Wasserstände (juristische Hintergründe)
Presseerklärung von und Interview mit Werner

Teil I (Dokumentation konfisziert)

Presseerklärung

Ich werde angeklagt zusammen mit 8 anderen Leuten seit 1984 Mitglied der - in behördendeutsch - kriminellen Vereinigung radikal zu sein, für terroristische Vereinigungen geworben, zu Straftaten aufgerufen, diese gebilligt, dafür angeleitet, sowie Steuern hinterzogen zu haben. Im Zuge der bundesweiten Razzien am 13. Juni 1995 wurde ich verhaftet und durfte für ein halbes Jahr den Knast von innen kennenlernen.

Diese Razzien wurden an über 50 Orten im gesamten Bundesgebiet durchgeführt. Innenminister Kanther bezeichnete sie als "zielgerichtete, präventive Maßnahme zur Einschüchterung der linksradikalen Szene". Im Zusammenhang mit diesen Razzien und dem knappen Dutzend darauf folgender Durchsuchungswellen leitete die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe bis heute 118 Ermittlungsverfahren wegen Mitgliedschaft und Unterstützung der radikal ein.

Am 22. März dieses Jahres wurde ich mit einem Freund erneut festgenommen. Unser Verbrechen bestand darin, mit 680 Exemplaren der zuvor erschienenen Dokumentation von radikal-Texten durch Münster zu fahren. Weder den stolzen Münsteraner Polizeibeamten noch später der Bundesanwaltschaft oder dem Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof wollte auffallen, daß es sich hier um eine Dokumentation der von ihnen kriminalisierten Texte handelt und nicht um die radikal. Im Gegenteil: in Karlsruhe spricht man bis heute von der "Frühjahrsausgabe der radikal" und behauptet, sie wäre von derselben kriminellen Vereinigung erstellt und vertrieben worden.

Also durchsuchte man zum wiederholten Male bereits durchsuchte Wohnungen, man brach Büroräume auf, weil dort angeblich Redaktionskonferenzen stattfinden und Druckvorlagen rumliegen könnten, man beschlagnahmte Arbeitsgeräte und schriftliche Unterlagen, und in Karlsruhe wurde das 238. und 239. Ermittlungsverfahren seit Bestehen der radikal eingeleitet.

Diese Vorfälle machen deutlich, daß die Bundesanwaltschaft unter diversen Widersprüchen leidet, die sie in sehr aufdringlicher Weise nach außen kehrt. Auf zwei will ich kurz eingehen:

Beispielsweise betont sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit die "hohe Konspirativität" der "kriminellen Vereinigung radikal", suggeriert damit Gefährlichkeit und verleiht ihren Ermittlungen eine herausragende Bedeutung - andererseits begründet sie die erwähnte Durchsuchung der öffentlichen Kontaktadresse der Dokumentation mit der Behauptung, dort könnten Redaktionskonferenzen der radikal stattfinden. Da fragt man sich, ob die Bundesanwaltschaft diese hochkonspirative Bande nun für besonders verschlagen oder für besonders blöd hält - oder ob es sich nicht eher so verhält, daß sie ihre Argumentation nach Belieben dem jeweiligen Zweck anpaßt.

Darüberhinaus beschwert man sich in Karlsruhe seit einem Jahrzehnt über das fehlende Impressum und die ausländische Deckadresse der radikal, die unter Ausnutzung der liberaleren Gesetzgebung beispielsweise in den Niederlanden deutsche Behörden an einer wirksamen Strafverfolgung hindert. Mit diesem Argument wurde wiederholt die hohe Konspirativität der radikal begründet. Nun enthält die Dokumentation beides, also sowohl eine ordentliche und inländische Bezugsadresse wie auch ein Impressum, in dem 60 Herausgeber und Herausgeberinnen ihre Initiative relativ genau begründen und sich gegen staatliche Zensurmaßnahmen wenden. Aber statt die Verantwortlichen mal zu loben, zückt die Bundesanwaltschaft erst recht den Knüppel der Zensur. Und sie will noch immer nicht verstehen, warum sich die radikal 1984 angesichts ähnlich gelagerter Reflexe für die verdeckte Herstellung und Verteilung der Zeitschrift entschieden hat.

Zusammengefaßt kann gesagt werden: In Karlsruhe orientiert man sich an dem altbekannten radikal-Logo und reagiert analog pawlowscher Versuchsreihen: derselbe Reiz, dieselbe Reaktion.

Obwohl sie 239 Verfahren gegen die radikal einleitete, trat die Bundesanwaltschaft selbst noch nie als Anklägerin in Erscheinung. Der überwiegende Teil der Ermittlungen wurde eingestellt und der Rest wegen minderer Bedeutung an untergeordnete Länderinstanzen abgegeben, wo es in den seltensten Fällen zu einer Prozeßeröffnung oder gar einer Verurteilung kam.

Heute deutet sich ähnliches an: das erste mit einer Anklage befaßte Oberlandesgericht Koblenz weigert sich den Prozeß überhaupt zu eröffnen. Es fühlt sich nicht zuständig, und weder will es die radikal als kriminelle Vereinigung einstufen noch erkennen, daß terroristische Vereinigungen unterstützt werden. Dieser Koblenzer Beschluß führte allerdings keineswegs zu einer neuen Nachdenklichkeit bei der Bundesanwaltschaft. Anfang diesen Monats beantragte sie beim Bundesgerichtshof, Koblenz trotzdem zur Prozeßeröffnung zu verpflichten und die Anklage betreffs einer kriminellen Vereinigung aufrecht zu erhalten.

Der vor zwei Jahren groß inszenierte Schlag gegen den Linksextremismus entpuppt sich zunehmend als Fata Morgana, aber am unbedingten Verfolgungsinteresse einiger Hauptakteure hat sich wenig geändert. Dabei geht es nicht allein um Prozesse und Verurteilungen. Die bloße Existenz der Ermittlungsverfahren verleiht der Polizei Sonderbefugnisse, die sie unabhängig der konkreten Vorwürfe für die Ausschnüffelung politischer Gegner nutzt.

Die Paragraphen 129 und 129a werden auch als Ermittlungs- und Beugeparagraphen bezeichnet. Unter ihrer Regie werden Sonderhaftbedingungen und die Ausforschung politischer Gegner legitimiert sowie Grundrechte außer Kraft gesetzt. Sie ermöglichen das Abhören von Telefonen, Observationen, Postkontrollen sowie große und kleine Lauschangriffe. Die Ermittlungen dauern z.T. über Jahre und nur in 5% aller Fälle findet überhaupt ein Gerichtsverfahren statt.

Abschließend noch ein paar Worte zum Hintergrund politischer Repression, bzw. Gesinnungsjustiz im vorliegenden Fall:

Auch in den radikal-Verfahren geht es weniger um Recht oder Unrecht im juristischen Sinne, sondern um staatliche Machtdemonstrationen. Hinter dem Mantel rechtsstaatlicher Legitimität wird einfach nur mit politischen Gegnern abgerechnet. Hier prallen zwei gegensätzliche und unvereinbare Vorstellungen von Moral, Politik und vor allem Gerechtigkeit aufeinander, bei deren juristischer Abwicklung letztlich nicht die besseren Argumente, sondern die Macht der einen Seite über die andere entscheidet. Die Inhalte und Beweggründe der angeblichen Straftaten werden vollkommen ausgeblendet. Legalität kann auch hierzulande nur solange genossen werden, solange die jeweiligen politischen Äußerungen und Taten den herrschenden Eliten in den Kram passen.

Von mir persönlich kann ich sagen, daß weder der Knast noch die reichhaltigen Erfahrungen mit den zuständigen Behörden dazu angetan waren, mich resozialisiert oder im Kantherschen Sinne eingeschüchtert zu fühlen. Auch was die radikal betrifft gab es in den letzten Jahren kaum eine werbewirksamere Aktion als die der Bundesanwaltschaft, insbesondere als sie sich zensierend bis in das Internet vorwagte. Würde sie ihre Konstrukte wirklich ernst nehmen, müßte sie sich selbst anzeigen wegen Werbung für ihre kriminellen und terroristischen Organisationen.

Noch nie seit dem deutschen Faschismus wurde eine Zeitungsredaktion als kriminelle Vereinigung eingestuft. Gelänge das jetzt bei der radikal, könnten morgen auch andere mißlibige Medien - Zeitungen, freie Radios - nach diesem Muster kriminalisiert werden, besonders wenn sie sich gegen staatliche Kontrollansprüche wehren und sich entsprechend organisieren. Glücklicherweise können Knüppel und Zensur nur reglementieren, aber nie überzeugen.

Werner Konnerth, Mai 1997
(Quelle: Presseerklärung vom Mai 97)




Ist das "radikal"-Verfahren nur ein Heißluftballon?

jW sprach mit Werner K., der im März im Zusammenhang mit der kriminalisierten Zeitschrift »radikal« festgenommen worden ist

Werner, du bist am 22. März in Münster festgenommen worden mit 680 Exemplaren der Frühjahrausgabe der radikal...

... sagt die Bundesanwaltschaft. In Wahrheit handelt es sich um eine Dokumentation kriminalisierter Texte der radikal.

Die Bundesanwaltschaft behauptet aber, auf die neuste Ausgabe der radikal gestoßen zu sein. Die Zeitschrift stünde in "äußerlicher Kontinuität" zu früheren radikal-Ausgaben, schließlich befinde sich auf dem Deckblatt "in gleicher Aufmachung und an gewohnter Stelle der Titel radikal, versehen mit dem üblichen fünfzackigen Stern."

Die BAW sieht den Namen und reagiert wie ein pawlowscher Hund: derselbe Reiz, dieselbe Reaktion. Dabei leidet sie auch unter anderen Widersprüchen. Beispielweise putzt sie die radikal laufend als "hochkonspirative kriminelle Vereinigung" heraus, suggeriert damit Gefährlichkeit und macht sich selbst wichtig - andererseits durchsucht sie die Kontaktadresse der Dokumentation mit der Begründung, dort könnten Redaktionskonferenzen stattfinden. Man stelle sich also eine geheime Redaktion vor, die sich an einem öffentlich bekannten Ort trifft und fragt sich zwangsläufig, ob die BAW diese konspirative Bande nun für besonders blöd oder für besonders verschlagen hält.

Eine hochkonspirative Bande bestehend aus 60 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die sich in der Dokumentation zur Herausgabe dieser bekennen?

Auch so ein Widerspruch. Die Herausgeber erklären sich zwar verantwortlich für die Dokumentation und begründen ihre Initiative auf den ersten beiden Seiten politisch und genau, aber die BAW konstruiert wieder wie es beliebt: die Dokumentation wäre das Werk der radikal-Struktur, es handele sich dabei um eine getarnte neue Ausgabe, erstellt und vertrieben von der bekannten kriminellen Vereinigung. Unterm Strich alles derselbe Abwasch und ermittelt wird gegen Unbekannt. Ich bin gespannt ob die 60 Herausgeber jetzt ein Verfahren wegen Unterstützung dieser kriminellen Vereinigung angehängt bekommen.

Behördlicherseits wird jetzt seit 13 Jahre darüber gemeckert, daß die radikal kein ordentliches Impressum und nur eine ausländische - also für deutsche Verfolgungsbehörden unerreichbare - Kontaktadresse enthält. Endlich bekommen sie beides geboten. Aber statt die Verantwortlichen der Dokumentation mal zu loben, wird weiter reflexartig der Knüppel gezückt und darüberhinaus der radikal zum Vorwurf gemacht, daß sie sich 1984 angesichts solcher Reflexe für die verdeckte Herstellung und Verteilung entschieden hat.

Dein neustes Verfahren ist das 239. gegen die radikal, das die Bundesanwaltschaft seit deren Kriminalisierung 1984 eingeleitet hat. Allein in den letzten 2 Jahren - seit der bundesweiten Razzia im Juni 1995 - eröffnete sie 118 Ermittlungsverfahren. Du wurdest nach den Razzien für ein halbes Jahr als Rädelsführer der "kriminellen Vereinigung" inhaftiert. Was ist daraus geworden?

Neun Anklagen liegen bei den Gerichten. Wir erwarten zwei Prozesse, von denen viel für alle 118 Verfahren abhängen wird. Wenn egal wo und wer als kriminelle Vereinigung verurteilt wird ist das ein Präzedenzurteil, anhand dessen morgen auch andere mißliebige Medien kriminalisiert werden können. Allerdings war das erste mit der Sache befaßte Oberlandesgericht in Koblenz nicht sehr entzückt über den Fall, hat sich für nicht zuständig erklärt, und so wird demnächst die höhere Instanz, der Bundesgerichtshof, in dieser Sache entscheiden. Auch in Düsseldorf wird sich bald klären, ob und wann der zweite Prozeß beginnt.

Aus der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag geht hervor, daß von sämtlichen eingeleiteten 239 Vefahren kein einziges von der Bundesanwaltschaft selbst angeklagt wurde. Alle wurden entweder eingestellt oder wegen minderer Bedeutung an Länderinstanzen abgegeben. Dort endete kaum eines mit einer Verurteilung. Sind eure Verfahren überhaupt noch der Rede wert?

Offensichtlich, denn wir reden gerade darüber. Aber du hast recht, es gibt derzeit einige Anzeichen dafür, daß der groß inszenierte Schlag gegen den Linksextremismus 1995 ein popagandistisch aufgeblähter Ballon war, aus dem almählich die Luft entweicht. Er diente ähnlich hintergründigen Zwecken wie auch in anderen Verfahren nach den Paragraphen 129 und 129a. Sie sind Instrumente des politischen Strafrechts, weil sie der Polizei Tür und Tor öffnen und ihr das Abhören von Telefonen, Observationen, Postkontrollen sowie kleine und große Lauschangriffe ermöglichen solange die Verfahren laufen. Ein inoffizielles Ziel der Repression besteht in genau dieser Ausschnüffelung von Freundeskreisen, Gruppen und Szenen.

Die politische Verfolgung orientiert sich selten an Pressefreiheiten oder juristischen Normen. Bei der Ausschaltung politischer Gegner sind sie nur hinderlich. Auch in unseren Verfahren wird nicht etwa inhaltlich gestritten, sondern die juristische Argumentation wie beschrieben dem jeweiligen Zweck angepasst, von einem Bundesrichter unterschrieben und fertig. Es geht allein um die Durchsetzung von Macht.

Hungrige Leser und Leserinnen warten seit bald einem Jahr auf die neue Ausgabe der radikal. Hast du sie schon in deinem Kofferraum?

Ich wurde darüber belehrt, daß dies verboten und ein schlechter Aufbewahrungsort ist, und deshalb würde ich sie hochkonspirativ als Mikrofilm getarnt in die Tiefgarage der Bundesanwaltschaft schmuggeln, sie davon in Kenntnis setzen, und die Werbung dafür ihr überlassen. Aber Ernst beiseite: solange die radikal-Struktur ihre Auflösung nicht bekannt gibt gehe ich davon aus, daß sie weiter existiert. Sie hat ihre Handlungsfähigkeit auch nach 1995 mit zwei neuen Ausgaben bewiesen und wird klug genug sein, den internen Entwicklungen Vorrang gegenüber dem äußeren Druck einzuräumen.

(Quelle: junge Welt, Mittwoch, 14. Mai 1997)

zurück zur rubrik zum anfang dieser seite


kombo(p) | kombo@riffraff.ohz.north.de | 12.07.1997