Quelle: Pressegruppe des 12. Antifa-Workcamps Mittwoch, den 26. 7. 2000


Unsere Fahrt zur Gedenkstätte Mittelbau-Dora
Besuch beim EXPO-Projekt



Bild: KZ Mittelbau Dora - Krematorium

Unser Parkplatz war in einer idyllische Landschaft in der Nähe von Nordhausen. Wir wußten zwar, daß im hübschen Berg nebenan Stollen sind, in denen die deutsche Rüstungsindustrie ohne jeden Skrupel Häftlinge regelrecht verheizt hat.

Zuerst sahen wir uns einen Film an, der einen grundlegenden Einblick in die Geschichte des KZ Mittelbau-Dora bot. Interessant war vor allem, daß Heinz Galinski, bis zu seinem Tod Vorsitzender des Zentralrates der Juden in Deutschland, als Zeitzeuge über seine Zeit dort erzählte. Schon im Film bekamen wir eine Vorstellung von der Grausamkeit, die sich mit dem Namen Mittelbau-Dora verbindet. Es wurde über die mörderische Hetze bei dem Ausbau der Stollen berichtet, über die Bedingungen und die geringen Chancen für viele, den Schock des eines plötzlichen Lebens unter Tage zu überleben. Am Ende kamen Ausschnitte aus einem Film, den amerikanische Einheiten in einem Nebenlager von Dora-Mittelbau in Nordhausen gedreht hatten, als sie dort mindestens 3000 Leichen vorfanden. Danach folgten wir in zwei Gruppen der Führung. Sie führte zu einzelnen Stationen des ehemaligen KZs und gab einen Überblick über die Arbeits- und Lebensbedingungen der Häftlinge. Das Lager wurde erst aufgebaut, als die Arbeiten in den Stollen abgeschlossen waren. Die Lebensbedingungen der Häftlinge verbesserten sich damit schlagartig. Von August 1943 bis Juli 1944 mußten sie in den Stollen schlafen und leben.

Im Nachhinein stellte sich heraus, daß die beiden Führungen sehr unterschiedlicher Qualität waren. Die Mitarbeiterin der Gedenkstätte, die die eine Gruppe führte, fiel durch ihre steife Art und einige eigenartige Formulierungen auf. Außerdem blendete sie die Themen Solidarität und organisierter Widerstand der Häftlinge völlig aus. Als positiv wurde bemerkt, daß das Lagerbordell ein normaler Bestandteil der Führungen ist und nicht wie in Buchenwald schamhaft verschwiegen wird. In der Pause hatten wir die Gelegenheit, noch einige Faltblätter an uns zu nehmen und entdeckten dabei, daß wir gerade ein EXPO-Projekt besuchen! Die Gedenkstätte ist Registriertes Projekt der Weltausstellung unter dem Motto "Modernität und Barbarei - Die KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora". Das Motto stimmt auf jeden Fall, vor allem das mit der Barbarei, aber es ist ziemlich zynisch, sich damit ausgerechnet auf der EXPO zu präsentieren.

   Bild: Modell der Stollen

Bevor ich zur Besichtigung der Stollen komme, will ich noch einiges genau zu diesem Motto sagen. Das KZ wurde gegründet, als die Produktionsstätten der "V2" in Peenemünde bombardiert wurden. Die leitenden Ingenieure und der Rüstungsminister Albert Speer hatten die Idee, die Produktion unterirdisch fortzusetzen. Beim Ausbau der Stollen wurden Häftlinge regelrecht verheizt. Wer bei Betonierungsarbeiten nicht mitkam, wurde einbetoniert. Wer in der kalten feuchten Luft der Stollen krank wurde, kam auf Transport nach Bergen-Belsen und Majdanek. Sieben Monate nachdem die erste Häftlinge auf dem Kohnstein eintrafen, war das Krematorium fertiggestellt. Die Idee, Häftlinge beim Bau der "Wunderwaffe" einzusetzen, stammte von den leitenden Ingenieuren. Vor allem aus Geheimhaltungsgründen bevorzugten sie diese Variante. Das heißt, daß sie von vornherein damit rechneten, daß keiner der an der Poduktion beteiligten überleben sollte. Einer der bekanntesten Namen ist Wernher von Brauns, auf dessen Schicksal ich unter noch eingehen werde.

Bild: Reste eines Triebwerks der V2

Die theoretischen Ausführungen bereiteten uns nicht wirklich auf den Besuch der Stollen vor. Erst als wir in der kalten feuchten Luft standen und sahen, wie riesig der kleine Ausschnitt war, den wir besichtigen konnten, wurden uns die gigantischen Ausmaße des Projektes klar. Wir sahen die Schlafräume, in denen die Häftlinge zwischen der Knochenarbeit schlafen konnten. Manche blieben vier Monate hintereinander unter der Erde. Wir sahen Reste von Toiletten, die aber erst eingebaut wurden, als auch Zivilarbeiter dort anfingen zu arbeiten. Zeitzeugen berichten, daß diese übrigens ebensoschnell mit dem Knüppel bei der Hand waren, wie die SS, wenn sie der Meinung waren, daß nicht schnell genug gearbeitet wurde. Für die Produktion der V2 mußten 20 000 Menschen sterben. Am 11. April wurde dieses Lager von amerikanischen Einheiten befreit. Sofort begann der Kalte Krieg. Die ersten Bestrebungen galten der Sicherung des Wissens und der Technologie der Raketenherstellung. Ein Archiv von über 10 Tonnen Material dazu und Teile der Ausstattung wurden in die USA gebracht. Mit ihnen, gegen die US-amerikanischen Gesetze, die die Einreise von Nazis verbieten, leitende Ingenieure und Techniker, unter ihnen Wernher von Brauns. Er entwickelte in den USA die Technologie weiter und verhalf ihr so zu einer ausgereiften Waffenausstattung mit Raketen. Später wirkte er am Apollo-Mondprogramm der NASA mit. Einer seiner Kollegen, die er aus Mittelbau-Dora mitgebracht hatte, bekam dafür sogar den höchsten NASA-Orden. Auch die Rote Armee interessierte sich für die Technologie. Da ihnen nichts anders übrig gelassen war, demontierten sie die komplette Fertigungsstraße und forschten damit weiter. Auch ohne die Ingenieure schafften sie es, als erste einen bemannten Raumflug zu veranstalten.

Zur Gedenkstätte ist noch zu sagen, daß der Berg Kohnstein Anfang der neunziger Jahre von der Treuhand an die bayrische Firma Wildgruber & Co. verkauft wurde, der dort weiter Gestein abbaut. Nachdem in der DDR der Abbau so unsensibel betrieben wurde, daß Teile der Stollen einstürzten, behindert jetzt der Eigentumsstatus des Berges eine Ausweitung der Führung durch die Stollen, abgesehen vom Geldmangel natürlich. Die Geschichte hat hier ihre Grenze in der Marktwirtschaft gefunden.