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Leipziger Volkszeitung, Regionalbeilage Grimma 04.070.2000

Hungerstreik im Asylbewerberheim
Bewohner wollen heute 9 Uhr vor die Ausländerbehörde in Grimma ziehen

Nerchau/Bahren. "Unsere Essengutscheine für eine Woche reichen höchstens für drei Tage!" Die Asylbewerber in Bahren haben die Preise in ihrer Verkaufsstelle satt. Seit gestern sind sie im Hungerstreik. "Warum gibt man uns das Geld nicht in die Hand. Dann könnten wir zu Aldi gehen. Hier dagegen ist alles so teuer. Außerdem sind viele Waren schon überlagert, erst letztens hat einer von uns ein Hühnchen gegessen, hat danach schlimme Magenschmerzen bekommen und musste nach Grimma ins Krankenhaus." Der Betreiber der Verkaufsstelle widerspricht den Anschuldigungen der Asylbewerber entschieden: "Fakt ist, dass die Preise mit dem Landratsamt abgestimmt sind. Wir sind kein Aldi, sondern sehen uns als Dienstleistung für die Asylbewerber. Die bekommen eben nicht mehr wie früher ein Paket in die Hand gedrückt, sondern sie können sich die Ware selber aussuchen. Im Übrigen haben wir hier gar keine Gutscheine, sondern wir führen eine Liste, auf der genau aufgeschlüsselt ist, was jedem einzelnen zusteht. Und dass hier Waren verdorben sein sollen, kann gar nicht sein. Wir haben ein Controlling-System und holen nur die Ware ran, von der wir wissen, dass sie wirklich gekauft wird."
Seit gestern aber wird überhaupt nichts mehr im Laden gekauft. Alle Asylbewerber boykottieren die Verkaufsstelle. Auch das Geld, was den Tunesiern, Irakern, Pakistani, Indern, Chinesen... zusteht, wurde gestern einheitlich nicht in Empfang genommen. Nochmal die Asylbewerber: "Bisher war es so, dass wir im Monat 80 Mark Taschengeld bekommen ha- ben. Jetzt zahlt man uns aller zwei Wochen 40 Mark. Wenn Sie arbeiten gehen, bekommen sie ihren Lohn doch auch nicht stückchenweise." Das wollen sich die hungerstreikenden Ausländer nicht mehr bieten lassen, werden heute 9 Uhr vor die Ausländerbehörde nach Grimma ziehen.
Für Ute Mucke vom Landratsamt ist diese Ankündigung neu. Bisher wusste sie nur, dass am Donnerstag, 15 Uhr, auf dem Leipziger Markt demonstriert werden soll. "Wie man überhaupt sagen muss, dass das kein Grimma-spezifisches Problem ist: Es wird mobil gemacht, weil manche Bundesländer ab sofort all jenen Asylbewerbern mehr Geld zahlen, die länger als drei Jahre im Asylverfahren sind. Sachsen macht da eine Ausnahme, erhöht die Sachleistungen dieser Leute nicht, sofern sie in Gemeinschaftsunterkünften wohnen und das ist ja in Asylbewerberheimen der Fall." Was die Verkaufsstelle im Bahrener Heim anlangt, so sei dort gestern ein neuer Betreiber eingestiegen: "Die Preise sind von uns abgenickt, sie sind in der Tat nicht mit Aldi zu vergleichen, entsprechen etwa dem Niveau eines Dorfkonsums."
Mucke äußert sich auch zu den zweimal 40 Mark: "Wir verfahren so auf entsprechende Anregung des Regierungspräsidiums in Leipzig. Man will damit die Leute mehr an den Ort binden und verhindern, dass sie nur zum Zahltag anwesend sind und ihr Bett zwischendurch leer steht."
Über solche Argumente können die Asylbewerber nur den Kopf schütteln: "Du darfst den Muldentalkreis doch nur mit Urlaubsschein verlassen. Und wenn du nach Leipzig, Dresden oder Chemnitz willst, musst du eine Adresse vorlegen." Ein Asylbewerber, dessen Frau und Kind in einem Heim in Hessen untergebracht sind, weiß nun nicht mehr, wie er die Bahnfahrt dorthin bezahlen soll. 40 Mark reichen doch nicht." Frau Mucke sieht das etwas anders: "Da muss er eben am 15. fahren."
Haig Latchinian

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