j











junge Welt, 06.07.2000

Lebendig begraben
Asylbewerber in Sachsen gehen auf die Straße.

Drei Quadratmeter Deutschland. Wer im Asylbewerberheim in der Torgauer Straße in Leipzig wohnt, soll damit auskommen - in den 15 Quadratmeter großen Zimmern leben vier bis fünf Personen. Die Betten sind verwanzt, die Teppiche voller Ölflecken, die Räume feucht. Wer hier krank wird, bekommt ohne Dolmetscher vom Heimarzt Schmerzmittel, Krankenhaus und Therapien lohnen sich nicht, könnten ja das Asylverfahren verlängern. Küchen gibt es nicht, das Mittagessen wird angeliefert, Frühstück und Abendbrot werden zusammen ausgegeben - morgens zwischen acht und zehn Uhr. Wer eine Minute nach zehn kommt, geht leer aus. Wer früher das Haus verlassen muß sowieso. Bezahlt wird mit Punkten: Pro Tag hat man in der Torgauer Straße 45 Punkte zur Verfügung, entspricht einem durchschnittlichen Warenwert von zirka 3,50 DM. Im Asylbewerberheim gibt es aber keine normalen Preise. Eine Dose Oliven ist für 52 Punkte zu haben, für eine Flasche Olivenöl braucht man 85 Punkte und hat dafür zwei Tage lang sonst nichts zu essen. Im Asylbewerberheim in Taucha, einem Vorort von Leipzig im Landkreis Delitzsch, kostet eine Flasche Olivenöl elf DM. Dort stehen jedem Bewohner 60 DM pro Woche zu - nicht in bar, sondern als Verrechnungseinheit für einen kleinen Kellerladen auf dem Gelände. Bezahlt wird per Unterschrift auf einer Liste: Man wartet in einer Schlange bis man dran ist, zeigt auf ein bestimmtes Produkt und bekommt dies dann gegen Unterschrift ausgehändigt, ohne daß man es vorher in die Hand nehmen und betrachten konnte. Wenn Moslems kein Schweinefleisch wollen, haben sie Pech gehabt, nachschauen ist verboten. Was überhaupt im Angebot ist, bleibt dunkel. Schlecht und teuer ist es auf jeden Fall, kaum frisches Gemüse, selten Obst. Normale Härte, genauso wie Kakerlaken in den überbelegten Zimmern, in denen bis zu siebenköpfige Familien auf 25 Quadratmetern wohnen müssen. Einmal die Woche wird ein Raum für genau eine Stunde aufgeschlossen, das ist dann der kirchlich geführte Kindergarten.

Von dem wenigen Gesparten kauft man draußen ein und unterstützt sich gegenseitig. »Für meine Mitbewohner bin ich Aldi, Mama, Geld«, sagt der Sprecher der Bewohner, der Iraner Berus Alimohammady, der sich fragt, ob sich an den Zuständen in Taucha erst dann etwas ändert, wenn jemand gestorben ist. Denn ab dem 18. Juni traten acht Männer und zwei Frauen in den Hungerstreik. Interessiert hat das keinen, weder Heimleiter noch die zuständigen Stellen. Erst als man ein paar Tage später dem Heimleiter und seiner Mitarbeiterin den Zutritt zum Wohnbereich der Hungerstreikenden versperrte, rückten die Ausländerbeauftragten von Kreis und Land an, um mit Gefängnis und ähnlichem zu drohen. Gefängnis sei besser als Taucha, meint Alimohammady, weil man dort zumindest eine Ausbildung bekommt.

Seit einer Woche hat Taucha einen neuen Heimleiter, der Hungerstreik aber geht weiter, denn es geht um Grundsätzliches: selber zu entscheiden, was gut für einen ist. Deshalb fordert man eine allgemeine Arbeitserlaubnis für Flüchtlinge. Wer keine Arbeit findet, soll wie Deutsche auch Sozialhilfe statt Gutscheinen, Freßpaketen oder ähnlichem erhalten. Schon heute kann jeder Asylbewerber, der sich 36 Monate in Deutschland aufhält, knapp 430 DM in bar im Monat erhalten. In zwei Leipziger Heimen wird dies praktiziert, in den anderen nicht. Deshalb sind ab Montag alle 1500 Bewohner der Leipziger Asylbewerberheime in den Streik getreten. Auf einem Forum hat man weitere Forderungen beschlossen: bessere Unterbringung, Dezentralisierung der Heime mit maximal 30 Bewohnern statt Ghettoisierung, freie Arztwahl und Beschleunigung der Verfahren, in die man auch mehr Einsicht verlangte. Am Mittwoch schlossen sich die Heime in den Nachbarorten Doberschütz und Eilenburg dem Streik an, der sich auf ganz Sachsen ausweiten könnte, Chemnitz ist auch schon dabei. Heute kommt man in Leipzig zur Demonstration zusammen, die von der PDS-Landtagsabgeordneten Heike Werner angemeldet wurde. Erwartet werden 800 Flüchtlinge aus ganz Sachsen, die sich nicht mehr lebendig begraben lassen wollen, als hätten sie sonst nichts zu tun.

* Demo, heute, Leipzig Marktplatz, 15 Uhr

Christof Meueler, Leipzig

zurück