Kleve 7. Juni 1986

Kleve

Kleve nach dem Bulleneinsatz

Auf der Kreuzung bei Kleve, rund 20 km vor dem AKW, wird die erste Sperre der Polizei gemeldet: Sie bestehe aus wenigen dort postierten Polizeibeamten. In der Beratung der Demonstrationskoordination wird entschieden, an die Sperre vorzufahren. In den Absprachen vor der Demonstration ist festgelegt worden, dass sich dann Demonstrant/inn/en aus den vorderen Fahrzeugen und anderen an der Demonstration beteiligten Gruppen vor der Sperre versammeln, ein gemeinsames Vorgehen beschliessen und durchführen sollen, um eine Weiterfahrt zu erreichen.

Die Polizei hat nach der Aktion als ihre Konzeption öffentlich gemacht, keine Materialsperren im weiten Umkreis des AKW aufzubauen, damit die Sperren nicht lange vorher erkennbar seien, um die Demonstrant/inn/en nicht zum Rückfahren in die Städte zu veranlassen.

In Kleve war ein Trupp Polizei beim Gut Krummensiek einquartiert worden, seit II Uhr morgens besetzt ein Trupp Polizei die Kreuzung bei Kleve "zur Verkehrskontrolle". Vorher haben aus Richtung Norden Anreisende die Strasse passieren können. Erst bei Eintreffen des Konvois stürmen die letzten Polizisten aus der Eckkneipe auf die Strasse. Um 12.10 Uhr erhält der Polizeitrupp die Anweisung, den Hamburger Konvoi bis zum Eintreffen polizeilicher Verstärkung dort aufzuhalten. Bei Eintreffen des Konvois treffen die ersten Verstärkungen von niedersächsischen Polizeibeamten per Hubschrauber ein. Insgesamt werden später mit 18 Hubschraubern niedersächsische und SEK-Beamte herangeführt, ein weiterer Polizeizug kommt aus Richtung St. Margarethen.


Bullen im Einsatz

Zu Beginn des Konfliktes, um 12.17 Uhr, gibt der mitfilmende Polizeihubschrauber an das Lagezentrum und an die Journalisten die Meldung heraus, dass die Demonstranten eine Maschinenpistole geklaut haben und ein Beamter schwer verletzt worden sei. dpa schickt ganz brav diese Falschmeldung über den Ticker in die Nachrichten.

An der Sperre, an die der Konvoi zweispurig herangefahren ist, kommt es erst gar nicht zu der grossen Versammlung der Demonstranten, sondern gleich zur ersten Konfrontation. Dabei werden von der Polizei beim ersten Fahrzeug die Scheiben eingeschlagen, die Polizisten werden von den Demonstrant/inn/en dort mit Knüppeln vertrieben. In sicherem Abstand von den Demonstrant/inn/en, am hinteren Teil der Kreuzung, postiert sich eine Polizeikette, die vereinzelt mit Steinen und Leuchtkörpern beworfen wird. Als genügend Verstärkung eingetroffen ist, rückt die Polizei mit Trupps hintereinander knüppelnd gegen einen Hagel von Steinwürfen etc. vor. Ein wild aufgeheizter randalierender Polizeihaufen schlägt sich dann anschliessend über einen Kilometer lang durch Demonstrant/inn/en und Autos.

Die Demonstrant/inn/en hätten eine Maschinenpistole der Polizei in ihren Reihen, sie hätten einen Polizisten in Brand gesteckt und zwanzig Beamte schwerverletzt, das konnte man später immer wieder von den Bullen zur ..Begründung" ihres Vorgehens hören. Es sei für die Beamten "um Leben und Tod" gegangen, erklärte später der Polizeieinsatzleiter im Fernsehen. Die Beamten hätten sich dabei ausgesprochen besonnen verhalten, selbst ein möglicher Schusswaffengebrauch wäre angemessen gewesen.


Pepper-Fog (CN/CS-Nebelwerfer)

Im vorderen Teil des Zuges werden bei jedem Auto die Scheiben demoliert und ein oder auch alle vier Reifen zerstochen. Was der erste Trupp übrig gelassen hat, erledigt der nachrückende Trupp oder das SEK, das mit aufgesetzten Gasmasken anrückt. Nur ein mitfahrendes Taxi bleibt dort unversehrt, weiter hinten wird schon mal eine Reihe von Fahrzeugen verschont. Insgesamt rund 100 Fahrzeuge sind auf diese Weise bearbeitet worden, darunter auch zwei Fahrzeuge auf dem Parkplatz vor der Kneipe, die gar nicht zum Konvoi gehören. Auch Sanifahrzeuge werden demoliert. Beim Sani-Bus schlägt ein Beamter die Heckscheibe mit der Maschinenpistole ein, obwohl sich darin Verletzte befinden. Die ganze Sanigruppe wird erst einmal abgeführt. Über hundert Verletzte und Schwerverletzte sind die Folge, die Polizei schlägt brutal auf Flüchtende ein, auf den Feldern hinter der kleinen Ortschaft wird Hasenjagd gemacht. Über die Hälfte der rund fünfzig dort Festgenommen ist schwerverletzt. Später sind im Fernsehen Bilder zu sehen, wie ein Betriebsratsmitglied von Grüner + Jahr ohne jede Gegenwehr abgeführt wird, wobei sich immer wieder neue Beamten knüppelnd auf ihn stürzen, er zu Boden geht, aber auf ihn eingeschlagen wird. Festgenommene werden über die Fahrbahn geschleift, während andere Beamte auf sie einknüppeln. Einer Demonstrantin werden kopfüber hängend die Kleider heruntergerissen, ein halbes Dutzend schlägt drauf. Einzelne, die sich in Fahrzeuge geflüchtet hatten, werden herausgezerrt und anschliessend zusammengeschlagen. Als später auf einer Bahre eine Schwerverletzte vorbeigetragen wird, möchten viele Bullen am liebsten immer noch einmal draufhauen. Übereinstimmend berichten die dort Gewesenen, dass man um sein Leben gefürchtet hat. Es gibt überhaupt nur wenige Ausnahmen, wo dort nicht bei Festnahmen drauflosgeschlagen worden ist. Die Polizei, die während des Vorrückens aus den hinteren Reihen weiter beworfen wird, gibt an, dass bei dieser Aktion sieben Polizisten schwerverletzt worden seien. Einer davon wollte allerdings im Übereifer unbedingt durch den Jägerzaun des Bürgermeisters durchrennen, um dort noch eine Demonstrantin festnehmen zu können, wobei der Zaun und er selbst zu Bruch gingen.


Vorladung der Polizei Hamburg

Unmittelbar hinter dem Ort bleiben auf dem ..Schlachtfeld" zwei ausgebrannte Fahrzeuge liegen. Deutlich sichtbar auf dem Dokumentationsfilm der Polizei hat es ursprünglich hinter dem Fahrzeug gebrannt, einzelne Demonstranten werden daran gehindert, mit dem Löschen zu beginnen. Die alarmierte Feuerwehr, die ganz nebenbei auf dem Gut stationiert ist, erscheint erst nach 10 Minuten, sie stellt es ihren Leuten frei, ob sie löschen wollen. Die Polizei, die sich dahinter mit Gasmasken versammelt und mit einer Pepperfog dort Chemical Mace versprüht, obwohl die Demonstranten längst geflüchtet sind, rät anfangs vom Löschen ab. So kann sich der Brand in den Fahrzeugen ausbreiten und "erstaunlicherweise" auch um die Fahrzeuge, wo ein kleiner Flächenbrand zu beobachten ist und wo es anschliessend mörderisch nach Benzin stinkt. Als die Feuerwehrleute ein Übergreifen des Brandes auf das nächste Reetdach nicht mehr ausschliessen können, wird schliesslich der Brand gelöscht. Im vorderen Teil haben längst ein gemischter Trupp und ein Videoteam der Polizei mit den Ermittlungen und Durchsuchungen der Fahrzeuge begonnen, es werden viele Fahrzeuge, ihre verklebten Nummernschilder und das Abkleben durch die Polizei gefilmt. Utensilien aus den Fahrzeugen werden in Plastikbeuteln eingesammelt. Anschliessend filmt das Videoteam die dann erst beginnenden Löscharbeiten.


Tonfa - Neuer Schlagstock bei der Polizei

Inzwischen ist die Randale-Truppe der Polizei vor den ersten Bussen zum Stehen gekommen, und die Lage beginnt sich zu beruhigen, als sich gerade die Demonstrant/inn/en vereinbarungsgemäss in Richtung Sperre in Bewegung setzen wollten. Bei den Busen wird von den Bullen noch eine Durchsuchung verlangt, die aber verweigert wird. Nach längerem Chaos und Verhandlungen mit der Polizei beginnt diese mit dem Rückmarsch, zwei Trupps ziehen sich zum Gut Krummensiek zurück, der Rest bewacht wieder die Kreuzung. Zahlreiche Demonstrant/inn/en, auch aus den Bussen, gehen gemeinsam nach vorn und sehen dort das "Schlachtfeld". Jedem ist klar, die Demonstration ist hier mit brutaler Gewalt beendet worden ist. Die Autos sollen beseite gerückt werden, damit die Busse nach vorne ziehen können, viele Autoinsassen dort sind kaum zu beruhigen, weil sie befürchten, dass die Busse ohne sie abfahren. An der Sperre wird von der Polizei freier Abzug gefordert, die allerdings lange Zeit nicht auf eine Kontrolle aller Fahrzeuge verzichten will. Im hinteren Teil beginnen die Reparaturarbeiten, kaputte Scheiben werden verklebt, es werden per Mund zu Mund und Lautsprecher Ersatzreifen gesucht und eine erste Sammlung durchgeführt. Die demolierten Fahrzeuge sollen in die Mitte genommen werden. Es kommen erste Meldungen, dass im hinteren Teil des über Kilometer langen Zuges zahlreiche Fahrzeuge und Busse schon abgedreht sind, es wird eilig, wenn vorne der Trupp nicht allzu klein und schutzlos werden soll. Nachdem die Polizei freie Abfahrt zugesichert und die Kreuzung frei gemacht hat, nachdem bis auf wenig Ausnahmen die Fahrzeuge instand gesetzt worden sind beginnt die Abfahrt im Konvoi Richtung Norden nach Hamburg. In den Bussen und über Lautsprecher wird dazu aufgefordert, sich am nächsten Tag um 12 Uhr au dem Heiligengeistfeld zu versammeln, aus Protest, weil niemand aus dem Hamburger Konvoi bis zum AKW in Brokdorf und nicht einmal in die Nähe davon gelangen konnte.

Bericht von Walter Hasselbring
Betriebsrat bei Grunar + Jahr

Am Morgen des 7.6.1986 verliessen wir, d.h. eine kleine Gruppe von sechs Personen, drei Frauen und drei Männer, je drei in einem Auto, den Sammlungsort Heiligengeistfeld in Richtung Brokdorf. Es war 7.15 Uhr. Wir befanden uns am Ende des ersten Drittels des PKW-Konvois.

Im Verlauf der Fahrt wechselte unsere Position innerhalb des Konvois ständig, entweder durch verkehrstechnische Situationen oder aber, weil nach einigen Kilometern in Zweierreihen gefahren wurde und weil oft Fahrzeuge ausscherten und anhielten.

Nicht .. prügeln ...

Dass wir sehr weit vorne sein mussten, bemerkten wir erst etwa 4 Kilometer vor Kleve, als wir den Lautsprecherwagen, der den Konvoi anführte, in einer langgezogenen Kurve vor uns sahen.

Wir beschlossen, uns langsam zurückfallen zu lassen, weil wir etwaigen Auseinandersetzungen in jedem Fall aus dem Wege gehen wollten.

Zeit genug schien noch zu sein, schliesslich war Brokdorf noch weit entfernt und der NDR meldete ständig, Polizeikontrollen befänden sich etwa zwei Kilometer vor Brokdorf.

Einige hundert Meter vor der Ortschaft Kleve hielt der Konvoi plötzlich. Wir stiegen aus dem Auto, um uns die Beine zu vertreten und zu sehen, was los ist. Recht undeutlich vernehmen wir vom Lautsprecherwagen, dass es in Kleve eine Polizeisperre gäbe. Ein Kradmelder habe etwa 20 Beamte gesehen. Alle PKW wurden aufgefordert, einen Sprecher zum Lautsprecherwagen zu schicken, um die Situation zu beraten.

Diese Aufforderung drang gerade noch bis zu uns durch, so dass die Nachfolgenden kaum noch Informationen über die Situation hatten.

Am Lautsprecherwagen wurde beschlossen, langsam an die Polizeisperre heranzufahren, um vorort durch Gespräche und Verhandlungen die Weiterfahrt nach Brokdorf zu erreichen. Bei einem derart geringen Polizeiaufgebot rechnete auch niemand mit Schwierigkeiten. Gleichzeitig war allerdings bekannt, dass zwei weitere Kradfahrer von der Polizei festgehalten wurden. Wir fuhren weiter, und nach wenigen Metern stoppte der Konvoi erneut. Meine Begleiter stiegen wie die meisten anderen aus, um zu sehen, was geschah. Ich selbst blieb im Auto, weil es eine Absprache gab, dass jedes Fahrzeug mit einer Person besetzt sein sollte, um es beweglich zu halten. Von unserem Standpunkt konnten wir die Polizeisperre nicht einsehen, weil sie sich hinter einer scharfen Kurve befand (an einer Kreuzung, wie ich später feststellte). Ich war noch nicht fertig damit, mir eine Zigarette zu drehen, als die ersten Demonstranten an unserem Auto vorbei zurückrannten. Sekunden später kamen meine Begleiter. Sie klopften auf das Autodach und schrien: "Komm raus, sie kommen."


Zerstörtes Auto

Im selben Moment sehe ich die ersten weissen Helme, 20 oder 30 Meter vor mir. Ich blieb im Auto. "Das ist das sicherste, ich muss drinnen bleiben, dann passiert mir nichts," denke ich. Einzelne Polizisten kommen am Auto vorbei, verfolgen Flüchtende und schlagen mit ihren langen Holzknüppeln im Vorbeilaufen auf die Motorhaube. Ich sehe andere Polizisten, die bei den vorn stehenden Autos Scheiben zertrümmern. Ich schaue zurück und sehe, wie ein Polizist einen Gegenstand in einen etwa 4 Wagen hinter mir stehenden VW-Bus wirft, der daraufhin anfängt zu brennen. "Ich muss raus aus dem Auto" ist jetzt mein Gedanken. Ich gerate in Panik, versuche die Autotür zu öffnen. Doch die flüchtenden Demonstranten machen mir das zunächst unmöglich. Schliesslich gelingt es mir auszusteigen. Doch es ist zu spät. Sofort werde ich von hinten gepackt, von zwei Polizisten wohl, und bekomme mit einem Knüppel einen Schlag in die Rippengegend. "Ich habe nichts gemacht, ich habe nichts gemacht," rufe ich, hebe die Hände hoch und hoffe, dass sie mich festnehmen und nicht mehr schlagen. Das passiert aber nicht. Ich werde weiter geschlagen, und zwar von vorbeirennenden Polizisten. Zu jedem Hieb gibt es auch einen Spruch: "Du langhaarige Sau, du Schwein, du Terrorist." Sie treffen mich überall, in die Rippen, auf die Schultern, auf die Arme und auf die Beine.

Ich sehe, wie andere Polizisten die Autos demolieren, auf Scheiben, Scheinwerfer und Kotflügel mit Knüppeln einschlagen. Ich werde immer noch nicht verhaftet oder in Gewahrsam genommen, sondern weitergereicht.

Neue Schläge mit Knüppeln auf den Rücken, auf die Beine, auch Fusstritte. Ich sehe, wie links und rechts von den Autos jeweils ein Polizist die Reifen zersticht. Vor diesem Polizisten zwei andere, die sie mit Schildern decken. Jetzt sind es allmählich weniger Polizisten, die mir entgegenkommen und auf mich einprügeln, plötzlich ein Schlag von hinten auf den Kopf. Mein Schädel scheint sich in zwei Teile zu spalten, meine Knie werden weich, ich falle hin. Mir wird schwindelig, und ich höre "verreck' doch du Sau".


Wald und Wiese

Sie heben mich wieder auf und schleppen mich zu ihren Autos. Ich werde an einen VW-Bus gestellt, Beine breit, Arme ans Dach. Schnell noch ein Griff in die Genitalien, endlich darf ich mich hinsetzen, auf die Strasse. Ich weiss nicht, wo das ganze Blut herkommt, aber es ist da, überall. Ich habe das Gefühl, jetzt bist du durch. Ich lasse alles mit mir machen. Ich gebe meine Personalien an. Dabei hatten die längst die Jacke gefilzt und den Personalausweis gefunden. Ich sitze vor dem VW-Bus und bin froh, am Leben zu sein. Plötzlich sehe ich 5 oder 6 Meter neben mir einen Demonstranten, etwa 18 bis 20 Jahre, und einen Polizisten. Der Demonstrant sagt etwas zu dem Polizisten, was ich nicht verstehen kann. Im selben Moment liegt der Demonstrant durch irgendeinen Ramboangriff schon auf dem Bauch. Mindestens 5 Minuten lang hat der Polizist alle Griffe an diesem Jungen ausgeführt, die irgendwelche Schmerzen hervorriefen. Ich konnte es schliesslich nicht mehr mit ansehen und auch nicht mehr mit anhören.

Schliesslich kommt der Polizeiarzt und legt mir an Ort und Stelle einen Kopfnotverband an. Ich soll aufstehen und mit ihm zum Krankenwagen gehen. Ich gehe hinter ihm her zu einem VW-Bus, der schon voll ist mit verletzten Demonstranten, so dass ich keinen Platz mehr finde. Zusammen mit einem anderen verletzten Demonstranten aus Berlin, etwa 17 Jahre, mit einer Kopfverletzung und einer schweren Handverletzung (ein Polizist hatte ihn auf die Hand getreten und dabei war ihm von einer auf dem Boden liegenden Glasscherbe ein Finger zerschnitten worden), werde ich in einen VW-Passat-Kombi gebracht. Mit diesem Wagen fahren wir hinter dem VW-Bus her ins Krankenhaus ltzehoe. Es ist etwa 13.15 Uhr.. Im Krankenhaus bricht der Junge zusammen.

Ich werde geröntgt. Kopf, Rippen und linkes Bein. Die Wunde am Kopf wird mit 6 Stichen genäht.

Von einer Krankenschwester erhalte ich eine Telefonnummer in ltzehoe, die ich anrufe. Ich werde von einem jungen Mann mit dem Auto abgeholt und zum Bioladen in ltzehoe gefahren. Dort halten sich mehrere Anwälte auf. Von dort werde ich weiter zum Verkehrsausschuss gefahren. Mit mir zusammen warten noch andere Verletzte. Eine Frau reinigt notdürftig mein blutverklebtes Haar. Dabei entdeckt sie eine weitere kleine Wunde am Kopf, die im Krankenhaus nicht entdeckt worden war.

Unter den Verletzten beim Verkehrsausschuss befindet sich auch eine Frau, deren Schultergelenk und Ellenbogen gebrochen sind. Ich warte im Verkehrsausschuss etwa bis 19.00 Uhr und werde dann zum Bahnhof ltzehoe gefahren, wo ich mit dem Zug nach Hause fahre. Seit Montag, den 8. Juni bin ich in ärztlicher Behandlung wegen der beiden Kopfverletzungen und der Prellungen und Blutergüssen an Armen und Beinen und Rippen. In den ersten Tagen nach der Demonstration hatte ich bei jeder Bewegung Schmerzen. Jetzt sind die Schmerzen in den Rippen noch stark beim Aufstehen und Hinsetzen. Ausserdem habe ich Schmerzen an den Stellen, wo Arme und Beine geprellt sind.


Betroffenenberichte

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Ca. 16.00 Uhr wurde dann vom Einsatzleiter der Befehl gegeben, dass sich das Rambovolk zurückzieht. Damit begann der 1 km-Marsch des Entsetzens. Am Anfang wunderte man sich über vereinzelt zersplitterte Windschutzscheiben und umgefallene Motorräder mit zerbeultem Tank. Dann aber mehrten sich die Tatsachen: total kaputte Sani-Busse, ausgeräumte, von innen verwüstete PKW, aufgestochene Reifen, auf den PKW-Dächern liegenden Schläuche, im Sand liegende Butterbrote, Autos ohne Scheiben, ausgetrennte Scheinwerfer, herausgerissene Lautsprecher und Radios, zerstreute und zerfetzte Kleidungsstücke etc. Je näher man der Kreuzung kam, desto mehr verstärkte sich das Bild der Vernichtung. Der erste ausgebrannte PKW tauchte auf.

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Da mein Wagen ziemlich weit vorn stand, schnürte sich meine Kehle von Schritt zu Schritt weiter zu. War mein Wagen der andere ausgebrannte, wieviel Scheiben waren noch in Ordnung, wieviel Reifen sind platt? Sie haben mich mit einer kaputten Windschutzscheibe und einer abgetretenen Nummernschildbeleutchtung "verschont". Dafür aber ihren Hass in anderer Form ausgelassen, indem sie 3 Liter Flüssigseife über alle Klamotten und Sitze gössen, die Heckklappe öffneten, den Inhalt des Kofferraums auf die Strasse schmissen oder auch mitnahmen, wie z.B. eine Tasche mit Wasser und anderen persönlichen Dingen, hinter das Auto meinen Ersatzbenzinkanister stellten, seinen Inhalt hinter das Auto gossen. (...)

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Die an dem Konvoi teilnehmenden Gruppen hatten vereinbart, dass sie sich und die Autos nicht durchsuchen lassen wollten und von der Polizei errichtete Sperren, wenn möglich, überwinden wollten. Sie wollten die vom Verkehrsausschuss für den Hamburger Konvoi festgelegte Route fahren. (...) Um ca. 12.00 Uhr tauchte in Kleve eine Polizeisperre auf, die als überwindbar betrachtet wurde. Es wurde bis an die Sperre herangefahren.(...) Nach kurzer Zeit kam die Meldung, dass wir es nicht schaffen würden, die Sperre zu überwinden, weil die Polizei sehr schnell "Nachschub" herbeigeschafft hatte. Immer mehr Hundertschaften rückten nach. Plötzlich wurde ein schwer am Kopf getroffener Mann blutüberströmt von einem Demonstranten zum Sanibus gebracht, der auf unserer Höhe in der zweiten Reihe stand. Ich hatte selbst eine Sanitasche dabei. Der Verletzte gab an, er wäre von einem Polizisten mit Holzknüppel am Kopf getroffen worden. Er wurde von den Demosanis versorgt. Ich ging zurück zu unserem Auto, setzte mich hinein und überprüfte nochmal kurz meine Sanitasche. Plötzlich kamen die Demonstranten panikartig teils innerhalb der Autoschlangen, teils ausserhalb, von der Sperre zurückgelaufen. Ich konnte den Wagen wegen des Gedränges nicht mehr verlassen und war im Nu von Holzknüppel schwingenden Polizeibeamten umringt. Die Polizisten schlugen wahllos gezielt auf Fensterscheiben, Karosserie, Scheinwerfer der vor dem Auto, in dem ich sass, befindlichen Fahrzeuge ein, zerstachen Reifen, und einer von ihnen schlug die Heckscheibe unseres Autos ein. (...) Kurz danach nahm mich einer der Beamten, ein grosser Mann mit Schild und langem Holzknüppel und Messer am Unterschenkel, allein "in Gewahrsam", packte mich an meiner Jacke hinten im Genick und am Oberarm und stiess mich vor sich her in Richtung Sperre. Die ganze Zeit stiess er Flüche aus wie "Wir werden es euch schon zeigen, ihr Verbrecher, ihr Gesocks. Mit uns macht ihr das nicht, ihr Säue." Die mir entgegenkommenden, nachströmenden Polizisten schlugen gezielt auf mich ein. "Du Fotze, du Schlampe, du Sau", hörte ich oft. Einer schlug mir mit voller Wucht auf den Oberarm, einer unter mein Kinn, der nächste stiess mir seinen Holzknüppel in den Bauch, ein anderer schlug mir gegen die Beine. (...) Ich hatte meine Sanitasche dabei und wollte zu einem Demonstranten, der scheinbar bewusstlos dalag. Der Beamte hielt mich unter erneuten Flüchen fest. (...) So wurden wir nach Wilster gekarrt, wo in einer Schule gleichzeitig die Einsatzzentrale war. Auf einem grossen Korridor wurden wir gezwungen, uns auf den Bauch, Gesicht zur Wand, auf den kalten Steinfussboden zu legen. Ein Gefangener mit Kopfverletzung sollte sich zur Leibesvisitation an die Wand stellen, Gesicht zur Wand und die Hände ins Genick legen. Er konnte die Arme nicht heben, weil er, wie er sagte, am Schultergürtel durch Schläge der Polizei erheblich verletzt sei. Da wurde von den Beamten mit Schlagstöcken ..nachgeholfen". Sie schlugen ihn unter die Oberarme. Der verletzte Gefangene schrie vor Schmerzen. Wir protestierten lautstark. (...) Wir wurden alle ED-behandelt. Einer Frau, die sich geweigert hatte, hatten mehrere Beamte fast die Finger gebrochen beim Abnehmen der Fingerabdrücke. Sie kam mit blauen, verschwollenen Fingern zurück, von denen einige auch bluteten. Sie war zum Fotografieren im Würgegriff festgehalten worden. (...)

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Ich versuche, die Verletzte in einem Bus in Sicherheit zu bringen, mit der Befürchtung, dass sie gleich schocken kann. Es gelingt, während die erste Horde Bullen die Demonstranten prügelnd durch die Autoreihen treibt, dabei auch viele Scheiben zerhaut, Leute aus den Autos zieht, die noch drin sitzen geblieben sind. Dabei gehen sie wie Bestien gegen alles vor, was im Wege ist. Weit ausholend dreschen sie in Scheiben, auch wenn noch vereinzelt Menschen in den Autos sitzen. Das Glas splittert nach allen Seiten. Die Menschen werden herausgezerrt, aber nicht festgenommen, sondern unter Hieben den anderen Demonstranten hinterhergetrieben, obwohl sie ganz unbeteiligt im Auto sassen. Vorher wurden ihnen die Zündschlüssel weggenommen (und zwei Mal in die Gegend geschleudert). Leute schreien und bluten, schützen mit den Händen den Kopf gegen die Schläge. Festgenommene werden beim Abführen brutal geprügelt. Einer kommt uns entgegen, der von 3 Bullen auf den Boden entlanggeschleift und dabei geschlagen wird. Dies alles ereignete sich auf dem kurzen Fussweg vom Klever Hof zum Ortsausgang. (...) Inzwischen kam ein weiterer Trupp Bullen, der noch gezielter bis dahin heil Geblichenes an den Autos zertrümmerte, sich auch an Verteilerdeckeln, Benzinschläuchen von Motorrädern und Reifen zu schaffen machte. Inzwischen waren die Demonstranten schon weiter weggetrieben, ausser denen, die in Richtung Sperre abgeführt oder weggeschleift wurden. (...) Ich sehe, wie ca. 6 Bullen (hauptsächlich in grauen Kampfanzügen, vielleicht 3 davon mit irgendwelchen schwarzen Kästen in der Hand) um und hinter einem beigen VW-Bus zusammenstehen. (...) Während dieses Weges bis zum Klever Hof sieht man die entsetzlich zugerichteten Autos, noch vereinzelt Bullen, die durch die kaputten Scheiben Gepäck und Anderes zerwühlen und auf die Strasse schleudern. Manche machen sich an den Motoren zu schaffen. Als wir zum Klever Hof kommen, kommt uns ein neuer Trupp Bullen entgegen, diesmal mit Gasmasken und "Pepper-Fog" ausgerüstet. Sie stürmen auf den Konvoi zu, aber ich kann nicht sehen, was sie machen.

Demolierter Bus

(...) Ich fahre in dem Hamburger Konvoi Richtung Brokdorf.

12.00 Ich fahre ziemlich an der Spitze des Konvois. 12.10 Ich höre Bruchstücke des Polizeifunks mit. Der ungefähre Wortlaut war: " Es handelt sich um eine Konvoi mit 30 PKW und 50 Omnibussen. ... eine Einschüchterung der Demonstranten ..." - "Aber was nützt es, wenn der Konvoi gestoppt ist, dann sind ja immer noch die ganzen Menschen, was dann?" - "Massive Unterstützung wird nachgezogen." 12.30 Ich gucke das erste Mal wieder auf die Uhr. Ich lasse mir die Dienstnummer der uns bewachenden Typen geben: 7718 und 0139. Auf Nachfrage verweigern sie die Angabe der Einheit.


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Ich gehöre zu denjenigen, die ziemlich zu Anfang in Kleve festgenommen worden sind. Zusammen mit 36 anderen Gefangenen versuchte die Polizei uns zunächst nach ltzehoe in den Knast zu deportieren; ihr Vorhaben scheiterte jedoch daran, dass ein entgegenkommender Demonstranten-Konvoi die Strasse versperrte. Die Wannen waren zur Umkehr gezwungen und fuhren nun Richtung Wilster.

In Wilster wurden wir, nach einer nochmaligen Durchsuchung nach Geschlecht getrennt in Klassenzimmer gesperrt. Von hier aus ging es einzeln zum Verhör und der bekannten ED-Behandlung. Schliesslich trafen wir uns in einem anderen Klassenzimmer wieder. 35 Leuten von uns wurde gesagt, dass gegen sie ein Verfahren wegen Landfriedensbruch, bzw. schwerem Landfriedensbruch eingeleitet wird. Um 22 Uhr wurden wir schliesslich entlassen.

Bei meiner Verhaftung wurde ich zu Boden gestossen und mit Knüppeln und Fusstritten traktiert. Diverse Durchsuchungen, die Beförderung von einem Ort zum anderen verliefen so, dass es zusätzlich zu blauen Flecken und auch zerfetzten Öljacken kam. Die Atmosphäre war gespannt und voller Aggressivität. Die Schule in Wilster war anlässlich der Brokdorf-Demo zu einem Mehrzweckbau geworden: was für die Schüler eine Befreiung vom Unterricht bedeutete, war für Polizei intensiver Einsatz. Neben der Beherbergung der Einsatzleitung fungierte die Schule an diesem Tag auch als Knast. Unser Empfangskomitee dort begrüsste uns mit gezogenem Knüppel. Das geringste Zögern bei der Ausführung polizeilicher Anordnungen löste unmittelbar deren gewalttätige Reaktion aus. So wurden, beispielsweise Leuten die zur Durchsuchung auf dem Boden liegen mussten auf die Hände getreten

Unser zwangsweiser Aufenthalt in der Klassenzimmer- Massen-Zelle wurde von einem knüppelbewaffneten Bullen durch die offene Tür beobachtet. Wir sollten auf dem Boden sitzen und uns nicht bewegen. Eine Anweisung, die kaum erklärbar sein dürfte, zumal 1/3 der Leute von uns verletzt war, von daher freie Bewegungsmöglichkeit einige Erleichterung bedeutet hätte. Stattdessen wurde jedes Zuwiderhandeln unsererseits durch schreiendes Schnauzen unterbunden.

Anfänglich war unsere Stimmung trotzdem recht gut. Wir erzählten uns vom Verlauf der Abfahrt, den Festnahmen und tauschten Erfahrungen aus dem Widerstand aus. Doch nach und nach ging uns der Stoff aus, die unangenehme Situation zu überspielen. Das Bedrohliche und Ungewisse unserer Situation schlich sich langsam ein. Wir wurden zunehmend bedrückter.

Da hörten wir von draussen: "1, 2, 3, lasst die Gefangenen frei". Der Platz vor der Schule war voll mit Kindern. Ihre Solidarität kam bei uns total gut an. Sogar die Schwerverletzten standen am Fenster und winkten den Eltern- und Kinderinis zu. Die Polizei war ziemlich verwirrt, 10 von ihnen rannten vor die Schule und postierten sich mit Kampfanzug, Schild, Knüppel und MP vor die Kinder. Aber auch nachdem die Kinder wieder abgezogen waren blieb die Stimmung gut und draussen warteten schon die PKWs, die uns nach Hamburg bringen wollten.

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Noch ein Auto-Wrack

 

  1. Ich kann die Möglichkeit nicht ausschliessen, dass sich hier Gewalttäter zwischen den Demonstranten befanden.
  2. Dass sich diese Gewalttäter aber gegenseitig die Wagen demolieren und zertrümmern, erscheint mir nicht vorstellbar.
  3. Wenn die Polizei Massnahmen zur Festnahme ergreift, so doch nach meiner Vorstellung und der rechtsgültigen Auffassung und der Art, dass sie die gewalttätigen Personen dingfest macht, nicht aber deren Sachen, in diesem Falle Autos, zerschlägt und auch noch mit Fahrzeugen der anderen, friedlichen Teilnehmer genauso übel verfährt. Denn woher ist ersichtlich, dass genau diese 100 oder 90 Fahrzeuge bis zu einer willkürlich gezogenen Linie mit Gewalttätern besetzt waren, und zwar durchgehend?

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Am 7.6. nahm ich mit dem Motorrad an dem Konvoi teil. Ich fuhr ca. 300 m hinter der Demo-Spitze, als der Zug an der Polizeisperre in Kleve zum Halten kam. Ich blieb bei meinem Motorrad. Als ich bemerkte, dass eine Polizeikette auf der Strasse und den Feldern beiderseits der Strasse vorrückte und dabei auf Demonstrationsteilnehmer einschlug, wendete ich das Motorrad und versuchte zurückzufahren. Da die Strasse aber sehr eng war, konnte ich nicht durchkommen und blieb zunächst auf der Maschine sitzen bzw. stand über der Maschine. Mittlerweile rückte die Polizeikette vor. Hinter mir - d.h. hinter der Maschine - standen noch 3 bis 5 Leute, als ich schräg von hinten, noch auf der Maschine sitzend, von zwei Polizisten mit dem Knüppel geschlagen wurde.