abtauchen: diskussion
aus radikale Zeiten Nr.3: Zum Begriff und Mythos Exil Seit einiger Zeit wird das Thema "Exil" in linken aber auch in anderen Kreisen vermehrt diskutiert. Spätestens nach dem Untertauchen von vielen Menschen innerhalb des Verfahrens zum 13.6. und dem Kaindl- Verfahren. Der Begriff "Exil" wird in der linken Szene erst seit kurzem wieder benutzt und ist nicht unumstritten. Dieser Artikel soll als Anregung zur Diskussion dienen. Vorweg muß gesagt werden, daß er sich nur mit der Situation von linken EuropäerInnen Befaßt, da die Ausgangslage für Flüchtlinge eine ganz andere ist. Der Begriff "Exil" oder besser "epolitisches Exil" ist historisch stark besetzt und wird von vielen mit verschieden Bildern assoziiert. Einige denken sofort an die Situation im 3. Reich, als viele Menschen aufgrund von Verfolgung aus Deutschland bzw. aus den von den Deutschen besetzten Ländern ins Ausland flüchten mußten. Andere wiederum denken an Staatschefs, die ihre Haut in befreundeten Ländern in Sicherheit gebracht haben. In beiden Bildern ist das Exil ein Ort, in dem der/die ExilantIn in "Sicherheit" lebt und dies womöglich über einen längeren Zeitraum. Die ExilantIn lebte danach meistens offen mit ihrer/seine Biographie, d.h. sie/er konnte die "Arme ausbreiten" und sagen: "So heiße ich, deswegen bin ich geflohen und das ist meine politische Meinung." Doch dies war nicht immer so. Ins Exil gehen heißt nicht immer Exil bekommen. Oft waren die Menschen im Exil gezwungen, sich versteckt zu halten. Ein Beispiel dafür sind die Niederlande vor der deutschen Besatzung. KommunistInnen, die aus Deutschland flüchteten, mußten damit rechnen, daß sie, wenn sie aufgegriffen wurden, nach Deutschland ausgeliefert werden. Das bedeutet, daß es damals immer auch ein illegales Exil gab. Die Sicherheit in einem solchen illegalen Exil entstand durch Strukturen, die der/dem Flüchtenden halfen, eine neue Identität und Existenz aufzubauen. Mythos "Exil" Nach 1945 kamen viele KommunistInnen aus ihrem Exil wieder nach Deutschland zurück. Wie konnten Sie auch ahnen, daß nur ein Jahrzehnt vergehen würde, bis sie sich wieder mit der Fragestellung Exil beschäftigen würden müssen. Im Rahmen des kalten Krieges wurden tausende KommunistInnen wieder mit Zuchthaus und Gefängnis bestraft, weil sie sich gegen die Remilitarisierung der BRD aussprachen, weil sie Befür- worter einer friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands waren, weil sie für die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze als Westgrenze Polens eintraten, weil sie sich für ein Verbot der Atomwaffen stark machten oder weil sie in die DDR reisten. Insgesamt wurden sowohl vor und nach dem - 1956 ausgesprochenen - KPD-Verbot 6679 KommunistInnen in Gefängnisse und Zuchthäuser eingeknastet. Die Zahl der Straf- und Ermittlungsverfahren ging in die "Hunderttausende". Zusammen mit den entsprechenden Recherchen etwa in Betrieben und Verwaltungen hatte dies eine große Zahl von beruflichen und arbeits- platzbetreffenden Auswirkungen. Gegen die Auswirkungen auf Renten (bei Inhaftierten), nach Verurteilung erfolgter Verweigerung von Wiedergutmachung für Nazi-Unrecht (weil, wer unter der freiheitlich demokratischen Grundordnung verurteilt wurde mußte wohl auch zu Recht unter der faschistischen Herrschaft verurteilt worden sein. Somit gab es kein Nazi-Unrecht mehr), finanzielle Belastungen etwa aus Prozessen, usw. kämpfen sie noch heute. Daß viele in dieser Zeit Deutschland wieder verließen und Exil in den realexistierenden sozialistischen Staaten suchten, ist verständlich. Ein zeitlicher Sprung. In den 7Oiger und 8Oiger Jahren war Exil in der westdeutschen Linken kein Thema, obwohl viele Menschen in die Illegalität gingen. In vielen Fällen war dieser Schritt Voraussetzung, um weiter kämpfen zu können und somit eine bewußte Entscheidung. Diejenigen, die durch staatliche Repression gezwungen waren zu verschwinden, wurden als ab- oder untergetaucht bezeichnet. Dieses geschah ohne öffentliche Diskussion über die Grundlagen, Chancen und Schwierigkeiten eines solchen Schrittes. Vielleicht ist das einer der Gründe, daß es bis heute eine Art "Mythos" um das Thema gibt, das besagt, "verschwinden kann nur WelcheR auch kämpfen will, du muß t stark sein und verwegen, sonst geht es nicht!" So ein Quatsch, aber dazu später. Von den Untergetauchten von damals wissen wir heute, daß einige in den realsozialistischen Ländern (z.B. DDR) ein Exil gefunden hatten. Gerade aber die DDR ist ein gutes Beispiel dafür, wie schnell sich die Lage für ExilantInnen in den letzten Jahren verändert hat. Durch das Wegbrechen vieler realsozialistischer Länder und die Entwicklung in der EU ist es fast unmöglich geworden, ein legales Exil zu finden. Gerade das Schengener Abkommen macht es nötig, den Begriff "Exil" heute neu zu diskutieren und zu definieren. Am Ende der Entwicklung soll es in der EU so ausaussehen, daß der Verfolgungsdruck in jedem Land derselbe ist. Jedes Land liefert aus! Auch bei Delikten, die in einigen Ländern nicht strafbar sind, gibt es keinerlei Garantie, nicht ausgeliefert zu werden (Stichwort: internationaler Haftbefehl, Interpol, Europol). Doch nicht nur in Europa ist dies so. Die BRD hat inzwischen mit über 150 Staaten Auslieferungsabkommen unterzeichnet. Wenn der Verfolgungsdruck also in fast jedem anderen Land quasi dem der BRD gleicht, so heißt das, daß es egal ist, wo mensch sich im Exil aufh\e4lt. zum anfang dieser seite Exil beginnt, wo Verfolgung aufhört. Also dort, wo mensch sich "sicher" fühlt. Allerdings ist "Sicherheit" ein Gefühl und wird von jedem/jeder anders wahrgenommen. Die einen fühlen sich erst sicher im Ausland, "ohne deutsche Polizei", den anderen reicht es vielleicht schon, in eine andere Stadt zu gehen. Voraussetzung für alle dafür ist aber, daß es Strukturen geben muß, die ihm/ihr helfen, den Alltag zu organisieren. Exil als Chance? In der "radikal" Nr.153 erschien vor kurzem ein Artikel zu "Exil" in dem u.a. stand: "...wer im Exil Probleme hat und es nicht aushalten zu können glaubt, der/die wird im Knast oder bei den Bullen erst recht Probleme bekommen." Diese Aussage legt den Rückschluß nahe, daß wenn Mensch die Wahl hat, es immer besser ist sich für Exil zu entscheiden. Diese Schlußfolgerung ist falsch! Die Probleme die mensch hat wenn er/sie sich fü r Exil entscheidet sind anders gelagert. Ins Exil gehen ist bei einer drohenden Verhaftung ein Weg, eine Chance, sich dem Knastapparat zu entziehen. Doch kann die Ausgangssituation, mit der sich mensch auseindandersetzten muß sehr unterschiedlich sein. So haben z.B. Lesben, Leute mit Kindern, oder Menschen mit Krankheiten oder Behinderungen andere Dinge zu bedenken, zusätzliche Schwierigkeiten zu lösen. Grundsätzlich gilt aber für alle: das Exil ist eine Chance, Zeit zu gewinnen, mensch kann erst mal einen klaren Kopf bekommen und sich so in "Ruhe" überlegen, wie es weitergehen soll. Vor allem muß sich erst einmal angeschaut werden, worum es geht und da sind die Unterschiede wieder sehr groß. Zwei Beispiele: Bei dem Vorwurf des schweren Landfriedenbruchs besteht die Möglichkeit, daß der Verurteilungswille der Justiz mit der Zeit nachgelassen hat; bei der Verweigerung von ZeugInnenaussagen in einem Verfahren und der darauf folgenden Androhung von Beugehaft, ist es möglich, daß nach einigen Monaten der Grund für die Aussage entfällt und somit die Staatsanwaltschaft nicht mehr auf die Zeugenaussage besteht. Bei allen Verfahren, mit einem mittelschweren Vorwurf (bis 5 Jahre Knast Höchststrafe) läßt sich die maximale Dauer des Exils vorplanen, längstens bis zur Verjährung (wobei mensch vor dem Auftauchen auf jeden Fall mit einem Anwalt Rücksprache halten muß). Die Ausnahme von der Regel sind Verfahren nach &167; 129/129a, hier ist es nie klar, wann und ob Mann/Frau wieder zurück kommen kann. Ein Grund hierfür ist, daß der/die Untergetauchte beweisen muß, das er/sie im Exil nicht mehr in der kriminalisierten Gruppe mitgearbeitet hat. Wie schwer das sein kann, weiß jedeR der sich die abenteuerlichen Konstrukte der Bundes- anwaltschaft der letzten Jahre vor Augen hält. Exil - ein politischer Begriff Daß der Begriff für Abgetauchte verwendet wird, ist neu und teilweise umstritten. Für den Begriff Exil spricht, daß er ein politisch besetzter Begriff ist. Menschen die ins Exil gingen und gehen, entzogen sich immer staatlicher Verfolgung und so wird er auch in der Öffentlichkeit" verstanden. Unserer Ansicht nach ist eine Diskussion über Exil als Alternative zum Knast notwendig, um auch in unseren Köpfen einen solchen Schritt als gangbar zu realisieren. Wichtig ist dabei der Austausch ü ber gemachte Erfahrung mit Exil, das Einbeziehen in die praktische Solidaritätsarbeit zu einem Verfahren und die Möglichkeiten der Kommunikation mit Untergetauchten. Eine öffentliche Diskussion kann selbstverständlich nicht die konkrete technische Umsetzung zum Inhalt haben. Solche Diskussionen können nur in den einzelnen Gruppen und Zusammenhängen geführt werden. Dort muß neben der politischen Diskussion ein Umgang mit Ängsten und der persönlichen Ausgangslage, die immer eine andere ist, gefunden werden. Fangt lieber heute als morgen mit der Auseinandersetzung über Exil an, denn wenn die Staatsmacht erst vor der Tür steht, ist es viel schwieriger Strukturen zu schaffen. Es muß Raum geben, um in Ruhe eine Entscheidung fü r oder gegen Exil (ein Schritt, der sich im übrigen nicht strafverschärfend auswirkt) treffen zu können: Der Schritt vom Exil in den Knast ist jederzeit möglich - andersrum nicht! (Quelle: radikale Zeiten Nr. 3, Februar 1996)
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kombo(p) | kombo@riffraff.ohz.north.de | 20.02.1999