Aussageverweigerung
Wenn die Sache irre wird - werden die Irren zu Profis (Teil VII)

Infos und Texte zur Aussageverweigerung und Beugehaft

Inhaltsverzeichnis

Trotz Beugehaft:
Keine Aussagen - keine Kooperation

Wenn Ermittlungs- und Justizbehörden Informationen sammeln, dann tun sie dies in einem Interesse, das unserem entgegengesetzt ist. Sie wollen diesen -Staat schützen; wir wollen ihn angreifen. Also kann es für uns grundsätzlich auch nur eine richtige Antwort auf die vielfältigen Formen ihrer Ausforschungspraxis geben: Den Widerstand dagegen organisieren. Und das heißt im Fall von ZeugInnen"vorladungen: Aufrufen zu einer kompromißlosen Aussageverweigerung.
Daß diese Position, die in der Vergangenheit von einem (relativ) breiten politischen Spektrum getragen wurde, heute zunehmend in Frage gestellt wird, ist Ausdruck einer Verunsicherung, die mit Verhängung der ersten Beugehaftbeschlüsse einsetzte. Zwar herrscht - von Ausnahmen abgesehen - noch immer die Überzeugung vor, daß konsequentes Schweigen die einzig sichere Verhaltensweise ist, sich den Aushorchungsversuchen des Staatsschutzes zu entziehen. Doch im Unterschied zu früher wird daraus nicht mehr die unbedingte politische Konsequenz gezogen, offensiv zur Aussageverweigerung aufzurufen. Der Grund hierfür ist eine Diskussion, die nach dem exemplarischen Einsatz von Beugehaft zur Disziplinierung aussageunwilliger "Zeuglnnen" ihren Anfang nahm, und die sowohl die individuellen als auch die politischen Folgen der Aussageverweigerung neu thematisiert.
Bevor die Bundesanwaltschaft zum Zwangsmittel der Beugehaft griff, waren "die Betroffenen" und damit die subjektive Problemstellung der Aussageverweigerung kein Thema. Dagegen spielte ihre politische Bedeutung eine umso größere Rolle. Anna und Arthur wurden zum Symbol des Widerstandes gegen politische Denunziation und Gesinnungsschnüffelei. Die Verweigerung, der geforderten Kooperation mit dem Staatsschutz galt als Dokumentation unseres Widerstandes gegen die Bespitzelung, Erfassung und Kontrolle von politischer Opposition. Und schließlich versprach die kollektive Aussageverweigerung, eine praktische Handlungsperspektive zur Verhinderung massenhafter "Zeuglnnen"-Vorladungen bzw. zur Blockierung laufender Ermittlungsverfahren zu eröffnen.
Seit jedoch die Beugehaft als ernstzunehmende Bedrohung im Raum steht, wird über die politische Funktion der Aussageverweigerung kaum noch geredet; im Extremfall wird sie neuerdings sogar geleugnet. Dagegen ist eine Debatte in den Vordergrund gerückt, die an unterschiedIichen Punkten ansetzt, im Kern allerdings stets um die Frage kreist, ob das Absitzen von Beugehaft nicht ein zu hoher Preis für die Aussageverweigerung ist. Wobei alle möglichen Überlegungen zur Entscheidungsfindung herangezogen werden: die eigene Angst vor dem Knast; der mögliche Verlust von Arbeitsplatz und Beziehung; die Sorge um Kinder oder anstehende Prüfungen; die Einschätzung, daß die Mehrheit "der Betroffenen" den Schritt in die Beugehaft sowieso nicht tut; die Befürchtung, "Märtyrerlnnen" oder "Heldlnnen" zu produzieren. Nur ein Gedanke fällt völlig unter den Tisch. Die Erwägung der politischen Konsequenzen nämlich, die ein Standhalten bzw. Nachgeben gegenüber dem Zwangsmittel der Beugehaft mit sich bringt.
D h. die augenblickliche Diskussion orientiert sich nicht mehr am Ziel der Aussageverweigerung und den politischen Interessen, die wir damit verbinden. Vielmehr macht sie die allgemeine Angst vor Inhaftierung, unsere politische Schwäche und natürlich vorhandene Erpressbarkeit zur Richtschnur des weiteren Handelns. Mit dem Ergebnis, daß die Entscheidung für oder gegen Aussagen zum persönlichen Problem wird, auf das es keine politische Antwort, sondern nur noch individuelle Reaktionen gibt.
Dem Entgegenzuwirken, setzt vorraus, die Diskussion um die Beugehaft vom Kopf auf die Füße zu stellen. Was zunächst einmal bedeutet, sich an die Gründe uns Zielsetzung der Aussageverweigerung zu erinnern, und diese zur erneuten Grundlage der Auseinandersetzung zu machen. Bestimmen wir sie im ursprünglichen Sinn, d.h. als Teil unseres Widerstandes gegen politische Erfassung und Kontrolle, und wollen wir uns selber ernst nehmen, kann daraus nur die offensive Aufforderung zur Aussageverweigerung und zur Inkaufnahme der Beugehaft folgen. Alles andere wäre ein Zurückweichen hinter die eigene Einsicht in die politische Notwendigkeit; eine Kapitulation vor der willkürlichen von der Gegenseite bestimmenden Schmerzgrenze "Knast"; ein Aufgeben der eigenen Interessen sobald ihre Verteidigung unsere ganze Person erfordert.
Eine derartige öffentliche Positionsbestimmung zum Thema der Aussageverweigerung erfordert allerdings eine entsprechende Bereitschaft, sich sowohl mit den eigenen als auch den Schwächen, der im Einzelfall direkt betroffenen "Zeuginnen", zu konfrontieren. D. h. wenn uns die Aussageverweigerung das Risiko einer Inhaftierung wert ist, reicht es nicht, dies politisch zu vertreten, sondern wir müssen in einem zweiten Schritt, von uns und anderen, ein demgemäßes Verhalten einklagen.
Das geht aller Erfahrung nach - insbesondere in der Auseinandersetzung mit "Zeuglnnen" - nicht ohne Heulen und Zähneklappern über die Bühne. Schließlich wollen wir alle lieber in der Sonne liegen, mit Freundlnnen in der Kneipe sitzen, mit dem oder der Liebsten ins Bett gehen, statt im Knast zu hocken. Und natürlich sind wir alle nur zu gerne bereit, unser bißchen Freiheit hier draußen mit allen Mitteln zu verteidigen. Trotzdem bzw. gerade deshalb gilt es, die politischen Interessen, den persönlichen Bedürfnissen entgegenzusetzen.
Anders als oft unterstellt wird, bedeutet ein solches Vorgehen keinesfalls, die Ängste und Schwierigkeiten, die angesichts einer drohenden Inhaftierung auftauchen, zu leugnen oder gar als "bürgerliche Kacke" einfach abzutun. Es geht vielmehr darum, sie nicht zur Grundlage der Debatte zu machen und damit den Anschein zu erwecken, als sei das jeweilige Verhalten von "Zeuginnen" Ergebnis ihrer psychologischen Disposition bzw. persönlichen Lebensumstände. Denn ob sich jemand entscheidet, in Beugehaft zu gehen oder mit sogenannten "begrenzten Aussagen" den Weg zur Kooperation zu beschreiten, ist in erster Linie eine Frage des politischen Kopfes. Und so muß das Ganze - bei allem Verständnis für die menschlichen Schwierigkeiten und ungeachtet des Wissens um die eigene Erpressbarkeit - auch diskutiert werden.
Dies ist im Ruhrgebiet bisher nicht gelungen und beweist sich im Nachhinein als entscheidender Fehler. Denn durch die mangelnde politische Auseinandersetzung und fehlende Konfrontation der "Zeuglnnen" mit kollektiven Anforderungen existierte kein Korrektiv zum Versuch, ihre Verweigerungshaltung mit Hilfe der Beugehaft zu brechen. Statt kritischer Solidarität und aktiver Unterstützung, dem Erpressungsversuch zu widerstehen, wurde den Frauen lediglich Mitgefühl und die eigene Verunsicherung entgegengebracht. Daß sich im Ergebnis die Mehrheit von ihnen aussagebereit gezeigt hat, ist also zumindest zum Teil unserer Unfähigkeit geschuldet, den "Zeuglnnen" eine Entscheidung abzuverlangen, deren politischer Charakter zutage getreten wäre und die entsprechend auch hätte diskutiert werden können.
Zum Schluß noch ein Wort zu der Behauptung, das kompromißlose Vertreten der Aussageverweigerung und die Bewertung jedes Aussageverhaltens als Kooperation mit dem Staatsschutz würde angesichts der Drohung mit Beugehaft "Märtyrerlnnen" schaffen: Damit wird unterstellt, daß "Zeuglnnen" sich zu Opfern ihnen aufoktroierter Ziele machen ließen, was nicht nur eine entsprechende Absicht behauptet und damit ein ungeheuerliches Mißtrauen gegenüber der Szene ausdrückt, sondern gleichzeitig bedeutet, daß den "Zeuglnnen" keine eigene Entscheidungsfähigkeit zugetraut wird.
Ähnliches ist zur Befürchtung zu sagen, daß die Bestimmung jedes Aussageverhaltens als politische Kooperation den Verratsvorwurf impliziere. Denn spätestens seit den Auseinandersetzungen um die massenhaften Aussagen und Belastungen haben wir gelernt, zwischen praktischem Verrat und politischen Interessensverkauf zu unterscheiden. Nicht zufällig hat daher auch die Verratsdebatte im Zusammenhang mit der Beugehaft noch keine Rolle gespielt.

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kombo(p) | kombo@riffraff.ohz.north.de | 27.6.1997