Aussageverweigerung
Wenn die Sache irre wird - werden die Irren zu Profis (Teil X)

Infos und Texte zur Aussageverweigerung und Beugehaft

Inhaltsverzeichnis

Noch 'ne Einschätzung

Seit die beiden Bochumerinnen aus dem Knast raus sind, ist es zu einem rapiden Schrumpfen der Diskussion um Aussageverweigerung und Beugehaft gekommen. Verständlich, zumal sich diese hauptsächlich anläßlich der zunächst drohenden, dann eingetretenen Beugehaft entzündet hat.
Aber mit der Freilassung der beiden Frauen ist letzendlich nur die Zuspitzung des Konflikts - und das vermutlich nur für eine begrenzte Zeit - ausgesetzt worden. Wenn wir es mit unserer eigenen Einschätzung der Funktion von Zeugenaussagen im Rahmen von §129a Verfahren ernst meinen, dann befinden wir uns nicht am Ende einer Aussageverweigerungskampagne, sondern mittendrin (am Anfang?).
Wir halten daher eine Zwischenbilanz der Aussageverweigerungskampagne im Ruhrgebiet für notwendig, zum einen um die Fehler, die gemacht wurden zu diskutieren und zum anderen, um die Diskussion nach der Perspektive einer Aussageverweigerung weiterzuführen.

Zu Beginn ein kurzer Rückblick auf die Aussageverweigerungs / Anti-Beugehaft-Kampagne / im Ruhrgebiet:

nach der Razzia vom 18.12.87 war klar, daß es zu einer Menge ZeuglnnenVorladungen kommen würde. Nach den Erfahrungen mit Zeuglnnenaussagen im RheinMain-Gebiet sollte ein ähnliches Desaster hier vermieden werden.
Die meisten ZeugInnen verweigerten ohne Angaben von Gründen die Aussage, nur wenige machten Aussagen oder verweigerten nach §55. Bei den direkt Betroffenen und in der linken Szene herrschte scheinbar weitgehende Einigkeit über die Notwendigkeit und die Bedeutung von Aussageverweigerung. Diese Situation setzte sich auch noch in einer Veranstaltung vom 11. 12. 88 fort, die u. a. das Ziel hatte, die Aussageverweigerung mit allen möglichen Konsequenzen in einem über die Betroffenen hinausgehenden Rahmen zu diskutieren. Auch da schien noch alles klar: konsequente Aussageverweigerung, keine Kooperation mit dem Staatsschutz! Zu diesem Zeitpunkt zogen jedoch noch wenige in Betracht, daß dies u. U. Knast bedeuten kann, obwohl es theoretisch möglich war.
Nachdem die Staatsanwaltschaft den ersten Antrag auf Beugehaft gestellt hatte, schreckte die Szene auf. Es bildeten sich Anti-Beugehaft-Plena, die es sich als Ziel gesetzt hatten, die Beugehaft zu verhindern.
Auch zu diesem Zeitpunkt stellte kaum jemand die weitere konsequente Aussageverweigerung in Frage. Verschiedene Aktionen zur Informierung der Öffentlichkeit wurden durchgeführt, es wurde versucht, die Diskussion um Aussageverweigerung und Beugehaft in ein möglichst breites linkes/linksliberales Spektrum reinzutragen.
Als die Beugehaft dann angeordnet wurde und sich für die Betroffenen die harte Alternative Aussage oder Knast stellte, da geriet mit einem Schlag die bisherige scheinbare Klarheit bezüglich Aussageverweigerung nicht nur bei einigen Betroffenen.ins Schwanken. Angesichts der jetzt kaum noch abwendbaren Realität Knast, brach die Diskussion um konsequente Aussageverweigerung, Perspektive und Durchführbarkeit einer Aussageverweigerungskampagne, individuelle Zumutbarkeit, Bedründung der Aussageverweigerung etc.heftigst aus. (Argumente siehe diese Broschüre)
Diese Diskussion wurde jedoch im wesentlichen informell geführt, d. h. sie fand kaum öffentlich statt. Ein wesentlicher Grund dafür war die Tatsache, daß nach Bekanntgabe der Beugehaftanordnung von Betroffenen, berichtet wurde, daß sie auch in Karlruhe bei der 3. Vernehmung die Aussagen verweigern bzw. sich gegebenfalls auf §55 berufen würden. Angesichts dieser scheinbar getroffenen Entscheidung wollte niemand die grundsätzliche Diskussion aufwerfen, um die Betroffenen nicht in Zweifel zu stürzen und um ihnen nicht in den Rücken zu fallen. Zudem befürchteten einige, daß eine grundsätzliche Diskussion ein weiteres Handeln blockieren würde. Öffentlich und kontrovers wurde die Diskussion erst dann wieder geführt, nachdem die erste Bochumerin in Beugehaft saß und nachdem in Karlsruhe Aussagen gemacht worden waren.

Fehler, die gemacht wurden:

Die Trennung zwischen politischen Unterstützerlnnengruppen und konkret Betroffenen konnte nur im Falle der Bochumerinnen teilweise aufgehoben werden. Sonstige Unterstützerlnnengruppen haben von Dikussionen und Zweifeln der Betroffenen zu wenig mitgekriegt, mit der Folge, daß das Kräfteverhältnis und die Entschlossenheit der Einzelnen falsch eingeschätzt wurden. Dieses hat letztendlich dazu geführt, daß die Aussagen in Karisruhe für viele überraschend kamen und bis zuletzt Ratosigkeit darüber bestand, wie mit dieser Tatsache umzugehen sei. Diese vor Karlsruhe bestehende Trennung konnte nach dem 16.3. erst recht nicht aufgehoben werden, d. h. es hat bis heute keine gemeinsame Diskussion über den 16.3. gegeben.
Die Diskussion über individuelle und politische Gründe zur Aussageverweigerung bzw. welches die Ursachen sind, daß Aussagen bislang die Regel und nicht die Ausnahme sind, wurde nie gründlich geführt.
Es wurde zwar öfter die unterschiedliche persönliche und politische Vorstellung der Menschen, die von ZeugInnenvorladungen betroffen sind als wichtige zu berücksichtigende Größen genannt, es ist jedoch nur in Ansätzen gelungen, die diversen Faktoren, die diese Unterschiedlichkeiten ausmachen, zu konkretisieren und die jeweils daraus folgenden Konsequenzen für das Verhalten zu diskutieren.
Angesichts der Tatsache, daß auch im Ruhrgebiet letzten Endes deutlich mehr Aussagen und / oder - Berufung auf den §55 als konsequente Aussageverweigerungen stattgefunden haben, stellt sich die Frage nach dem Erfolg und der Perspektive der Aussageverweigerungskampagne. Polemisch gefragt: War / ist die Kampagne richtig, nur die Menschen haben versagt?
Der Erfolg der Kampagne läßt sich nicht an Zahlenverhältnissen festmachen.

Im Rahmen der Aussageverweigerungskampagne wurden bis jetzt mehrere Dinge erreicht:

Wir meinen, daß die Aussageverweigerungskampagne fortgesetzt werden muß. Das Ziel muß bleiben:

Keine Kooperation mit dem Staatsschutz!

Keine Aussagen!

Voraussetzung für eine möglichst breite Verankerung der Kampagne ist jedoch auch, daß die immer wieder auftretenden Zweifel, Bedenken und Gegenargumente innerhalb der damit befaßten Szene offen und solidarisch diskutiert werden und auf die noch offenen Fragen Antworten gefunden werden. Solche Fragen sind z. B.:
Gibt es eine "weiche Linie" der Aussageverweigerung für Menschen, die prinzpiell von der Aussageverweigerung überzeugt sind, jedoch aus bestimmten (politischen, persönlichen) Gründen nicht Knast dafür in Kauf nehmen wollen? Wo beginnt die" Kooperation" mit dem Staatsschutz? Wo beginnt Denunziation? Welches sind die Kriterien, anhand derer wir gemachte Aussagen be- oder verurteilen'?
Und es muß weiter diskutiert werden, mit welcher politischen Zielsetzung die Kampagne verbreitert werden kann, damit Aussageverweigerung als "alltägliches" und "massenhaft" praktiziertes Verhalten durchgesetzt werden kann.

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kombo(p) | kombo@riffraff.ohz.north.de | 27.6.1997