abtauchen: briefe und interviews
aus kassiber 29: "Auch das Abtauchen hat 'ne Perspektive und die ist keine schlechte" Interview mit Jutta und zwei anderen Frauen zum "radikal-Verfahren Teil II Teil I kassiber: Da wollt ich gleich noch mal zu kommen, aber Soliarbeit für Leute, die auf der Flucht bzw. im Knast sind, heißt ja auch, viel Kleinkrams machen zu müssen, z.B. Mietzahlungen zu gewährleisten oder irgendwas mit Ämtern zu klären ... Clara: Das war ja nicht so viel und auch ganz gut aufgeteilt - das lief dann so nebenher: Da hat man eben die Wohnung aufgelöst, kurz die Klötten zu der Schwester gebracht und lauter solche Geschichten, aber das war irgendwie nicht so dramatisch und hat auch nicht so viel Zeit gebraucht. In so Extremsituationen ist man ja auch etwas mehr auf Zack - und so Sachen erledigen sich auch etwas schneller als normalerweise üblich ... Gleich zu Anfang haben wir natürlich schon auch geguckt, daß Deine Familie angesprochen, aufgeklärt, daß da 'nen Kontakt hergestellt wird, und dann auch zu Deinem Umfeld, zu Zusammenhängen in anderen Städten, zu Bekannten usw. usf. Das war aber eigentlich nicht nur Arbeit, das war eigentlich 'ne ganz positive Sache, so 'nen Zusammenhalt zu spüren, auch von Leuten, die du kanntest, die sich dann engagiert haben. Also das war schon okay. Und zu Anfang waren ja schon unwahrscheinlich viele Leute auf den Beinen, hamm sich damit beschäftigt, versucht, was zu machen oder viel Geld gespendet ... Xenia: Noch mal zu Deiner Frage ... Ich finde, es gibt drei Punkte in der Soliarbeit: Erstens mußt du Aktionen machen und nach außen gehen, da tauchen dann die Schwierigkeiten auf, die du als Linke oder Feministin in diesem System hast, deine Inhalte überhaupt nach außen zu bringen. Die Kontakte zur Familie, den juristischen Krams zu klären und und und - das ist der zweite Bereich, der auf die Leute zurückfällt, die halt hier sind und sich solidarisch verhalten wollen. Und der dritte Punkt ist natürlich, daß, auch wenn du nicht direkt von einem Verfahren, einem Haftbefehl oder 'ner Durchsuchung betroffen warst, du natürlich erstmal ganz schön perplex dastehst - trotz allem, was du dir vielleicht theoretisch oder politisch erarbeitest hast, und dir eigentlich klar ist, wenn es plötzlich in deine engsten Kreise einschlägt. Das ist was, womit du als Solistruktur, als Teil einer Gruppe oder als Einzelfrau erstmal auch klarkommen mußt: Du mußt es politisch einschätzen, du mußt es persönlich und emotional verarbeiten, du mußt dir klar werden: Was will ich wo, wie, wann, in welcher Art und Weise machen, zum Ausdruck bringen? Viele Gruppen hatten dann plötzlich Auseinandersetzungen darum, also über Repression überhaupt: Wie gehen wir damit um? Was heißt das für uns? Wie können wir uns dazu verhalten? Und wir waren auch immer bemüht, die Angriffe des Staates zu thematisieren, z.B. den "Großen Lauschangriff" und solche Geschichten, haben immer versucht, nicht nur so Versorgungsarbeit und Aktionen zu machen, sondern auch die Inhalte nicht zu verlieren, uns klar zu machen, was da eigentlich gerade abgeht, in welchem Zusammenhang das eigentlich steht: Was wird u.a. durch solche oder andere Verfahren oder durch das PKK-Verbot und und und hier durchgepuscht? Also was versteckt sich hinter dieser Floskel "Verschärfung der gesamt- gesellschaftlichen Situation"? kassiber: Ihr als Solistruktur ..., auch andere Zusammenhänge haben so 'n ähnliches Bedürfnis formuliert, wolltet mit den Abgetauchten in die Diskussion kommen ... Da ist aber nach meinem Eindruck auf beiden Seiten, zumindest was diese Offenen Briefe angeht, sehr, sehr wenig gelaufen. Und Euer Offener Brief, fand ich, enthielt sogar relativ unverblühmt den Appell, doch wieder aufzutauchen - nachdem es vorher, zumindest auf so 'nem Wege, gar keine andere Diskussion gegeben hat. Und dieser Appell, der kann dann ja sicherlich auch weitergedacht werden, nicht nur an Jutta, sondern auch an ... Xenia: Zugegebenermaßen kommt in so 'nem Offenen Brief, wenn frau ihn denn dann mal schreibt, natürlich die persönliche Haltung und das, was du dir wünscht und was du auch für richtig hälst durch - das war durchaus so. Aber daß "relativ unverblühmt" zum Zurückkommen aufgefordert worden sei, also ganz so würd' ich's nicht sagen. Ich denke, was vor allem zum Ausdruck kam, war, daß wir wollten, daß Jutta zurückkommen kann, das war quasi der politische Sinn dieses Offenen Briefes. Aber natürlich war der auch sehr persönlich an Jutta gerichtet, auch an die anderen, aber vor allem an sie, und natürlich wollten wir ihr damit zum Ausdruck bringen, daß wir sie vermissen, daß wir sie gerne bei uns hätten, daß wir gerne wieder mit ihr reden und arbeiten möchten ... war es keine Aufforderung: "Komm zurück!", sondern: "Wenn du kommst, stehen wir hier immer noch mit offenen Armen". Für uns war aber auch völlig klar, daß, h ätte sie sich anders entschieden, wir diese Entscheidung mitgetragen hätten - und, so gut das eben geht, hier als Teil einer Solibewegung, versucht, diese Entscheidung zu unterstützen - und trotzdem den Kontakt nicht abreißen zu lassen, da weiterhin für zu arbeiten. Es ging uns mit dem Brief auch darum, 'n politisches Zeichen zu setzen: Man/frau kann Abgetauchten schreiben. Das läuft natürlich nicht über den Postweg, sondern man muß sich eben die Mühe machen, so 'nen Brief zu formulieren und zu veröffentlichen. Jutta: Ich möchte da auch noch mal was zu sagen, weil ich mich total über diesen Brief gefreut hab'. Der war allerdings wirklich sehr, sehr spät, ich hab' ihn erst gelesen, als meine Entscheidung für's Zurückkommen schon feststand. Was ich an dem Brief schwierig fand, war, daß ich mich, wie gesagt, sehr schwer damit getan hab', diese Entscheidung zu fällen, das war schon ein sehr langwieriger, widersprüchlicher Prozeß. Und das ist, fand ich, in dem Brief überhaupt nicht aufgetaucht. Das war auch was, worauf, wenn ich weggeblieben wäre, ich dann noch mal geantwortet hätte. Aber dadurch, daß meine Entscheidung eigentlich stand und ich ihn wirklich kurz vorher erst gelesen habe, ist das dann hinten 'runtergefallen. Bei der ganzen Soliarbeit hatte ich den Eindruck, daß das im Prinzip das erste Mal war, daß direkt Bezug genommen wurde - und nicht auf einer sehr theoretischen, abstrakten Ebene, außer die der Grüße. Und das war auch was, was ich schon vermißt habe, wo ich mir vorstellen kann, daß es den anderen genauso gegangen ist. Ich hatte den Eindruck, daß wir relativ wenig Thema sind, egal wie Entscheidungen laufen, sondern daß das Weggehen auch wirklich ein bißchen bedeutet, daß du ausgelöscht bist. Also dann gibt es zwar immer mal Grüße, manchmal ist das sogar so, daß dabei noch nichtmals alle benannt werden, was ich auch sehr komisch fand - das hat mich dann seltsam berührt. Und trotzdem hab' ich mich über den Brief gefreut und gedacht: "Ja, das ist vielleicht ein Anfang, so was zu probieren", weil es natürlich auch noch andere Leute gibt, wo es wichtig wäre, mit denen vielleicht über so 'ne Art in Kontakt zu treten: Was Du schon gesagt hast, daß Matthes noch weg ist - aber es gibt auch noch die K.O.M.I.T.E.E.-Leute, die erstmal 'n wesentlich größeres Risiko hätten. Wo ich denke, für die liegt das wahrscheinlich auch gar nicht an zu überlegen, zurückzukommen, aber es läßt sich ja trotzdem vielleicht 'ne Diskussion oder 'n Kontakt zu ihnen herstellen ... Xenia: Was auf jeden Fall stimmt ist, daß der Brief sehr spät 'rauskam. Das liegt daran, daß, das muß ich auch sagen, es uns sehr spät als Möglichkeit erst eingefallen ist, daß frau so was machen kann. Das war im Endeffekt natürlich zu spät, jetzt nicht zu spät, weil Du dann eh bald darauf zurückgekommen bist, sondern politisch gesehen ... Und es war auch nur 'n Anfang, deshalb will ich den jetzt auch nicht überbewerten. Und das andere, warum er so sehr die Perspektive des Zurückkommens betont hat: Darüber sind bei uns viele Diskussionen gelaufen. Wir hatten aber keine anderen Überlegungen oder zumindest ähnliche Überlegungen wie Du, ganz woanders. Wir wußten natürlich auch: Die vier sind draußen, die Auflagen sind weg, das Verfahren ist an Koblenz abgegeben, also 'runtergehängt worden und und und. An diesem Runterstufen, diese Talfahrt, die das Verfahren genommen hat, daran haben wir diskutiert, daß die Perspektive, evtl. zurückzukommen, jetzt 'ne andere ist - oder näher liegt als noch vor einem Jahr. Clara: Das ist bestimmt auch was, was man aus der Sache lernen kann: Daß es wichtig ist, Diskussionen öffentlich zu vermitteln. Es wurde zwar in den Frauengruppen diskutiert, auf dem bundesweiten FrauenLesben- Treffen ..., es war nur nicht so, daß das großartig veröffentlicht wurde - und ich denke, das haben wir teilweise auch versäumt. Und 'n anderer Punkt, den ich daran wichtig finde ist, daß uns ziemlich schnell klar war, daß weder die 'gemischte' noch die feministische Linke es schaffen wird, so 'ne politische Stärke zu entwickeln, daß Ihr zurückkommen könnt, ohne persönliche Repression zu erfahren, ohne einzufahren, daß Eure Haftbefehle durch unsere Stärke aufgehoben werden und ... Das war für uns ziemlich schnell klar - und darüber entstand dann auch so 'ne Abwägerei: Was passiert, wenn Ihr zurückkommt? Wieviel Knast müßt Ihr erwarten? Das hat das ganze auch etwas zu einer persönlicheren oder individuelleren Diskussion gemacht, anders als wenn man jetzt Tausende von Leuten im Rücken hat - und 'ne unheimliche Kraft, um politisch was durchzusetzen. Und ich denke, der Brief war auch 'n Ausdruck dafür, daß Du hier einfach willkommen bist, daß wir wollen, daß Du zurückkommst, auch wenn die politische Situation die ist, daß Du dafür 'nen ziemlich hohen Preis bezahlen mußt. kassiber: Die Soliarbeit aus FrauenLesben-Zusammenhänge wird in bzw. von 'ner 'gemischten' Szene immer wieder gern unter 'gemischter' Soliarbeit oder autonomer Politik subsummiert. Wie ist es für Euch als Frauen/Lesben, mit 'gemischten' Zusammenhängen Soliarbeit zu machen? Xenia: Nicht ganz einfach! Das liegt einerseits daran, daß viele von uns entweder überhaupt das erste Mal oder zumindest schon seit langem nicht mehr innerhalb der 'gemischten' Linken arbeiten - und da ihre Gründe für haben - oder eben sowieso nur auf so 'ner 'Bündnispolitikebene'. Wenngleich es für uns als FrauenLesben-Zusammenhang immer so war, daß uns klar war, daß dieser Verfolgungszusammenhang 13.6. 'gemischt' ist, und wir deswegen, oder Teile von uns, 'ne bestimmte Arbeit in diesem Rahmen machen. Es war uns eben klar, daß wir Jutta als Freundin und Genossin, als Frau, Lesbe, da nicht herauslösen wollten, sondern daß sie in diesem Zusammenhang betroffen ist. Das andere sind eben die Schwierigkeiten, daß wir irgendwann das Gefühl hatten, daß wir als FrauenLesben-Zusammenhang ..., also das alte Problem, in 'ner 'gemischten' Organisierung immer Gefahr laufen, subsummiert zu werden: persönlich quasi und halt auch mit unseren Inhalten, mit unseren teilweise anderen Politikansätzen oder dem anderen -verständnis. Das ist 'ne Schwierigkeit, über die wir immer gestolpert sind - und das auch noch immer tun! Clara: Ja, wobei man schon sagen muß, daß das von Anfang an 'n ganz klar solidarisches Verhältnis nicht nur zu Jutta, sondern auch zu den anderen Betroffenen war, auch wenn das immer wieder 'n Punkt ist, der diskutiert wird, inwieweit wir uns solidarisch zu 'gemischten' Projekten verhalten. Das knüpft auch noch mal an die Diskussionen an, die wir, auch aufm FrauenLesben-Plenum, geführt haben: "Was für 'ne Position haben wir eigentlich zu dem Projekt 'radikal'?" "Was für 'ne Position haben wir zu den militanten Gruppen, wie AIZ oder K.O.M.I.T.E.E. oder auch RAF?" Dann gibt es ja lange und sehr ausführliche Diskussionen z.B. auch über den Punkt Militanz - wo ich denke, daß Feministinnen 'nen wesentlich anderen Standpunkt vertreten als den, den 'gemischte' Zusammenhänge teilweise an die Öffentlichkeit tragen. Also es berührt ganz viele Punkte, politische Punkte, die wir zu diskutieren angefangen haben , um 'nen eigenen Standpunkt darin weiterzuentwickeln oder zu festigen. Und das ist schon 'n unwahrscheinlicher Kraftaufwand, dieser Stimme, die eigentlich 'ne sehr starke Stimme ist, in so 'ner übermächtigen 'gemischten' Struktur, die richtige Position zu geben. Das kann man teilweise als subsummieren verstehen - ich versteh' das zumindest so. Aber das fällt sehr leicht unter den Tisch bzw., wenn man da nicht selber immer seine gesamte Energie hinterhersetzt, dann wird das überhaupt nicht thematisiert. Es wird aber gleichzeitig immer wieder 'ne eigentlich fast schon bedingungslose Solidarität erwartet - ich empfinde die oft als 'ne unkritische Solidarität -, und das ist 'n Widerspruch, der eben immer wieder auftaucht, nicht nur in diesem Verfahren, sondern in allen möglichen politischen Bereichen. zum anfang dieser seite Jutta: Um das noch mal klarer zu machen, wobei ich da ja noch nicht besonders lange mit konfrontiert bin: daß permanent von "wir" und "uns" geredet wird. Alles, was dann kommt, das sind "wir" und das betrifft "uns" - und es wird nicht mehr unterschieden! Und das würde dann an den FrauenLesben-Zusammenhängen liegen, diese Unterschiede immer wieder zu thematisieren, immer wieder 'reinzubringen - und das macht müde, und das macht auch ärgerlich. Das ist dann schon 'n Kraftakt, das immer wieder deutlich zu machen, immer wieder zu sagen: "Moment, stop! Das ist aber noch ein bißchen unterschiedlich für unterschiedliche Zusammenhänge", die es faktisch einfach sind. Xenia: Und ein Punkt, der da noch dazu kommt, ist, daß ich das Gefühl habe, daß die 'gemischte' Linke es auch recht schwer verkraftet, daß es autonome FrauenLesben-Zusammenhänge gibt, die sich so organisieren, so organisieren wollen und auch weiterhin so organisieren werden - und die sich ... Jutta: ... der Kontrolle entziehen! Xenia: Ja genau, die sich, ab 'nem bestimmten Punkt, auch der Kontrolle der 'gemischten' Linken entziehen. Daß das eben 'ne eigenständige Organisierung ist, eine, die sich immer wieder solidarisch verhält, das steht überhaupt nicht zur Debatte, aber eben 'ne eigenständige Organisierung - und ich glaube, da haben viele 'gemischte' Linke extreme Probleme mit, die sie vielleicht mal klären könnten ... Clara: Also ich würde das schon mal anders sehen. 'Ne autonome FrauenLesben-Organisierung ist aus dem Interesse heraus entstanden, die Politik zu vertreten, die man vertreten möchte, und mit den Frauen eben, mit denen man sie vertreten möchte - und nicht in Abgrenzung gegen linke oder 'gemischte' Inhalte. Die Inhalte sind ja auch nicht anders: Wir arbeiten ja zu allen Themen, die von der 'gemischten' Linken - unterschiedlich - auch aufgegriffen werden. Es gab ja z.B. auch 'nen Artikel zu dem Projekt "radikal", der wild diskutiert wurde und einen Teil von feministischen Positionen zu dem Projekt dargestellt hat. Ich fand, daß das eigentlich 'n ganz guter Ansatz war, in 'ne Diskussion zu kommen. Und es gab ja auch Veranstaltungen und viele andere Sachen in unserer Szene, die gelaufen sind - nicht nur diesen Brief. kassiber: Der Offene Brief an Jutta war relativ persönlich gehalten - auf 'ner bestimmten Ebene -, ich hatte aber den Eindruck, daß er als ein sehr persönlicher Brief auch austauschbar gewesen wäre - auch für andere Zusammenhänge ... Clara: Ich finde diesen Brief nicht austauschbar, weil ich mir nicht vorstellen könnte, daß so 'n Brief aus 'ner 'gemischten' Szene überhaupt geschrieben wird. Also da ist 'n ganz eigener Umgang mit Frauen aus 'nem Zusammenhang drin, den ich so von 'Gemischten' erstmal auch nicht kenne bzw. nicht erwarten würde, den ich aber eigentlich auch ganz positiv find'. kassiber: Jutta, Du hast Dich am 13.6. dieses Jahres, ein Jahr nach den Razzien, den Behörden gestellt ... Kannst Du noch mal kurz zusammenfassen, was Dich dann letztendlich dazu bewogen hat? Jutta: Dieses Verfahren ist am Anfang ja total aufgebauscht worden - und du weißt ja nie, ob 'sie' das dabei belassen, ob 'sie' dann im Prozeß irgendwelche Konstruktionen durchkriegen, durchpowern können ... Aber dann hat das diesen Umschwung genommen: Ich war sehr überrascht, als die vier aus dem Knast kamen, da hatt' ich eigentlich nicht mit gerechnet, eher damit, daß die bis zum Verfahren im Knast bleiben ... Dann wurden die Kontaktverbote aufgehoben, das war noch mal 'n Schritt in so 'ne Richtung, dann dieser Vorwurf der "Unterstützung von terroristischen Vereinigungen" fallen gelassen. Übrig geblieben ist eigentlich nur, daß wir eine "kriminelle Vereinigung" sein sollen, die zum Ziel hat, eine Zeitung herzustellen - und in dieser Zeitung wird dann halt geworben, also die "Werbung" ist bestehen geblieben. Das machte 'nen ziemlichen Unterschied, was sich jetzt im nachhinein noch mal dadurch bestätigt hat, daß bei den vieren die Haftbefehle aufgehoben wurden - relativ kurz, nachdem wir wiedergekommen sind. Damit blieb dieses für mich erstmal kalkulierbare Risiko, am Anfang bestraft zu werden, dafür, daß ich mich entzogen habe, was ich im schlechten Fall, auf 'n halbes Jahr Knast angesetzt habe, die Alternative wäre gewesen, nicht zurückzukommen, den Prozeß abzuwarten, inclusive Revisionsverfahren - das zieht sich ja immer enorm lange hin. Das hätte auch geheißen, und das ist schon 'n Kraftakt, sich da 'n Leben aufzubauen - und das stand für mich in keinem Verhältnis. Denn ich hatte den Eindruck, daß ich ja weiß, wohin ich hier zurückgehe. Mir ist ja auch signalisiert worden, daß die Zusammenhänge noch existieren - und daß ich willkommen bin. Und es ist mir schon sehr wichtig, politisch zu arbeiten und ein leichteres, das hier zu tun als da neu aufzubauen. Das ist auch nicht so schwer, glaub' ich, sich das vorzustellen. Und nach diesem Abwägen hab' ich gedacht hab': "Okay, dann geh' ich dieses Risiko ein, weil das lohnt sich auch, zurückzugehen." kassiber: Wart Ihr überrascht, von so vielen Leuten empfangen zu werden? Jutta: Wir waren alle drei total begeistert von den vielen Leuten, die, als wir aus der Pressekonferenz 'rausgekommen sind, da waren - das hat uns total gefreut. Ich hatte da das Gefühl: "Das nehm' ich mit in den Knast 'rein." Jetzt bin ich ja nicht 'reingekommen, aber ich bin mir sicher, daß Glosch das auch mit 'reingenommen hat - das war wirklich ein total tolles Gefühl. So viele Leute und die Stimmung war, so wie ich das wahrgenommen hab', ziemlich powerig, ziemlich gut. Das hat für das Zurückkommen ziemlich viel ausgemacht, so 'ne Power dann auch mit ins Gerichtsgebäude 'reinzunehmen. Was sehr bitter war, war daß sie halt Glosch eingefahren haben. kassiber: Drei von Euch sind zurückgekommen, Matthes ist abgetaucht geblieben ... War's für Euch schwierig, nur zu dritt zurückzukommen? Also gab's da, auch wenn natürlich die Entscheidung, ob Du wiederauftauchst, individuell gefällt werden muß, sozusagen moralische - oder andere - Bedenken, mit einem zu wenig wiederaufzutauchen? Jutta: Sagen wir mal so: Ich will auf jeden Fall, daß Matthes zurückkommen kann! Ob er das dann tut oder nicht, das ist wirklich seine eigene Entscheidung ... Ich kann Dir das nur indirekt beantworten, weil ich eigentlich nur von mir ausgehen kann: Natürlich find' ich das schade, wenn vier weg sind - und nicht alle vier kommen gemeinsam zurück. Meine Schwierigkeiten bei diesen Überlegungen zurückzukommen waren, daß ich den Eindruck hatte, daß ich in ein Vakuum zurückgehe. Und ich habe mich, für mich, darüber hinweggesetzt, weil ich nicht wußte, wann sich dieses Vakuum eigentlich auflöst. Es wäre einfacher gewesen, wenn es Thema gewesen wäre, du hättest das Gefühl gehabt, in 'ne Situation zurückzugehen, wo sich viele schon damit beschäftigen, sich auseinandersetzen: Ist dieses Risiko tragbar? Ist das politisch vertretbar? Wo dann vielleicht auch noch mal schneller 'ne Stärke entstehen kann. Also die muß dann nicht von ..., Null ist jetzt natürlich blöd, das stimmt nicht, aber sie muß nicht von relativ niedrig erstmal aufgebaut werden. Und meine Überlegung war dann halt, daß ich wenigstens noch die Chance haben wollte, in das Verfahren 'reinzurutschen, das wird immer schwieriger, je länger du wegbleibst. Und wenn ich weggeblieben wäre, hätte ich, nachdem meine Entscheidung eigentlich klar war, daß ich zurück und dieses Risiko eingehen will und auch die Konsequenzen verkraften werde -, nur noch gewartet: Das ist unerträglich, wenn du weg bist und eigentlich nur noch wartest, weil du dann aufhörst, da richtig zu leben. Clara: Aber hattest Du nicht auch den Eindruck, daß es schon auch noch mal 'n anderer Ausdruck von politischem Zusammenhalt und Stärke gewesen wäre, wenn Ihr zu viert gekommen wärt? Jutta: Natürlich hat mich das beeinflußt und ich hätte das auch besser gefunden: Zum einen, weil ich denke, daß das natürlich auch noch mal 'n anderer Ausdruck gewesen wäre, das zu viert zu machen. Das war auch noch mal was, was diese Widersprüchlichkeit in der Entscheidungsfindung ausgemacht hat - aber die Entscheidung ist so gefallen. Und ich finde sie trotzdem nach wie vor richtig ... Ich würde jetzt aber schon dafür powern wollen, daß zu Matthes mehr läuft als zu uns gelaufen ist. Wo ich das wichtig finde, daß so was wie Offene Briefe als Kommunikationsmöglichkeit mehr genutzt werden, oder daß, weiß ich nicht, vielleicht Bäpper gemacht werden zu ihm, die dann überall hängen, also daß er noch mal mehr präsent wird. Und daß ihm irgendwie signalisiert wird, daß es 'ne Auseinandersetzungsbereitschaft gibt - das find' ich total wichtig. Clara: Du hattest, als Du noch weg warst, nicht den Eindruck, daß das in absehbarer Zeit, noch vor dem Prozeß, passiert, daß dieses Vakuum gefüllt wird? Jutta: Das war ganz schwer einzuschätzen. Erstmal hab' ich da wenig Ansätze für gefunden, daß das passieren würde. Aber dadurch, daß ich weit weg war, wußt' ich natürlich auch nicht, was hier diskutiert wurde - intern quasi -, ob das kurz davor stand, ob das jetzt massiv Thema werden würde. Ich hatte einfach das Gefühl, daß für mich die Zeit abgelaufen ist. Das war 'ne gute Zeit - aber ich wollte die nicht künstlich verlängern, um sie zu 'ner schlechten Zeit zu machen. kassiber: Das, was Du vorher gesagt hast, impliziert ja, daß 'ne 'bessere' Soliarbeit aus 'gemischten' Zusammenhängen, aus denen Matthes ja kommt, die Möglichkeit für ihn deutlich verbessern würde, ebenfalls zurückzukommen ... Jutta: Wie ich vorhin schon gesagt hab', war das, wie ich es für mich gesehen habe. Wie das für ihn ist ..., das kann anders sein. Aber ich kann für mich einfach sagen, daß es mir leichter gewesen wäre, diese Entscheidung zu fällen, wenn ... Es ist aber auch nicht so, daß ich sagen will, daß die Soliarbeit mangelhaft gewesen ist. Was ich fand, war eben, daß zu uns relativ wenig gelaufen ist, aber mir schon klar ist, daß in der Soliarbeit schon sehr viel gelaufen ist, was sich nicht direkt auf uns bezogen hat, mehr indirekt, wenn dahin gearbeitet wurde, daß diese Haftbefehle aufgehoben werden ... Also ich möchte nicht sagen, daß die Soliarbeit schlecht war, oder daß die Leute nichts gemacht haben, sondern kann einfach nur sagen: Für mich wäre das Zurückkommen widerspruchsfreier und einfacher gewesen, wenn dieser Punkt, das Abtauchen und - möglicherweise - das Wiederkommen, mehr thematisiert, mehr diskutiert und mehr in die Öffentlichkeit getragen worden wäre. An dieser Stelle auch viele Grüße an Matthes. Viele Grüße an Glosch. Glosch muß jetzt sofort 'raus! kassiber: Dann möchte ich mich bei Euch für das Gespräch bedanken. Die Fragen stellte Willi Leow. Er - aber auch Clara und Xenia - heißen allerdings in Wirklichkeit ganz anders. (...) (Quelle: kassiber 29, September 1996) Teil I
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kombo(p) | kombo@riffraff.ohz.north.de | 20.02.1999