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RE-AKTIONEN, Leipziger Flüchtlingspostille, September 2000, Nr. 1

Taucha zwischen den Zeilen

Angsteinflößend bei Nacht - totenstill am Tag

Das Heim Graßdorfer Straße in Taucha ist ca. 14 km von Leipzig weg und liegt im Wald umgeben von Bäumen. Die nächste Straßenbahnhaltestelle ist ca. 3 km weit weg; es gibt keine Bushaltestelle, weil der Platz, auf dem das Heim steht, weit weg von den Häusern der Deutschen ist.

In diesem Heim leben ca. 170 Personen, darunter 10 Familien. Jede Person bekommt einen Platz von 4 m², d.h. in einem 20 m² großen Zimmer leben 5 Personen. Viele Leute sind schon sehr lange dort, zwischen 4 und 6 Jahren. Ein Drittel ungefähr haben eine Duldung.

Der Laden öffnet zweimal in der Woche, die Preise sind sehr teuer

Die Bewohner dieses Heimes bekommen ihr Essen über einen Schein über 60,- DM jede Woche, mit dem man in einem Magazin einkaufen kann. Dieses Magazin öffnet zweimal in der Woche; die Leute beklagen sich über die hohen Preise. Hier einige Beispiele: eine Packung Pampers kosten dort 42,- DM; in einem normalen Laden kosten die gleiche Menge Windeln ca. 20,- DM. Kaffee kostet 11,50 DM das Kilo, während man in Billiggeschäften ein Kilo bereits für 6,- DM bekommen kann.

Im letzten Jahr gab es viele rassistische Übergriffe

Die Flüchtlinge müssen viele Jahre in diesem Heim leben; in derselben Gegend leben natürlich auch Deutsche, aber bis jetzt gab es keinerlei Gespräche zwischen ihnen, man kennt sich nicht - ganz im Gegenteil. Rassismus und Diskriminierung sind an der Tagesordnung. Besonders im letzten Jahr gab es zahlreiche rassistische Übergriffe gegenüber Bewohnern des Heimes, seien es Überfälle körperlicher oder verbaler Art. Die Kinder in der Schule beklagen sich über Ungleichbehandlung gegenüber den deutschen Kindern.

Seit dem Bestehen des Heimes fordern wir die Umsetzung unserer Rechte

Im Mai 1998 sind die Bewohner des Heimes aufgrund der katastrophalen Lebensumstände in einen Streik getreten. Gefordert wurde dabei die Aufhebung der Rechtsunsicherheit und die Aufklärung über bestehende Gesetze und Verordnungen, nach denen das Asylverfahren durchgeführt wird. Gefordert wurde ebenfalls die Verbesserung der Verpflegung durch das Magazin. Gegen die Behandlung durch den Heimleiter und seine Mitarbeiter, die durchgängig sehr schlecht sei, wurde protestiert. Am 08. Mai kam es zu einer Demonstration in Leipzig gegenüber dem Rathaus. Anschließend traten noch zwei Iraner für zwei Wochen in den Hungerstreik. Nach dem Hungerstreik kamen Herr Sandig, Ausländerbeauftragter Sachsens und Vizepräsident des sächsischen Landtags, und Vertreter von acht anderen Behörden ins Heim, um ein Gespräch mit den Bewohnern zu führen. Die Einladung war u.a. mit folgendem Wortlaut versehen: "Aus Platzgründen wird darum gebeten, nur 10 iranische Asylbewerber als Teilnehmer auszuwählen und einen Sprecher zu bestimmen. Ich bitte um gründliche Vorbereitung und pünktliches Erscheinen." Hampl, Heimleiter

Nach diesem Gespräch sind drei Vertreter der Flüchtlinge nach Bonn gefahren und haben mit Vertretern des UNHCR gesprochen. Das Ergebnis des ganzen war, dass es kein Ergebnis gab und alles beim Alten blieb.

Es gibt keinen Kindergarten

Die wichtigsten spezifischen Probleme der Bewohner Taucha sind folgende:

  1. Der Weg durch den Wald ist gefährlich. Abends ist es hier sehr dunkel, die Beleuchtung ist völlig unzureichend. Die rassistischen Übergriffe passieren größtenteils auf diesem Weg. Besonders Familien mit Kindern trauen sich abends nicht, diesen Weg lanzugehen.
  2. Die Lebensmittelversorgung ist nach den letzten Streiks noch katastrophaler als vorher geworden, nachdem der Betreiber des Magazins den Vertrag gekündigt und nun ein neuer Betreiber seinen Laden aufgemacht hat. Die Öffnungszeiten sind völlig unzureichend, außerdem wird der Laden als Mittel genutzt, um die Flüchtlinge zu kontrollieren.
  3. Die Bewohner des Hauses A haben nur eine Küche im Erdgeschoss, wenn also jemand aus der ersten oder zweiten Etage etwas kochen will, so muss er ins Erdgeschoss gehen.
  4. Die Kinder dürfen nicht in den Kindergarten gehen.
  5. Die beiden auf dem Heimgelände befindlichen Telefonzellen sind öfter defekt.
  6. Besuch darf nicht im Heim übernachten, sondern muss um 22 Uhr nach Hause gehen.
Nach den jüngsten Protesten hat sich die Lage im Heim dahingehend geändert, dass die Ausländerbehörde versucht, die Sprecher der Bewohner umzuverteilen, sie unter Druck zu setzen und verstärkt zu kontrollieren.

Wir wollen ohne Diskriminierung leben

Die wichtigsten Forderungen der Bewohner des Heimes Taucha sind folgende:

  1. Schnelle Bearbeitung der Anträge durch das Verwaltungsgericht
  2. bessere, menschenwürdige Standards der Unterbringung - Verbesserung der konkreten Situation im Heim
  3. keine rassistische Diskriminierung durch Behörden
  4. Geld statt Sachleistungen
  5. Möglichkeiten für Ausbildungsplätze
  6. Reisefreiheit

In jeder Ausgabe von Reaktionen wird es eine Reportage über ein Asylheim in Leipzig und Umgebung geben. Wir bitten um die Mitarbeit der jeweiligen Heimbewohner. Ideal ist natürlich, wenn die Leute die Reportagen selbst schreiben könnten und Fotos dazu machen können.

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