abtauchen: diskussion / briefe und interviews
Dokumentation aus radikal Nr.153:

Teil II eines Interviews mit zwei abgetauchten radikal-Beschuldigten

Teil I
Teil III

Ein problem wird erst dann gelöst, wenn mensch es schon lange kennt

R: Der Komplex 13.6. ist inhaltlich sehr unterschiedlich. Eben von der radi bis zu den Ansätzen vom K.O.M.I.T.E.E. und den AIZ. Das K.O.M.I.T.E.E. hat sich bisher auf aktuelle Prokjekte bezogen, wie der Angriff auf die Bundeswehrkaserne wegen Kurdistan oder den versuchten Angriff auf den Abschiebeknast in Berlin Grünau. Dahingegen setzt die AIZ in meinen Augen auf eine Strategie, zweit- oder drittreihige Ziele oder Politiker anzugreifen. Wie seht Ihr die Politik der AIZ?

M: Zuerst habe ich mich noch amüsiert über die aktionistische Art und Weise der AIZ, wie z.B. bei den Schüssen auf das Arbeitgeberbüro in Köln oder die brennende Barrikade vor dem Elternhaus eines GSG9'ler in Solingen. Aber dann folgten später die Aktionen auf die Parteibüros. Bei beiden Anschläge, in Düsseldorf auf die CDU und in Bremen auf die FDP, waren sogenannte Unbeteiligte gefährdet. In Düsseldorf sind Wohnungen über dem CDU-Büro und in Bremen ist das FDP-Büro in einer Wohngegend. Von meinem Anspruch her waren diese Aktionen kontraproduktiv, weil unbeteiligte Dritte in Gefahr gebracht wurden. Eine gewisse Ungenauigkeit in der Ausführung wurde anscheinend in Kauf genommen. Das halte ich für sehr gefährlich. Kriterien, wie die, daß Dritte nicht gefährdet werden sind ein Grundprinzip von revolutionären Aktionen. Dies kann ich bei den AIZ nicht erkennen.
B: Das halte ich auch für sehr gefährlich, wenn solche Kriterien, weiter aufgeweicht werden. Mich hat es erstaunt, daß auch Familien von Tätern bedroht werden, wie bei der Barri in Solingen, wo mal ein GSG9'ler gewohnt hat, oder in Erkrath, wo es auch die Familie hätte treffen können.

R: Aber in Erkrath ist es doch so gewesen, daß die Bombe mit einer Sirene versehen war. In meinen Augen wurde diese Sirene installiert, um eine Warnung auszusprechen. "Kommt hier nicht hin!". Das war technisch schon besser, wie bei dem Anschlag auf einen ehemaligen Bundestagsabgeordneten der CDU in Wolfsburg.

M: Das mag vielleicht so sein, aber wie reagiert mensch auf eine Sirene? lch würde erstmal gucken gehen und dann sehe ich da eine Kiste - und schon macht es Wumms!! Das Teil war ja an scheinend auch mit Nägeln gefüllt. Das empfand' ich alles nicht als eine Warnung, sondern stell' dies in den Zusammenhang, wie schon oben erwähnt, daß die AIZ Ungenauigkeiten in ihre Ak tionen mit einplant. Das gefällt mir nicht.
B: Mir kommt dis auch ein wenig so vor wie Hauptsache, es knallt, und das Schweinesystem ist ja schon böse genug. Aber Sippenhaft, wie in Solingen, ist ein grober Fehler. Da wird der eigene Wille und die eigene Subjektivität, unbedingt was machen zu müssen, in den Vordergrund gerückt. Das bezweckte Ziel, so einen Arsch von der GSG9 zu treffen, wird aus den Augen verloren. Da fehlt das Wohldurchdachte und Abwägen, um zur richtigen Zeit, das Richtige zu treffen.

R: Wie seht ihr den weiteren politischen Hintergrund der AIZ? Besonders der Bezug auf fundamentalistische Kräfte in Algerien?

M: Das hat mich schwer verwundert, wie mensch sich positiv auf den Islam beziehen kann. Das sehe ich schon eben als Counter an. Religion ist Sache der Götter und die gibt es nicht mehr und somit ist jede Religion erstmal Lüge und Unterdrückung. Das ist beim Islam genauso, wie beim Buddhismus oder Christentum. Hierauf sich zu beziehen, bedeutet nichts anderes ,als sich auf Kräfte zu beziehen, die was anderes wie eine befreite Gesellschaft wollen.
B: Es kann einen Bezug auf Religion geben, aber nicht im globalen Sinn. Es gibt in der Kirche progressive Ausnahmen, wie die Befreiungstheologie in Lateinamerika, aber deshalb wird der Bezug nicht auf die gesamte Kirche ausgedehnt und so seh' ich das auch mit dem Islam. Klar gibt es auch im Islam positive Ansätze, aber im Ganzen ist es eine Religion der Unterdrückung, wie das Christentum oder der Buddhismus.
M: Mir geht das aber nicht nur mit dem religiösen Touch so. lch hab auch Schwierigkeiten damit, wie die AIZ imperialistische Strukturen benennen. Z.B. die Ausführungen zu einzelnen Schweinereien, wie die imperialistische Rolle der BRD in Marokko ist - aus diesen Gründen wird dann der Vorsitzende der Deutsch-Marokkanischen Gesellschaft angegriffen. Oder bei dem Anschlag auf das Düsseldorfer CDU-Büro, da wird die Kurdistanpolitik der BRD dargestellt.
Bei den Erklärungen findet mensch eine bestimmte Form der Recherche. Sie listen eine Schweinerei nach der anderen auf und meinen, damit sei der Anschlag begründet. Dies geschieht in einer reduzierten und eindimensionale Form.

R: Was meinst Du mit eindimensional bzw. reduziert?

M: lch würde dies als eine Form der Aufklärung begreifen, wie Böse dieser Staat ist. Die AIZ sucht nach meinem Eindruck Entscheidungsstrukturen, um die jeweilige deutsche Politik in Marokko, Kurdistan usw. anzugreifen. Nur geht das völlig an der Realität vorbei. Es werden vermeintliche Ziele ausgegraben und gespickt mit einer Recherche über imperialistische Interessen der BRD-Eliten. Für mich gehören nur solche Leute wie in Erkrath oder Wolfsburg nicht zur imperialistischen Elite dieses Systems. Diese Fuzzys tragen eine gewisse Verantwortung, für die sie auch zur Rechenschaft gezogen werden sollten, dennoch rechtfertigt der Zweck nicht die Mittel. Die grobe Mitverantwortung ist bei, diesen Figuren nicht zu erkennen. Schon bei Braunmühl ( Im Zuge der Offensive '86 im November von der RAF liquidiert. d.S.) stellte sich die Frage, ob es richtig ist, Leute zu liquidieren oder anzugreifen, die in der zweiten Reihe sitzen. Die dort begonnene Diskussion fällt durch diese Aktionen dahinter zurück. Es sieht immer so aus, als wenn man an die Anderen nicht mehr rankommt und sich deshalb an die zweite oder dritte Reihe hält.
B: Klar kann man solche Figuren angreifen und aus dem Schatten ziehen, aber was passiert dann mit Leuten wie Schäuble oder sonstigen Scharfmachern. Die kann man dann alle ja nur noch killen - so eine Konfrontation führt zu nichts! Da werden keine politischen Ziele mehr deutlich. Nicht jeder Machtmißbrauch führt automatisch dazu, die Leute auch "potentiell zu töten". Die AIZ legt einen sehr niedrigen Maßstab für das Einsetzen von militanten Aktionen fest. lhr Niveau pagt auf'zu viele Leute in diesem Land - und den Feind genau zu treffen, muß weiterhin Für die Linke Priorität haben. Aber eben unter der Berücksichtigung, was mensch sich zu traut, ob schon alle anderen Mittel ausgeschöpft sind, was mit der Aktion vermittelt werden soll und auch abgewogen ob es nicht bessere Ziele gibt, z. B. für die Beziehungen EG-Marokko, BRD-Türkei, Flüchtlingspolitik oder Strukturen von Faschisten, wo auch wirklich was hinter ist...
M: ... aber bei Bundestagsabgeordneten, ehemaligen Bundestagsabgeordneten, Partei-Büros oder auf Arbeitgeber-Büros wirken die Aktionen willkürlich. Das wird auch dann nicht besser, wenn ich die gesamte Marrokko-Politik an einer Persen festmache oder die Rolle einer FDP analysiere und dann deren Büro in Bremen angreife. Die Vermittelbarkeit fehlt und auch der praktische Nutzen ist für mich unklar. Das wird in den Erklärungen auch nicht weiter ausgeführt.

R: In unseren Vorgesprächen haben wir über die Imperialismusanalyse der AIZ geredet, könnt ihr dazu nochmal was sagen?.

M: Mir ist die Imperialismus-Analyse von den AIZ zu dünn. Bei der AIZ beschränkt sich Imperialismus auf' eine parlamentarische, parteiliche Ebene als die vermeintlichen Hauptvertreter deutscher Großmachtpläne. Diese Form von Aufklärung würde ich als zu platt bezeichnen. Es sind keine neuen Impulse zu erkennen. Die Aktionen sind inhaltlich und aktionsmäßig ein Auf- der-Stelle treten. Da war Lenin und Rosa Luxemburg schon weiter, wenn sie sich darüber ausließen, welche Formen von Imperialismus existierten. Wie z.B. der ökonomische Imperialis mus oder der territoriale Imperialismus, der heute eher als Kolo nialismus oder Neokolonialismus umschrieben worden kann, oder den kriegerischen Imperialismus, wie z.B. beim 1. und 2. Weltkrieg sichtbar.
B: Auch die Diskussion, wie Imperialismus funktioniert, ist mittlerweile schon weiter. Da braucht nicht Lenin oder Rosa herangezogen werden. Die Diskussion über imperialistische Flüchtlingspolitik hat neue antiimperialistische Ansätze vermit telt, die sich dann weiterentwickelten zu der Auseinandersetzung über Triple Oppression. Dieser Denk- und Diskussionsansatz, die Vernetzung mit anderen Unterdrückungsdynamiken, wie Rassismus und Patriarchat, werden in der Analyse der AIZ nicht genügend berücksichtigt.
M: Das fehlt mir auch! Dieser große Anspruch, gegen den lmpe rialismus zu sein, und bestimmte Strukturen, warum dieser in der Form existiert, einfach zu verschweigen, verwundert mich. Die Teilhabe an bestimmten Privilegien, vor allem hier in der BRD, kommt nicht zu Wort. Theoretisch richten sich die Schrei ben an eine Szene, die eigentlich schon weiß, welche Schwei nerein die BRD ausübt.

R: Aber diese Vernachlässigung von Analyse und Vermittlung von Zusammenhängen kann man den AIZ nicht alleine vorwer fen. In der radikalen Linken findet ja kaum eine Diskussion darüber statt, wie die Unterdrückungsmechanismen zusammenhän gen. Die netzförmige Analyse fällt ja offensichtlich allen recht schwer.

B: Dir auch?
R: Mir auch!!

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kombo(p) | kombo@riffraff.ohz.north.de | 20.02.1999