Seeblättle <<  >>  Quelle:  Seeblättle  Jg. 2001  Nr.2


Im übrigen meine ich...

...dass es geboten ist, sich zu der Charakterisierung des CDU-Generalsekretärs Meyer durch Trittin zu äussern. Dazu eine sehr persönliche Vorbemerkung: anlässlich des Eintrags in das "goldene Buch" der Stadt Konstanz durch Trittin hatte ich zur Teilnahme an diesem "feierlichen Akt" eine Einladung bekommen. Ich machte mich also mit dem Vorsatz auf den Weg, dem Umweltminister zumindest die Frage zu stellen, ob er seine Kritik an dem schändlichen Auftritt seines grünen Kollegen Joschka Fischer in Washington aufrecht erhält. Zur Erinnerung: Fischer hatte seine Zustimmung zu dem us-amerikanischen Luftangriff auf Bagdad (dass wieder Völkerrecht gebrochen wurde, ist schon so selbstverständlich, dass es eigentlich gar keines Hinweises bedarf) uneingeschränkt abgenickt. Wie bekannt, hatte Trittin dann seine erste Aussage zurückgenommen und sich damit wieder auf die Joschka-Ebene gestellt.

Wie ich also in diesem schönen, kleinen Empfangssaal sass, rauschte im Sturmschritt der Herr Minister herein, beantwortete zwei Fragen seiner Parteifreunde, vollzog diesen eher unfeierlich-schnellen Akt und rauschte davon. Ich war wütend über meine Untätigkeit. Im inneren Monolog versuchte ich zwar eine Erklärung darin zu finden, dass ich mich überrumpelt fand, oder auch Angst hatte, den Eindruck eines Wichtigtuers zu erwecken - aber es blieb ein elendes Gefühl eines feigen Versagens. Eine anhaltende Frustration war die Folge.

Die "Erlösung" (natürlich wird dadurch die erwähnte, leidige Geschichte nicht aus der Welt geschafft) kam, als ich kurz danach von dem Bekenntnis Trittins bezüglich des Spruches: "ich bin stolz, ein Deutscher zu sein" erfuhr.

Natürlich will ich Trittin im Folgenden nicht zu einem lupenreinen Linken hochstilisieren oder gar vergessen machen, welche Rolle er im Verbund mit diesem Joschka Fischer und den Seinen anlässlich des NATO-Krieges gegen Jugoslawien gespielt hat. Aber angesichts der Folge nicht abreissender, deprimierender Niederlagen (allerdings: wann hat es in der BRD-Geschichte für einen Linken einmal eine längere, nachwirkende Phase der Ermutigung, der hoffnungsvollen Bestätigung gegeben?) wie der Wahlerfolge der CDU, der einäugigen Justiz, die zwar den strafwürdigen H. Kohl freispricht und zugleich in Strasbourg das Recht zu Gunsten bundesdeutscher Interessen und ökonomischer Gewichtigkeit etc., etc. bricht, war es doch ein kleiner Lichtblick, dass ein deutscher Minister sich zu einer solchen Klarheit in seiner Analyse verstieg.

Nach allen Umfragen schrie der grössere Teil der Deutschen (vorneweg natürlich die "freie" Presse) auf, wie es schlimmer und entrüsteter nur sein könnte, wenn die deutsche Fussball-Elf die Qualifikation für die Weltmeisterschaft verpassen würde.

Ich meine, dass ich für die Handvoll Leser diese kleine Philippika gegen den deutschen Nationalismus reiten muss. Wer von uns fühlt sich bei dem Appell zu internationaler Solidarität nicht aufgerufen, Hilfe zu leisten? Unsere, jeden verpflichtende Grundhaltung zum Antifaschismus muss jegliche Bejahung unserer schmachvollen deutschen Geschichte ausschliessen.

Trotzdem: der herrschende, rücksichtslose, hedonistische Individualismus müsste eigentlich eine Voraussetzung für eine antinationale Globalisierungshaltung sein. Dieser totale Rückzug ins Private müsste ja verbunden sein mit dem "Ende der Geschichte". Diese Feststellung war ja unter dem Eindruck entstanden, der Untergang des Sozialismus 1989 eröffne ein politisches Nirwana, in dem politische Bewegungen keinen Raum, keine Lebensberechtigung mehr hätten. Also folgender Schluss: die Neue Ordnung des Kapitalismus hat die Schleusen geöffnet, um allen "Unrat" der Geschichte wie fortschrittliche Ideen, insbesondere den Sozialismus fortzuspülen, um Platz zu machen für das tobende, ellbogengestützte Individuum. Und so ist es ja auch. Aber können diese, aus jeglicher Verantwortung für eine Gemeinschaft entlassenen Menschen diesen Zustand auf Dauer ertragen? Müssen sie nicht eines Tages - in dieser oder jener Form - kollektiven Selbstmord begehen? Wenn niemand mehr da ist, den sie anrufen können?

Ich denke, wir Linken sind - so paradox das zunächst erscheinen mag - die Glücklicheren. Weil wir zumindest die Möglichkeit (ob sehr viele davon Gebrauch machen, ist eine andere Frage) haben, uns eingebettet zu fühlen in der Kontinuität von geschichtlichen Vorgängen, die Hoffnung machen - "trotz alledem" - auf eine bessere Zukunft. Man muss ja nicht unbedingt bei Spartacus anfangen - obwohl er schon zu unseren Ahnen gehört. Wenn ich die streitbaren, durch die Kirche grausam unterdrückten Reformer des Mittelalters nicht besonders hervorheben will (weil es ein wenig weit hergeholt erscheinen mag), ist es aber dann der Bauernkrieg mit dem grossen Thomas Müntzer, der recht eigentlich am Beginn unserer Geschichte steht. Und dann die Grosse Französische Revolution von 1789 mit dem wahrhaft unvergleichlichen Robespierre. Der Aufstand der Deutschen Jakobiner, im Gefolge der Französischen Revolution; die Revolutionen 1830 und 1848 in Frankreich, die Badische Revolution, der Aufstand der Commune in Paris, der Oktober 1917 in Russland und der Kampf der Berliner Proletarier 1917/18. Diese unvollständige Aufzählung ist verbunden mit Namen, die uns verpflichtendes Vorbild sind. Nur zwei Namen, die uns ganz besonders das Gefühl geben, nicht allein zu sein und umsonst gelebt zu haben: Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Wenn ich versuche, in ihrem Geist zu leben und ihren Auftrag zu erfüllen, wage ich es, zu schreiben: ich bin stolz auf sie. Nein, ich war zu vorschnell: eine Annäherung an den Begriff "stolz" könnte ich mir nur erlauben, wenn ich mich mit meinem Leben für ihre Idee eingesetzt hätte. Aber ich kann mit diesem Begriff ohnehin nicht viel anfangen. Eine Versuchung könnte sein: stolz auf Beethoven? Nein; da gibt es höchstens so ein Gefühl der beglückenden Erkenntnis, dass ein Mensch (und das Menschsein habe ich mit ihm gemein) so Wunderbares geleistet hat.

Überlassen wir doch diesen kompromittierten Begriff jenen, die in ihrem dumpfen Herdentrieb (damit meine ich die Mehrzahl der Deutschen - wohl wissend, dass damit das Verdikt des elitären Dünkels über mich verhängt wird -)selbst ohnmächtig ein Idol der Macht anbeten. Aber nicht demütig, sondern aggressiv - "stolz" in der Übertragung ihres Nichts auf einen "Herrenmenschen", dessen (deutsche) Befehle einmal die halbe Welt erzittern liessen. Welche Versuchung, seine Allmachtsphantasien in der Uniform der SS-Henker von Auschwitz nachleben zu können.

Es ist immer wieder zu hören oder zu lesen: "aber jeder Engländer oder Franzose ist doch auch stolz auf sein Land". Abgesehen davon, dass auch diese Form des Stolzes mit Argwohn (man denke an Algerien oder an den Burenkrieg usw.) betrachtet werden muss, gibt es den entscheidenden Hinweis auf die Unterschiedlichkeit dieser verschiedenen Nationalismen. Die deutsche Geschichte ist gepflastert mit Schändlichem. Das fängt (spätestens) mit dem Genozid an den Hereros an und endet (?) mit der Schändlichkeit, zum dritten Mal gegen Jugoslawien ins Feld zu ziehen. Und dazwischen liegt Auschwitz.

Das ist alles schlimm genug. Aber eben im Gegensatz zu England oder Frankreich gibt es in Deutschland die schwärende Wunde des "Verlustes der deutschen Ostgebiete". Wir erleben seit zehn Jahren die "Rückkehr zur Normalität". In diesem Sinne sind ja schon fast alle Verluste des verlorenen letzten Krieges revidiert worden. Deutschland ist europäische Hegemonialmacht und demnächst wohl die zweitstärkste Weltwirtschaftsmacht. Wer weiss, welche, bis dahin unvorstellbare Verschiebung die Weltpolitik 1989/90 mit sich gebracht hat, kann doch nicht die Augen vor der Wahrscheinlichkeit verschliessen, dass wir in zehn Jahren politische Bedingungen erleben werden, die auf dem Boden des "ich-bin-stolz-auf-Deutschland" eine neue Katastrophe heraufbeschwören können.

In diesem Sinne erscheint es mir so gefährlich (und entlarvend), dass dieser Spruch schon den Sprung von den Skinheads in die öffentliche Meinung des CDU-Generalsekretärs u. Co. gefunden hat.

Michael Venedey


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linksrheincm17.04.2001