Aussageverweigerung
Wenn die Sache irre wird - werden die Irren zu Profis (Teil IX)

Infos und Texte zur Aussageverweigerung und Beugehaft

Inhaltsverzeichnis

Die Anti-Beugehaft - Kampagne
- Ein Szenetheater in vier Akten -

Die Akteure: Grüne und Studis, Autonome und Freizeitalternative, diverse Initiativlerlnnen und versprengte Liberale, ja selbst einige Karteileichen, einzelne Vormals-Linke. Sie alle treten plötzlich auf die Bühne. Empört über die Androhung von Beugehaft. Entschlossen zum Widerstand gegen diesejüngste Variante staatlicher Repression. Gemeinsam fordernd: Keine Aussagen! Keine Beugehaft! Lauter Annas und Arthurs. Scheinbar.

1. Akt: Friedd auf Erden

Diskutiert wurde zunächst mal nicht. Es ging um Informationsverbreitung und Protestaktionen. Die Versammlungen wurden von praktischen und organisatorischen Problemen bestimmt. Ein Manko, das erkannt,hier und da auch benannt, jedoch nicht ernsthaft thematisiertwurde. Denn in der ersten Zeit herrschte tatsächlich weitgehendeEinigkeit darüber, daß praktisches Handeln das Gebot sei. Auf die Offensive der Bundesanwaltschaft, die in dieser Form und im konkreten Zusammenhang erstmalige Androhung von Beugehaft, sollte schnell und öffentlichkeitswirksam reagiert werden.
Es gab Flugblätter, Plakate und Aufkleber, Pressemitteilungen, Veranstaltungen und Kundgebungen, Graffitis, Solidaritäts- und Spendenaufrufe, eine Fülle größerer und kleinerer Aktionen. Das Ganze, obwohl im wesentlichen auf's Ruhrgebiet beschränkt und im Grunde ein unreflektiertes Sammelsurium unterschiedlichster Aktivitäten, hieß .sehr schnell "Anti-Beugehaft-Kampagne" und erfreute sich erstaunlich breiter Unterstützung. Bis hin zu Leuten, die nicht politisches Interesse, sondern die persönliche Bekanntschaft mit den Betroffenen motivierte.
Zwar wußte letzlich niemand zu sagen, warum gerade diese und keine andere Aktion gemacht wurde. Zwar existierten unterschiedliche Vorstellungen darüber, welche Öffentlichkeit mit welchen Mitteln und welchem Ziel anzusprechen sei. Zwar gab es Erfahrungen mit VertreterInnen von Kirchen-, Friedens- und Dritte-Welt-Gruppen, die Aussageverweigerung richtig, eine Aufforderung dazu jedoch politisch falsch fanden. Zwar kannten alle die Kneipengespräche, in denen nach einem dritten Weg zwischen Aussagen und Knast gesucht wurde. Und schließlich wußten nicht wenige von den Unsicherheiten, Ängsten und Zweifeln der Zeuglnnen.
Doch von alledem drückte sich in den regelmäßig stattfindenden Versammlungen nichts aus. Politische Differenzen und Widersprüche, sofern sie denn Überhaupt mal angedeutet wurden, verschwanden in Windeseile wieder unter dem Szeneteppich. Alle sonnten sich in ihrer vermeintlichen Solidarität und Stärke. Und die wenigen Mißtrauischen, die den schönen Schein mit lästigen Fragen nach der jeweiligen Motivation bzw. politischen Zielsetzung der AktivistInnen anzukratzen suchten, ernteten bloß Schweigen.
Alles in allem feierte das längst überholt geglaubte Motto "Einheit geht vor Klarheit" fröhlich Urstände. Bis dann den Anträgen auf die Verhängung von Beugehaft stattgegeben wurde und sich damit bestätigte, was angeblich vorher klar war: Konsequente Aussageverweigerung bedeutet im Zweifelsfall Knast!

Zwischenspiel: Krieg bricht aus

So locker dieser Satz zuvor im Mund geführt worden war, so plötzlich verwandelte er sich nun in die unliebsame Erkenntnis, daß mangelnde Kooperation mit diesem Staat tatsächlich ihren Preis hat. Sehr zum Entsetzen derjenigen, die die gerade produzierten Aufkleber "Bedenke: Der Feind ist unendlich gemein!" so ernst denn doch nicht gemeint hatten. Mit dem Ergebnis, daß sich die über Wochen verdrängten politischen Unterschiede nun schlagartig Bahn brachen.
In einer hitzigen Diskussion kam erstmalig alles auf den Tisch, was zuvor so sorgfältig druntergehalten worden war: Die Unsicherheit über die grundsätzlich politische Funktion von Aussageverweigerung. Zweifel an ihrer Bedeutung in der aktuellen Situation. Kriminaltechnische Überlegungen, welche Aussagen der Gegenseite nützlich sind und welche nicht. Die Frage nach der eigenen Entscheidung, wäre mensch selbst betroffen. Die Überzeugung, daß nichts auf der Welt eine Einknastung wert sei. Und schließlich der irrationale Horror vor dem Knast ganz generell.
Natürlich nannte kam jemand das Kind beim Namen. Heraus kamen vielmehr Behauptungen wie: "Wir (!) können es nicht verantworten, Leute in den Knast zu schicken." Oder: "Gehen die freiwillig (!) in den Knast, bleiben sie auch nach dem halben Jahr drin." Und: "Das ganze ist die Sache nicht wert." Bzw: "Zur Aussageverweigerung bis zum Letzten ist die politische Situation noch nicht reif." Und besonders interessant: "Die Anti-Beugehaft-Kampagne ist gescheitert. Eine Aussageverweigerungskampagne haben wir nie gemacht!"

2. Akt: Täuschen und Tarnen

Doch wer denkt, die endlich aufgebrochene Friede-Freude-Eierkuchen-Stimmung hätte zu längst überfälligen Debatten geführt, der unterschätzt die Verdrängungskünste, Diskussionsunfähigkeit und Auseinandersetzungsängste der Szene ganz gewaltig. Schon zwei Tage nach dem mit ach so viel Engagement, persönlicher Betroffenheit und politischem Verantwortungsgefühl geführten Streit, herrschte Schweigen wie gehabt. Ganz so, als hätte sich nicht gezeigt, wie tief die politischen Gräben zwischen den an der "Kampagne" beteiligten Aktivistlnnen sind.
Da konnten selbst die betroffenen ZeugInnen vorbeischneien und vermelden, daß sie ungeachtet der Beugehaftbeschlüsse auch weiterhin keine Aussagen zu machen, sondern - wenn´s denn sein müsste - in den Knast zu gehen gedächten. Es wurde nicht mal nach einer Begründung für diese Entscheidung gefragt. Sie weder, was angesichts der eigenen Bedenken und Ängste nur konsequent gewesen wäre, politisch in Frage gestellt noch als Lippenbekenntnis eingeschätzt. Und schlimmer noch: Alle diese Versäumnisse wurden informell, in privaten Gesprächsrunden nachgeholt, ohne das die Ergebnisse dieser Küchentischkultur in irgendeiner Form für die politische Auseinandersetzung fruchtbar gemacht worden wären.
Derweil wurde nach außen hin, auf Flugblättern und in Redebeiträgen, weiterhin und scheinbar ungebrochen für eine Aussageverweigerung ohne Wenn und Aber agitiert.
Gemessen an den öffentlich vertretenen Positionen und angesichts der erklärten Schweigeabsicht zumindest der Zeuglnnen aus dem Ruhrgebiet hätte also der Umstand, daß sich letztendlich doch sechs von acht Zeuginnen zu Aussagen erpressen ließen, als politische Schwäche gewertet werden müssen. Stattdessen wurde das Geschehen am 16. März in Karisruhe tabuisiert.
Aus unterschiedlichen Gründen allerdings: Von "gebeugten" Zeuginnen aus Unfähigkeit, mit dem eigenen Verhalten umzugehen. Von jenen, die sowieso im Ruf der "HardlinerInnen" stehen, aus Angst, eine Kritik am praktischen Aussageverhalten könnte ihnen als Verratsvorwurf ausgelegt werden. Und von denjenigen schließlich, die dem Mehrheitsverhalten der ZeugInnen insgeheim Beifall klatschten, aus mitleidiger Rücksichtsnahme den in Haft sitzenden "Märtyrerinnen" gegenüber.

3. Akt: Das Ablenkungsmanöver

Ersatzweise wurde eine Diskussion eingeführt, die gekonnt von den eigentlichen Fragen ablenkt. Hieß es doch auf einmal: Aussageverweigerung sei zwar richtig, doch eine entsprechende Kampagne könne nicht an den Betroffenen vorbei geführt werden. Womit nicht etwa gemeint war, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Sich in Zukunft offener, ehrlicher und gründlicher mit (potentiellen) Zeuginnen auseinanderzusetzen. Ihnen nach Kräften den Rücken zu stärken und eine Entscheidung zu ermöglichen, die diesen Namen auch verdient. Sie die Konsequenzen ihres Verhaltens, sei es die Einknastung oder seien es die politischen und persönlichen Folgen der Aussagebereitschaft, nicht alleine tragen zulassen.
Nein. Der Hinweis auf die berühmten Betroffenen meint im Gegenteil, sich nicht einzumischen. Das eigene Verhalten von dem ihren abhängig zu machen. Zwar wirft ein solches Vorgehen die ZeugInnen auf sich slebst zurück. Doch hat es unschätzbare Vorteile für beide Seiten. Die Betroffenen müssen sich nicht rechtfertigen. Egal was sie tun, es ist akzeptiert. Und die anderen brauchen keine politische Position zu beziehen. Sie können bei ihrem "Ja" zur Aussageverweigerung und "Nein" zum Knast bleiben, ohne das eine oder ander zu Ende denken zu müssen.

4. Akt: Der Untergang

Ergebnis ist, was beim Jeinsagen immer herauskommt und hierzulande "Realpolitik" genannt wird: Die mehrheitlich getroffene Entscheidung der Betroffenen wird zum Maßstab des Machbaren erklärt. Ganz nach dem Motto: Wenn 75% der KandidatInnen das Klasssenziel nicht erreichen, müssen die Anforderungen gesenkt werden. Oder wie es auch formuliert wurde: "Wir dürfen die Latte nicht so hoch hängen, daß niemand mehr drüber springen kann." Im Klartext heißt das: Die eigene Schwäche wird zur politischen Linie gemacht.

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kombo(p) | kombo@riffraff.ohz.north.de | 27.6.1997