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Leipziger Volkszeitung, Regionalbeilage Grimma 07.07.2000

Asylbewerber demonstrierten gestern in Grimma

In Grimma demonstrierten gestern Asylbewerber. Bei dem Marsch durch die Stadt zum Marktplatz forderten sie unter anderem, dass die monatlichen 80 Mark Taschengeld nicht in zwei Raten, sondern ungesplittet ausgezahlt werden. Demonstriert wurde auch in Leipzig. Inzwischen hat Sachsens lnnenminister Hardraht (CDU) zugesichert, zu prüfen, ob Asylbewerber in Sachsen künftig mit Gutscheinen in Supermärkten außerhalb ihrer Heime einkaufen dürfen.

Asylbewerber demonstrierten gestern in Grimma
Bessere Lebensbedingungen gefordert / Protest verlief friedlich

Auch die kleine vierjährige Tessnime aus Tunesien war bei der gestrigen Demo dabei. Vor ein paar Wochen wurde sie von Rechten vor dem Grimmaer Krankenhaus mit einem Knüppel am Auge verletzt. Anfangs trug sie noch tapfer ihr Pappschild, auf dem ein Zeitungsartikel befestigt war - mit der Überschrift: "Was hat dieses süße Kind getan?" Nach dem langen Marsch durch die Grimmaer Innenstadt war sie müde, funktionierte ihr Schild kurzerhand in eine Schaufel um. Sie spielte, mitten auf dem Markt. Während dessen berichtet ihr Vater darüber, dass im Bahrener Heim inzwischen schon Briefe deutscher Familien eingegangen seien, in denen sie mitteilen, der kleinen Tessnime helfen zu wollen, die Schrecken zu vergessen. "Wir haben uns über diese Solidarität sehr gefreut, schade nur, dass wir im Heim keine Deutschen empfangen dürfen, wir hätten mit den Freunden sehr gern Kaffee getrunken."
Im Moment aber ist Hungerstreik angesagt. Von der Ausländerbehörde bis zum Markt zogen gestern etwa 70 Asylbewerber aus Bahren und Collmen, um für bessere Lebensbedingungen zu demonstrieren. Ghassan Kadoura aus dem Libanon hat Frau und Kinder in Hildesheim. Er ist verärgert über die Regelung, nur einmal im Monat drei Tage Urlaub zu bekommen. "Wenn man wenigstens sieben Tage genehmigen würde, könnte ich mir für hin und zurück ein Wochenendticket kaufen - so aber kann ich mir die Zugfahrt nicht leisten. Schon gar nicht, wenn das Taschengeld von 80 Mark im Monat nun in zwei Raten gezahlt wird." Halte man sich als Heimbewohner unerlaubt länger außerhalb des Kreisgebietes auf, drohen gar 86 Mark Strafe. "Fast alle haben wir schon zahlen müssen. Wenn du schwarze Haare hast, wirst du von der Polizei schnell mal erwischt."
Die Bahrener Asylbewerber beklagen, dass es in ihrem Heim viel zu wenig Toiletten und Duschen gebe - "wenn 50 Mann zur selben Zeit aufs Klo müssen, ist es unvermeidbar, dass sich manche in den Wald verdrücken". Und was das Lebensmittelgeschäft im Heim anlangt, so geben sich die Asylbewerber auch nach dem Betreiberwechsel nicht zufrieden: "Die Waren sind nach wie vor viel zu teuer!"
Polizeiführer Manfred Oeser war von Anfang an sehr kooperativ mit den Asylbewerbern. Er lud einen Vertreter sogar noch einmal in seinen Dienstwagen ein, um zusammen mit ihm die Demonstrationsstrecke abzufahren. Die Hungerstreikenden zogen dann wortlos die Leipziger Straße hinunter, bogen in die Lange Straße ein und versammelten sich noch einmal kurz vor dem ehemaligen Standesamt auf dem Markt - jederzeit friedlich.
PDS-Kreisvorsitzende Kerstin Köditz solidarisierte sich mit den Demonstranten. Ihre Partei setze sich dafür ein, dass die Asylbewerber die Gutscheine künftig auch in Supermärkten einlösen können und nicht mehr auf Läden angewiesen sein müssen, "deren Waren bis zu 100 Prozent überteuert sind". Es habe unterdessen schon Gespräche mit Innenminister Klaus Hardraht gegeben, der versprochen habe, diesen Vorschlag zu prüfen.
Auf dem Grimmaer Markt waren aber auch andere Stimmen zur Demo zu hören: "Die können doch nicht einfach streiken, die sollen doch froh sein, dass sie in Deutschland sind." Oder: "Arbeitsgenehmigung hin und her - Wenn die jetzt noch als Billiglohnkräfte einsteigen dürfen, haben wir am Ende vielleicht noch mehr Arbeitslose."
Ein Grimmaer in blauer Arbeitskombi dagegen erzählt nicht viel, fährt nach der Demo mit seinem Auto vor, bittet die Collmener Asylbewerber einzusteigen und chauffiert sie bis vors Heim.
Haig Latchinian

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