zensur
Worte als Waffen? Lesben/Frauen, linke Presse und politische Zensur von einer Frauen/Lesbengruppe aus Bremen Bei der Vorbereitung auf das Thema politische Zensur und FrauenLesben ist uns aufgefallen, daß es noch keine Veröffentlichungen dazu gibt. Es existieren diverse Texte, Broschüren, Flugis und Bücher über politische Zensur, staatliche Repression, Kriminalisierung - aber nie wird mit frauenspezifischem oder feministischem Blick geguckt. Einigen Autorlnnen fällt das immerhin auf, so heißt es beispielsweise in dem Buch "Aufruhr, Widerstand gegen Repression und 129a " (1991): "Da unsere Gruppe mehrheitlich aus Frauen besteht, verließ sich jede Einzelne gerne auf das Verantwortungsbewußtsein der anderen. Dabei haben wir aus den Augen verloren, daß eine feministische Auseinandersetzung mit Repression andere Gesichtspunkte beleuchtet, als wenn mann zum gleichen Thema schreibt. Und so sehen wir uns mit dem Resultat konfrontiert, patriarchale Qualitätskriterien bei der Auswahl der Autorlnnen unhinterfragt übernommen zu haben. Auf diese Weise fehlen im Buch wichtige Darstellungen, Analysen, Einschätzungen, Perspektiven. Hoffentlich kommen sie in nachfolgenden Diskussionen zum tragen." Hier machen wir also eine erste Bestandsaufnahme und den Versuch die Frage der politischen Zensur auf Frauen zuzuspitzen. Was ist eigentlich Zensur? Eine Begriffsklärung Im Grundgesetz steht im Art.5, Abs. 1, Satz 3: "Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt". Das klingt erst einmal ganz einfach - ist es aber nicht. Als Zensur im verfassungsrechtlichen Sinne gilt in Deutschland lediglich ein autoritärer Eingriff vom Staat. Dieser staatliche Eingriff vor der Veröffentlichung und Verbreitung eines Geisteswerkes, die sogenannte Vorzensur ist verboten. Keine Zensur im verfassungsrechtlichen Sinne ist, wenn z.B. ein Verleger Journalistlnnen die Veröffentlichung bestimmter Rechercheergebnisse untersagt Auch die sogenannte Nachzensur, also Kontroll- und Repressivmaßnahmen nach der Veröffentlichung sind im verfassungsrechtlichen Sinne keine Zensur. In der Praxis kann dies bedeuten, daß Materialien beschlagnahmt, Redaktionsräume oder Buchläden durchsucht, Druckerlnnen, SetzerInnen oder Redakteurlnnen verhaftet werden. Druckwerke werden wieder eingestampft, oder Passagen müssen geschwärzt werden. Dabei stützt sich der Staatsschutz in seiner Begründung auf folgende Paragraphen: §111 öffentliche Aufforderung zu Straftaten §126 Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten §140 Belohnung und Billigung von Straftaten §130 Volksverhetzung §90a Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole §129 Mitgliedschaft, Werbung oder Unterstützung einer kriminellen Vereinigung (zu diesem Paragraphen später mehr) Aktuelle Beispiele für dieses Vorgehen sind: - Im Sommer 95 werden die taz-Räume in Bremen durchsucht, um das Bekennerinnenschreiben der Roten Zora zu finden. - Am 18. März 95 und am 29. September 95 wird die Redaktion der Jungen Welt (jW) durchsucht. Die jW hatte eine Erklärung der Gruppe "KO.M.I.T.E.E." abgedruckt. In diesem Zusammenhang wurde auch die Berlin taz und Räume von Redakteuren zu Hause durchsucht. Doch auch über diese direkten staatlichen Eingriffe hinaus findet Zensur statt - strukturelle Zensur. Gemeint sind spezifische Mechanismen bürgerlicher Medienproduktion. Oder einfacher gesagt: nicht alle Nachrichten haben die gleiche Chance in die & Ouml;ffentlichkeit zu kommen. Es geht um die Frage, wer eigentlich entscheidet, welche Nachrichten, wie, in welcher Länge und wann in die Presse, d.h. Radio, Fernsehen, Zeitung gelangen. So werden beispielsweise für Rundfunkfrequenzen Gebühren erhoben, die sich Alternativsender nicht leisten können. Wirtschaftliche Überlegungen treten in den Vordergrund, Auflagenzahlen müssen erhöht werden, das Image der Zeitung zu diesem Zwecke dem Markt angepaßt werden. Zu struktureller Zensur gehören auch Demonstrations- Informations- und Veranstaltungsverbote, wie z. B. am 3. Oktober 94 in Bremen. Aus Angst vor staatlicher Repression findet häufig Selbstzensur statt, ist dieSchere schon im eigenen Kopf. In diesem Beitrag soll es nun um politische Zensur im engeren Sinne, d.h. um staatliche Eingriffe und Angriffe auf die Meinungsfreiheit gehen. Auffällig ist der enge Zusammmenhang von politischer Zensur und dem §129. Der §129 ist das Verbot der Mitgliedschaft und/oder Unterstützung einer kriminellen Vereinigung. Außerdem beinhaltet der §129 Werbung für eine kriminelle Vereinigung, wobei sowohl Werbung von Mitgliedern als auch Sympathiewerbung gemeint ist. Seit 1976 existiert der §129a, der die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung beinhaltet. Das Besondere an diesen Paragraphen ist, daß sie nicht eine konkrete Tat, sondern die Gesinnung unter Strafe stellen. Und Gesinnung zeigt sich eben v.a. in literartischen Veröffentlichungen. Als Unterstützung oder Werbungnach §§129/129a wird z.B.verfolgt: - das Veröffentlichen von Erklärungen und Diskussionsbeiträgen von bewaffneten Gruppen - die Verteilung von Hungerstreikerklärungen - das Sprühen von Parolen Der §129a wird in der Linken auch Zensurparagraph genannt. Er dient vorallem der Einschüchterung. Die meisten Verfahren wegen §129a werden nämlich eingestellt Kurzer historischer Abriß oder: Seit wann gibt es Zensur und warum wurde die erfunden? Zensur ist laut Lexikon "die Verhinderung nichtkonformer oder unkontrollierter Meinungsbildung in der Bevölkerung". Das Wort Zensur kommt aus dem antiken Rom, der Zensor wachte dort über die Einhaltung der Gesetze und Bräuche. Die Zensur von literarischen Erzeugnissen wurde als erstes systematisch von der katholischen Kirche betrieben. Die absolutistischen Staaten nahmen sich die Kirche als Vorbild und richteten ensurbehörden ein. Zensurverordnungen wurden erlassen. Es bestand offensichtlich immer schon große Angst vor der Macht des geschriebenen Wortes. Die bestehende Ordnung könnte ja publizistisch unterwandert werden. Es ging und geht bei Zensur also um Herrschaftssicherung, Zensur war und ist Mittel "rebellische Untertanen" zu disziplinieren. 1550 wurde ein deutscher Index der verbotenen Bücher erstellt und das heute noch bestehende Impressum wurde erfunden. Ein Verantwortlicher / eine Verantwortliche, sowie der Druckort mußten angegeben werden, was eine Nachzensur ermöglichte. Die 30er und 40er Jahre des 19. Jahrhunderts standen ganz im Zeichen des Aufbegehrens und des Widerstandes gegen die Obrigkeit Diese reagierte mit Repression. Es kam zu massiven Verfolgungen, Durchsuchungen und Haftstrafen. Bekannte Beispiele für die Kriminalisierung von Schriftstellern sind Georg Büchner und Heinrich Heine, die radikale Kritik an den bestehenden Verhältnissen übten und schließlich außer Landes flohen. An dieser Stelle fragen wir uns spätestens was denn nun mit den Frauen war und ergänzen damit die linke Geschichtsschreibung über politische Zensur. Denn, und das wird eben nie erwähnt, es gab in dieser Zeit vor der 1848 Revolution in Deutschland auch eine Reihe von politischen Zeitschriften, die von Frauen herausgegeben wurden. Ihre Themen waren: Kritik an der Monarchie und den Feldzügen, männliche Bevormundung, das Wesen der Ehe, politische Kommentare und Nachrichten und Informationen über Fraueninitiativen und Frauenvereine. Diese Zeitungen wurden größtenteils beschlagnahmt, verboten. In Sachsen wurde sogar ein eigenes Gesetz erlassen, das Frauen die verantwortliche Redaktion sowie die Herausgabe einer Zeitschrift untersagte. 1850 hatte die Reaktion gesiegt, das bedeutete eine reaktionäre Unterdrückungspolitik vorallem gegen die Linke und die Arbeiterbewegung. Die politischen Arbeitervereine wurden verboten. Und auch die erste organisierte Bewegung von Frauen in Deutschland wurde mundtot gemacht. 1850 wurde in allen Staaten des Bundes ein Gesetz erlassen, das "Frauenpersonen" die Mitgliedschaft in einem politischen Verein und sogar schon den Besuch einer politischen Versammlung verbot. Diese gesetzliche Form politischer Entmündigung, diese prinzipielle Verhinderung politischer Aktivitäten von Frauen, blieb mehr als ein halbes Jahrhundert, in Preußen und Bayern bis 1908, in Kraft. Arbeiterinnenvereine, die es immer wieder im 19. Jahrhundert gab, wurden verfolgt und von der Polizei aufgelöst. Die bürgerlichen Bildungsvereine, die von Frauen gegründet wurden, blieben unbehelligt. Erst in der Weimarer Republik wurde mit dem Pargraphen 118 die Freiheit der Meinungsäußerung in Wort, Schrift und Bild garantiert. Eingeschränkt war dieses Recht aber durch das Republikschutz-Gesetz,einem Vorläufer des heutigen §129. Teil dieses Gesetzes war der Ehrenschutzparagraph, der "Schmähung der Republik, ihrer Symbole, ihrer Politiker und ihrer Rechte" unter Strafe stellte. Die Republikschutzgesetzgebung wurde nicht ausschließlich gegen Links angewandt, aber 75 % der Urteile wurden gegen die KPD gefällt, linke Zeitschriften beschlagnahmt, die Rote Fahne der KPD 9 mal verboten. 1933, nach der Machtübernahme durch die Nazis, wurden die kommunistischen und die sozialdemokratischen Parteien samt ihren Publikationen verboten. Die Bücherverbrennungen 1933 eröffneten eine neue Periode in der Geschichte der deutschen Zensur. Die Presse wurde vereinheitlicht, gleichgeschaltet und dem Propagandaministerium unterstellt. Redakteure wurden verfolgt und verhaftet. Politische und gewerkschaftliche Vereinigungen wurden zerschlagen, die oppositionelle Intelligenz ermordet oder ins Exil vertrieben. Die gesamte Presse wurde zu einem Propagandainstrument des Faschismus. Nach dem Faschismus konnten alte Nazi-Propagandisten ihre Tätigkeit als Journalisten wieder aufnehmen. Eine Kontinuität, die in allen Bereichen des öffentlichen Lebens zu finden ist. Reifenberg war beispielsweise der Hauptschriftführer der Frankfurter Zeitung und nach dem Krieg Chefredakteur der FAZ. Die alliierten Siegermächte bestimmten über die Buch- und Zeitschriftenveröffentlichungen. Die "Einführung demokratischen Verhaltens" wurde über totale Zensur durchgeführt. Alle Veröffentlichungen mußten den alliierten Behörden vorgelegt werden. 1949 wurde das Grundgesetz festgelegt und darin der bereits erwähnte Artikel 5, der die Pressefreiheit garantieren soll. In den 50er Jahren, in den Zeiten des sogenannten Kalten Krieges kam es zu massiver Kommunistenverfolgung. Die Kontakte in die DDR wurden kriminalisiert und das kommunistische Pressewesen zerschlagen. 1956 wurde die KPD verboten. In den 60er Jahren entwickelt sich eine immer breiter werdende Gegenöffentlichkeit. Neue Zeitungen entstehen, vergessene und unterschlagene antifaschistische Texte werden neu aufgelegt. Frauen werden laut, die sogenannte neue Frauenbewegung entsteht. Diese Gegenöffentlichkeit ist bis zum heutigen Tag mit Zensur als staatlichem Instrument der Herrschaftssicherung konfrontiert. Die Angst vor der "Bedrohung der inneren Sicherheit" durch "staatsfeindliche Gedanken" und innenpolitische Gegnerlnnen hat Tradition. Auch heute noch gibt es Zeitschriften und Bücherverbote, Anklagen gegen Verlegerlnnen und Autorlnnen, Verfolgung von Buchhändlerlnnen und Druckereien in dieser sich demokratisch deklarierenden BRD. Politische Zensur gegen Fraueninhalte, -aktionen, -publikationen, -kollektive Es gibt also, obwohl Zensur offiziell nicht stattfindet, umfangreiche Verfolgungsmaßnahmen. Plakate, Zeitschriften und Bücher und deren Autorlnnen, RedakteurInnen, Druckerlnnen, Herstellerlnnen, Verteilerlnnen, Buchhändlerlnnen - aber auch Leserlnnen, Kommunikationszentren, Knastgruppen sind betroffen. Ich möchte jetzt einige Beispiele anführen in denen Frauen oder Fraueninhalte betroffen waren. 1974 wird das Buch von Antje Kunstmann "Mädchen, Sexualaufklärung - Emanzipatorisch" aus dem Raith-Verlag von der Münchener Staatsanwaltschaft eingezogen. Begründet wird diese Maßnahme mit Vergehen nach §184 STGB "Verbreitung pornographischer Schriften" und §6 Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften Ein weiteres Beispiel, in diesem Zusammenhang ist das Buch "A women's touch", das Texte und Fotos zu lesbischer Erotik enthält und im Wiener Frauenbuchladen aufgrund des Pornographiegesetzes beschlagnahmt wurde. Die Begründung lautete, das Werk sei obszön, da es "intensives lesbisches Unzuchttreiben" darstelle. Hier also ist es der Pornographieparagraph, mit dessen Hilfe politische Zensur gegen Frauen ausgeübt wird, die sich mit Sexualität beschäftigen. 1975 Zehn Tage nach Ablehnung der Fristenlösung des §218 durch das Bundsverfassungsgericht verüben "Frauen der Revolutionären Zellen" in Karlsruhe einen Anschlag aufs Gericht. Ein Darmstädter Amtsrichter erstattet Anzeige gegen die Zeitschrift "Informationsdienst zur Verbreitung unterbliebener Nachrichten" mit der Begründung der Ton der Zeitschrift werde immer frecher. Gegenstand der Anzeige ist das Dokumentieren der Erklärung der "Frauen der Revolutionären Zellen" zum Anschlag auf das Bundesverfassungsgericht. 1980 Am 19.2. beginnt gegen drei Fräuen des Verlages "Frauenpolitik" in Münster ein Prozeß nach §90a (Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole). In der Zeitschrift "Protokolle" hatten sie eine Erklärung der Druckerei Fantasia zu einer Hausdurchsuchung und Verhaftung von zwei Druckerlnnen dokumentiert. 1982 wird eine Frau während einer Hausdurchsuchung gezwungen, sich nackt auszuziehen. Es geht um die Veröffentlichung von Solidaritätserklärungen von einer Veranstaltung zum Hungerstreik. Ein Beispiel dafür, daß staatliche Repression auch sexistisch geprägt ist. 1985 werden vor dem Amtsgericht Stuttgart zwei Verfahren gegen die Zeitschrift "s'Blättle" verhandelt. In der Juni-Ausgabe 1984 war ein Artikel der Roten Zora über den Siemenskonzern, die Arbeitsbedingungen in den verschiedenen Niederlassungen und eine detaillierte Zusammenstellung von Siemensbeteiligungen n der Rüstungsproduktion abgedruckt. Das Verfahren endet mit Freispruch, da dem presserechtlich Veranwortlichen eine gezielte Werbung im Sinne des §129a nicht nachgewiesen werden kann. 1987 Im Februar werden in Hamburg die Räume der Lokalredaktion der taz und die Wohnung eines freien Mitarbeiters vom BKA durchsucht. Unter dem Vorwurf des Verdachts nach §129a wird nach einer Dokumentation der Roten Zora, einer Erklärung zu einem Anschlag auf das humangenetische Institut der Uni Münster, bei dem auch Materialien gestohlen wurden, gefahndet. Im Juni durchsucht die Staatsschutzabteilung Fd7 den Hamburger Frauenbuchladen und die Wohnung einer Frau, die mit dem Buchladen in Verbindung steht. Hintergrund dieser Durchsuchung ist, daß dort eine Veranstaltung zu Frauen im Knast stattfindet, daß eine Frau sich mit politischen Gefangenen schreibt und daß einige Tage vorher zum Tode von Ulrike Meinhof Bücher im Fenster ausgestellt wurden. 1988 Der BBA-Laden in Bremen wird im Auftrag des Oberlandesgerichtes Hamburg durchsucht. Gesucht werden die unbekannten Verfasser und Hersteller der "Info- Zeitung für den organisierten Durchbruch". Dort war ein Bekennerinnenschreiben der Roten Zora zu den Brandanschlägen auf die Bekleidungsfirma Adler abgedruckt. 29.11. In Hamburg werden gleichzeitig der Frauenbuchladen AIZAN, der Buchladen Cafe und Buch und eine Privatwohnung durchsucht. Ziel der Ermittlungen ist die Zeitschrift ecoll.bri Nr.4, die nach Ansicht der Ermittlungsrichter für die RZ und die Rote Zora wirbt. Acht Ermittlungsverfahren nach §129a werden eingeleitet. Nachdem sie dort nicht fündig werden, passiert lange Zeit nichts, bis dann im Februar '89 das OLG Hamburg die Beschlagnahmeverfügung wieder aufhebt und das Verfahren einstellt. 1994 Im Sommer wird Ulrike Meinhofs Film "Bambule" über Mädchen im Fürsorgeheim im Fernsehen ausgestrahlt. Der Film lag 24 Jahre im Giftschrank des Südwestfunks und wurde bis dahin nie gesendet. Die Verantwortlichen der Sendeanstalt hatten ihn 1970 nach der Befreiung von Andreas Baader durch Ulrike Meinhof u.a. aus dem Programm genommen. Ein Beispiel für Selbstzensur, in diesem Falle durch den Sendeleiter. 1995 im Juli läßt der Bundesgesundheitsminister auf Druck konservativer Kreise die Aufklärungsbroschüre "starke Mädchen" einstampfen. Begründet wird dieses Vorgehen damit, daß 1. in den Passagen über Schwangerschaftsabbruch nicht ausreichend der "Verpflichtung des Staates zum Schutze des ungeborenen Lebens" nachgekommen worden sei, d.h. Abtreibung nicht verurteilt wurde. 2. Lesben zu positiv dargestellt wurden. Es waren allerdings schon einige Exemplare im Umlauf, die dann, beispielsweise durch die ZGF in Bremen, weiter verteilt wurden. Ulla und Ingrid Es fehlen in dieser Aufstellung die Ereignisse um Ulla Penselin und Ingrid Strobl. Auf die möchten wir jetzt etwas ausführlicher eingehen, da sie ein Beispiel sind für die Verfolgung von FrauenLesbenzusammenhängen. Am 18.12.87 wurde von der Bundesanwaltschaft und dem Bundeskriminalamt eine bundesweite Durchsuchungsaktion durchgeführt: mit der Begründung eines Verdachts auf Unterstützung oder Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung "Rote Zora" bzw. "Revolutionäre Zellen" wurden 33 Privatwohnungen, Arbeitsstätten und das Essener Genarchiv durchsucht, 12 Personen vorübergehend festgenommen und erkennungsdienstlich behandelt. Drei Frauen, sowie Ulla Penselin und Ingrid Strobl, verhaftet. Ulla Penselin, die lange im Rahmen der "Frauen gegen Bevölkerungspolitik" aktiv war und an der Zeitung e-coli.bri mitarbeitete, wurde vorgeworfen an zwei konspirativen Treffvn teilgenommen zu haben und daher Mitglied der Roten Zora zu sein - eine konkrete Tat wurde ihr nicht angelastet. Ingrid Strobl, einer engagierte Feministin, die bis 1986 bei der Emma mitarbeitete und z.B. Themen wie Sextourismus, Flüchtlingspolitik und Faschismus behandelte, wurde vorgeworfen, einen Wecker gekauft zu haben, der zum Anschlag auf die Lufthansaverwaltung im Oktober 1986 benutzt wurde. Die Anklage lautete, sie habe über Themen berichtet, zu denen militante Aktionen verübt worden seien, diese Themen seien daher "anschlagsrelevant". Eine massiver Angriff auf die Möglichkeiten eines freien Journalismus. Dieser Staatsangriff richtete sich hauptsächlich gegen Frauen und Frauengruppen, die sich öffentlich kritisch mit Gen- und Reproduktionstechnologien, Bevölkerungspolitik, Frauenhandel, Sextourismus oder mit Flüchtlingspolitik und Asylgesetzgebung beschäftigten. Inhaltlich richtete sich der Widerstand der Frauen u.a. gegen Genmanipulation, vorgeburtliche Diagnostik, gegen die Gefahren der Embryoverwertung und Menschenzüchtung. Die gesellschaftliche Akzeptanz der Gen- undReproduktionstechnologien sollte erschwert werden. Das Genarchiv beispielsweise hat eine klar ablehnende Position und sieht keine positiv nutzbaren Anwendungsbereiche von Gen- und Reproduktionstechnologien. Der Widerstand war breit. - aus unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen, vorwiegend von Frauengruppen, trafen Solidaritätserklärungen ein - es gab eine große Frauendemonstration in Essen - Unterstützerlnnenkonten wurden eingerichtet - es gab eine Reihe von Veranstaltungen in verschiedenen Städten - es entstand starkes Interesse an den kriminalisierten Inhalten, v.a. an der Gen- und Reproduktionstechnologie - die als "anschlagsrelevant" bezeichneten Inhalte wurden erst recht eröffentlicht und verbreitet - es wurde um Lehraufträge von Ingrid Strobl gekämpft. In Bremen z.B. seit Anfang 89, im Wintersemester 90/91 hat sie ihn erhalten. Gen- und Reproduktionstechnologien sind erst durch Ulla und Ingrid ins Bewußtsein gemischter linker Gruppen gelangt. Der Vollständigkeit halber: Am 22.8.88 wird der Haftbefehl gegen Ulla Penselin aufgehoben. Es habe sich ergeben, daß die einzelnen Indizien, die belegen sollten, daß Ulla Penselin Mitglied in der Roten Zora war "auch eine andere Deutung zulassen". am 22.10.90, nach 3 Jahren U-Haft wird Ingrid Strobl wegen Beihilfe zu Sprengstoffexplosionen zu drei Jahren Haft verurteilt. Der Terrorismus-Vorwurf wurde also fallengelassen, was Edith Luunebach, die Verteidigerin von Ingrid Strobl, auf die breite Kritik der Öffentlichkeit zurückführt. FAZIT UND FRAGEN 1. Es gab immer schon politische Verfolgung von Frauenveröffentlichungen. Eine genaue Geschichte davon wäre allerdings noch zu schreiben. 2. Wenn FrauenLesben über Sexualität oder über Lesben veröffentlichen, also "klassische" Themen der Frauenbewegung, werden sie mit Hilfe des Pornographieparagraphen zensiert. 3. Die staatlichen Übergriffe sind für Frauen anders, da sie immer mit Sexismus verbunden sein können. 4. Frage: Wird fundamentale feministische Staatskritik nicht so ernst genommen wie radikal-linke autonome fundamentale Staatskritik? Warum ist nie ein Beitrag aus den "fem. beitragen", die beispielsweise in dem Band "Vater Staat" ziemlich grundsätzlich den Staat anprangern, verfolgt worden? Ist es tatsächlich allein die Frage der Militanz, die die Staatsschützer eingreifen läßt - oder wird Männern Militanz eher zugetraut als Frauen? 5. Frage: Sind Frauen weniger militant als Männer oder wird ihre Militanz eher verharmlost oder gar nicht erst publik? Quelle: radikale Zeiten nr. 4, April 1996
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kombo(p) | kombo@riffraff.ohz.north.de | 17.07 .1997