im Sinn hatte:

"DESHALB, LEUTE, EASY.......

einen anständigen Abstand zwischen den aggressiven Typen und uns hergestellt, den Rest überlasst den Jungs von der Polente."

Und die wissen, was dann Sache ist: der klassische Hau-drauf, ganz ohne Püschologie.