Aussageverweigerung
Wenn die Sache irre wird - werden die Irren zu Profis (Teil VI)

Infos und Texte zur Aussageverweigerung und Beugehaft

Inhaltsverzeichnis

Aufruf zur Aussageverweigerung ist eine politische Sackgasse

Leider sehen wir uns als "Gesamtorganisation" nicht in der Lage, eine schriftliche (unsere) Einschätzung der bisherigen Kampagne gegen die Beugehaft abzugeben. Wir wollen aber Euer Vorhaben, eine Dokumentation mit mehreren verschiedenen Positionen dazu zusammenzustellen, damit unterstützen, indem ich versuchen will, einige Anmerkungen über Verständnis und Motivation meinerseits dazu zu machen. Sie geben damit einen Teil der Diskussionen im Zusammenhang der Mitarbeiterlnnen der lnfostelle wieder, sind aber von der inhaltlichen Aussage her allein von mir zu verantworten.
Unsere Beteiligung an der Kampagne war sehr zögernd und individuell von einigen Mitarbeiterlnnen. Das erklärt sich einerseits aus dem Mandat der Südostasien-Informationsstelle als entwicklungspolitische Bildungsorganisation zu Ländern in der Region, zum anderen in der Art und Weise wie auf den jeweiligen Veranstaltungen und Versammlungen diskutiert wird und mit welchem politischem Verständnis. Erst nebenstehender Plakatentwurf zwang uns als Infostelle, Stellung dazu zu beziehen.(1) Wir schrieben daraufhin u. a.:
"Wir halten es für begrüßenswert, eine möglichst breite Öffentlichkeit für die Unterstützung des Kampfes gegen die Kriminalisierung der Beschäftigung mit Themen wie z. B. Gentechnologie, Flüchtlingspolitik oder Sextourismus erreichen zu wollen. Deshalb sollte unseres Erachtens auch der Schwerpunkt des Entwurfes auf den Inhalten liegen, die für ein unbedarftes Publikum näher ausgeführt werden müßten d. h. auch, daß die momentane Anwendungspraxis des §129a und die Beugehaftandrohungen stärker in den inhaltlichen Kontext eingebettet werden müssen." (...)
"Bei den Forderungen haben wir starke Bedenken und finden es auch politisch falsch, Aussageverweigerung zum alleinigen Mittel des Widerstandes zu erklären und damit zum Kriterium für solidarisches Verhalten zu machen. Wir denken, daß eine differenzierte Taktik durchaus diskussionswürdig wäre, denn Aussageverweigerung ist unseres Erachtens selbst nicht ein politisches Mittel, sondern muß von Fall zu Fall entschieden werden."
Dies war und ist sehr knapp ausgedrückt unsere grundsätzliche Haltung zu der Kampagne. Was den endgültig veröffentlichten Plakataufruftext angeht, so haben wir uns genau deshalb geweigert, ihn mit zu unterschreiben, weil er Aussageverweigerung als einziges "Kampf" -Mittel und Aussagen als "Kooperation mit dem Staatsschutz" hinstellt, was sowohl in der Endparole ("Nur gemeinsame Aussageverweigerung und ein breiter Widerstand können die Verfolgungswelle des Staates stoppen!") als auch im vorletzten Absatz ("Vor diesem Hintergrund hat sich die Mehrzahl der bislang in dem Gesamtkomplex zu Vernehmungen geladenen Zeuglnnen entschlossen, jede Kooperation mit dem Staatsschütz zu verweigern, d. h. sie machen keinerlei Aussagen, da [. . . ] ".) deutlich zum Ausdruck kommt. Wir haben Formulierungsalternativen angeboten (Streichung der Endparole und Änderung des vorletzten Absatzes in "[... ] Zeuginnen entschlossen, keinerlei Aussagen zu machen, da [... ]."), die nicht berücksichtigt wurden. Eine - für uns - erstaunlich große Anzahl von Gruppierungen hat denn den Aufruf unterschrieben.
Ich halte ihn trotzdem für eine politische Sackgasse, was meines Erachtens nach der Inhaftierung von Gabi einerseits und den Aussagen einiger andererseits mehr als deutlich wurde.
Die neue Situation nach dem 16.3. mit Gabi im Knast bedeutete für uns, unabhängig von anderen Aktivitäten im Rahmen unserer Möglichkeiten und unseres politischen Verständnisses zu handeln.
Wir haben einen eigenen Aufruf an über 300 Personen und Organisationen im In- und Ausland.verschickt, der auch in verschiedenen Zeitschriften abgedruckt wurde. Es haben daraufhin - soweit uns bekannt - 15 Organisationen aus dem Ausland (5 aus Südostasien) und 12 aus der BRD, darunter 15 MdB der Grünen, reagiert und meist an Justizminister und Ermittlungsrichter geschrieben.
Ich bin der Auffassung, daß die ganze Beuge- oder besser noch "Erzwingungshaft" immer nur eng im Zusammenhang mit dem (Gesinnungs-) Paragraphen 129a StGB gestellt werden muß. Der. §129a beschneidet eklatant die Bürgerrechte in einem demokratischen Rechtsstaat, wie im übrigen auch eine Reihe von anderen Gesetzen. Es kann uns m. E. in der heutigen politischen Situation vorerst nur darum gehen, jede Einschränkung der demokratischen-Grundrechte im Rahmen dieses Rechtsstaates abzuwehren und sich für eine extensive Auslegung dieser Grundrechte für die breite Bevölkerung einzusetzen. "Die Herrschenden" haben immer versucht, den Beherrschten einmal zugestandene Rechte rückgängig zu machen oder einzuschränken im Namen ihres Verständnisses von Staatsräson. Demokratische Grundrechte mußten und müssen immer wieder aufs Neue erkämpft oder durchgesetzt werden.
Im Zusammenhang mit dem § 129a bedeutet das, offensiv gerichtet an eine breite, demokratische Öffentlichkeit nicht nur an die alternative und pseudorevolutionäre Szene - die Konsquenzen dieses Gesinnungsparagraphen in jeder Hinsicht hervorzuheben und sich um dessen Abschaffung in einem politischen Bündnis mit möglichst vielen Kräften einzusetzen. Mit den sogenannten "anschlagsrelevanten Themen" in der Sprachterminologie der Bundesanwaltschaft wird jedem demokratisch denkenden Menschen die Gesinnungsverfolgung deutlich. Außerdem bedeutet es, tatsächlich auch eine radikale Kritik an den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen zu entwickeln und öffentlich zu führen, die ja gerade durch die Paragraphen kriminalisiert werden soll, wobei eine Übereinstimmung mit einer solchen Kritik nicht zur Voraussetzung für ein Bündnis gegen den Paragraphen 129a gemacht werden darf.
Das allgemeine Lamentieren einiger selbsternannter "Revolutionäre" im linken Spektrum darüber, daß der Staat - wer immer dabei im einzelnen gemeint sein mag - uns sowieso nur ausplündern und unterdrücken will, reicht nach meinem Verständnis nicht aus und hat mit radikaler und ernstzunehmender Gesellschaftskritik, die die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung im Auge hat, wenig zu tun, wie auch die Aktionen des sogenannten "militanten Widerstandes" von RAF, Rote Zellen u.ä. nicht. Versuche (radikale) Veränderungen unserer Gesellschaft ohne Unterstützung in großen Teilen der Bevölkerung durchzusetzen sind m. E, nicht möglich und nicht erstrebenswert. Meines Erachtens bietet unsere gesellschaftliche Wirklichkeit genügend Anhaltspunkte für den menschenverachtenden Charakter des ihr zugrundeliegenden Systems, um früher oder später eine Mehrheit für ihre Veränderung zu gewinnen.
Wenn wir schon etwas aus den erfolgreichen Befreiungskämpfen der Völker der 3. Welt lernen wollen, so doch die Tatsache, daß subjektiv oder zumindest objektiv die große Mehrheit der Bevölkerung hinter den Befreiungsbewegungen und -Organisationen gestanden hat. Daß dabei noch lange nicht immer eine sehr viel bessere Alternative herausgekommen ist, wie sich häufig gezeigt hat, heißt für uns doch, daß sich konkrete Veränderungsvorstellung zu Gunsten der Mehrheit der Bevölkerung nur auf Grundlage radikaldemokratischer Verhältnisse entwickeln können.
Mitarbeiter der Südostasien-Informationsstelle, Bochum


(1) Verhindern wir die Beugehaft!

Acht Männer und Frauen aus Duisburg, Oberhausen und Hamburg sollen zur Erzwingung von Aussagen in Beugehaft genommen werden. Dies ist ein in der Justizgeschichte der Bundesrepublik bislang beispielloses Vorgehen.
Hintergrund der Maßnahme ist die bundesweite Razzia vom 18.12.1987. Damals durchsuchten Bundeskriminalamt und Bundesanwaltschaft 33 Wohnungen und Arbeitsstätten in Köln, Hamburg und im Ruhrgebiet. Die Behörden begründeten ihre Aktion mit Ermittlungsverfahren gegen mehr als zwei Dutzend Personen. Sie alle sollen angeblich Mitglieder bzw. Unterstützerlnnen der "Revolutionären Zellen" oder "Rote Zora" sein.
Unter den Beschuldigten ist auch die Kölner Journalistin Ingrid Strobl, die zur Zeit in Düsseldorf vor Gericht steht. Und dazu zählen vier weitere Personen, nach denen seit über einem Jahr öffentlich gefahndet wird. Die Betroffene sind als radikale Gegnerlnnen der Gen- und Reproduktionstechniken, staatlicher Flüchtlingspolitik und des Sextourismus bekannt.
Diese Themen wurden von der Bundesanwaltschäft zu "anschlagsrelevanten Themen" erklärt. Damit ist die Grundlage geschaffen, jeden entschiedenen Widerstand gegen die herrschende Politik in den genannten Bereichen nach §129a zu verfolgen.
Der Gesinnungsparagraph 129a sichert dem Staatsschutz eine Art Ausnahmezustand, der jede Bespitzelung, Beschattung, Abhör- und Durchsuchungsaktion, Vorladung und Datensammlung, die Beschneidung von Rechten der Beschuldigten und der Verteidigung, verschärfte Haftbedingungen, wie Isolationshaft, ermöglicht. Seine Anwendung soll einschüchtern, spalten und unseren Diskussions- und Handlungsraum in den staatlich erlaubten Rahmen zwingen.
Vor diesem Hintergrund hat sich die Mehrzahl der bislang in dem Gesamtkomplex zu Vernehmungen geladenen Zeuglnnen entschlossen, jede Kooperation mit dem Staatsschutz zu verweigern. D. h. sie machen keinerlei Aussage, da in 129a-Verfahren selbst die kleinste, scheinbar noch so unbedeutende Information zur Konstruktion von Beschuldigungen herhalten kann.
Jetzt sollen acht dieser Zeuglnnen in Beugehaft genommen werden, um die gewünschten Aussagen mit Gewalt zu erpressen. Für die Betroffenen kann dies bis zu einem halben Jahr Knast bedeuten.

Wir fordern:
Keine Beugehaft!
Einstellung aller Fahndungen und Ermittlungen nach § 129a!
Freiheit für Ingrid Strobl!
Weg mit dem Gesinnungsparagraphen 129a!
Nur gemeinsame Aussageverweigerung und ein breiter Widerstand können die Verfolgungswelle des Staates stoppen!

zurück zur rubrik zum anfang dieser seite zur nächsten seite


kombo(p) | kombo@riffraff.ohz.north.de | 27.6.1997