- Allgemeine Informationen -


1. Hintergrund
2. Streiks in Asylheimen in Leipzig und anderen Orten in Sachsen
3. Unterstützung der Flüchtlingsaktionen
4. Bisherige Ergebnisse
5. Probleme
6. Perspektiven

1. Hintergrund

Das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) regelt die Versorgung der Flüchtlinge und Asylbewerber/innen wie folgt:
Der Grundbetrag für die monatliche Gesamtversorgung eines Haushaltsvorstandes ist 440,-DM. Für weitere Haushaltsangehörige liegt der Betrag zwischen 260,- bis 390,-DM.
Für die Dauer von 3 Jahren sind an Flüchtlinge im Asylverfahren sowie an Flüchtlinge, deren Verfahren rechtskräftig abgeschlossen ist und die mit einer Duldung oder einer Grenzübertrittsbescheinigung in besonderen Unterkünften (Heimen) leben, Sachleistungen in Form von Lebensmittel- und Hygienepaketen sowie 80,-DM Taschengeld auszuzahlen. An Stelle der Pakete können auch Wertgutscheine und Magazinverpflegung treten. Darüber hinaus gibt es alle 3 Monate Gutscheine im Wert von 120,-DM für Kleidung und Schuhe. Vom Grundbetrag wird Miete und Strom abgezogen.

  • Nach § 2 Abs. 1 kann der genannten Personengruppe nach 3 Jahren Aufenthalt, beginnend mit dem 01.06.1997, Sozialhilfe in Höhe des BSHG gewährt werden.
  • Nach § 2 Abs. 2 regelt die zuständige Behörde vor Ort entsprechend den Bedingungen, ob diese Leistungen in bar oder weiter als Sachleistungen ausgezahlt werden. (vgl. Tabelle Grundleistungen nach § 3 AsylbLG)
  • Das Gesetz wird in den Bundesländern und Kommunen unterschiedlich gehandhabt. Mit einem Erlaß des Innenministeriums Sachsens vom 12.05.2000 machte die sächsische Regierung klar, daß sie weiterhin Sachleistungen gewährt. Sie begründet dies damit, daß die Gewährung unterschiedlicher Leistungsformen in den Asylheimen zu "sozialem Unfrieden" führen würde.


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    2. Streiks in Asylheimen in Leipzig und anderen Orten in Sachsen

  • Als den Flüchtlingen im Asylheim Liliensteinstraße 15/Grünau, die nach § 2 Abs.1 Bargeld statt Sachleistungen bekommen könnten, Anfang Juni 2000 wieder Pakete angeliefert wurden, traten sie in einen Streik: Sie verweigerten die Paketannahme sowie die Annahme des Taschengeldes. 10 Tage lang verweigerten mehrere Flüchtlinge die Nahrungsaufnahme. Dem Streik in Grünau schlossen sich auch zahlreiche Flüchtlinge in anderen Asylheimen an, so in Taucha, Markkleeberg, Raschwitzer Straße usw. In Taucha, ein Heim, wo die Flüchtlinge durch ein Magazin versorgt werden, befanden sich 10 Flüchtlinge über zwei Wochen lang im Hungerstreik. Eine Frau mußte stationär im Krankenhaus behandelt werden. Flüchtlinge in der Torgauer Straße verliehen durch eine Straßenblockade ihren Forderungen Nachdruck.
  • In den Heimen bildeten die Flüchtlinge Räte zur Leitung der Aktionen.
  • Mitte Juni wurde einer der Sprecher aus Grünau gewaltsam durch die Polizei in ein Asylheim nach Grimma umverteilt.
  • Am 8. Juni einigten sich das Regierungspräsidium und die Stadt Leipzig darauf, den Flüchtlingen der betreffenden Personengruppe (§2 Abs.1) die Sozialhilfe auszuzahlen. Allerdings beinhaltete der Kompromiß die Einschränkung, daß nur Flüchtlinge mit einer Aufenthaltsgestattung, d.h. die deren Asylverfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist, Bargeld erhalten. Wer eine Duldung hat, dessen Fall müsse überprüft werden, und zwar dahingehend, ob die derzeitige tatsächliche Unmöglichkeit der Ausreise selbst verschuldet ist oder nicht. Eine Überprüfung fand bis Ende Juni noch immer nicht statt. So erhielten von über 1000 Flüchtlingen nicht einmal 100 Flüchtlinge Bargeld. Die anderen Flüchtlinge sind "geduldete", d.h. das Verfahren ist rechtskräftig abgeschlossen und aus humanitären, rechtlichen oder persönlichen Gründen kann keine Abschiebung erfolgen. Das betrifft z.B. zahlreiche Flüchtlinge aus Afghanistan, Libanon und Jugoslawien.
  • Ende Juni schlossen sich immer mehr Flüchtlinge zusammen und bildeten ein die Heime übergreifendes Koordinierungsgremium.
  • Das Koordinierungsgremium beschloß, in der ersten Juliwoche verschiedene Aktionen zu machen. Es wurde ein Forderungskatalog ausgearbeitet, der eine Arbeitserlaubnis für alle, Bargeld statt Sachleistungen für arbeitslose Flüchtlinge, kostenlose Deutschkurse, die Abschaffung der Residenzpflicht, freie Arztwahl und eine Verbesserung der Wohnbedingungen beinhaltet.
  • Am 3.Juli wurde gemeinsam wieder ein Paketannahmestreik ausgerufen.
  • Am 3.Juli fand eine Pressekonferenz statt, auf der delegierte Flüchtlinge den Vertreter/inne/n von elektronischen und Printmedien ihre Forderungen erläuterten.
  • Am 6.Juli fand eine Demonstration durch die Stadt Leipzig statt. Mehr als 600 Flüchtlinge und Unterstützer/innen beteiligten sich an dieser Demonstration.


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    3. Unterstützung der Flüchtlingsaktionen

  • Der Leipziger Flüchtlingsrat, ein Gremium von Einzelpersonen und von Vertreter/inne/n verschiedener kirchlicher und säkularer Organisationen, engagiert sich durch offene Briefe und durch Gespräche mit den entsprechenden Stellen in Leipzig.
  • Die PDS-Fraktion im Sächsischen Landtag, insbesondere die Abgeordneten Heike Werner, Conni Ernst und Peter Porsch führen seit Juni ständig Gespräche mit dem Innenministerium und unterstützen auch die Aktionen der Flüchtlinge vorort.
  • Sowohl der Flüchtlingsrat als auch die PDS haben eine Klage gegen die in Sachsen präferierte Auslegung des § 2 AsylbLG angestrengt.
  • Der Verein Kahina- Bildungs- und Informationszentrum Naher und Mittlerer Osten bietet den Flüchtlingen materielle und logistische Unterstützung bei der Koordinierung und Durchführung ihrer Aktionen.
  • Das Büroprojekt Bornaische Straße 3d, das als Bürgerbüro verschiedener Landtagsabgeordneten sowie Städträtinnen der PDS fungiert, der Verein Kahina sowie Einzelpersonen haben einen Unterstützerkreis gebildet.
  • Zahlreiche linke Gruppen und Kulturprojekte in Leipzig unterstützen die Paketstreiks, indem sie Gelder bereitstellen, mit denen für Familien und insbesondere Kinder die nötigsten Dinge gekauft werden können.


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    4. Bisherige Ergebnisse

  • Die Streiks und die Gespräche der PDS-Abgeordneten mögen bewirkt haben, daß der sächsische Innenminister Klaus Hardrath öffentlich überlegte bereit zu sein, Gutscheine statt Pakete zu gewähren.
  • Das erste Mal ist es gelungen, nicht nur die Flüchtlinge eines einzelnen Asylheims in Leipzig und Umgebung zu mobilisieren, sondern die Flüchtlinge mehrerer Heime. Dabei liegen Initiative und die Koordinierung der Aktionen in den Händen der Flüchtlinge.
  • Erstmals ist es gelungen, in einem hohen Maße die lokale und regionale Presse für die Belange der Flüchtlinge zu interessieren.
  • Die PDS/Sachsen engagiert sich in einem bisher nicht dagewesenen Maße für die Belange der Flüchtlinge.
  • Die Bereitschaft linker Kreise in Leipzig, die Flüchtlinge zu unterstützen, ist relativ groß, was sich in den Spenden und in der Beteiligung an der Demonstration am 6.Juli niederschlägt.
  • Wichtig ist zu bemerken, daß die Aktionen mit der Forderung nach Geld- statt Sachleistungen gegonnen haben und zu der Hauptforderung "Arbeitserlaubnis" fanden. Der Koordinierungsrat der Flüchtlinge lehnt es außerdem ab, eine Trennung zwischen Flüchtlingen entsprechend der Aufenthaltstitel vorzunehmen. Der Forderungskatalog gilt für alle.


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    5. Probleme

  • Nach der Demonstration wächst der Druck auf einzelne Flüchtlinge, die sich besonders engagieren. Im Heim Torgauer Straße luden Wohnungsamt und Heimleitung einzelne Flüchtlinge vor. Sie sollten bei einem Termin, an dem die Ausländerbehörde sowie eine SPD-Abgeordnete der Landtagsfraktion Sachsen teilnahmen, Rechtfertigung über ihre Aktivitäten ablegen. Ihnen wird Verstoß gegen die Heimordnung vorgeworfen. Dieser Vorwurf wird damit begründet, daß diese Personen andere Flüchtlinge aufgehetzt hätten sowie daß sie die Kantine, in der die Gemeinschaftsverpflegung geschieht, geschlossen hätten. Im übrigen kann nach mehrmaliger Ermahnung eine zwangsweise Umverteilung erfolgen.

  • Angesichts der ablehnenden Haltung des Leipziger Regierungspräsidiums herrscht unter den Flüchtlingen momentan Uneinigkeit darüber, welche Forderung sie fortan in den Mittelpunkt stellen sollen, d.h. was überhaupt realistisch ist. Außerdem gibt es sehr verschiedene Ansichten darüber, mit welchen Aktionsformen den Forderungen Nachdruck verliehen werden sollte.

  • Der Leipziger Flüchtlingsrat hält die Forderungen der Flüchtlinge für zu weitgehend und stellt sich deshalb nicht hinter den gesamten Katalog.

  • Die aktivsten Unterstützer/innen der Flüchtlinge, nämlich einige PDS-Abgeordnete sowie der Verein Kahina werden bereits von verschiedenen Stellen angefeindet, die eigentlichen "Drahtzieher" der Aktionen zu sein. Hinter diesem Vorwurf versteckt sich neben parteipolitischen Ambitionen auch ein latenter Rassismus: Flüchtlinge seien angeblich nicht in der Lage, selbst Aktivitäten zu entwickeln und zu koordinieren.


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    6. Perspektiven

  • Das momentane Interesse der Presse muß genutzt werden, um systematisch die unmenschlichen Verhältnisse in den Asylheimen öffentlich zu machen.
  • Forderungen wie die nach Aufhebung der Residenzpflicht und die nach einer Arbeitserlaubnis für alle müssen in einen bundesweiten Kontext gestellt werden.
  • Die Flüchtlinge müssen eine Struktur aufbauen, mit der sie auch noch in den nächsten Monaten agieren können.
  • Es muß tatsächliche Unterstützung über den bisherigen Unterstützerkreis hinaus gefunden werden.


    Für die Richtigkeit

    Andrea Fischer-Tahir
    i.A. Kahina e.V.
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