Entengeschichten
Dieses Interview wurde 1989 vom ID-Archiv mit Leuten aus der damaligen Redaktion der radikal geführt.

Interview vom ID-Archiv mit der radikal (Teil I)

Teil I
Teil II
Teil III
Teil IV
Teil V
Teil VI
Teil VII

ID-Archiv: Die alte radikal (1976-1984) verstand sich selbst als Zeitung ' von der Bewegung - für die Bewegung'. Ihr offensives Thematisieren militanter Aktionsformen, die teilweise sehr anspruchsvollen Theoriediskussionen und vor allem ihr fast schön ästhetisches Lay-out fand in der autonomen Szene Begeisterung. Die radikal dokumentierte, kritisierte, anaylisierte und mobilisierte gleichermaßen. Vor allen in den Jahren 80-84 spiegelten sich in ihr die unterschiedlichen Bedürfnisse der autonomen Bewegung wieder. Was haben die heutigen radikal-MacherInnen für ein Verhältnis zu dieser (ihrer) Zeitung ? Was hat sich eurer Meinung nach in der Bewegung verändert

radi: eine umfassende antwort ist nicht möglich, denn es gibt schon lange nicht mehr die redaktion, die den ganzen laden schmeißt. die menschen und gruppen, die heute bei der zeitung mitmachen, haben eine unterschiedliche geschichte. beispielsweise sind nicht alle in der bewegung anfang der 80ger rumgewirbelt, oder speziell im häuserkampf in berlin, dessen eigentliches organ die radi ja war. also für einige ist die geschichte der zeitung lebendiger, weil sie viel mit den eigenen erfahrungen zu tun hat, für andere abstrakter.
wir reden hier als eine gruppe. was uns betrifft, gibt es auch unterschiede. aber im prinzip ist die radi teil unserer geschichte, d.h. wir waren teil der bewegung, haben häuser besetzt, bewohnt und deshalb barrikaden gebaut. nebenbei haben wir auch radi gelesen, ohne uns groß daran zu beteiligen. war halt unsere zeitung. sie ist von leuten gemacht worden, die du nicht kanntest, aber die haben dasselbe gedacht und gewollt wie du selbst.
Mittlerweile sind wir selbst "diese leute" geworden, und damit hat sich logisch auch unser verhältnis zur legalen radi verändert. es ist genauer und bewußter, aber auch distanziert. das liegt hauptsächlich daran, daß mit dem niedergang dieser bewegung neue dinge in den kopf und in die zeitung reinmußten. du konntest nicht so weitermachen als wäre nichts geschehen. damals schien alles möglich, wenn wir nur viele sind und explodieren. so war die zeitung. heute mußt du möglichkeiten vorbereiten und aus der erfahrung lernen, daß die spontane revolte auch über jahre nicht erreichen konnte, daß sich wirklich wesentliche dinge ändern. 82 war es relativ einfach eine zeitung in berlin zu machen. du mußtest beobachten und die eigendynamik ausdrücken. heute sammeln sich u.a. reste der bewegung und du versuchst erfahrungen weiterzugeben, warum eben das eher nach hinten losgeht und jenes nach vorne. und es geht nicht allein um inhaltliche arbeit, was normalerweise den schwerpunkt bei jeder zeitungsarbeit ausmacht. die arbeit mit dieser zeitung muß verdeckt organisiert werden, damit kriminalisierter inhalt überhaupt veröffentlicht werden kann. es hat konsequenzen wenn du sagst, weitermachen statt anpassen und nach einer nische suchen. es kann bedeuten, daß du langsam untergehst und keiner merkt's. oder du organisierst dich konspirativ, um gena'u diese resignation gegenüber staatlicher krimininalisierung aufzubrechen. also du wirst nicht illegal, weil du bock darauf hast dich zu verstecken, sondern weil es aufgezwungen wird. dahinter steckt die gefahr, nach außen isoliert zu werden. aber illegalität ist nur eine möglichkeit - in manchen situationen die einzige - um den kopf offen und klar zu behalten, damit du genau dort weitermachen kannst, wo du willst. es kommt darauf an, was du daraus machst, also illegalität an sich weder dogmatisch ablehnst, noch verherrlichst. einen umgang damit zu finden braucht zeit, und du neigst schnell dazu auf ein extrem abzufahren, wenn du mit dem anderen konfrontiert bist. da wir diesbezüglich keine erfahrungen hatten, war es ein versuch in ziemlich unbekanntes neuland. von der alten radi konnten wir kaum etwas lernen, außer über ihre kriminalisierung und wie damit umgegangen wurde.

was die bewegung betrifft, konnten wir auch kaum auf etwas aufbauen. als wir 84 anfingen, war nichts mehr los. die entwicklung eines teils der bewegung entspricht in etwa auch unserem werdegang in und mit der radi, nur an jeweils unterschiedlichen punkten.
.viele hören auf und richten sich ein oder verzweifeln. andere brauchen monate, jahre, ein ganzes leben, um nach der niederlage perspektiven zum weiterkämpfen zu finden. eben ohne die aufbruchstimmung der massenbewegung, sondern aus eigener kraft gegen die plötzliche vereinzelung. so eine grundsätzliche aufsplitterung ist ja schon geschichtlich bei allen revolten und bewegungen, z.B. bei der apo, der anti-akw-bewegung oder nach der friedensbewegung. der widerstand in allen bereichen stößt an immer dieselben grenzen des systems, und auch an die eigenen. einigen reicht eine diffuse sensibilisierung in der gesellschaft aus - evtl. auch bei sich selber - andere radikalisieren sich, weil sie die vorgegebenen grenzen nicht akzeptieren und praktische veränderungen wollen. unter letzteren geben viele auf, weil sie sich gegenüber der scheinbaren allmacht ohnmächtig fühlen und resignieren. sie suchen nach einer nische im system, wo sie bis zum weltuntergang noch einigermaßen zufrieden leben können, und wenn's die nicht gibt, hauen sie sich mit herein, alk oder sonstigen ersatzlösungen die birne weg. in der bewegung zerfällt das 'wir-Gefühl', weil wenn z.b. erfolge ausbleiben, vor der zunehmenden konfrontation zurückgewichen wird. wenn bullen, die drohung mit knast und medienhetze diese wirkung erzielt haben, setzt die subtile repression ein und verstärkt die innere spaltung.
solche entscheidungspunkte gibt es in jeder bewegung, wenn die politischen forderungen das übersteigen, was das system herzugeben bereit ist. innere konflikte sind die chance, in 'gute und schlechte' zu teilen. also z.b. welche die verhandeln und nicht verhandeln, oder militanter und gewaltfreier widerstand. die 'schlechten', die radikaleren teile der bewegung, bekommen ein abgestuftes instrumentarium an repression zu spüren - medienheatz, knast und klapse, bullenterror - um einige wieder zu 'guten' zu machen. welche weiterkämpfen und nach zig bewährungsproben nicht reformierbar sind, werden aufgegeben und vernichtet.

mit solch beschissener perspektive vor augen wächst natürlich die anzahl der 'guten'. der ausstieg in den einstieg wird ihnen außerdem noch versüßt, d.h. sie bekommen privilegien, von denen die normalbevölkerung nur träumen kann. das sind relative freiräume zur relativen selbstverwirklichung im system, geld und sogar funktionen. im resultat hast du dann ehemals militante häuserkämpferInnen, die ihr haus mit staatskohle reparieren und davon leben, und in einem verinnerlichten abhängigkeitsverhältnis schon die barrikaden anderer wegräumen, um ihren frieden mit dem system aktiv zu verteidigen. das ist ein beispiel aus der realität in kreuzberg nach der bewegung.

kreuzberg ist überhaupt ein gutes beispiel, wenn du dir die reaktionen nach dem 1. mai 89 anschaust. der bezirk ist ein unkontrollierbarer unruheherd und gegenmacht zur herrschaft, in der linke positionen aber nur einen teil ausmachen. der staat finanziert einen aufgeblähten apparat an alternativprojekten, sozialstationen und sanierungsträgern, in dem u.a. der reformierte teil vergangener bewegungen integriert ist und heute handfeste staatliche funktionen erfüllt. sowas findest du nirgendwo sonst in solchem ausmaß in der brd - diese gleichzeitigkeit von relativem freiraun und arbeitsbeschaffungsmaßnahme zur selbstverwirklichung. wo herkömliche mittel der aufstandsbekämpfung (wie bullenknüppel) versagen, werden leute mit geld gekauft. es entsteht eine struktur, die viel effizienter - weil nahe an der basis - die staatliche funktion der herrschaftssicherung übernimmt, und mit der zeit selbst zur herrschenden macht wird. das sind gewollte prozesse, die vielen eingekauften nicht bewußt sind. da mögen einige mit guten absichten und einem radikalen selbstverständnis angefangen haben, aber die zeit arbeitet gegen sie. ihre existenz hängt am staatlichen tropf, und staatliche kohle wird nur vergeben, wenn sie staatlichen interessen dient. mit diesem widerspruch wirst du auf dauer schizophren oder entscheidest dich. die allermeisten entscheiden sich für den weg durch bestehende institutionen oder gründen neue, die sie alternativ nennen. sie entscheiden sich also für den weg der macht und der kleinen reformen innerhalb des systems. im ergebnis werden initiativen von unten bekämpft und es entsteht ein qualitativ neuer angriff auf die radikale linke. es ist ein totaler unterschied, ob springer hetzt oder die taz, weil letztere wesentlich mehr einsicht und wirkung innerhalb der schwammigen zielgemeinschaft 'die linke' hat. auch die taz ist zu einem wesentlichen teil produkt der bewegung. wir haben jetzt weit ausgeholt, um unser heutiges verhältnis zur bewegung und zur alten radi zu erklären. es gab eine gemeinsame geschichte, die im augenblick der entscheidung gegensätzlich interpretiert wurde. einige machen weiter, andere werden über die jahre sogar deine feinde, weil sie dich durch die gemeinsame vergangenheit kennen, und so wesentlich effektivere methoden zu deiner bekämpfung entwickeln können, als der bürokratische apparat. also was vor 5 jahren richtig war, kann heute falsch sein, weil sich die bedingungen verändert haben. gäbe es morgen eine neue bewegung wie 68, 76 oder 81, hätte sie eine neue zeitung. die radi wartet nicht auf neue bewegungen, um sich dann wieder voll in's geschehen zu werfen. die zeitung ist heute bruch mit der bewegung und gleichzeitig weiterentwicklung auf der basis gemachter erfahrungen. sie ist der versuch, genaue und verbindliche strukturen zu organisieren, die von bewegungskonjunkturen unabhängig sind. das soll nicht heißen, daß bewegungen unwichtig sind, im gegenteil. in ihnen wird verkrustetes und eingefahrenes denken aufgebrochen, und die mobilisierung geht meist über das traditionelle linke spektrum hinaus. aber sie werden wieder verpuffen, wenn nicht auch erfahrungen und geschichte der kämpfe ernstgenommen werden und strukturell den luftleeren raum füllen. es geht uns u.a. darum, die verbreitung radikaler inhalte zu organisieren, und uns auf die vermittlung eines revolutionären bewußtseins zu konzentrieren, mit gleichzeitigem bezug zur praxis. ja, und diese vermittlung sicher hinzukriegen, das ist unsere praktische aktion, auch wenn sie im gängigen bild von autonomer politik noch nicht so auftaucht.

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kombo(p) | kombo@riffraff.ohz.north.de | 28.6.1997