|  | Vom 
            »Gleichgewicht des Schreckens«
 Autonomer 
            Kampf gegen Umstrukturierung im Hamburger Schanzenviertel
 Kapitel: I, II, 
              III, IV, V, 
              VI
 I.
 1988, während der Kampagne gegen das Musicalprojekt »Phantom 
              der Oper« im Hamburger Schanzenviertel, hatte in autonomen 
              Zusammenhängen ein Plakat mit dem Slogan »Den Widerstand 
              in den Vierteln organisieren« Konjunktur. Es zeigte einen 
              einsamen vermummten Mann, der vor verschwommen erkennbaren brennenden 
              Barrikaden steht. Eine der Botschaften dieses Plakats lautete: Ihr 
              Herrschenden müßt mit entschlossenem militanten Widerstand 
              rechnen, wenn Ihr glaubt, uns (Linke, Autonome...) durch Eure kapitalistische 
              Sanierungs- und Standortpolitik aus »unseren Vierteln« 
              verdrängen zu können. Dieser Drohung an die politisch 
              Verantwortlichen in der Stadt lag die Einschätzung zugrunde, 
              daß es z.B. im Schanzenviertel eine gewisse Basis für 
              eine Gegenmacht gäbe, die sich auch mit militanten Aktionsformen 
              gegen die etablierte Politik behaupten könne.
 In dem Sinn war der 12.September 1988 ein denkwürdiges Datum: 
              Das 30-Millionen-Musical-Projekt, für das es rechtsgültige 
              Verträge gab, für das die Bauarbeiten bereits im vollem 
              Gange waren, mußte aufgrund des andauernden  auch militanten 
               Protestes aufgegeben werden. Die erfolgreiche Verhinderung 
              des Phantoms im Schanzenviertel schien Beleg für die Richtigkeit 
              eines militanten stadtteilorientierten Politikansatzes zu sein. 
              So betitelte Springers Hamburger Abendblatt tags darauf seinen Kommentar 
              mit »Die Kapitulation« und stellte fest, der Standort 
              Hamburg sei für die Wirtschaft unsicherer denn je.
 Auch zehn Jahre später könnte  mal großzügig 
              betrachtet  eine positive Bilanz des Kampfes gegen Umstrukturierung 
              im Hamburger Schanzenviertel gezogen werden: Das Phantom-Projekt 
              verhindert, die Luxussanierung eines seit Jahrzehnten ungenutzten 
              Wasserturms zu einem Hotel bis heute nicht durchgesetzt, eine Mehrzweckhalle 
              für Großveranstaltungen auf dem nahegelegenen Heiligengeistfeld 
              aufgrund zu erwartender Proteste nicht realisiert, der 1989/90 gegründete 
              städtische Sanierungsträger für die »behutsame 
              Stadterneuerung« als kompetenz- und kritikloser Bauverein 
              der Stadt geoutet. Zudem existiert ein veritables Dienstleistungsnetz 
              der Szene von Kneipen, Cafés, Buch- und Schallplattenläden 
              und Taxikollektiven bis zu Klamottenläden sowie einigen sozialen 
              Einrichtungen, die StadtteilaktivistInnen Lohn und Brot garantieren. 
              Dazu eine Reihe durchgesetzter Wohnprojekte und das autonome Stadtteilkulturzentrum 
              Rote Flora, das seit November 1989 bis heute besetzt ist und in 
              Selbstverwaltung ohne bezahlte Stellen arbeitet.
 Jedoch  dieses freundliche und harmonische Bild entspricht 
              natürlich so nicht den Tatsachen und es hat nur wenige Jahre 
              gedauert, bis sich in linken politischen Zusammenhängen herumgesprochen 
              hatte, daß sich die Rede von unseren Vierteln eigentlich verbietet. 
              Mittlerweile ist die Auffassung konsensfähig geworden, daß 
              allein die relative Konzentrierung von Menschen mit einer link(sradikal)en 
              Weltanschauung in einigen Stadtteilen Hamburgs diese nicht schon 
              deswegen zu lokal befreiten Gebieten der politischen Glückseligkeit 
              adelt. Erstaunlicherweise scheint sich genau diese Ansicht jedoch 
              in jüngerer Zeit bei ganz und gar nicht autonomen Zeitungen 
              wie dem Hamburger Abendblatt, dem Spiegel oder der Hamburger Morgenpost 
              etabliert zu haben. Hätten sie recht, dann hätte es im 
              Schanzenviertel bis vor einiger Zeit eine glückselige Ära 
              gegeben, einen multikulturellen Stadtteil, in dem alle toleranten, 
              liberalen und alternativen Idealen verpflichtet nett nebeneinander 
              her lebten; zwar sorgten überspannte Autonome hin und wieder 
              mal für Putz, aber irgendwie gehörten sie doch zum Flair 
              dieses anderen Stadtteils dazu...
 Auslöser dieser bizarren Fürsprecherei alternativer Viertelromantik 
              sind schwarzafrikanische Dealer nebst sich etablierender offener 
              Drogenszene, die sich aufgrund der Vertreibung aus dem Innenstadtbereich 
              seit 1995/96 auch ins Schanzenviertel verlagert hat. Sie sollen 
              den alternativen und bunten Stadtteil aus der Bahn geworfen haben 
              und lassen nunmehr sogar (ehemalige) Linksalternative und GrünenpolitikerInnen 
              nach der Polizei rufen.
 Was ist in der politischen Arbeit der letzten zehn Jahren schiefgegangen, 
              daß es nun so aussieht, als ob sich StadtteilbewohnerInnen, 
              Teile der linken Szene des Viertels und die rechte bürgerliche 
              Presse in einer Allianz mit der Polizei wiederfinden?
 Dieser Beitrag wird nicht die aktuellen Konflikte über die 
              Frage des richtigen Umgangs mit dem Problem einer offenen Drogenszene 
              und den damit verknüpften Auseinandersetzungen behandeln. Er 
              wird allerdings die aktuellen Konflikte im Hamburger Schanzenviertel 
              zum Anlaß nehmen, sie als vorläufigen Endpunkt einer 
              falsch angelegten antikapitalistischen Strategie der autonomen Linken 
              im Kampf gegen staatlich verantwortete Stadtentwicklungspolitik 
              erkennbar zu machen.
 Nicht zuletzt vor dem Hintergrund des sich seit 1990 für MigrantInnen 
              verschärfenden gesellschaftlichen Klimas und dem forcierten 
              Entzug des öffentlichen Raums für Obdachlose und KonsumentInnen 
              illegalisierter Drogen müssen Handlungsstrategien der Vergangenheit 
              grundsätzlich neu entwickelt werden  die noch 1988 im 
              Zusammenhang mit der Phantom-Verhinderung geäußerte Hoffnung, 
              daß z.B. die im Schanzenviertel lebenden Menschen ihre Interessen 
              mal selbst in die Hand nehmen, muß im Schanzenviertel des 
              Jahres 1998 als latente rassistische Drohung verstanden werden...
 II.
 Um die zentrale Bedeutung des »Standorts Hamburg« im 
              Wettbewerb der europäischen Dienstleistungs- und Medienmetropolen 
              erfassen zu können, müssen zunächst die Fragen und 
              Probleme der städtischen Raumentwicklung seit den siebziger 
              Jahren in den Blick genommen werden. Diese abstrakt anmutenden Facherörterungen 
              haben nämlich für die in den innenstadtnahen Bereichen 
              lebenden Menschen sehr konkrete Auswirkungen  alle wichtigen 
              Großprojekte, die in den letzten zehn Jahren im innenstadtnahen 
              Bereich projektiert wurden, hängen unmittelbar mit solchen 
              ökonomischen standortpolitischen Grundsatzentscheidungen zusammen.
 Die Stadtentwicklung Hamburgs folgt den gängigen Mustern wiedererstehender 
              Großstädte in der BRD nach dem Ende des Krieges 1945. 
              Von ursprünglich 552.000 Wohnungen vor 1939 waren im Mai 1945 
              lediglich noch 226.000 bewohnbar, Hamburg hatte durch Tod oder Flucht 
              800.000 seiner ursprünglich 1,8 Millionen EinwohnerInnen verloren. 
              Der rasche Wiederaufbau konzentrierte sich zunächst auf die 
              nur teilweise zerstörten Gebäude und bereits 1950 lebten 
              wieder 1,5 Millionen EinwohnerInnen in 390.000 Wohnungen. Der Wirtschaft 
              boten sich optimale Ausgangsbedingungen, denn wenn auch große 
              Teile der Bausubstanz in Schutt und Asche lagen, so waren doch wichtige 
              Teile der notwendigen Infrastruktur erhalten geblieben. Ausreichend 
              zur Verfügung stehende qualifizierte Arbeitskräfte, niedrige 
              Löhne, hohe Arbeitsintensität, günstige Abschreibungssätze 
              und Wiederaufbaukredite bescherten der Wirtschaft die besten Zukunftsperspektiven. 
              Die staatliche Stadtplanung konzentrierte sich nach der unmittelbaren 
              Phase des Wiederaufbaus auf den Wohnungsbau am Stadtrand zur Linderung 
              der Wohnungsnot. Ansonsten beschränkte sich die Planungsphilosophie 
              der Behörden darauf, »dem Zuge der natürlichen Entwicklung 
              eine lenkende Hand« zu bieten. Mit den ersten konjunkturellen 
              Krisen zeigte sich in der BRD die Grenze einer nach den Gesetzen 
              der freien Marktwirtschaft praktizierten Stadtplanung. Der Beginn 
              einer planvollen und standortorientierten Stadterneuerungspolitik 
              in Hamburg kann so auf Ende der sechziger, Angang der siebziger 
              Jahre datiert werden. Zwischen 1961 und 1970 verloren die innenstadtnahen Wohngebiete 
              Hamburgs über 140.000 EinwohnerInnen. Gleichzeitig nahm im 
              Umland die EinwohnerInnenzahl um 102.000 zu. Dafür waren mehrere 
              Faktoren verantwortlich. In Hamburg hatten sich die Preise für 
              Bauland bis zu versechsfacht, maximale Profite ließen sich 
              in innenstadtnahen Gebieten immer weniger durch Wohnnutzung des 
              Altbestands als vielmehr durch Abriß und Neubau erzielen. 
              Der alteingesessenen Bevölkerung, die sich in der Regel die 
              Neubaumieten nicht leisten konnte, blieb nur der Umzug an den Stadtrand 
              oder das Ausweichen in günstigen Wohnraum anderer Quartiere. 
              Diese Entwicklung verschärfte sich durch die Nachfrage von 
              Betrieben nach citynahen und damit zentralen Standorten; die dortigen 
              Wohngebiete mußten Verwaltungsneubauten weichen, die Innenstadt 
              verlor ihre Wohnfunktion. Neben der Vertreibung vieler InnenstadtbewohnerInnen 
              zogen viele Angehörige der Mittelschicht freiwillig an den 
              Stadtrand.
 Für die innenstadtnahen Wohngebiete hatte diese Entwicklung 
              weitreichende Folgen: »Investitionen in den Wohnungsbestand 
              blieben aus  sei es, weil die Gebiete unter Umwandlungsdruck 
              durch die Ausweitung tertiärer Nutzung [also des Dienstleistungsbereiches] 
              schienen, sei es, weil an der Peripherie oder im Umland attraktivere 
              Standorte vorhanden waren. Kaufkraftverluste führten zu geringeren 
              Angebot an privatwirtschaftlich finanzierten Waren und Dienstleistungen, 
              Bevölkerungsverluste führten zur Umstrukturierung oder 
              Reduzierung öffentlich finanzierter Dienstleistungen. Sanierungen 
              und Modernisierungsprogramme schienen die einzig geeigneten Maßnahmen, 
              die innenstadtnahen Gebiete im Wert zu erhalten und private Investitionen 
              wieder anzuregen.«
 Diese verbesserten Rahmenbedingungen wollte der Hamburger Senat 
              durch eine gezielte Strukturpolitik bereit stellen. Im Modell der 
              »Zentralen Standorte« war neben der Schaffung ausreichender 
              Flächen für Betriebe die Planung von in den gewachsenen 
              Stadtteilen angesiedelten Einkaufszentren festgeschrieben. Das sollte 
              die Innenstadt entlasten. Diese Entlastung hatte allerdings einen 
              auch heute noch aktuellen Hintergrund: Die weniger kaufkräftigen 
              KonsumentInnen sollten und sollen an die regionalen Einkaufszentren 
              gebunden werden, damit die repräsentativeren innerstädtischen 
              Gewerbe sich auf eine zahlungskräftigere Klientel und deren 
              Nachfrage nach gehobenen Konsumgütern konzentrieren können. 
              Diese Ideologie der geteilten Stadt erfuhr ihre Fortsetzung in der 
              geplanten Aufwertung innenstadtnaher Wohnlagen durch Sanierungsmaßnahmen, 
              deren Ziel der damalige Leiter der Abteilung »Grundsatzfragen 
              der Planung« in der Hamburger Baubehörde, Lindemann, 
              so formulierte: »Bei zwangsläufig begrenztem Wohnungsangebot 
              blockieren untypische Citybewohner wertvolle Wohnflächen. 
              Aus dieser Sicht kann eine Verlagerung bisheriger Innenstadtbewohner 
              durchaus politisch erwogen werden.« Neben wirtschaftlichen 
              Motiven spielten in diesem Szenario offensichtlich auch sozialpolitische 
              Ordnungsstrategien eine wichtige Rolle. In einem Papier der »Arbeitsgruppe 
              St. Georg«, der auch Vertreter der Baubehörde angehörten, 
              wurde über die in dem gleichnamigen innenstadtnahen Viertel 
              lebenden Menschen geschrieben: »Die Sozialstruktur entspricht 
              überwiegend der relativ geringen Wohnqualität dieses Gebietes. 
              Sie entspricht damit nicht dem hochwertigen Standort.« Auch 
              die stadteigene Wohnungsgesellschaft Neue Heimat hatte schon ihre 
              eigenen Vorstellungen für die notwendige Umgestaltung des hochwertigen 
              Standorts St. Georg: »In erster Linie ist dabei an die urban 
              anspruchsvolle Gruppe der Führungs- und Spitzenkräfte 
              zu denken, auf die bei der Standortwahl Rücksicht zu nehmen 
              ist. Sie dürfte nicht gewillt sein, in ein kulturell und zivilisatorisch 
              unterentwickeltes Milieu zu gehen. (...) Der eigentliche Bezugspunkt 
              des Faktors Attraktivität ist mithin der orts-, ja gebietsfremde 
              Mensch von einigem Niveau. Er soll kommen, sich wohl fühlen 
              und bleiben.« Etwas verklausulierter, aber in der Konsequenz 
              nicht weniger drastisch, erklärte der damalige Hamburger Bürgermeister 
              Klose im Januar 1975 in einer Regierungserklärung: »Die 
              Umlandwanderung  auch die innerstädtische Wanderung  
              führt besonders in Stadtteilen mit zum Teil schon erheblichen 
              städtebaulichen Mängeln, z.B. Ottensen, St. Georg, St. 
              Pauli, Wilhelmsburg, zu unerwünschten sozialstrukturellen Umschichtungen. 
              Die nach Alter und Einkommen mobilen Bevölkerungsgruppen verlassen 
              die ihnen  z. B. aufgrund eines gestörten Wohnumfeldes 
               nicht mehr zusagenden Wohnungen in diesen Stadtteilen. Durch 
              Zuzug von sozial schwächeren Gruppen entwickelt sich eine Bevölkerungsstruktur, 
              in der der Anteil der sozial Schwachen und der Randgruppen immer 
              mehr zunimmt.« Die vor diesem Hintergrund geplanten (Flächen-)Sanierungen 
              wurden dann aber aufgrund der sich verschlechternden Finanzsituation 
              der Stadt Hamburg erst verschoben und schließlich aufgegeben. 
              Bestand hatte jedoch das ideologische Rüstzeug, mit dem in 
              Hamburg das staatliche Geschäft der Stadterneuerung betrieben 
              wird. Die Rhetorik ist heute weniger grobschlächtig, die Umsetzung 
              der Stadtentwicklungspolitik etwas eleganter, in ihren Zielen aber 
              seit den siebziger Jahren unverändert.
 Bis Anfang der achtziger Jahre kam eine planvolle Diskussion um 
              die zukünftige Stadterneuerungspolitik bei den verantwortlichen 
              Behörden in Hamburg fast vollständig zum Erliegen. Das 
              Programm der »Sanierung in kleinen Schritten« entfaltete 
              keine größere Wirkung. Erst 1982 deuteten sich mit der 
              durch den damaligen Bürgermeister von Dohnanyi initiierten 
              Diskussion um den »Standort Hamburg« neuformulierte 
              Ziele der Stadtentwicklungspolitik an. Hintergrund dieser Diskussion 
              waren die sich seit Ende der siebziger Jahre abzeichnenden weltweiten 
              ökonomischen Umstrukturierungsprozesse. Kennzeichen dieser 
              Entwicklung waren und sind das massenhafte Verschwinden von Arbeitsplätzen 
              im Produktionsbereich der klassischen Industrienationen und deren 
              Verlagerung in den Trikont. Demgegenüber entstehen neue Arbeitsplätze 
              in Bereichen wie der Mikroelektronik, Bio- und Gentechnologie und 
              in Branchen wie der Informationsverarbeitung und Unternehmungsberatung. 
              Diese hochqualifizierten Arbeitsplätze nehmen jedoch nur in 
              jenen Großstädten überdurchschnittlich zu, die Sitz 
              der Konzerne der neuen Wachstumsbranchen sind: Die Metropole der 
              Zukunft übernimmt Headquarter-Funktionen. Während Unternehmen 
              zunehmend weltweit operieren, konzentriert sich das Management an 
              einigen wenigen Orten. Daß Hamburg Teil dieses Wettbewerbs 
              der »Metropolen der Zukunft« sein will, hat der Senat 
              in den folgenden Jahren deutlich gemacht: »Die Politik schafft 
              die Voraussetzungen, unter denen die Wirtschaft entweder gedeiht 
              oder verkümmert.« 1987 gab der Hamburger Senat die sog. 
              Olympiastudie in Auftrag, die die Machbarkeit einer Olympiade 2004 
              in Hamburg untersuchen sollte. Diese Studie war zugleich ein Gutachten 
              zukünftiger Stadtentwicklungspolitik, denn: »Zwischen 
              dem, was hier zur Stärkung der Metropolenfunktion im Sinne 
              der wohlverstandenen Hamburger Entwicklungsinteressen als notwendig 
              bezeichnet wurde, und dem, was die Stadt für eine erfolgreiche 
              Bewerbung um die Olympischen Spiele 2004 tun muß, besteht 
              weitgehende Kongruenz. Denn eine attraktive Metropole ist zugleich 
              Gewähr für eine erfolgreiche olympische Bewerbung.« 
              Das Gutachten entwickelte auf 450 Seiten, welche Maßnahmen 
              Hamburg treffen sollte, um eine der Metropolen der Zukunft werden 
              zu können. Die Studie grenzt dabei ein, wem diese Attraktivitätssteigerungen 
              zugute kommen sollen: »Was heute dynamischen Ballungsgebieten 
              ihren Weg zu Industrie- und Dienstleistungsmetropolen der Zukunft 
              besonders erleichtert, ist ihre vergleichsweise hohe Attraktivität 
              für jene aufstiegsorientierten Mittelschichten, welche Träger 
              des zur Bewältigung nicht-routinisierbarer Funktionen unabdingbaren 
              Humankapitals und damit zentraler Ansatzpunkt jener Revitalisierungsstrategien 
              sind, nämlich die hochqualifizierten Techniker, Manager und 
              Verwaltungsfachleute sowie Informationsvermittler. Diese Schicht 
              bevorzugt die Vorzüge einiger weniger ausgewählter Großstadtregionen, 
              ohne jedoch die Nachteile der klassischen Industriestädte in 
              Form beengter Wohnumfelder und einer belasteten Umwelt in Kauf nehmen 
              zu wollen. Hamburg darf sich  neben München, Frankfurt, 
              Stuttgart und Düsseldorf/Köln  zu diesem engsten 
              Kreis zählen.« Die Stärkung entscheidender Standortmerkmale 
              stellt die Konkurrenzfähigkeit einer Stadt sicher. Da in einer 
              Stadt wie Hamburg die »harten« Standortfaktoren (Verkehrsanbindung, 
              Energieversorgung, Erziehungs- und Gesundheitswesen u.ä.) weitgehend 
              entwickelt sind, gewinnen die sogenannten »weichen« 
              Standortfaktoren entscheidende Bedeutung. Damit sind vor allem das 
              Image als weltoffene Metropole, kulturelle, soziale und städtebauliche 
              Attraktivität und der Freizeit- und Erholungswert der Stadt 
              und des Umlandes gemeint. Ein Schlüsselbereich ist der Bereich 
              der Kultur. Einmal als »weicher« Standortfaktor, andererseits 
              aber auch handfest wirtschaftlich: »Die Trumpfkarte aber ist 
              die Kultur  in sie wird überall trotz Geldknappheit 
              investiert. Mit aufwendigen Kulturangeboten soll die Anziehungskraft 
              für hochqualifizierte Arbeitskräfte, damit für die 
              Ansiedlung bzw. Expansion moderner Betriebe und für auswärtige 
              Besucher gesteigert werden. Es ist ein Angebot weniger für 
              die, die bereits am Ort wohnen, als für jene, die noch kommen 
              sollen. (...) Die eigene Bevölkerung wird zum Statisten jener 
              Inszenierung, mit denen man Zuwachs herbeilocken will. Aber Kultur 
              ist nicht nur Standortfaktor im Kampf um alles Gehobene: 
              gehobene Technologie, gehobene Mittelschicht, gehobenen Städtetourismus, 
              sondern mehr und mehr selber unmittelbarer Beitrag zum Bruttosozialprodukt.«
 III.
 Ende 1987 nun bahnte sich nahezu unter Ausschluß der Öffentlichkeit 
              ein millionenschweres Geschäft zwischen der Stadt Hamburg und 
              dem Musicalproduzenten Friedrich Kurz an. Kurz beabsichtigte im 
              ehemaligen Flora-Theater, das zuletzt ein Kaufhaus beherbergte, 
              das Musical »Phantom der Oper« aufzuführen. Dazu 
              sollte der größte Teil des hundert Jahre alten Theaters 
              abgerissen werden, um einem 7stöckigen Theaterneubau für 
              2.000 BesucherInnen zu weichen. Lediglich die historische Vorderfront 
              sollte als werbeträchtiger Hinweis auf die Tradition des Gebäudes 
              stehenbleiben. Der damalige Kultursenator erhoffte sich »Eine 
              große kulturelle Chance, Hamburg zur erfolgreichsten deutschen 
              Stadt für modernes Musiktheater zu machen.« Genauer brachte 
              die Finanzsenatorin das städtische Interesse an dem Großprojekt 
              auf den Punkt: »Das Engagement des international erfolgreichen 
              Cats-Produzenten Friedrich Kurz im Schanzenviertel wird nicht nur 
              die Attraktivität dieses Stadtteils weiter steigern, ganz Hamburg 
              wird davon profitieren.« Daß der Blick des Investors 
              gerade auf das Schanzenviertel gefallen war, wird den Wirtschaftsstandort-Strategen 
              in ihr Konzept gepaßt haben. So charakterisierte die Baubehörde 
              1989 in einem internen Papier das Schanzenviertel samt umliegender 
              Quartiere (die die sog. Westliche Innere Stadt  kurz WIS  
              bilden) folgendermaßen: »Die hervorragenden Standortqualitäten 
              der WIS und die noch vorhandenen Potentiale eines weiteren behutsamen 
              Aus- und Umbaus stellen für dieses Gebiet Chancen für 
              eine positive Entwicklung in der Zukunft dar; sie können andererseits 
              aber auch zu Problemen endogener und exogener Art führen. (...) 
              Wegen dieser Standortmerkmale ist anzunehmen, daß das hier 
              behandelte Gebiet auch zukünftig im Blickfeld von privaten 
              Investoren und vielfältigen Nutzungsnachfragen bleiben wird.« 
              Da das Schanzenviertel und die umliegenden Viertel eine nahezu geschlossenen 
              Altbaustruktur aufweisen, erklären sich die »vielfältigen 
              Nutzungsnachfragen« aus der »Attraktivität des 
              Städtebildes«, einer jener »weichen« Standortfaktoren, 
              die im Wettbewerb um die »aufstiegsorientierten Mittelschichten« 
              ein wichtiger Aspekt sind. Daher konnte es in den Augen der StandortstrategInnen 
              nur ein Glücksfall sein, daß ein privater Investor im 
              Schanzenviertel ein Projekt in der Wachstumsbranche der Zukunft, 
              der Kultur, plante. Im Januar 1988 jedenfalls schienen die Würfel 
              gefallen zu sein: Die Stadt Hamburg einigte sich mit Kurz und der 
              Stella Productions GmbH, Kurz bekam das Flora-Theater zugesprochen 
              und im Mai 1989 sollte pünktlich zum 800. Hafengeburtstag das 
              neue Musicaltheater eröffnen.
 Und die BewohnerInnen des Schanzenviertels? Bis zu einer »Bürgeranhörung« 
              im März 1988 hörten sie von offizieller Stelle nichts, 
              alle Informationen mußten den Zeitungen entnommen werden. 
              Die linken Zusammenhänge und Initiativen des Viertels gaben 
              sich mit derart spärlichen Informationen nicht zufrieden. Sensibilisiert 
              durch die Kämpfe für die Durchsetzung der Hafenstraße 
              1986/87 gab es eine Basis für eine Auseinandersetzung über 
              die Ursachen und Folgen staatlich verantworteter Stadtentwicklungspolitik. 
              So wie die Hafenstraße für Formen alternativen und kollektiven 
              Wohnens stand, war sie auch ein Symbol für die Verhinderung 
              einer Abrißsanierung am Hafenrand und nachfolgender völliger 
              Umgestaltung des dortigen Wohnquartiers.
 Unter dem Slogan »Schmeißen wir das Phantom aus dem 
              Viertel« organisierte sich eine linke Initiative, die das 
              Projekt zu verhindern versuchte: die Flora-Gruppe. Bereits im Januar 
              88 veröffentlichte sie ein Flugblatt, in dem sie in einer 
              ersten Einschätzung versuchte, den Zusammenhang des Phantom-Projekts 
              mit langfristigen Sanierungszielen herzustellen. In ihm wurden grundsätzliche 
              Positionen vertreten, die rückblickend kritisch kommentiert 
              werden müssen. Unter anderem erklärten die VerfasserInnen: 
              »Die Sanierung wird unseren Lebensraum derart umgestalten, 
              daß wir in unseren eigenen Vierteln zu Fremden werden, bis 
              wir diese mehr oder weniger freiwillig verlassen. So versuchen sie, 
              in unseren Alltag einzudringen, uns unserer Lebensweise zu berauben, 
              uns voneinander zu trennen, damit wir nicht mehr miteinander reden 
              können. So versuchen sie unseren Widerstand zu brechen. (...) 
              Doch damit nicht genug. Hamburg soll nicht nur von kritischer Meinung 
              befreit werden, Hamburg soll auch schön sein. Nicht nur der 
              neue Rathausmarkt soll so schön steril-kühl sein. Hamburg 
              muß repräsentieren können. Die Medienstadt Hamburg 
              darf glänzen, nicht nur mit einem halben Dutzend neuer Radioprogramme. 
              Die Kulturstadt Hamburg muß neben Operettenhaus und Flora 
              auch schöne Vorzeige-Stadtviertel haben, gerade in der Nähe 
              dieser Kulturpaläste. Das High-Tech-Zentrum Hamburg soll nicht 
              nur mit sterilen Produktionshallen aufwarten, sondern auch mit sterilen 
              Bürgersteigen.«
 In diesem kurzen Ausschnitt des Flugblatts lieferte die damalige 
              Flora-Gruppe das zentrale Argumentationsmuster, das sich durch den 
              gesamten Kampf der Phantom-Verhinderung zog: Das Schanzenviertel, 
              das »sich« ein halbwegs intaktes soziales und politisch-widerständiges 
              Gefüge erhalten hätte, werde durch ein kommerzielles Großprojekt 
              (etwas Fremden) okkupiert und quasi besetzt. Angesicht des im Flugblatt 
              angeführten Bildes des Lebensraums, der Befürchtung, im 
              eigenen Viertel zum Fremden zu werden, eines angedeuteten kolonialen 
              Bedeutungszusammenhangs des Eindringens, Beraubens, des Voneinandertrennens, 
              werden »territorial« belegte Assoziationen geweckt. 
              Es wurde zwar auch eine  hier zunächst noch sehr oberflächliche 
               Analyse der ökonomischen Hintergründe beigefügt, 
              die in der Formel zusammenfiel: Unser Viertel vor ökonomischer 
              Umstrukturierung schützen. Ein problematisches Identifikationsangebot, 
              denn bei Unterschlagung der ökonomischen Ursachen bleibt schnell 
              nur noch die Parole »Unser Viertel schützen...!« 
              übrig. Im günstigsten Fall nährt sie harmlose folkloristische 
              Vorstellungen eines befreiten oder zu befreienden »eigenen« 
              Viertels, im ungünstigeren Fall bildet sie die Projektionsfläche 
              für allerlei reaktionäre Phantasien darüber, vor 
              wem oder was das Viertel geschützt werden müsse.
 Hier befand sich der szeneinterne Diskurs in unangenehmer Nähe 
              zum Herrschaftsdiskurs, der noch in den siebziger Jahren Stadtteile 
              als kulturell und zivilisatorisch unterentwickeltes Milieu abqualifizierte. 
              Die Nähe besteht zwar nicht in einer inhaltlichen Übereinstimmung, 
              aber in der gemeinsamen Haltung, den realen  geographischen 
               Ort mit dem eigenen (ideologisch besetzen) Bild von ihm zu 
              verwechseln. Bei der Flora-Gruppe, bzw. innerhalb der im Schanzenviertel 
              entstehenden Zusammenhänge gegen das Phantom, führte dies 
              dazu, der allzu einfachen Suggestion eines »Oben gegen Unten« 
              ebenso zu erliegen, wie dem Glauben, daß es eine Bewegung 
              aller im Stadtteil lebenden Menschen gegen das Phantom-Projekt geben 
              könnte. Daß die Mehrzahl der im Schanzenviertel lebenden 
              Menschen das Phantom-Projekt vielleicht vor allem aus diffuser Sorge 
              ablehnte, daß irgendwelche Fremden im eigenen Vorgarten herumtrampeln, 
              ihnen aber alle weiteren Zusammenhänge piepegal sind, mag sich 
              erst aus der Position des rückblickenden Besserwissers erschließen. 
              Tröstlich, daß auch den politisch Verantwortlichen für 
              das Phantom-Projekt der Blick auf die Realität im Stadtteil 
              verstellt war, sie waren davon überzeugt, daß dem dahindämmernden 
              Schanzenviertel mit dem Musicalprojekt neues Leben eingehaucht werden 
              würde und nunmehr eine glänzende Zukunft in der Westlichen 
              Inneren Stadt anbrechen würde. Unvorstellbar, daß das 
              millionenschwere Projekt durch Proteste der im Stadtteil lebenden 
              Menschen gefährdet werden könnte. Diese grandiose Fehleinschätzung 
              führte zu einer Politik, die in bewährter Manier davon 
              ausging, daß sich mit der eiligen Schaffung von Tatsachen 
              der Protest irgendwann totlaufen würde  mit den restlichen 
              autonomen Spinnern und Chaoten würde die Polizei schon fertig 
              werden. Es sollte aber anders kommen.
 Bereits im März 88 hatte die Initiative hunderte Unterschriften 
              gegen das Phantom-Projekt im Viertel gesammelt. Weitere Aktionen 
              wie kleine Demos zum Cats-Musical, Besuche bei der Stella GmbH und 
              symbolische Besetzungen des Flora-Theaters machten das Projekt zum 
              Gesprächsthema Nr.1. Als im April 88 der größte 
              Teil des historischen Theaters unter Polizeischutz abgerissen wurde, 
              kippte die Stimmung und nicht die Initiativen mußten sich 
              für ihren Widerstand gegen das Phantom-Projekt rechtfertigen, 
              sondern der Hamburger Senat für die Art und Weise, in der er 
              versuchte, das Projekt im Schanzenviertel durchzusetzen. Außer 
              einer zweiten »Bürgeranhörung« im Mai war 
              von Seiten der politisch Verantwortlichen jedoch Sendepause. Demgegenüber 
              wuchs die Bewegung der ProjektverhinderInnen wöchentlich. Sabotageaktionen 
              auf der Flora-Baustelle, die regelmäßige Niederlegung 
              des Bauzaunes, Brandanschläge auf Bau- und Vermessungsfirmen, 
              Entglasungsaktionen bei an der Finanzierung beteiligten Banken und 
              schließlich eine Bauplatzbesetzung im Juni 88 verliehen 
              dem Widerstand das, was im PR-Jargon »Meinungsführerschaft« 
              genannt wird. Denn weder konnte die hilflos agierende Polizei den 
              ständigen nächtlichen Aktionen beikommen (es gab monatelang 
              fast keine Festnahmen), noch fruchtete der Versuch, den Widerstand 
              an der berühmten »Gewaltfrage« zu spalten. Im Gegenteil, 
              eine im Frühjahr parallel zu den Flora-Gruppe entstehende Anwohnerinitiative, 
              deren Aktionen sich eher im Rahmen klassischen Bürgerprotests 
              bewegten, erklärte: »Wir distanzieren uns keineswegs 
              von Gewalt. Es kommt ja darauf an, welche Art von Gewalt es gibt. 
              Es gibt ja auch ganz genau die Gewalt, die der Staat oder die Gewalt, 
              die Herr Kurz uns antun will mit seinen 2.000 Leuten.« Und 
              weiter: »Es ist doch so, leider so, erst wenn Steine fliegen, 
              fängt der Senat an, nachzudenken.« Schließlich: 
              »Wenn es nicht zu Randale gekommen wäre, wäre wahrscheinlich 
              gar nichts passiert.« Eine Erklärung der Senatspressestelle 
              vom Juli klingt etwas kleinlaut, »berechtigte kommunale Fragen 
              müssen und können beantwortet werden« und stellt 
              fest, die Akzeptanz für das Projekt müsse »vorbereitet« 
              (!) werden. Als im August 1988 der Senat trotz aller Proteste nochmals 
              in einem Beschluß bekräftigte, das Projekt durchziehen 
              zu wollen und für die Dauer der Bauarbeiten und darüber 
              hinaus Polizeischutz zusicherte, war das am wenigsten geeignet, 
              die Akzeptanz herzustellen. Es waren schließlich die Investoren, 
              die einsahen, daß das Projekt im Schanzenviertel nicht mehr 
              durchsetzbar war und die den Standort aufgaben. Es wurde ein neuer 
              gesucht und gefunden: Keine 800 m entfernt vom alten Flora-Theater, 
              aber außerhalb des Schanzenviertels, wurde das »Neue 
              Flora-Theater« aus dem Boden gestampft.
 IV.
 
 Im Herbst 1988 war ein 30 Millionen Projekt im Schanzenviertel verhindert 
              worden. Doch dieser Erfolg hat der »breiten« Bewegung 
              die Basis entzogen. Statt gemeinsam eine Perspektive für das 
              arg lädierte Flora-Restgebäude und das dahinter liegende 
              Gelände zu entwickeln, verlief sie sich. Übrig blieben 
              die Flora-Gruppe und ein Rest von AktivistInnen. Es wiederholte 
              sich die vielfache Erfahrung sozialer Bewegungen: Wenn ein (Groß-)Projekt 
              als Bedrohung für die eigenen Lebenszusammenhänge erkannt 
              wird, lassen sich viele mobilisieren, es entsteht ein Geflecht zunächst 
              labiler Kontakte zwischen verschiedensten Menschen. Eine »Wir-sitzen-im-gleichen-Boot«-Mentalität 
              gegen das als bedrohlich empfundene Projekt sorgt für eine 
              Dynamik, die bei günstiger Konstellation  so scheint 
              es  Berge versetzen kann. Oder 30 Millionen. Doch am Ende 
              einer Auseinandersetzung bricht die Mobilisierung zusammen  
              wobei es zumeist egal ist, wer sich durchgesetzt hat. Ein kontinuierliches 
              Engagement größerer Bevölkerungsteile über 
              die unmittelbare Betroffenheit hinaus ist offenbar selten möglich.
 Im Schanzenviertel war eine paradoxe Situation entstanden: Einerseits 
              wurde durch die Senatsplanungen und die Versuche, sie durchzusetzen, 
              erneut deutlich, daß weniger die Interessen der im Stadtteil 
              lebenden Menschen, als vielmehr standortpolitische Erwägungen 
              die Politik in Hamburg bestimmen. Andererseits hatte der Widerstand 
              im Stadtteil die konkreten Auswirkungen eines Phantom-Projekts verhindert, 
              aber die grundsätzliche Linie der Standortpolitik in Hamburg 
              nicht angreifen können. Folgerichtig glaubten nicht wenige, 
              daß die Verhinderung des Projekts ein Scheinsieg gewesen sein 
              könnte, weil »ein Erfolg suggeriert wurde, der real nicht 
              besteht, aber einzelne Leute beruhigen könnte«. 
              So gesehen war man auf den Stand von Januar 1988 zurückgeworfen.
 Unausgesprochen gab es allerdings die Hoffnung, mit der Erfahrung 
              des Phantom-Widerstands langfristig eine Mobilisierung gegen eine 
              Sanierungspolitik, die darauf angelegt ist, die Verwertungsbedingungen 
              des Kapitals zu verbessern, zu initiieren. Dieser Ansatz riskierte 
              allerdings, den Fehler der Neuen Linken seit den 70er Jahren zu 
              wiederholen, die glaubte, daß Menschen, wenn sie nur im »eigenen« 
              Stadtteil die Arroganz der staatlichen Vertreibungs- und Sanierungspolitik 
              erlebten, sich sozusagen automatisch zu potentiell revolutionären 
              Subjekten wandeln würden. Das eingangs beschriebene Plakat 
              »Den Widerstand in den Vierteln organisieren« bekam 
              unfreiwillig illustrativen Charakter, denn so einsam, wie der vermummte 
              Mann da vor den Barrikaden steht, waren wohl auch jene, die nicht 
              nur unser Viertel vor dem Unbill eines kommerziellen Großprojekts 
              schützen wollten, sondern hier einen Ansatz für eine antikapitalistische 
              Strategie sahen.
 Aber was hieß eigentlich »antikapitalistische Strategie«? 
              Diese Frage wurde während der Phantom-Verhinderung vor allem 
              durch pragmatischen Eifer beantwortet. Die herkömmliche Auffassung, 
              daß sich die Praxis aus der Theorie ergebe, wurde dahingehend 
              modifiziert, daß die Praxis der Theorie eines »Kampfes 
              gegen kapitalistische Verwertungsstrategien des öffentlichen 
              Raumes« voranging. Soweit die theoretische Fundierung in Broschüren 
              und Veranstaltungen in den Jahren 1989/90 nachgeholt wurde, bestand 
              in den Zusammenhängen der autonomen Szene etwa folgender Konsens: 
              Billiger und ausreichender Wohnraum ist ein Menschenrecht; Mietpreise 
              dürfen nicht den profitorientierten Marktgesetzen unterliegen; 
              Wohnen soll in solidarischen und nachbarschaftlichen Strukturen 
              stattfinden können und Möglichkeiten kollektiven Zusammenlebens 
              jenseits der bürgerlichen Kleinfamilie und sozialer Kontrolle 
              bieten; Wohnen und Arbeiten sollen nicht zwangsläufig räumlich 
              getrennt sein; die Diskussion über Inhalt und Umsetzung stadtplanerischer 
              Entscheidungen soll ein offener Prozeß sein, an dem alle Betroffenen 
              teilnehmen können und in dem deren Bedürfnisse Maßstab 
              für die Entscheidungsfindung sein müssen  im Idealfall 
              bis zum Konsens. Dieses noble Programm verdeckte jedoch Konfliktlinien, 
              indem es unterstellte, daß alle (BürgerInnen, Autonome, 
              PunkerInnen) gegen die da oben (PolitikerInnen, Kapitalisten etc.) 
              die gleichen Interessen verfolgten.
 Im Gegensatz zu vielen alteingesessenen BewohnerInnen konnten sich 
              Szene-WGs allerdings Altbauwohnungsmieten leisten, die über 
              dem Mietenspiegel lagen und sie haben damit kräftig an der 
              Preisspirale mitgedreht. Sollte der erfolgreiche Abschluß 
              des Studiums nicht für die Finanzierung teuren Wohnraums reichen, 
              boten alternative Wohnprojekte immer noch die Chance langfristig 
              bezahlbaren Wohnens. Und wenn die Sanierung nebst Zuweisung einer 
              Umsetzwohnung für WGs zumeist die lange aufgeschobene Renovierung 
              ersetzte, brachte der gleiche Vorgang für im Stadtteil lebenden 
              MigrantInnen-Haushalte oft handfeste Probleme. Boten geräumige 
              Altbauwohnungen auch für illegalisierte MitbewohnerInnen Platz, 
              richtete sich die Größe der zugewiesenen Umsetzwohnung 
              nach der Zahl der offiziell gemeldeten Haushaltsmitglieder; es konnte 
              also passieren, daß Wohnungen viel zu klein waren  von 
              derlei »Spitzfindigkeiten« war in keinem einzigen Flugblatt 
              etwas zu lesen, das sich um die Vertreibung von Menschen durch Sanierungsmaßnahmen 
              sorgte. Genau genommen haben sich also die weißen deutschen 
              mittelständischen Autonomen verstärkt Sorgen um das Schicksal 
              ihrer weißen ViertelmitbewohnerInnen gemacht. Für wen 
              hat autonomer Kampf gegen Umstrukturierung dann eigentlich Partei 
              ergriffen?
 Erfassen lassen sich solche Konfliktlinien mittels des Gentrification-Ansatzes, 
              der einiges für eine kritische Selbstreflektion dieses autonomen 
              Anti-Umstrukturierungskampfes bietet. Zunächst bezeichnet Gentrification 
              den »Prozeß, in dessen Verlauf zuvor verwahrloste und 
              verfallene innerstädtische Arbeiterviertel für Wohn- und 
              Freizeitnutzung der Mittelklasse systematisch saniert und renoviert 
              werden.« Dabei sind sog. Revitalisierer oder Pioniere TrägerInnen 
              dieses Prozesses. Indem sie die Trennung zwischen Wohnort und Arbeitsplatz 
              aufheben und ihr unmittelbares Wohnumfeld zum Mittelpunkt ihrer 
              Lebensführung machen, können die Pioniere Stadtteilen 
              im Laufe der Zeit ein anderes Gepräge geben: »Ist (...) 
              ein Quartier erst einmal äußerlich und durch die neuen 
              Bewohner auch sozial aufgewertet, verändert sich 
              sein Stellenwert auf dem Wohnungsmarkt: Die zahlungskräftigeren 
              Yuppies rücken nach, durchmischen die Szene und ziehen kapitalintensive 
              Aufwertungsmaßnahmen nach sich, die weit über die Ansprüche 
              und die finanziellen Möglichkeiten der ursprünglichen 
              Revitalisierer hinausgehen.« Der Amerikaner Neil Smith hat 
              die Theorie der Gentrification in einen sehr interessanten Kontext 
              eingefügt, den er mit dem Begriff der »Grenzideologie« 
              umreißt. Demnach definiert der Prozeß der Gentrification 
              den städtischen Raum, der für die offizielle Stadtplanung 
              und Investoren attraktiv ist. Stadträume zerfallen in Gebiete 
              der Investition und in solche der Deinvestition. »In der Sprache 
              der achtziger Jahre sind Stadt-Pioniere, Stadt-Siedler und Stadt-Cowboys 
              die neuen Helden der städtischen Grenze. Es gibt sogar Stadt-Pfadfinder, 
              die die potentiell lukrativen Bezirke aufspüren, die demnächst 
              fällig sind. Die gentrifizierte Stadt offenbart den Optimismus, 
              die Romantik und die gewinnverheißenden Aussichten der Grenze«. 
              Smith entwickelt diesen Analyseansatz vor dem Hintergrund der Gentrificationprozesse 
              in New York und stellt den Begriff der Grenzideologie in einen Zusammenhang 
              mit dem amerikanischen Mythos der Kolonialisierung des »Wilden 
              Westen«.
 Diese Metaphorik wirkt auch in Hamburg, allerdings unter negativen 
              Vorzeichen. O-Ton Springerzeitung Die Welt vom Januar 1991: »Die 
              gewalttätige Subkultur [hat sich] klammheimlich ausgebreitet 
              und kontrolliert faktisch das Schanzen- und Karolinenviertel. Dort 
              geschieht nichts mehr gegen den Willen der Stadtteil-Indianer. 
              Die WELT dokumentiert, wie begrenzt der Behördeneinfluß 
              geworden ist, symbolisiert an der Bebauung der alten Flora. 
              Nicht nur, daß sie als Sitz eines zweiten Operettenhauses 
              scheiterte, auch der neue Bebauungsplan läuft nicht. (...) 
              Es gibt ein Areal in dieser Stadt, in der Hamburg nichts mehr zu 
              sagen hat.« Die Grenze ist gezogen, Stadtteilindianer haben 
              ein ganzes Viertel in ihrer Gewalt: Little Big Horn im Schanzenviertel? 
              Die Wahrheit sieht ein wenig anders aus und läßt sich 
              in Anlehnung an Neil Smith mit dem Bild der »GrenzgängerInnen« 
              so fassen: Autonomer Kampf gegen Umstrukturierung ist dort, wo er 
              z.B. mit militanten Aktionsformen geführt wird, fraglos eine 
              Möglichkeit, Investoren mit ihren Projekten zu Fall zu bringen. 
              Wenn jedoch soziale und kulturelle Vernetzungen der Szene diesen 
              Raum, den der Umstrukturierungskampf möglicherweise eröffnet 
              hat, »besetzen«, ist das der Beginn einer an diese Strukturen 
              anknüpfenden Veränderung, die ursprünglich verhindert 
              werden sollte. Ein Dilemma, das sich auch für das Schanzenviertel 
              nachzeichnen läßt. Der Kampf gegen das Phantom-Projekt 
              hat ein Mammuttheater mit all seinen negativen Folgen wie zunehmender 
              Verkehr, massiver Zuzug überregional orientierten Gewerbes 
              und Mietsteigerungen verhindert. Langfristig hat die Wohnqualität 
              im Stadtteil dadurch zugenommen  wer z.B. nicht neben einem 
              hingeklotzten Musicalpalast wohnen wollte, der will es sicherlich 
              in einem davon verschonten Viertel. Polemisch zugespitzt formuliert, 
              muß sich autonomer Kampf gegen Umstrukturierung die Frage 
              stellen, ob militante Aktionen nicht nur das Korrektiv einer überhitzten 
              Stadtplanung sind und objektiv lediglich für langsamere und 
              sozialverträglicher organisierte Aufwertungsprozesse sorgen. 
              Indiz für solch einen Mechanismus sind neue städtische 
              Projekt- bzw. Sanierungsträger, in deren Programmen immer von 
              »behutsam«, »kleinschrittig« und ähnlichem 
              geredet wird. Im Hamburger Schanzenviertel ist es die »Stadterneuerungsgesellschaft« 
              (STEG) mit ihrem Glaubenssatz, daß Akzeptanz und Konsens der 
              Beteiligten Grundvoraussetzung sind für die künftige Stadterneuerungspolitik. 
              Der Haken ist, daß bei der »behutsamen« Herstellung 
              von Akzeptanz nicht das, worüber Konsens hergestellt werden 
              soll, in Frage gestellt wird. Nicht die Inhalte der Stadterneuerungspolitik 
              sollen diskutiert werden, nur die Umsetzung darf besprochen werden.
 V.
 Ein Versuch, nicht nur die Umsetzung beschlossener Stadtentwicklungspolitik 
              zu bekämpfen, sondern eigene politische Projekte zu entwickeln, 
              ist mit dem autonomen Stadtteilkulturzentrum Rote Flora verbunden. 
              Nach der Verhinderung des Phantom-Projekts sollte in dem Restgebäude 
              ein Gegenentwurf zur kommerziellen Nutzung realisiert werden. Zunächst 
              saßen die potentiellen InteressentInnen allerdings vor dem 
              eingezäunten und brachliegenden Baugrundstück. Es ist 
              der Trotteligkeit der Stadt Hamburg zu verdanken, daß die 
              Rote Flora ihre Pforten öffnete. Ein besonders pfiffiger Oberbaudirektor 
              glaubte nämlich, die übrig gebliebenen AktivistInnen auf 
              die Leimrute des Reformismus locken zu können und bot im Sommer 
              1989 den etwas verdutzten Initiativen an, sie könnten doch 
              im Rahmen einer sechswöchigen Nutzung mal ihr Konzept öffentlich 
              im Gebäude vorstellen, dann gäbe es einen Wettbewerb und 
              vielleicht könnten die Inis ja später in ein Stadtteilzentrum 
              integriert werden. Für die provisorische Herrichtung der Räume 
              wurde sogar ein städtischer Sondertopf angezapft, die Inis 
              gründeten artig einen Verein und am 23.9.1989 eröffnete 
              das »neue« Zentrum. Jetzt hockten die InteressentInnen 
              also drinnen. Selbstverständlich verließ niemand nach 
              sechs Wochen das Gebäude, es wurde kurzerhand für besetzt 
              erklärt.
 Was die Flora-AktivistInnen, die unverhofft in das Gebäude 
              gelangt waren, verband, war das Interesse, nach der Verhinderung 
              des Kommerzmusicals nun eine eigene Utopie lebendiger politischer 
              Stadtteilkultur in einem autonomen Zentrum zu organisieren. Eine 
              strategische »Grundsatzentscheidung« war es, weiterhin 
              die Umstrukturierungspolitik des Hamburger Senats zu thematisieren. 
              Doch trotz eines sich gründenden Anti-Umstrukturierungsplenums, 
              das verschiedene Gruppen vernetzen sollte, lief diese Strategie 
              bereits im Winter 1990 ins Leere. Eine »breit« diskutierte 
              Demo im Dezember verzeichnete 200 bis 300 TeilnehmerInnen und war 
              bereits der finale Abgesang auf eine von vielen getragene Antiumstrukturierungskampagne.
 Für das Flora-Projekt bedeutete das eine Verlagerung der politischen 
              Arbeit  war »die« Flora zunächst der Ort 
              »der« Bewegung mit starker Außenorientierung ihrer 
              politischen Kampagnen gegen Umstrukturierung und städtische 
              Sanierungsträger (sowie Teil der Anfang der neunziger Jahre 
              auch bundesweit noch funktionierenden Vernetzung autonomer Projekte), 
              drehten sich seit ca. 1993 viele Diskussionen und politische Initiativen 
              nur noch um das Projekt selbst. Das Verhältnis zur Hamburger 
              Stadtentwicklungspolitik ließ und läßt sich seitdem 
              treffend mit der Abschreckungsphilosophie des »Gleichgewichts 
              des Schreckens« vergleichen: Solange es im Stadtteil keine 
              allzu großen stadtplanerischen Zumutungen gibt, gehen von 
              der Flora keine besorgniserregenden Aktivitäten aus. Auf der 
              anderen Seite verzichtet die Stadt auf übermäßige 
              exekutive Tätigkeit, die die Hamburger Polizei ansonsten auszeichnet.
 Gemäß der Vorgabe des Hamburger Innensenators, politisch 
              motivierte Gewalt zu bekämpfen, um die Frage, ob »gewählte 
              Parlamente oder selbsternannte Kräfte in Hamburg« das 
              Sagen hätten, zu klären, oblag es in den Jahren zuvor 
              einer zivilen Sondereinheit der zuständigen Revierwache 16, 
              die Grenzen militanter Stadtteilpolitik deutlich aufzuzeigen. Die 
              letzte große Konfrontation in diesem Zusammenhang war die 
              Auseinandersetzung um den Florapark im Sommer 1991, die mit einer 
              Räumung des Areals durch 1.500 Polizisten endete. Danach kehrte 
              der bereits angedeutete Burgfrieden im Stadtteil ein. Hatte sich 
              1991 durch die stadtteilpolitischen Aktivitäten der besetzten 
              Roten Flora noch der Innensenator herausgefordert gefühlt, 
              reichte es fünf Jahre später gerade noch für den 
              erschütternden Vorwurf, in der besetzten Roten Flora einen 
              nichtkonzessionierten Veranstaltungsort zu betreiben. Gemessen an 
              der ursprünglichen Utopie, mit der Roten Flora den Kampf gegen 
              Umstrukturierung quasi institutionalisiert fortführen zu können, 
              ist das Projekt in diesem Punkt gescheitert. Neben den inhaltlichen 
              Defiziten eines lediglich stadtteilorientierten Politikansatzes 
              ist es vor allem die kräfteaufreibende Eigendynamik gewesen, 
              die die Organisierung und Aufrechterhaltung eines selbstverwalteten 
              und von staatlichen Geldern unabhängigen Projekts mit sich 
              bringt, die dem Projekt Flora einen Teil seiner möglichen Außenwirkung 
              genommen hat. Gleichzeitig vermittelte (vermittelt) die Flora den 
              Eindruck eines geschlossenen Zusammenhangs, so daß potentielle 
              NeueinsteigerInnen sich lieber andere Orte suchten (suchen), wo 
              sie politisch arbeiten und diskutieren konnten (können). In 
              dem Maße, in dem sich die Flora als nichtkommerzieller Veranstaltungsort 
              etablierte, schwand ihre Bedeutung als Teil einer linksradikalen 
              Infrastruktur politisch handelnder Gruppen in Hamburg, zumal sie 
              immer noch von vielen als Projekt des »Kampfes gegen Umstrukturierung« 
              wahrgenommen wurde und damit einem antiquierten Politikkonzept anhing.
 VI.
 Gerade die sich seit 1995 im Schanzenviertel etablierende offene 
              Drogenszene hat zu einer Renaissance stadtteilpolitischer Aktivitäten 
              von Gruppen in und außerhalb der Flora geführt. Seitdem 
              sich im Herbst 1997 Konsum und Handel illegalisierter Drogen durch 
              die polizeiliche Vertreibungsstrategie direkt an die Rote Flora 
              verlagert haben, hat sich die Flora auch als Projekt genötigt 
              gesehen, in diese politische Auseinandersetzung einzugreifen.
 Die Erfahrungen der letzen zehn Jahre hatten immer wieder die Notwendigkeit 
              einer Auseinandersetzung mit militanter Intervention deutlich vor 
              Augen geführt. Diese Form der Militanz kann und soll nicht 
              mit dem staatlich-polizeilichen Gewaltpotential konkurrieren. Trotzdem 
              muß sich linke Politik mit der Möglichkeit, das staatliche 
              Gewaltmonopol aktiv infrage zu stellen, befassen. Eingebettet in 
              verschiedene Aktionen und eine öffentliche Diskussion über 
              den Sinn, z.B. sozialpolitische Probleme durch Polizeieinsätze 
              lösen zu wollen, können militante Aktionen im positiv 
              polarisieren und fokussieren: Indem sie eine vermeintliche Normalität 
              repressiver Polizeistrategie angreifen, zwingen sie die politisch 
              Verantwortlichen Stellung zu beziehen und manches Mal sogar zum 
              Handeln.
 Im Oktober 1997 sorgte beispielsweise der Brandanschlag auf eine 
              mobile Wache der Polizei, die zur »Bekämpfung« 
              der Dealerei aufgeboten wurde, für Verblüffung innerhalb 
              des Polizeiapparats. Bis dahin waren die Polizeistrategen davon 
              ausgegangen, daß die autonome Szene in der Frage der Drogenpolitik 
              intern zerstritten sei und sie hatten sogar eine stillschweigende 
              Akzeptanz der polizeilichen Repression gegen die offene Drogenszene 
              für möglich gehalten. Gegenwärtig hält die Möglichkeit 
              einer militanten Reaktion die Polizei noch von einer übermäßigen 
              Eskalation ihrer repressiven Vertreibungspolitik an der Roten Flora 
              ab. Die Hamburger Rundschau stellte am 2. April 1998 fest: »Das 
              Hauptproblem für die Schanze bleibt jedoch der Mangel an Orten, 
              an denen die Abhängigen drücken dürfen. Längst 
              wird das Gelände rund um die in dieser Frage toleranten Flora 
              wegen der Überlastung des Fixstern [ein Druckraum in unmittelbarer 
              Nachbarschaft] als Konsumraum benutzt; längst hat das Forum 
              des Stadtteilkulturzentrums erklärt, daß wir niemanden 
              vertreiben und es auch nicht billigen, wenn andere es tun; 
              längst befürchten Polizei und Innenbehörde, daß 
              es in dieser Frage zu Konflikten mit militanten Flora-Aktivisten 
              kommen könnte. Und so stellte selbst Bossong [Drogenbeauftragter 
              des Hamburger Senats] am Wochenende in der Welt am Sonntag widerwillig 
              einen zweiten Gesundheitsraum in Aussicht.« Dies zeigt, daß 
              autonome Militanz punktuell etwas bewegen kann. Aber diese Form 
              politischen Eingreifens verkommt zum bloßen Brennende-Barrikaden-im-Schanzenviertel-Ritual, 
              wenn sie nicht in eine strategische Debatte über Sinn, Zweck 
              und Bezugspunkte autonomer Politik eingebunden ist.
 Die kontroversen Diskussionen über die offene Drogenszene im 
              Schanzenviertel haben auch in der autonomen Szene zu einem Überdenken 
              bisheriger stadtteilbezogener Politik geführt. Im Herbst 1997 
              wurde in dem an den Stadtteil grenzenden Schanzenpark eine Aktionswoche 
              gegen Ausgrenzung und Vertreibung von DrogenkonsumentInnen und rassistischen 
              Tendenzen gegen schwarzafrikanische Dealern initiiert  wobei 
              sich der Zusammenschluß verschiedener politischer Gruppen 
              bewußt einer Pflege des »Unser-Viertel«-Mythos 
              enthalten hat. In den folgenden Monaten hat sich eine Kontroverse 
              darüber entwickelt, in welcher Form und mit welchen Inhalten 
              autonome Politik im Stadtteil eingreift. Nach Jahren wird endlich 
              wieder konzeptionell über Interventionsstrategien im städtischen 
              Raum gestritten, und diese Debatten in der autonomen Linken im Schanzenviertel 
              berühren das Grundverständnis linker Politikansätze. 
              Geht es im Stadtteil um Aufklärung, bzw. die Schaffung eines 
              Bewußtseins z.B. über repressive Drogenpolitik als Teil 
              eines gesamtgesellschaftlichen sozialpolitischen Konzepts staatlicher 
              Integration und Ausgrenzung gesellschaftlicher Gruppen? Oder sind 
              die bisweilen reaktionären und rassistischen Vorstellungen, 
              die angesichts der nicht mehr zu übersehenden Drogenszene von 
              SchanzenviertelbewohnerInnen immer offener artikuliert werden, das 
              Problem, das bekämpft werden muß, weil es mit solchen 
              Leuten eigentlich nichts mehr zu diskutieren gibt?
 Die Erfahrungen aus dem »Kampf gegen Umstrukturierung« 
              taugen jedenfalls nicht zur Beantwortung dieser Fragen. Allenfalls 
              sind sie ein Lehrstück dafür, wie sich Ideologien einer 
              »fortschrittlichen Viertelidentität«, oder der 
              Glaube, gesellschaftliche Widersprüche in einem »alternativen 
              Milieu« besser lösen zu können, als Irrtum erwiesen 
              haben. Diesen Irrtum zu benennen, ist jedoch nicht gleichbedeutend 
              mit einer pauschalen Absage an den Anti-Umstrukturierungskampf. 
              Vielmehr muß es darum gehen, ihn in einen angemessenen gesellschaftlichen 
              Kontext zu stellen: Es können nur jene Menschen durch Luxusmodernisierung 
              ihre Wohnungen verlieren, die überhaupt eine haben und nicht 
              als Wohnungslose mit Platzverweisen durch die Stadt getrieben werden; 
              die Teilnahme an Diskussionen über die Zukunft eines Stadtteils 
              setzt voraus, im Schatten des Ausländerrechts und »aufenthaltsbeendenden 
              Maßnahmen« dort überhaupt eine Perspektive zu haben.
 Umstrukturierung zu bekämpfen bedeutet für die Zukunft, 
              Stadtentwicklung von oben als einen Teilbereich des umfassenden 
              Versuchs zu begreifen, die Lebens- und Arbeitswelt noch stärker 
              in die Logik kapitalistischer Verwertung einzubinden. Die dabei 
              produzierten gesellschaftlichen Widersprüche und Ungleichheiten 
              gehen weit über das hinaus, was der autonome Kampf gegen Umstrukturierung 
              (zumindest in Hamburg) in der Vergangenheit erfaßt hat. Die 
              zunehmende Sensibilisierung für diese Zusammenhänge läßt 
              hoffen, daß Anti-Umstrukturierungskampf nicht zum exklusiven 
              Hobby privilegierter Mittelschichtsautonomer verkommt, sondern lebendiger 
              Teil einer linken radikalen Praxis bleibt.
   »RotFlorist«, lebt im 
              Hamburger Schanzenviertel.          |