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Zum Leserbrief von Ronald Stöhr, 29.02.00

Herr Stöhr kritiserte Herrn Engelsings Beitrag vom 26.2. Er hält es für "unangebracht", dass Herr Engelsing die rassistische Kontrolle (T.E.: "Unschöner Empfang") des Infokneipen-Referenten Herrn Muda Ajong letzten Donnerstag sehr vorsichtig dadurch in Zusammenhang mit seinem Status als nichtdeutschen Schwarzen bringt, dass er vermutet, dass ein Referent der Jungen Union "gewiss nicht so auseinander genommen" worden wäre.

Es stimmt, dass, wie Herr Stöhr vermutet, Herr Engelsing nicht anwesend war, weder unmittelbar bei der Verhaftung, noch als Herr Muda Ajong sich beim BGS nackt ausziehen musste und seine Unterlagen durchwühlt wurden und auch nicht später bei der Veranstaltung im Kulturladen, in der Herr Muda Ajong von dem Vorfall berichtete. Und trotzdem hat Herr Engelsing aufgrund einer Presseerklärung seitens der Veranstalter von dem Vorfall Kenntnis erhalten und davon berichtet.

In der Regel steht den von solchen Kontrollen Betroffenen die Möglichkeit einer kritischen Presseerklärung nicht zur Verfügung. Auch wenn ich - anders als Herr Engelsing - den Begriff "Rassismus", der m.E. hier durchaus angemessen ist, nicht vermieden hätte, finde ich es gut, dass der SÜDKURIER überhaupt berichtet hat. Ansonsten waere dieser Vorfall nur einer verschwindend kleinen Minderheit (den Organisatorinnen und Organisatoren der Veranstaltung sowie dem an dem Abend anwesenden Publikum) bekannt geworden.

Eine mögliche Reaktion des Herrn Stöhr hätte sein können: Wenn es so war, war es eine schlimme Sache und so was darf es nicht geben. Er hätte fordern können, dass den Dingen auf den Grund gegangen wird, dass die Namen der beteiligten Polizisten festgestellt werden und dass unabhängige Zeugen befragt werden, nicht die Kollegen aus dem Polizeiapparat, die sich gegenseitig decken. Aber die Motivation von Herrn Stöhr und sein Credo "Lassen wir beiseite, wie die Dinge wirklich waren" scheint sich doch deutlich von der eines investigativen Journalismus, der auch und gerade Menschenrechtsverletzungen seitens staatlicher Strafverfolgungsbehörden aufdeckt, zu unterscheiden. Stattdessen suggeriert Herr Stöhr mit dem Wörtchen "möglicherweise", und dem Konditional "Wenn die Kontrolle unangebracht gewesen sein sollte", dass vielleicht doch ein "guter" Grund für das Vorgehen der Polizei bestanden haben könnte. Herr Stöhr teilt uns diesen leider nicht mit - warum sollte er sich auch ein Blöße geben?

Mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde, wie sie Herr Stöhr im folgenden nahelegt, oder auch einer Anzeige laesst sich das, was passiert ist, weder klären noch zukünftig verhindern. Herr Muda Ajong müsste vielmehr seinerseits postwendend mit einer Anzeige wegen "Widerstands gegen die Staatsgewalt" rechnen. Laut amnesty international gehört dies zum regelmäßigen Muster gerade auch von rassistisch motivierten Polizeiübergriffen in Deutschland.

Das Problem besteht m. E. aber nicht nur in der Rechtswidrigkeit sondern vor allem in der alarmierenden, weil durchaus rechtsstaatlichen Alltäglichkeit des Vorfalls. Es besteht darin, dass bestimmte "Bewegungsformen" (Umsteigen auf bestimmten Bahnhöfen, Zugreisen im grenznahen Gebiet) bei Menschen mit schwarzer Hautfarbe in Deutschland eine nahezu 100% ige Kontrollwahrscheinlichkeit nach sich ziehen. "Verdachtsunabhängige Kontrolle" oder "Schleierfahndung" wird das beschönigend genannt und manchmal können die Betroffenen am nächsten Morgen von der mehr oder weniger erfolgreichen Bekämpfung der "Organisierten Kriminalität" im SÜDKURIER lesen.

Pikanterie am Rande: der Referent war nach Konstanz gekommen um zu einem Flüchtlingskongress Ende April in Jena einzuladen, auf dem sich 10 Tage lang Flüchtlinge aus ganz Europa zu Themen wie Rassismus, Abschiebungen und eben auch einen Tag lang zu einem Workshop "Kontroll- und Kriminalisierungspolitik" zusammensetzen werden. Ziel dieser Arbeitsgruppe wird u.a. die Einrichtung eines Dokumentationszentrums sein, das genau solche Vorfälle wie in Konstanz unter die Lupe nimmt.

Stefan Winkler


18.3.00, cm, linksrhein auf nadir, Quelle: Leserbrief von Stefan Winkler am 1.3.2000, wurde im Südkurier teilweise veröffentlicht.