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12.5.2000
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Erster Erlaß des Sächsischen Innenministeriums (SMI), der festlegt, daß die Leistungen für Flüchtlinge, die länger
als drei Jahre im Asylverfahren sind oder eine Duldung haben (und ab 1.7.2000 Leistungen analog zum
Bundessozialhilfegesetz (BSHG) - Sozialhilfe - erhalten müßten), weiterhin als Sachleistungen auszugeben sind.
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29.5.2000
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Sich auf den Erlaß vom SMI (12.5.2000) beziehende Anordnung des Regierungspräsidiums (RP) Leipzig an alle Kommunen (Sach- statt Geldleistungen)
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1.6.2000
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Flüchtlinge, die sich länger als 3 Jahre im Flüchtlingheim leben, müßten ab diesen Tag Leistungen gemäß BSHG, d.h. in der Höhe von Sozialhilfe erhalten.
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2.6.2000
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150 Flüchtlinge im Heim in der Liliensteinstraße (Leipzig-Grünau) treten in einen (Hunger)-Streik, da sie weiterhin die Pakete erhalten. Sie blockieren die LKW's, die die Freßpakete anliefern sollen.
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3.6.2000
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In der Leipziger Volkszeitung (LVZ) verkündet der Sozialbeigeordneter der Stadt Leipzig, Jürgen Zimmermann, daß sie in Leipzig Geld auszahlen wollten, sie aber die Anordnung des Regierungspräsidiums befolgen.
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5.6.2000
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Flüchtlinge in der Torgauer Straße (Leipzig) schließen sich dem (Hunger)-Streik an. Sie blockieren außerdem die Bundesstraße für über zwei Stunden. Nach Gesprächen mit einem Vertreter der Ausländerbehörde wird die Straßenblockade beendet.
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Anfang Juni 2000
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Flüchtlinge in weiteren Heimen in Leipzig und Umgebung schließen sich den Protesten mit Hungerstreiks und vielfältigen Aktionen an (einige Beispiele werden weiter unten aufgeführt). Zur Koordinierung ihrer Aktionen bilden die Flüchtlinge in den Heimen Räte. Anfänglich treten die Flüchtlinge aus den einzelnen Heimen mit jeweils eigenen Forderungen an die Öffentlichkeit, im weiteren Verlauf wird jedoch ein gemeinsamer Forderungskatalog, der heimübergreifend getragen wird, ausgearbeitet. Die Forderungen beschränken sich nicht auf die Frage "Geld statt Sachleistungen", sondern thematisieren an erster Stelle Arbeitsverbot und Residenzpflicht sowie die allgemeinen Wohn- und Lebensbedingungen in den Heimen.
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7.6.2000
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Aufgrund der Streiks und Aktionen der Flüchtlinge beschließt die Stadt Leipzig, Flüchtlingen, die länger als 3 Jahre im Asylverfahren sind, Geld auszuzahlen. Flüchtlinge mit Duldung sollen sich einer Einzelfallprüfung unterziehen, ob sie in den Genuß von Geldleistungen kommen können. Kriterium soll sein, ob sie ihre Duldung nicht "selbstverschuldet" haben.
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9.6.2000
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In Dahlen (Landkreis Oschatz) blockieren Flüchtlinge für eine Stunde mit Autos um Möbeln die Bahnhofsstraße. Außerdem treten sie in einen (Hunger)-Streik und kündigen der Presse gegenüber weitere Aktionen an. Die Verkaufsstelle im Dahlener Heim wird wegen überzogenen Preisen bestreikt. (siehe auch 14.6.2000)
Die 200 Flüchtlinge in Taucha (Landkreis Delitzsch) treten in einen Streik und verweigern die Annahme der Freßpakete.
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14.6.2000
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Nach Gesprächen mit dem Ausländerbeauftragten beendigen einige Flüchtlinge in Dahlen den Streik. Von Grundnahrungsmitteln im Heimladen wurden die Preise durch die Betreiberin gesenkt. Die Polizei will wegen der Straßenblockade gegen die beteiligten Flüchtlinge Anzeige wegen Gefährdung des Straßenverkehrs erstatten. (siehe auch 9.6.2000)
Ein Sprecher der Flüchtlinge in Leipzig-Grünau wird von der Polizei zwangsweise nach Grimma umverteilt, obwohl er in Leipzig studiert.
Die Flüchtlinge in Taucha senden ihre Forderungen in einem offenen Brief an das Regierungspräsidium Leipzig. Daneben erarbeiten sie einen umfangreichen Forderungskatalog.
Die Flüchtlinge aus dem Heim in Markkleeberg wenden sich ebenfalls mit einem Brief an das Regierungspräsidium Leipzig.
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17.6.2000
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Auf der antifaschistischhen Demonstration "Wir wollen kein Teil einer Nazibewegung sein" durch Leipzig-Grünau beteiligen sich einige Flüchtlinge und machen mit einem Flugblatt auf ihre andauernden Proteste aufmerksam. Außerdem verlesen sie auf der Demonstration einen Redebeitrag.
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18.6.2000
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10 Flüchtlinge im Heim in Taucha treten in den Hungerstreik.
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20.6.2000
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Ein erneuter Erlaß aus dem SMI richtet sich gegen die Entscheidung der Stadt Leipzig, in Einzelfällen Geld auszahlen zu wollen. Der Erlaß legt fest, daß Sachleistungen Vorrang haben.
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21.6.2000
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In Taucha sperren die Flüchtlinge aus Protest den Heimleiter stundenlang aus. Die Ordnungsamtsdezernentin des Landkreises, Angelika Stoye, informiert die Flüchtlinge, daß der Landkreis "nur" die Anweisungen von oben ausführe.
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22.6.2000
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Aufgrund des Hungerstreiks bricht einer Iranerin im Heim in Taucha zusammen und wird ins Krankenhaus gebracht (siehe auch 18.6.2000)
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23.6.2000
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In einer Landtagsdebatte bekräftigt Innenminister Klaus Hardrath seine Position, daß Sachleistungen ausgegeben werden müßten, um Sachsen unattraktiv für Wirtschaftsflüchtlinge zu machen. Die PDS fordert die Auszahlung von Geld. Die SPD unterstützt diese Forderungen teilweise, da es kostengünstiger wäre. Auch der sächs. Ausländerbeauftragte kritisiert in der Landtagsdebatte die Erteilung von Sachleistungen.
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27.6.2000
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PDS-Fraktionschef im Sächs. Landtag, Peter Porsch, besucht das Heim und Taucha und spricht mit den 10 Hungerstreikenden. Im Lauf der Woche trifft er sich daraufhin mit Innenminister Hardrath. Dieser kündigt an, daß Thema länderübergreifend mit den Innenministerien zu besprechen. Die PDS verkündet stolz, daß die Gutscheinregelung fallen werde (was natürlich nicht der Fall ist).
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Ende Juni
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Flüchtlinge aus den verschiedenen Heimen treffen sich das erste Mal und beschließen, ihre Aktionen fortan heimübergreifend zu planen und diskutieren. Auf diesem Treffen wird auch der gemeinsame Forderungskatalog ausgearbeitet. Die Treffen finden seitdem regelmäßig statt.
Parallel dazu gründet sich auf Bitten der Flüchtlinge hin ein (mehrheitlich deutscher) UnterstützerInnenkreis, der sich seitdem ebenfalls regelmäßig trifft
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30.6.2000
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Aufgrund des neuen Erlasses des SMI (siehe 20.6.2000) treten erneut Flüchtlinge in der Liliensteinstraße (Leipzig-Grünau) in den Hungerstreik.
Vertreter der Stadtverwaltung treffen sich mit dem Regierungspräsidium (RP) und reden offenbar aneinander vorbei. Während das RP am nächsten Tag in der LVZ verkündet, die Stadt Leipzig habe eingelenkt und werde die Geldleistungen einstellen, verkündet der Leiter des Sozialamtes Leipzig, daß die Bargeldauszahlung an 85 Leipziger AsylbewerberInnen fortgesetzt werde und das RP die Kosten dafür übernehmen würde. (Später, am 4.7.2000, stellt sich heraus, daß die Stadt Leipzig eingeknickt ist und die Geldleistungen eingestellt werden.)
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3.7.2000
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Flüchtlinge aus verschiedenen Heimen in Leipzig und Umgebung (Leipzig 3 Heime, Taucha, Markleeberg, Doberschütz, Bahren) treten gemeinsam in einen Streik (Hungerstreik bzw. Verweigerung der Annahme der Freßpakete/kein Einkauf in den Heimläden/Boykott der Kantinenverpflegung/keine Annahme des Taschengeldes). Am Vormittag erläutern sie ihre Forderungen auf einer Pressekonferenz im Leipziger Rathaus.
Die Hungerstreikenden in Taucha gehen in die vierte Woche. Die Flüchtlinge in Dahlen brechen ihren Hungerstreik nach drei Wochen ab
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4.7.2000
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Aufgrund der Proteste in Bahren (Muldentalkreis) wird der Firma, die den Laden im Heim betreibt, von Seiten des Ordnungsamtes gekündigt. Die Kontrollen hätten ergeben, daß die Preise tatsächlich überteuert gewesen wären. Die Flüchtlinge geben sich jedoch mit dem Betreiberwechsel nicht zufrieden und setzen den Streik fort. Sie planen eine Demonstration für den gleichen Tag vor dem Grimmaer Ausländerbehörde. Die Ordnungsamtsleiterin redet ihnen diese Demo jedoch persönlich aus, da sie vorher angemeldet werden müsse (was dann auch geschieht, siehe 6.7.2000). Es findet jedoch ein Gespräch im Grimmaer Landratsamt mit MitarbeiterInnen der Stadtverwaltung und der Ausländerbehörde statt.
Die Pressesprecherin der Stadt Leipzig verkündet, daß die Stadt sich den Weisungen des SMI und RP's beugen werde.
Der Flüchtlingsrat Leipzig e.V. wendet sich mit einem offenen Brief an das SMI.
Die Flüchtlinge in Doberschütz (Landkreis Delitzsch) treten mit eigenen Forderungen in die Öffentlichkeit.
Dieter Zebrowski vom Landratsamt Delitzsch bezichtigt die PDS Drahtzieherin hinter den Aktionen zu sein und die "Asylbewerber zu mißbrauchen, in dem sie deren menschlichen Begehrlichkeiten weckt".
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Anfang Juli 2000
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Aufgrund der Proteste nimmt sich die LVZ (besonders die einzelnen Regionalbeilagen) des Themas an und berichtet in unzähligen "einfühlsamen Sozialporträts" über die schwierige Lage der Flüchtlinge
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5.7.2000
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In Zettlitz (Sachsen) zünden Flüchtlinge aus Protest gegen die Verpflegung ihr Heim an.
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6.7.2000
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700 Flüchtlinge und UnterstützerInnen demonstrieren unter dem Motto "Für unsere Würde" durch die Leipziger Innenstadt. Zwischenkundgebungen werden vor dem Leipziger Rathaus und dem Regierungspräsidium abgehalten. Nach der Demonstration findet im Regierungspräsidium ein Gespräch statt, was jedoch ergebnislos verläuft.
Zur gleichen Zeit demonstrierten in der Innenstadt von Grimma knapp 100 Flüchtlinge aus Bahren (die aufgrund der Residenzpflicht nicht nach Leipzig kommen durften).
Hardraths Sprecher berichtet vom Gespräch mit Peter Porsch (siehe 27.6.2000) und erklärt, daß geprüft wird, ob Flüchtlinge außerhalb der Heime ihre Lebensmittel - allerdings nicht mit Geld, sondern nur mit Gutscheinen und nur in ausgewählten Läden - kaufen können. Es gäbe allerdings Schwierigkeiten, Kaufhallen zu finden, die sich dazu bereit erklären würden, an der Kasse die Identität der Flüchtlinge zu prüfen, da die Gutscheine personengebunden wären.
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7.7.2000
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Der Bundestagsabgeordnete Manfred Kolbe (CDU, Wahlkreis Muldental) kritisiert die Demonstration in Grimma (siehe 6.7.2000) und Forderungen der Flüchtlinge. Die meisten Flüchtlinge würden das "Asylrecht als Wirtschaftsflüchtlinge" mißbrauchen, da nur 6% der AsylbewerberInnen als politisch Verfolgte anerkannt würden. Abgelehnte AsylbewerberInnen müßten konsequenter abgeschoben werden, da die Grenzen der deutschen Leistungsfähigkeit und Geduld nicht überstrapaziert werden dürften. Am Arbeitsverbot müsse angesichts der hohen Arbeitslosigkeit festgehalten werden.
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Mitte Juli
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Bei einem Gespräch des UnterstützerInnenkreises und PDS-Landtagsabgeordneten mit dem SMI stellt der Vertreter des SMI, Eike Springbrunn, klar, daß für das SMI eine Bargeldauszahlung nicht in Frage komme, da die Flüchtlinge mit dem Geld nur ihre "Schlepper" bezahlen würden. Die Verwendung von Wertgutscheinen zum Einkauf in Supermärkten wäre zu kompliziert, so daß nur die direkte Verpflegung in den Heimen übrig bliebe.
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17.7.2000
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Die Flüchtlinge aus dem Heim in Delitzsch schließen sich dem Streik an und boykottieren den Einkauf in der Verkaufsstelle des Heimes. In einem Gespräch übermitteln sie dem Ordnungsamtsleiter ihre Forderungen.
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19.7.2000
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Die Flüchtlinge in Taucha beenden ihren Streik. Die Betreiberfirma der Magazinverpflegung im Heim soll gewechselt werden.
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21.7.2000
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Die Flüchtlinge aller Heime beschließen die Streiks vorerst zu beenden, da kurzfristige Erfolge mit dieser kräftezehrenden Aktionsform nicht zu erzielen seien. Es werden weitere Aktionen angekündigt.
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2.8.2000
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Ca. 40 Flüchtlinge im Leipziger Heim in der Wodanstraße verhindern eine geplante Abschiebung eines Tunesiers. Sie verwickeln die Polizei in eine Schlägerei, bei der eine Polizistin verletzt wird. Der Tunesier kann flüchten.
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