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Leipziger Volkszeitung, Regionalbeilage Grimma 05.07.2000

Asylbewerber-Demo morgen in Grimma
Nach Gesprächsrunde im Landratsamt machen Hungerstreikende Heimbewohner aus Bahren jetzt mobil

Gleich nachdem das Landratsamt, durch entsprechende LVZ-Anfrage von der bereits für gestern geplanten Asylbewerber-Demo vor der Ausländerbehörde in der Grimmaer Heinrich-Zille-Straße erfährt, setzt sich Ordnungsamtsleiterin Helga Ickert höchstpersönlich in den Wagen, um begleitet von fünf Polizisten und einem Dolmetscher mit den Asylbewerbern in Bahren ins Gespräch zu kommen. Sie machten den Hungerstreikenden klar, daß diese nicht einfach zu einer Demo aufrufen könnten, laut Gesetz müssten derartige Veranstaltungen vorher angemeldet werden. Ickert zeigte sich aber dazu bereit, die Asylbewerber im Landratsamt zu Verhandlungen zu empfangen.
Gestern nun rückten die Asylbewerber in Grimma an, allerdings erst nach und nach. Verständlich: Denn sie hatten nur ein Auto zur Verfügung, das ständig zwischen Grimma und Bahren pendelte. Obwohl Bauleute die Zille-Stralße mit ohrenbetäubenden Walzen bearbeiteten, verschafften sich die Asylbewerber Gehör: Ziad Al-Scheich Ahmed aus Syrien findet es nicht hinnehmbar, dass die monatlichen 80 Mark Taschengeld von nun an in zwei Raten gezahlt werden: "Jeder von uns muss seinen Rechtsanwalt bezahlen, das sind 50 Mark im Monat. Meine Augen werden immer schwächer, ich brauche dringend eine Brille. Aber die Krankenkasse zahlt nur 20 Mark, den Rest muss ich hinblättern - aber wovon?!" Der Syrer möchte so gern arbeiten, einfach um gesund zu bleiben: "Ich würde auch arbeiten, ohne Geld zu nehmen. Aber wir bekommen keine Arbeitserlaubnis." Mohammed Reza Askari aus dem Iran hat eine deutsche Freundin und ein Kind, für das er auch das Sorgerecht besitze: "Beide hausen in Leipzig in einer winzigen Wohnung. Ich darf von Bahren aus nur drei Tage im Monat zu ihm - und das auch nur mit Urlaubsschein. Wenn ich länger als drei Tage bleibe, würde ich mich illegal in Leipzig aufhalten. Die Leute sagen, wenn es dir nicht passt, kannst du ja in deine Heimat zurück gehen. Aber das kann ich nicht. Im Iran war ich drei Jahre im Gefängnis, bloß weil ich eine Musikcassette gehört habe. Wenn du nichts sagst, dass der Präsident unser aller Gott ist, wirst du eingesperrt. Studenten werden getötet."
Ute Mucke von der Ausländerbehörde: "Ich sorge dafür, dass meine Mitarbeiter sachlich mit dem Asylbewerbern reden. Ausdrücke, wonach die Asylbewerber doch nach Hause fahren können, wenn ihnen was nicht passt - so etwas verkneifen sich meine Leute, darauf dränge ich."
Zarrougui El-Kadri, der tunesische Vater der kleinen vierjährigen Tessnime, die von rechten Jugendlichen vor dem Grimmaer Krankenhaus mit dem Knüppel geschlagen wurde und noch immer Albträume habe, war gestern auch im Landratsamt. Er ist seit 1996 in Deutschland: "In anderen Bundesländern bekommen all jene, die länger als drei Jahre im Asylverfahren sind, Bargeld auf die Hand. Warum geht das hier nicht auch?"
Helga Ickert kündigt an, dass es Erhöhungen beim Taschengeld nur bei maximal 20 Asylhewerbern im Landkreis geben werde. Alle anderen würden fortan die zwei Mal 40 Mark im Monat bekommen. Daran halte sie trotz der Proteste fest: "Wie gesagt, wir entsprechen damit der Anregung des Regierungspräsidiums Leipzig, zahlen deshalb in zwei Raten, um zu verhindern, dass die Heimbewohner nur zum Zahltag anwesend sind." Veränderungen - so Ickert - habe es inzwischen in der Verkaufsstelle des Bahrener Asylbewerberheimes gegeben: "Wir haben uns von der Firma getrennt. Unsere Kontrollen ergaben, dass die Preise tatsächlich teilweise überteuert waren. Seit Anfang dieser Woche gibt es einen neuen Betreiber." Asylbewerber, die an den Laden mit seinen Preisen praktisch gebunden sind, erneuern ihren Protest: "Unser Essengeld reicht nicht. Der Entschluss, einen Hungerstreik zu machen, ist uns auch deshalb nicht schwer gefallen." In der Zwischenzeit hungere auch eine Schwangere, selbst Kinder würden sich an dem Protest beteiligen.
Morgen, von 13 bis 16 Uhr, wird es eine Demo der Asylbewerber durch Grimma geben. Los geht's am Landratsamt. Ziel soll der Marktplatz sein. "Wir werden die Demo, für die jetzt der Antrag vorliegt, genehmigen", heißt es aus dem Ordnungsamt. Unklar ist noch, ob der Markt tatsächlich Ankunftsort sein könne, weil morgen ja Markttag ist.
Haig Latchinian

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