barricada
zeitung für autonome politik und kultur
Navigation
Barricada
OKTOBER 2003

Freedom of movement is everybody`s right, we are here and we will fight!

Die Aktionstage gegen das Abschiebelager in Fürth vom 11.-14. September -

Bis zu 800 Menschen beteiligten sich Mitte September an den zahlreichen Aktivitäten gegen das Abschiebelager in der Fürther Hafenstraße und dem dahinterstehenden institutionellen Rassismus in der BRD und in Europa. Die Organisation der Aktionstage übernahm das „Aktionsbündnis für offene Grenzen und Bewegungsfreiheit“, das sich aus einer Nürnberger Vorbereitungsgruppe, Flüchtlingsorganisationen wie The Voice aus Jena und der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen sowie vielen Gruppen aus der Kampagne gegen Abschiebung, Knäste und Lager (3A) zusammensetzte.

Deutschland = Lagerland

Nach einem Jahr Abschiebelager in Fürth wird die Forderung nach Schließung des Lagers immer dringlicher. Etwa die Hälfte der eingewiesenen Flüchtlinge entzog sich inzwischen der menschenverachtenden Lagerpraxis mit ihren alltäglichen Kontroll- und ‹Überwachungssystemen, dem beständigen Psychoterror durch Verhöre und der aufgezwungenen Isolation, indem sie in die Illegalität abtauchten. Die im Lager verbleibenden Flüchtlinge weisen inzwischen psychische Beschwerden wie Depressionen, Angstzustände, Alpträume, Appetit- und Schlaflosigkeit auf oder neigen zu Alkoholmissbrauch oder aggressivem Verhalten.

Abschiebelager stellen in Deutschland kein isoliertes Phänomen einer ansonsten humanen Flüchtlingspolitik dar. Sie bilden „nur“ das Bindeglied eines flächendeckenden Lagersystems, durch das Flüchtlinge von ihrer Aufnahme in der Zentralen Aufnahmestelle und ihrer „Umverteilung“ in Sammellager (= Sammelunterkünfte) bis hin zum Abschiebeknast geschleust werden.

Vier Tage phantasievollen Widerstands

Bereits am Donnerstag trafen etwa 200 Leute, etwa die Hälfte davon mit Migrationshintergrund, auf dem Aktionscamp unter der Ludwigsbrücke in Fürth ein. Neben dem Auftaktplenum stand für den ersten Tag nur noch Abendsport in der Hafenstraße auf dem Programm. Denn wer/welche die Flüchtlinge im Abschiebelager wirklich begrüßen wollte, musste sich erst dem modernen „In-Sport“ De-Fencing: Fence-Jumping, Fence-Climbing, Fence-Jiggling und Fence-Digging hingeben, um die 2,20m hohe Umzäunung erfolgreich zu überwinden. Letztendlich konnten trotz Dauer-Nieselregen dank der 150 anwesenden Sport-Freaks einige neue Rekorde erzielt werden.

Am Freitag kam es zu zahlreichen dezentralen Aktionen in Fürth und Nürnberg. Während die einen den SchreibtischtäterInnen im „Bundesamt für Migration und Flüchtlinge“ im Bau der ehemaligen SS-Kaserne einen Besuch abstatteten, bemühten sich andere gemäß dem Motto „lieber blaumachen als krummschuften“, den Wassersäulen vor der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit einen frischen Blauton zu verleihen. In der FÜrther Innenstadt wurden Aktionen gegen rassistische Kontrollen und für die Anerkennung frauenspezifischer Fluchtgründe durchgeführt, sowie Fragebögen verteilt, die im Zuge der „Anti-Terror-Gesetze“ an Menschen verschickt wurden, die aus islamischen Ländern kommen. Eine im Fürther Gewerkschaftshaus abgehaltene Pressekonferenz, in der die sofortige Abschaffung aller Abschiebelager gefordert wurde, war für Bayerns Innenminister Günter Beckstein (CSU) Anlass genug, wieder einmal zu rhetorischer Höchstform aufzulaufen: Ein „Forum für die linksextremistisch infiltrierten Aktionstage gegen das Ausreisezentrum“ zu bieten, warf er dem DGB vor und die DGB-Vorsitzende bezeichnete er als eine „Fürsprecherin des Asylmissbrauchs“.

Eine Diskussionsveranstaltung mit AktivistInnen aus Deutschland, Italien und einigen Nicht-EU-Ländern auf dem Podium beendete den Tag. Ausgehend von der Fragestellung „Wie hängt Deine Befreiung mit meiner Befreiung zusammen?“ sollten Möglichkeiten einer besseren Vernetzung der unterschiedlichen AktivistInnengruppen gefunden werden.

Zur zentralen Demonstration der Aktionstage am Samstag kamen etwa 800 Menschen. Die lange Route von der Fürther Freiheit zum Abschiebelager entsprach dem Weg, den die im Lager lebenden Flüchtlinge ständig zu Fuß zurückzulegen haben. Am Abschiebelager angekommen, hatte nach dem langen Fußmarsch kein mensch mehr Lust auf sportliche Aktivitäten, wie die Tage zuvor, so dass kurzerhand ein Teil des Zaunes niedergerissen wurde. Von staatlicher Seite folgten Hunde-, Schlagstock- und Pfeffersprayeinsatz sowie zahlreiche Festnahmen. Aufgrund der massiven polizeilichen Repression war eine Spontandemo erforderlich, um wieder sicher ins Camp zurück zu gelangen. Eine weitere Spontandemonstration gegen Polizeigewalt folgte. Die polizeilichen ‹Übergriffe drückten die Stimmung auf dem anschließenden Open-Air-Konzert nur unwesentlich, das vom SchülerInnenbündnis gegen den Krieg auf dem Camp-Gelände organisiert worden war.

Wenn auch nicht offiziell geladen, so wollten sich am Sonntag doch einige Leute die Nürnberger Menschenrechts-Preisverleihung unter Edmund Stoiber und Otto Schily nicht entgehen lassen. Wie ernst es Nürnberg mit den Menschenrechten wirklich ist, bekamen alle zu spüren, die von der Bühne gejagt wurden und von der Polizei an ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung gehindert wurden. Nach Abschlussplenum und Abbau stand für die meisten die Heimreise auf dem Programm. Für den Bus aus Jena endeten die Aktionstage, wie sie begannen: die thüringer Polizei nahm alle InsassInnen mit auf die Wache und hängte ihnen Busgeldverfahren (zum zweiten Mal innerhalb von 4 Tagen!) wegen Residenzpflichtverletzung an. Spenden sind jederzeit willkommen: Förderverein für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen - Kontonr.: 350 18 17, BLZ: 760 605 61, Acredobank eG Nürnberg, Stichwort Residenzpflicht.

Fazit

Die bayerische Obrigkeit hatte es tatsächlich geschafft, sich für ihre Verhältnisse zurückzuhalten. Nach den Übergriffen auf das Anti-Grenzcamp in Köln war bereits schlimmstes befürchtet worden. Allerdings war der Zeitpunkt für das Camp optimal gewählt. Zu hoch wäre der Verlust Nürnbergs gewesen, sich die werbeträchtige Image-Kulisse der Menschrechtspreisverleihung durch prügelnde Polizeikräfte verderben zu lassen.

Die OrganisatorInnen waren mit sich und dem geleisteten zufrieden - und das dürfen sie auch. Die Anzahl der Beteiligten, die zahlreichen Aktionen, das Medienecho und die vehementen rassistischen Pöbeleien, mit denen die AktivistInnen immer wieder konfrontiert waren, sprechen dafür, dass es nicht die letzten Aktionstage gegen Lager und Rassismus gewesen sind. Jedes Lager ist ein Lager zuviel! Das Lager in Fürth konnte bis jetzt nicht zu Fall gebracht oder geschlossen werden, aber: „Heute ist nicht alle Tage, wir kommen wieder - keine Frage!“

Zurück zur Red Side