Aussageverweigerung
Aussageverweigerung (Teil I)

Teil II (Mit Vorsicht zu genießen) - Die Paragraphen 55 und 52 StPO

Nicht nur nach den bundesweiten Durchsuchungen am 13.06.95 (gegen A.I.Z.; radikal, K.O.M.I.T.E.E und R.A.F.)wollen die Staatsschutzbehörden mal wieder ein ZeugInnen-Karussel in Bewegung bringen. Auch in Frankfurt a./M. und Wiesbaden dreht es munter seine Kreise. Vielen Leuten dort ist schon ein Sitzplatz angeboten worden, andere haben schon ihre Runden gedreht.
Die Palette der Aussageerpressung reicht von polizeilicher bis staatsanwaltschaftlicher ZeugInnenvorladungen, letzteres mit Androhung von Ordnungsgeld bzw. Beugehaft, bis hin zur tatsächlichen Vollstreckung der Zwangsmaßnahme.
Die ganze ZeugInnenproblematik und Diskussion über Aussageverweigerung hat damit nicht nur wieder eine aktuelle Brisanz, sondern auch eine neue Dimension.
Wir, die Arbeitsgruppe zu ZeugInnenvorladungen und Aussageverweigerung des bundesweiten Treffens der Soligruppen zum 13.06.95, führen diese Diskussion seit über einem Jahr und wollen jetzt unsere "Ergebnisse", Einschätzungen, Entwicklungen, Widersprüche, Tips etc. einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen.
In der linken Geschichte (aber nicht nur da) hat es immer wieder Versuche der Staatsschutzbehörden über Androhung bzw. tatsächlicher Verhängung von Beugehaft (juristisch richtig : "Erzwingungshaft"),Aussagen zu erpressen und damit Einblick in die linksradikale Zusammenhänge zu bekommen, gegeben.
Neu an den jetzigen ZeugInnenvorladungen ist der exzessive Gebrauch von Beugehaft und das maßlose Ausschöpfen des juristischen Rahmens.
Verhängung und volles Absitzen von 5 Monate sind inzwischen die Regel. (Die maximale Dauer der Beugehaft kann 6 Monate betragen- z.B. in Ermittlungsverfahren wegen Mord.)
So mußten auch wir merken, daß die Parole "Anna und Arthur haltens Maul" zu kurz greift. Sie setzt dem Staaatsschutzangriff nur wieder ein Dogma entgegen, ohne einen Raum für eine wirkliche Auseinandersetzung um Aussageverweigerung und deren Konsequenzen zu eröffnen. Das werden wir jetzt versuchen.
Allerdings bezieht sich unsere derzeitige Diskussion nur um Aussageverweigerung während der Ermittlungen bei Bullen oder staatsanwaltlichen Vorladungen bzw. vor dem Ermittlungsrichter.
Viel Spaß beim Lesen und Nachdenken!

Warum Aussageverweigerung?

Es ist eigentlich nicht so einfach die Entscheidung zu einer Aussageverweigerung schnell mal mit ein paar Sätzen zu erklären. Denn viele Komponenten geben oft den Ausschlag, ganz und gar den Mund zu halten. Es ist meist die politische Haltung diesem Staat und seiner Rechtsprechung gegenüber, weshalb wir ihm nicht durch Angaben über gesuchte/verdächtigte Freunde oder Freundinnen zuarbeiten. Der Staatsapparat versucht eineN als Zeugin/Zeuge zum Handlanger von Anklagen und Konstrukten zu machen. Dem wollen sich die betroffenen ZeugInnen entziehen und kein Fitzelchen der Staatsanwaltschaft preisgeben, die Bundesanwaltschaft (BAW) spielt nicht mit offenen Karten und Mensch weiß nie welche Informationen für die BAW Indizien sind bzw. dazu gemacht werden. Jeder kleinste Hinweis, egal ob über die politischen Aktivitäten oder über Lieblingszeitungen, Musik etc., wird registriert und zu den Akten genommen und darüber wird dann ein Persönlichkeitsbild erstellt, ihr könnt euch vorstellen, wofür. Genauso werden auch Informa tionen über den Bekannten und Freundeskreis zu den Akten gegeben. Die werden dann vorgeladen und verdächtigt, mehr mit den Beschuldigten zu tun zu haben, unter dem Motto "besondere persönliche Nähe".

Die Anna-und-Arthur-Platitüde

In dem Moment, wenn die Staatsanwaltschaft anfängt uns zu "ihren" ZeugInnen zu machen, uns Bußgelder abknöpfen oder uns in Beugehaft sperren will, sieht alles plötzlich irgendwie anders aus. Auch wenn beides erstmal nur angedroht wird. Neu nachdenken ist angesagt. Bei unseren Überlegungen sind wir dabei erstmal vom schlimmsten Fall ausgegangen - Beugehaft könnte verhängt werden -, was unsere Gedanken vielleicht manchmal sehr tiefschürfend werden ließ. So schlimm muß es ja nicht kommen, hängt aber von der Willkür der BundesstaatsanwältInnen und BGH ab. Das solltet ihr beim Lesen im Kopf behalten. Aber unser Motto war: seien wir realistisch, alles ist möglich und bevor wir uns in Eventualitäten verfransen gehen wir vom härtesten Sanktionsmittel aus. Dadurch können wir uns Illusionen sparen und wenn es nicht so ganz hart kommen sollte, na dann ist das ja auch schön.
Was passiert mit uns oder FreundInnen, wenn die wirklich was wollen? Unsere eigene Erfahrung mit vielen Leuten zeigt, daß die Überlegungen, die wir euch oben aufgeschrieben haben, schön nach Anna und Arthur aussehen, daß es aber nicht immer so funktioniert. Dann kommen alle möglichen Ängste hoch, über die kaum jemand redet, weil mensch das doch "eh`klar hat", obwohl jetzt eigentlich mal `n paar Gespräche mit FreundInnen angesagt wären. Oft kommt der Gedanke hoch: " Mensch ich erzähl denen irgendeine Kleinigkeit, um da wieder rauszukommen", der geliebte Griff nach dem Strohhalm. Wir müssen auch die unterschiedlichen Situationen von Leuten, auch unter uns berücksichtigen, sei es, daß Leute weniger in Zusammenhängen drin stecken, mit Scenepolitik gerade weniger zu tun haben, oder seien es ganz praktische Sachen, wie die finanzielle Situation der/des Einzelnen (Miete,Krankenkasse etc.). oder wie sieht es mit dem Arbeitsplatz aus,...tja, und wie sieht es mit den Kindern aus, welche Sachen müssen abgeklärt werden (Sorgerechtsverfügung erstellen für eine andere Bezugsperson etc.).
Dann wird darüber erstmal hin und her debattiert und verzweifelt eine Lösung gesucht. Dabei gingen auch bei uns lange Gespräche einher, darüber ob es eventuell nicht doch möglich wäre irgendwas zu sagen, wobei ihr das dann in einem Prozeß vielleicht nochmal wiederholen müßt, oder sich auf den §55 (Aussageverweigerungsrecht, falls mensch sich durch eine Antwort selbst belasten würde) zu berufen. Jedoch je mehr wir darüber diskutiert haben desto mehr landeten wir am Ende immer wieder an diesem Punkt: Das einzig Richtige und Klare in dieser Situation ist es die Klappe zu halten! Das sollten alle probieren: Wir müssen die Offenheit haben, wieder und wieder darüber zureden, auch wenn es manchmal schon nervt und alle lernen müssen, daß sie schnell auf ihre Hoffnungen reinfallen und wir vieles wieder von vorne diskutieren müssen. Erst diese Gespräche über mögliche Aussagen, die uns die ganze Zeit begleiten, haben uns in diesem langen Prozeß sicherer werden lassen, daß wir nichts sagen werden.
Vielleicht sollten wir einfach mal die Themen darstellen, um die es immer wieder ging. Als allererstes zeigen die Erfahrungen, daß auch, wenn Anna und Arthur alles klar haben, es immer wieder zu ungewollten Aussagen kommt. Die Situation in einer Vernehmung ist für die wenigsten bekannt und überschaubar. Zum einen passiert es immer wieder, daß Leute auf Fragen, wo jedeR denkt, die Informationen haben die eh schon, Antworten geben, und damit scheinbar Bekanntes bestätigen. Das Problem ist dabei, daß überhaupt nicht klar ist, wo die Staatsanwaltschaft die Informationen her hat, ob die Informationen überhaupt offiziell verwertbar sind oder ob sich die Staatsorgane einfach was zusammengereimt haben, was sie nun bestätigt haben wollen. Aber oft genug weiß die Staatsanwaltschaft die einfachsten Sachen nicht und braucht die Bestätigung von uns. Es gibt einfach keine banalen Fragen bei denen, alle Fragen haben für die BAW einen Sinn, ansonsten würden sie diese ja auch nicht stellen. - (Wer denkt schon an eine miese Falle wenn er/sie gefragt wird ob die Verdächtigten sich öfter mal Zucker geborgt hätten?)- Nicht mal, wenn es so aussieht, als hätten die Fragen gar nichts mit dem Thema zu tun. Oder wenn Fragen gestellt werden, und mensch das Gefühl bekommt, wenn du das jetzt nicht beantwortest, bekommt jemand anderes Schwierigkeiten. Da ist dann ein Druck und eine Hoffnung, mit einer Aussage zu entlasten. Auch das macht überhaupt keinen Sinn. Entlastende Aussagen während der Ermittlungen führen nur dazu, daß die Ermittlungsbehörden sich dann bessere Konstrukte ausdenken können oder daß die Ermittlungen auf die dann weiter Verdächtigten beschränkt werden können. Lassen wir sie ruhig im Dunkeln tappen, es gibt immer noch bessere Momente für entlastende Aussagen, als während einer staatsanwaltlichen Vernehmung!
Ein ganz heißes Eisen ist es wenn Leute meinen, sie überlisten mal die Staatsanwaltschaft, in dem sie falsche bzw. fingierte Aussagen machen. Oder noch schlimmer, wenn eine ZeugIn meint sie könnte durch Gegenfragen eventuell etwas aus der vernehmenden StaatsanwältIn rauskriegen. Fatal hat sich auch die Aussage erwiesen, angeblich von nichts zu wissen. z.B. wurde einmal die Frage gestellt: "Haben X und Y öfter miteinander telefoniert?" und als die befragte Zeugin mit :" ich weiß nicht" geantwortet hatte, wurde zu den Akten folgende Bemerkung eingetragen: "Die Zeugin hat mit ihrer Antwort bestätigt, daß die Verdächtigten eine konspirative Umgehensweise miteinander hatten..." Zuguterletzt halten Leute die Situation einfach nicht aus, haben Angst und beantworten deshalb die Fragen.
Allen gemeinsam ist, daß es ihnen nachher beschissen geht. Es hat sich einfach gezeigt, daß es sehr viel weiter hilft, vorher über alles mit FreundInnen zu reden, alle Ängste zu besprechen, Hoffnungen zu diskutieren, mitzukriegen, wie es den einzelnen geht und alles anzusprechen, was Euch in den Kopf kommt, auch wenns blöd erscheint. Es sind lauter solche Dinge, die uns in Verhörsituationen auf die Füße fallen, wenn wir alleine oder nur mit einer/m Anwältin oder Anwalt vor dem Staatsanwalt oder der Staatsanwältin sitzen.
Ein anderes Ding ist natürlich die Angst vor Beugehaft. Ein halbes Jahr, das ist die Obergrenze für Aussageverweigerung, ist halt eine ziemlich lange Zeit und fast alle sind sich unsicher, wie das durchzuhalten ist. In letzter Zeit sind viele Leute in Beugehaft genommen worden, mensch kann vielleicht schon inzwischen davon ausgehen, daß Ermittlungsrichter zunehmend von diesem Mittel gegen linke Zusammenhänge gebrauch machen werden, um der entstandenen Diskussion über Aussageverweigerung und dem doch relativ weit verbreiteten Wissen über die Möglichkeit, nichts zu sagen was entgegenzusetzen. Wir sollten uns nicht vormachen, daß die es nicht ernst meinen oder hoffen, irgendwie drumrumzukommen. Es ist einfach eine Möglichkeit von der alle ausgehen müssen, die als Zeugen in politischen Ermittlungen gefragt sind, auf jeden Fall, wenn es um § 129a geht. Vielen macht das Angst und für manche ist es völlig unvorstellbar, sich darauf einzulassen.

Venceremos!

Unsere Erfahrungen in der letzten Zeit, haben auch gezeigt, daß eine Auseinandersetzung über Knast und mit Leuten die schon mal längere Zeit im Knast waren das Schreckgespenst Beugehaft etwas relativiert hat. Die Berichte haben uns gezeigt, daß es auszuhalten ist, es gibt auch ein Leben im Knast, auch wenn es der einen oder dem anderen mit der vermeintlichen Einsamkeit schwer fällt. Die Beugehaftzeit ist begrenzt und das Ende ist abseh- und einkalkulierbar und mensch kann sich darauf vorbereiten, in dem er/sie sich für diese Zeit ein Projekt vornimmt wie z.B. endlich mal Zeit zu haben eine Sprache zu lernen oder was einer/einem sonst noch so einfällt. Dadurch kann man/fau dem ganzen sogar was positives abgewinnen und es nicht als "verlorene Zeit" empfinden. Besonders dann nicht wenn im Vorfeld und auch während der Zeit FreundInnen eineN auf diesem Weg begleiten.

Anna, Arthur und noch viel mehr..

Gut, nun ist das so, daß überhaupt nicht klar ist, ob sie wen in Beugehaft stecken, wenn der oder die nichts sagt. Trotzdem sollten sich alle, die nichts sagen wollen, sich damit auseinandersetzen. Wir müssen davon ausgehen, daß Aussageverweigerung nicht für alle ein selbstverständliches Mittel ist, um ihren Widerwillen gegen politische Verfahren auszudrücken und die praktische Zusammenarbeit für Verfahren und Verurteilungen zu verweigern. Unser Ziel muß es erst einmal sein, mit möglichst vertrauten Menschen offen darüber zu reden. Um Aussagen zu verweigern und die Konfrontation mit den Repressionen aufzunehmen brauchen wir eine Diskussion über unsere Ängste, Unsicherheiten und Hoffnungen, Aussageverweigerung als bloße politische Direktive ist zuwenig. Der parolenhafte Aufruf "Anna und Arthur halten`s Maul" ist einfach nicht mehr gefüllt und leider im Laufe der Jahre zu einem hohlen Gebilde geworden. Der inhaltliche Ausdruck der Parole stimmt zwar immer noch, aber um dahin zu kommen, die Aussageverweigerung möglich zu machen und stark in die eventuelle Beugehaft reinzugehen, und vielleicht sogar stärker da wieder rauszukommen, bedarf es einer grundsätzlichen Auseinandersetzung mit FreundInnen und/oder Gruppen über sich selbst und die momentane Situation in der jedeR gerade steckt. Dazu gehören die Ängste, materielle Fragen, die eigene politische Identität und ein solidarisches Verhalten von vielen. Die solidarische Unterstützung darf aber nicht nur bei der Unterstützung einzelner betroffener ZeugInnen stehen bleiben. Wir müssen wieder einen breiteren Rahmen finden um die Beugehaft an sich, als Druckmittel zur Denunziationspflicht, gesellschaftlich ins Gerede bringen, um sie schlußendlich zu kippen.
KEINE AUSSAGEN BEI STAATSANWALTSCHAFT UND BULLEN!
NICHT NUR ANNA UND ARTHUR HALTEN`S MAUL!
FÜR EINE OFFENE UND SOLIDARISCHE AUSEINANDERSETZUNG!
AUSSAGEVERWEIGERUNGSRECHT FÜR ALLE!!

RechtsanwältInnen

Irgendwann stehen wir eventuell vor dem Staatsanwalt, oder `ner Staatsanwältin. Sinnvollerweise gehen wir da nicht alleine hin, sondern nutzen die Unterstützung von RechtsanwältInnen. Zu diesem Thema darf auch noch Einiges gesagt werden. Unser geplantes Verhalten in einer Vernehmungssituation entspricht nicht unbedingt den Vorstellungen von AnwältInnen.
Für RechtsanwältInnen widerspricht kategorische Aussageverweigerung vollständig ihrem Interesse, uns rechtlich zu unterstützen und irgendwie aus der Bedrohung als Zeugin oder Zeuge herauszubekommen. Ohne daß wir den beteiligten AnwältInnen vorher zu verstehen gegeben haben, worum es uns geht, wird es in der Vernehmungssituation zu unterschiedlichen Interessen zwischen uns und AnwältInnen kommen. Es kommt immer wieder vor, daß uns die AnwältInnen nicht so unterstützen, wie es in der Situation notwendig ist.
Unsere Position müssen wir den AnwältInnen vor der Vernehmung klar machen und es ist nicht mal sicher, daß in der Vernehmung dann ein gemeinsamsames Vorgehen funktioniert.
Der Grund ist, daß es hauptsächlich AnwältInnen gibt, die auf der juristischen Ebene jede taktische Möglichkeit nutzen, uns da herauszubekommen, ohne sich zu überlegen, was mit anderen Beteiligten in einem Verfahren passiert. Wollen wir nicht nur uns selbst schützen, sondern auch noch die Interessen von FreundInnen und GenossInnen berücksichtigen, müssen wir das vorher klarstellen. Dann sind die AnwältInnen sozusagen "Handlungsreisende".Sprechen wir vorher darüber, haben wir den Vorteil, unsere RechtsanwältInnen einschätzen zu können und zu wissen, in welchen Situationen wir uns ihrer Unterstützung sicher bzw. nicht sicher sein können. Stellt Euch darauf ein, daß ihr nicht nur Unterstützung sondern auch Diskrepanzen haben werdet, die dann schwer zu ertragen sind. Glück hätten wir auf AnwältInnen zu treffen, die die gleiche Meinung haben wie wir. Das ist aber selten!!

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kombo(p) | kombo@riffraff.ohz.north.de | 20.02.1999