linksrhein Quelle: AZW Nummer 12, erschienen am 26.10.1995
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Veranstaltung ohne Eigenschaften

Die besondere Situation von AusländerInnen zu thematisieren ist zweifellos wichtig. Dieses Jahr stand die Ausländerwoche unter dem Motto "Miteinander für Gerechtigkeit". Gerechtigkeit für Ausländerinnen und Ausländer - was der OB damit meint, ob er überhaupt etwas damit meint, bleibt ungewiß.

"... sie wollen ernstgenommen und wahrgenommen werden" schreibt er im Vorwort zum Veranstaltungsprogramm. Ziel dieser Woche, so ist dem Text weiter zu entnehmen, ist es, die BürgerInnen Konstanz, dazu zu bewegen, gemeinsam mit den ausländischen MitbürgerInnen gegen Ungerechtigkeit im Alltag anzugehen. Mit keinem Satz wird deutlich, um was für Ungerechtigkeiten es geht. Geht es um Rassismus, um Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung? Auch das Veranstaltungsprogramm läßt auf nichts schließen. Es erscheint willkürlich zusammengewürfelt, wie ein Cocktail aus viel Folklore, Exotik und ein bißchen Politik.

Eine Veranstaltung widmete sich dem vielversprechenden Thema "Perspektiven und Probleme der zweite Ausländergeneration". Bereits im Konzept war sie verunglückt: Weder die Moderation durch den Konstanzer Pressesprecher Stefan Schmutz, noch das mit sogenannten ExpertInnen besetzte Podium waren in der Lage, das Thema in seiner Breite aufzugreifen. Statt die 2. AusländerInnengeneration durch zwei türkische Männer vertreten zu lassen, hätte man das Publikum zu Wort kommen lassen sollen, das sicherlich mehr zu sagen gehabt hätte. So passierte es, daß zu viel Raum für Selbstdarstellung geboten und eine inhaltliche Diskussion nicht geführt wurde.

Ähnlich unbefriedigend war das Ergebnis einer Veranstaltung, in der die Probleme ausländischer ArbeitnehmerInnen thematisiert werden sollten. Auch hier war man überfordert, die Gruppe von AusländerInnen gerecht zu repräsentieren. Warum wurde hier nicht das Konfliktfeld zwischen AusländerInnen 1. Klasse, denen aus den EU- Mitgliedsstatten, und anderen angesprochen? Stattdessen wurde wieder mal nur ein Blickpunkt beleuchtet, in diesem Fall die Situation türkischer Jugendlicher. Somit waren die politischen Forderungen schwer zu verankern. Die Forderungen nach einem Antidiskriminierungs- und Einwanderungsgesetz wurden aufgestellt, ohne darzustellen, welche Maßnahmen diese beinhalten sollten, und ohne darüber zu diskutieren, ob diese Maßnahmen für die verschiedenen AusländerInnengruppen die erhofften Wirkungen erwarten lassen. Gerade in diesem Zusammenhang ist die Betrachtung des Weltwirtschaftssystems als wesentliche Ursache für Migrationsbewegungen und Einwanderungsbestrebungen längst fällig.

Erfreulicherweise ist dies in einer anderen Veranstaltung "Heute hier, morgen fort" aufgegriffen worden. Wohl der Komplexität des Themas entsprechend, war das Referat allerdings auf einem recht anspruchsvollen und theoretischen Niveau gehalten. Es zeigte jedoch, wie notwendig es ist, die Zusammenhänge zu begreifen, wenn die Gespräche über "Asyl- und Migrationsproblematik" oder über "Ausländerfeindlichkeit" tatsächlich was verändern sollen.

Davon scheint man noch weit entfernt zu sein. Der politische Stellenwert, den die Ausländerwoche von Seiten der Stadt genießt, läßt sich vielleicht schon am Bemühen das Oberbürgermeisters messen, der gerade mal ein Vorwort für's Programmheft schreiben ließ und ansonsten nicht in Erscheinung trat. So gesehen reihte sich die Ausländerwoche nahtlos in den folkloristischen Veranstaltungsreigen der Stadt ein, gekennzeichnet durch Kulturkonsum, bei dem Äußerlichkeiten, Können und Exotik im Mittelpunkt stehen. Unser Denken, unsere Bedürfnisse und Forderungen waren nicht gefragt.

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linksrhein,cm, 29.5.00