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Leipziger Volkszeitung 05.07.2000
Asylbewerber in der Region kündigen neue Proteste an
Streiks gehen vielerorts weiter / Für morgen in mehreren Orten Demonstrationen geplant / Leipzig zahlt kein Bargeld mehr aus
Die Proteste der Asylbewerber in der Region Leipzig weiten sich aus. Nachdem seit einigen Tagen in Asylbewerberheimen in der Messestadt, in Markkleeberg und seit gut drei Wochen in Taucha gegen die derzeitigen Lebensbedingungen gestreikt wird, haben sich auch die rund 80 Bewohner des Heimes in Doberschütz im Landkreis Delitzsch den Protesten an- geschlossen. Die Forderungen der Asylbewerber: Bargeldauszahlungen gemäß dem Bundessozialhilfegesetz statt de im Freistaat üblichen Lebensmittelpakete, eine Verbesserung der Wohnbedingungen, kostenlose Deutschkurse und eine allgemeine Arbeitserlaubnis. "Wenn wir arbeiten dürften, dann bräuchten wir auch kein Geld vom Staat", so die fast einhellige Meinung der Emigranten. Auch in Bahren bei Grimma wird protestiert. Seit Wochenanfang befinden sich die Bewohner des Bahrener Heimes im Streik. Beim Ordnungsamt Grimma hat man bereits teilweise auf die Proteste der Asylbewerber in Bahren reagiert. Sie hatten neben den genannten Forderungen auch Kritik an den ihrer Meinung nach zu hohen Lebensmittelpreisen in der Verkaufsstelle des Asylhewerberheims geäußert. Seit Anfang der Woche hat die Verkaufsstelle der Unterkunft einen neuen Betreiber. "Wir haben uns von der Firma getrennt", so Ordnungsamtsleiterin Helga Ickert. "Unsere Kontrollen ergaben, dass die Preise tatsächlich teilweise überteuert waren." Trotz des Betreiberwechsels erneuerten die Asylbewerber ihren Protest. "Unser Essengeld reicht nicht. Der Entschluss, einen Hungerstreik zu machen, ist uns deshalb nicht schwer gefallen." Mit einem für morgen geplanten Demonstrationszug durch Grimma wollen die Emigranten ihre Forderungen bekräftigen.
Während andernorts neue Protestaktionen durch die Asylbewerber an- gekündigt wurden, gab es in der Dahlener Unterkunft, deren Bewohner seit etwa drei Wochen aus Protest hungern, bis gestern Nachmittag keine weiteren Aktionen. Wie die Ordnungsamtsleiterin des Landkreises Torgau- Oschatz, Jutta Pfennig, gegenüber dieser Zeitung mitteilte, ist "im Haus vor- erst Ruhe eingekehrt". Dies könne sich aber jeden Tag ändern, so Pfennig. In den vergangenen Wochen hatten die Asylbewerber für Bargeld statt der üblichen Lebensmittelgutscheine demonstriert.
Ungeachtet der für morgen angekündigten Demonstration von Leipziger Asylbewerbern setzte sich das Regierungspräsidium Leipzig (BP) im Streit mit der Messestadt um die Bargeldauszahlungen durch. Rathaussprecherin Kerstin Kirmes gab gestern Abend bekannt, dass die Stadt nach eigener Auffassung zwar das Recht auf eine Einzelfallprüfung in Anspruch nehmen könne. "Das RP hat uns aber angewiesen, keine Einzelfallprüfungen im Zusammenhang mit in Asylbewerberheimen untergebrachten Flüchtlingen vorzunehmen." Damit ist der Kommune die Auszahlung von Bargeld verwehrt. "Wir vollziehen weisungsgemäß", sagte Pressesprecherin Kerstin Kirmes und nannte die Unstimmigkeiten zwischen Kommune und RP einen "ziemlich bedauerlichen Konflikt". Ein Gespräch zwischen Walter Köhl, Leipzigs Sozialamtsleiter, und dem RP habe zu keinem Einvernehmen geführt. RP-Vize Helmut Arens bekräftigte gegenüber dieser Zeitung nochmals den Standpunkt seiner Behörde und monierte: "Der Stil der Stadt ist nicht akzeptabel."
Unterdessen sandte der Flüchtlingsrat Leipzig einen offenen Brief an den sächsischen Staatsminister des Innern, Klaus Hardraht. Darin wird die uneingeschränkte Umsetzung des Asylbewerberleistungsgesetzes gefordert.
Dirk Junski/Eva Schläfer

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